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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Werden, deren politische Traditionen ja zum guten Teil in der Richtung jener
freudigen Bejahung des Staates liegen, wie sie uns in Hegels "Rechtsphilosophie"
mit einer gerade heute erfrischend wirkenden Klarheit vernünftigen Wollens entgegen¬
tritt.") ""

Wenn unsere Generation die Zerstörung (nicht eigentlich den "Zusammen¬
bruch!") unseres nationalen Machtstaates und damit zugleich eine unendliche
Verwirrung der Staatsgesinnung, das Aufbrodeln zahlreicher dumpfer Idealismen
und Egoismen erlebt hat, so ist Hegel gerade umgekehrt aus verworrenen natur¬
rechtlichen Vorstellungen eines Staatsfremden Geschlechts durch erschütternde geschicht¬
liche Wandlungen zu dem Erlebnis des souveränen, seiner Freiheit bewußten
Machtstaates emporgeführt worden, wie er ihn in dem Preußen der Restaurations-
epoche zu erblicken glaubte und wie er ihn vollends mit überraschender Klar¬
heit als nationalen Staat schon um die Jahrhundertwende prophezeit hat,
N. hält deshalb sein eigenes, im wesentlichen vor dem großen Kriege vollendetes
Buch in gewissem Sinne für überholt durch die Katastrophe von 1918/19. Er spricht
jetzt im Vorwort von dem "harten und beschränkten Hegelschen Staatsgedanken"
und meint, seine Darstellung habe eben diesen Staatsgedanken analysierend zer¬
setzen, als unfrei dartun wollen. In Wahrheit läßt aber der Inhalt des Werkes
diese kritische Empfindung in der Hauptsache als nachträglich erscheinen. Es ist
im Interesse des Buche/ zu bedauern, daß der bewegliche Geist des Autors seit
der großen Katastrophe von diesem Stoffe so weit abgerückt ist (wie es scheint,
u. a. unter dem Einfluß des Heidelberger Philosophen Ehrenberg, der wohl auch
dem seither angekündigten philosophischen Werke R.'s "Der Stern der Erlösung",
nicht fern stehen dürfte). Der Autor Rosenzweig von 1914 ist innerlich nicht
gerade Hegelianer, aber doch fühlbar beseelt von der Größe seines Gegenstandes^
ja zuweilen möchte man gar etwas deutlicher, als geschehen, die Stimme des
modernen kritischen Betrachters hören. Die elegischen Zutaten von 1919 aber
schwächen ni. E. den Eindruck und die politische Wirkung des Ganzen, ohne den
Kern des Buches irgendwie zu ändern. Man kann Hegel fruchtbar machen für
unsere Zeit, ohne ihn preiszugeben und ohne deshalb anderseits einer unbesehenen
Erneuerung Hegelscher Staat'sphilosophie das Wort zu reden.

Schon daß diese Staatslehre die Idee der Nationalität nicht befriedigend
u verarbeiten vermochte, war -- wie R. richtig hervorhebt -- eine Schwäche,
le ihr historisch verhängnisvoll geworden ist. Die Erklärung, die R. dafür gibt
(Hegels Staatslehre sei zu einseitig auf dem Willen aufgebaut, um die Nation in
ihrem ruhenden "Sein" zu verstehen), ist freilich nicht recht befriedigend: auch
die Idee der Nationalität läßt sich aus dem Willen konstruieren/ in Wahrheit liegt
hier wohl dasselbe Motiv zugrunde, das die auffallende Unsicherheit Hegels in dem
systematischen Verhältnis des'Staates zu den großen Kultursystemen der Religion,
Wissenschaft und Kunst begründet (ein Verhältnis, das auch in der letzten Fassung
wenig befriedigt)/ dies Motiv ist doch wohl der übermächtige Drang, die
Subjektivität des romantischen Zeitalters unter allen Umständen unter den Bann
der großen Lebensmächte der Zeit zu zwingen, wie sie dem Denker die Anschauung
der Wirklichkeit bot. Wie der selbstherrliche Theoretiker der lebendigen geschicht¬
lichen Fortentwicklung jener obersten geistigen Knlturmächte halt gebot zugunsten
der absoluten Erkenntnis seines Systems, so wollte er den zerfließenden idealistischen
Willen seiner deutschen Zeitgenossen, die erst auf dem Wege waren zu politischem
Denken, unter die Ordnung "des bestehenden Staates zwingen.

