Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.Deutschland und Lugland anders eingestellt, nachdem er aus der schwierigen Situation befreit war. Wir Chamberlain sprach übrigens nicht von einem Bündnis, sondern nur von Nach Berlin zurückgekehrt, verhandelte Bülow weiter mit dem englischen Gerade während die Erörterungen über eine deutsch-englische Verständigung Deutschland und Lugland anders eingestellt, nachdem er aus der schwierigen Situation befreit war. Wir Chamberlain sprach übrigens nicht von einem Bündnis, sondern nur von Nach Berlin zurückgekehrt, verhandelte Bülow weiter mit dem englischen Gerade während die Erörterungen über eine deutsch-englische Verständigung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338821"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und Lugland</fw><lb/> <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> anders eingestellt, nachdem er aus der schwierigen Situation befreit war. Wir<lb/> hätten einen unheilbaren Bruch mit Rußland bekommen, einen Bruch, der nicht<lb/> eintreten durfte, auch 1914 nicht, und, verbündet oder nicht, hätte England wenig<lb/> getan, uns gegen Nußland zu stützen. Im Gegenteil, das kluge England hätte<lb/> bei einer entschiedenen russischen Frontstellung gegen Deutschland sich schon früher<lb/> auf den Standpunkt gestellt, Nußland und Deutschland sich gegenseitig zertrümmern<lb/> zu lassen. In englischen Blättern fanden sich bald nach dem Tode des Königs<lb/> Eduard Andeutungen, daß der König stets bemüht gewesen wäre, Deutschland<lb/> und Nußland auseinanderzuhalten. Es liegt ja auch auf der Hand, daß gute<lb/> Beziehungen zwischen Deutschland und Nußland für England eher unbequem<lb/> gespannte nützlich waren, und daß ein deutsch-russischer Krieg für das durch das<lb/> Meer geschützte Britannien das war, was die Engländer ein „Mäsovä" nennen,<lb/> eine Gottesgabe.</p><lb/> <p xml:id="ID_61"> Chamberlain sprach übrigens nicht von einem Bündnis, sondern nur von<lb/> einer unverbindlicher Annäherung. Sein Ausdruck war: England, Amerika und<lb/> Deutschland sollten sich zu einer Gruppe zusammenschließen. Der deutsche Staats¬<lb/> sekretär des Auswärtigen nahm den Gedanken im Einverständnis mit dem Reichs¬<lb/> kanzler Hohenlohe freundlich auf, ließ aber keinen Zweifel darüber, daß eine<lb/> Bindung für uns nur in Frage käme, wenn auch England seinerseits sich fest<lb/> bande. So wie der Vorschlag lautete, war er aber unverbindlich und ging gegen<lb/> Rußland und Frankreich.</p><lb/> <p xml:id="ID_62"> Nach Berlin zurückgekehrt, verhandelte Bülow weiter mit dem englischen<lb/> Botschafter. Er betonte, daß das „Planet" des englischen Premierministers,<lb/> Lord Salisburh zu den Chamberlainschen Anregungen für die deutsche Negierung<lb/> erforderlich wäre, um diesen Anregungen volles Gewicht beizumessen. Dieses<lb/> „Planet" blieb aus, im Gegenteil trat auf englischer Seite immer wieder hervor,<lb/> daß Chamberlain als Einspänner politisierte und nur einige minder bedeutende<lb/> Mitglieder des Kabinetts auf seiner Seite hatte. Salisbury und die Mehrheit<lb/> des Kabinetts wollten sich die Hände freihalten, und selbst Chamberlain hat<lb/> späterhin zugegeben, daß das Kabinett eher für eine Verständigung mit Frankreich<lb/> und Nußland, selbst unter Konzessionen in Marokko und Persien, gewesen wäre.<lb/> Salisbury liebte Chamberlain nichts er hat später die Parteisührerschast nicht<lb/> ihm, sondern seinem Neffen Balfour zugewandt.