Doch ist damit ein Problem angerührt, das hier nicht erledigt werden kann
und in mannigfachen Gestalten das ganze Buch durchzieht: die spezifisch Hegelsche
Bemühung, mit philosophischen Mitteln "ein konkretes Bild, eine breite inhaltvolle
Anschauung vom Ganzen der Welt und des Lebens zu entwerfen" (R. Haym).
Wie dieser Wirklichkeitssinn in geheimnisvoller Paarung mit einem zähen gewalt-



") Schon hat sich die HegeMeratur auch dieses Themas bemächtigt: H.Heller, Hegel
und der nationale MachtstaatSgedanke in Deutschland. Leipzig, 1S21.
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Werden, deren politische Traditionen ja zum guten Teil in der Richtung jener
freudigen Bejahung des Staates liegen, wie sie uns in Hegels „Rechtsphilosophie"
mit einer gerade heute erfrischend wirkenden Klarheit vernünftigen Wollens entgegen¬
tritt.") ""

Wenn unsere Generation die Zerstörung (nicht eigentlich den „Zusammen¬
bruch!") unseres nationalen Machtstaates und damit zugleich eine unendliche
Verwirrung der Staatsgesinnung, das Aufbrodeln zahlreicher dumpfer Idealismen
und Egoismen erlebt hat, so ist Hegel gerade umgekehrt aus verworrenen natur¬
rechtlichen Vorstellungen eines Staatsfremden Geschlechts durch erschütternde geschicht¬
liche Wandlungen zu dem Erlebnis des souveränen, seiner Freiheit bewußten
Machtstaates emporgeführt worden, wie er ihn in dem Preußen der Restaurations-
epoche zu erblicken glaubte und wie er ihn vollends mit überraschender Klar¬
heit als nationalen Staat schon um die Jahrhundertwende prophezeit hat,
N. hält deshalb sein eigenes, im wesentlichen vor dem großen Kriege vollendetes
Buch in gewissem Sinne für überholt durch die Katastrophe von 1918/19. Er spricht
jetzt im Vorwort von dem „harten und beschränkten Hegelschen Staatsgedanken"
und meint, seine Darstellung habe eben diesen Staatsgedanken analysierend zer¬
setzen, als unfrei dartun wollen. In Wahrheit läßt aber der Inhalt des Werkes
diese kritische Empfindung in der Hauptsache als nachträglich erscheinen. Es ist
im Interesse des Buche/ zu bedauern, daß der bewegliche Geist des Autors seit
der großen Katastrophe von diesem Stoffe so weit abgerückt ist (wie es scheint,
u. a. unter dem Einfluß des Heidelberger Philosophen Ehrenberg, der wohl auch
dem seither angekündigten philosophischen Werke R.'s „Der Stern der Erlösung",
nicht fern stehen dürfte). Der Autor Rosenzweig von 1914 ist innerlich nicht
gerade Hegelianer, aber doch fühlbar beseelt von der Größe seines Gegenstandes^
ja zuweilen möchte man gar etwas deutlicher, als geschehen, die Stimme des
modernen kritischen Betrachters hören. Die elegischen Zutaten von 1919 aber
schwächen ni. E. den Eindruck und die politische Wirkung des Ganzen, ohne den
Kern des Buches irgendwie zu ändern. Man kann Hegel fruchtbar machen für
unsere Zeit, ohne ihn preiszugeben und ohne deshalb anderseits einer unbesehenen
Erneuerung Hegelscher Staat'sphilosophie das Wort zu reden.

Schon daß diese Staatslehre die Idee der Nationalität nicht befriedigend
u verarbeiten vermochte, war — wie R. richtig hervorhebt — eine Schwäche,
le ihr historisch verhängnisvoll geworden ist. Die Erklärung, die R. dafür gibt
(Hegels Staatslehre sei zu einseitig auf dem Willen aufgebaut, um die Nation in
ihrem ruhenden „Sein" zu verstehen), ist freilich nicht recht befriedigend: auch
die Idee der Nationalität läßt sich aus dem Willen konstruieren/ in Wahrheit liegt
hier wohl dasselbe Motiv zugrunde, das die auffallende Unsicherheit Hegels in dem
systematischen Verhältnis des'Staates zu den großen Kultursystemen der Religion,
Wissenschaft und Kunst begründet (ein Verhältnis, das auch in der letzten Fassung
wenig befriedigt)/ dies Motiv ist doch wohl der übermächtige Drang, die
Subjektivität des romantischen Zeitalters unter allen Umständen unter den Bann
der großen Lebensmächte der Zeit zu zwingen, wie sie dem Denker die Anschauung
der Wirklichkeit bot. Wie der selbstherrliche Theoretiker der lebendigen geschicht¬
lichen Fortentwicklung jener obersten geistigen Knlturmächte halt gebot zugunsten
der absoluten Erkenntnis seines Systems, so wollte er den zerfließenden idealistischen
Willen seiner deutschen Zeitgenossen, die erst auf dem Wege waren zu politischem
Denken, unter die Ordnung "des bestehenden Staates zwingen.

Doch ist damit ein Problem angerührt, das hier nicht erledigt werden kann
und in mannigfachen Gestalten das ganze Buch durchzieht: die spezifisch Hegelsche
Bemühung, mit philosophischen Mitteln „ein konkretes Bild, eine breite inhaltvolle
Anschauung vom Ganzen der Welt und des Lebens zu entwerfen" (R. Haym).
Wie dieser Wirklichkeitssinn in geheimnisvoller Paarung mit einem zähen gewalt-



») Schon hat sich die HegeMeratur auch dieses Themas bemächtigt: H.Heller, Hegel
und der nationale MachtstaatSgedanke in Deutschland. Leipzig, 1S21.
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[0213] Aus neuen Büchern Werden, deren politische Traditionen ja zum guten Teil in der Richtung jener freudigen Bejahung des Staates liegen, wie sie uns in Hegels „Rechtsphilosophie" mit einer gerade heute erfrischend wirkenden Klarheit vernünftigen Wollens entgegen¬ tritt.") "" Wenn unsere Generation die Zerstörung (nicht eigentlich den „Zusammen¬ bruch!") unseres nationalen Machtstaates und damit zugleich eine unendliche Verwirrung der Staatsgesinnung, das Aufbrodeln zahlreicher dumpfer Idealismen und Egoismen erlebt hat, so ist Hegel gerade umgekehrt aus verworrenen natur¬ rechtlichen Vorstellungen eines Staatsfremden Geschlechts durch erschütternde geschicht¬ liche Wandlungen zu dem Erlebnis des souveränen, seiner Freiheit bewußten Machtstaates emporgeführt worden, wie er ihn in dem Preußen der Restaurations- epoche zu erblicken glaubte und wie er ihn vollends mit überraschender Klar¬ heit als nationalen Staat schon um die Jahrhundertwende prophezeit hat, N. hält deshalb sein eigenes, im wesentlichen vor dem großen Kriege vollendetes Buch in gewissem Sinne für überholt durch die Katastrophe von 1918/19. Er spricht jetzt im Vorwort von dem „harten und beschränkten Hegelschen Staatsgedanken" und meint, seine Darstellung habe eben diesen Staatsgedanken analysierend zer¬ setzen, als unfrei dartun wollen. In Wahrheit läßt aber der Inhalt des Werkes diese kritische Empfindung in der Hauptsache als nachträglich erscheinen. Es ist im Interesse des Buche/ zu bedauern, daß der bewegliche Geist des Autors seit der großen Katastrophe von diesem Stoffe so weit abgerückt ist (wie es scheint, u. a. unter dem Einfluß des Heidelberger Philosophen Ehrenberg, der wohl auch dem seither angekündigten philosophischen Werke R.'s „Der Stern der Erlösung", nicht fern stehen dürfte). Der Autor Rosenzweig von 1914 ist innerlich nicht gerade Hegelianer, aber doch fühlbar beseelt von der Größe seines Gegenstandes^ ja zuweilen möchte man gar etwas deutlicher, als geschehen, die Stimme des modernen kritischen Betrachters hören. Die elegischen Zutaten von 1919 aber schwächen ni. E. den Eindruck und die politische Wirkung des Ganzen, ohne den Kern des Buches irgendwie zu ändern. Man kann Hegel fruchtbar machen für unsere Zeit, ohne ihn preiszugeben und ohne deshalb anderseits einer unbesehenen Erneuerung Hegelscher Staat'sphilosophie das Wort zu reden. Schon daß diese Staatslehre die Idee der Nationalität nicht befriedigend u verarbeiten vermochte, war — wie R. richtig hervorhebt — eine Schwäche, le ihr historisch verhängnisvoll geworden ist. Die Erklärung, die R. dafür gibt (Hegels Staatslehre sei zu einseitig auf dem Willen aufgebaut, um die Nation in ihrem ruhenden „Sein" zu verstehen), ist freilich nicht recht befriedigend: auch die Idee der Nationalität läßt sich aus dem Willen konstruieren/ in Wahrheit liegt hier wohl dasselbe Motiv zugrunde, das die auffallende Unsicherheit Hegels in dem systematischen Verhältnis des'Staates zu den großen Kultursystemen der Religion, Wissenschaft und Kunst begründet (ein Verhältnis, das auch in der letzten Fassung wenig befriedigt)/ dies Motiv ist doch wohl der übermächtige Drang, die Subjektivität des romantischen Zeitalters unter allen Umständen unter den Bann der großen Lebensmächte der Zeit zu zwingen, wie sie dem Denker die Anschauung der Wirklichkeit bot. Wie der selbstherrliche Theoretiker der lebendigen geschicht¬ lichen Fortentwicklung jener obersten geistigen Knlturmächte halt gebot zugunsten der absoluten Erkenntnis seines Systems, so wollte er den zerfließenden idealistischen Willen seiner deutschen Zeitgenossen, die erst auf dem Wege waren zu politischem Denken, unter die Ordnung "des bestehenden Staates zwingen. Doch ist damit ein Problem angerührt, das hier nicht erledigt werden kann und in mannigfachen Gestalten das ganze Buch durchzieht: die spezifisch Hegelsche Bemühung, mit philosophischen Mitteln „ein konkretes Bild, eine breite inhaltvolle Anschauung vom Ganzen der Welt und des Lebens zu entwerfen" (R. Haym). Wie dieser Wirklichkeitssinn in geheimnisvoller Paarung mit einem zähen gewalt- ») Schon hat sich die HegeMeratur auch dieses Themas bemächtigt: H.Heller, Hegel und der nationale MachtstaatSgedanke in Deutschland. Leipzig, 1S21.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/213>, abgerufen am 23.11.2024.