</p><lb/> <p xml:id="ID_63" next="#ID_64"> Gerade während die Erörterungen über eine deutsch-englische Verständigung<lb/> schwebten, wurden um die Jahreswende 1899/1900 deutsche Postdampfer von<lb/> englischen Behörden in der rücksichtslosesten Weise beschlagnahmt. Das war<lb/> mindestens ungeschickt, auch wenn es unabsichtlich geschah. Die deutsche Regierung<lb/> war den Engländern gerade damals sehr weit entgegengekommen. Die Reise des<lb/> Kaisers nach England in einem Augenblick, da unsere öffentliche Meinung sich so<lb/> lebhaft der Buren annahm, war ihm bei uns fast allgemein sehr übel genommen<lb/> worden. Bülow wurde von deutschen Zeitungen als „Lord Bülow" bezeichnet<lb/> und im Reichstag heftig angegriffen. Es wäre der stärksten Regierung in<lb/> Deutschland damals nur dann möglich gewesen, eine enge Annäherung an Eng¬<lb/> land gegen die allgemeine Stimmung durchzusetzen, wenn ihr das durch das Ver¬<lb/> halten der englischen Regierung erleichtert worden wäre. Gegen die ganz<lb/> ungerechte und dabei brüske Beschlagnahme der deutschen Dampfer mußte Bülow</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Deutschland und Lugland
anders eingestellt, nachdem er aus der schwierigen Situation befreit war. Wir
hätten einen unheilbaren Bruch mit Rußland bekommen, einen Bruch, der nicht
eintreten durfte, auch 1914 nicht, und, verbündet oder nicht, hätte England wenig
getan, uns gegen Nußland zu stützen. Im Gegenteil, das kluge England hätte
bei einer entschiedenen russischen Frontstellung gegen Deutschland sich schon früher
auf den Standpunkt gestellt, Nußland und Deutschland sich gegenseitig zertrümmern
zu lassen. In englischen Blättern fanden sich bald nach dem Tode des Königs
Eduard Andeutungen, daß der König stets bemüht gewesen wäre, Deutschland
und Nußland auseinanderzuhalten. Es liegt ja auch auf der Hand, daß gute
Beziehungen zwischen Deutschland und Nußland für England eher unbequem
gespannte nützlich waren, und daß ein deutsch-russischer Krieg für das durch das
Meer geschützte Britannien das war, was die Engländer ein „Mäsovä" nennen,
eine Gottesgabe.
Chamberlain sprach übrigens nicht von einem Bündnis, sondern nur von
einer unverbindlicher Annäherung. Sein Ausdruck war: England, Amerika und
Deutschland sollten sich zu einer Gruppe zusammenschließen. Der deutsche Staats¬
sekretär des Auswärtigen nahm den Gedanken im Einverständnis mit dem Reichs¬
kanzler Hohenlohe freundlich auf, ließ aber keinen Zweifel darüber, daß eine
Bindung für uns nur in Frage käme, wenn auch England seinerseits sich fest
bande. So wie der Vorschlag lautete, war er aber unverbindlich und ging gegen
Rußland und Frankreich.
Nach Berlin zurückgekehrt, verhandelte Bülow weiter mit dem englischen
Botschafter. Er betonte, daß das „Planet" des englischen Premierministers,
Lord Salisburh zu den Chamberlainschen Anregungen für die deutsche Negierung
erforderlich wäre, um diesen Anregungen volles Gewicht beizumessen. Dieses
„Planet" blieb aus, im Gegenteil trat auf englischer Seite immer wieder hervor,
daß Chamberlain als Einspänner politisierte und nur einige minder bedeutende
Mitglieder des Kabinetts auf seiner Seite hatte. Salisbury und die Mehrheit
des Kabinetts wollten sich die Hände freihalten, und selbst Chamberlain hat
späterhin zugegeben, daß das Kabinett eher für eine Verständigung mit Frankreich
und Nußland, selbst unter Konzessionen in Marokko und Persien, gewesen wäre.
Salisbury liebte Chamberlain nichts er hat später die Parteisührerschast nicht
ihm, sondern seinem Neffen Balfour zugewandt.
Gerade während die Erörterungen über eine deutsch-englische Verständigung
schwebten, wurden um die Jahreswende 1899/1900 deutsche Postdampfer von
englischen Behörden in der rücksichtslosesten Weise beschlagnahmt. Das war
mindestens ungeschickt, auch wenn es unabsichtlich geschah. Die deutsche Regierung
war den Engländern gerade damals sehr weit entgegengekommen. Die Reise des
Kaisers nach England in einem Augenblick, da unsere öffentliche Meinung sich so
lebhaft der Buren annahm, war ihm bei uns fast allgemein sehr übel genommen
worden. Bülow wurde von deutschen Zeitungen als „Lord Bülow" bezeichnet
und im Reichstag heftig angegriffen. Es wäre der stärksten Regierung in
Deutschland damals nur dann möglich gewesen, eine enge Annäherung an Eng¬
land gegen die allgemeine Stimmung durchzusetzen, wenn ihr das durch das Ver¬
halten der englischen Regierung erleichtert worden wäre. Gegen die ganz
ungerechte und dabei brüske Beschlagnahme der deutschen Dampfer mußte Bülow
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