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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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In der vierten seiner Reden an die deutsche Nation hat Fichte diesen zuerst
von ihm mit Klarheit erkannten Unterschied zwischen dem Volk der ursprünglichen
und lebendigen Sprache, das heißt: den Deutschen, und dem Volk der übernommenen
und toten Sprache, das heißt: den von ihrer Ursprache abgefallenen Franken und
Langobarden, auseinandergesetzt. Er hat dabei ausdrücklich darauf verzichtet,
zu untersuchen, welche Eigentümlichkeiten der nun tatsächlich übernommenen
fremden Sprache, der römischen, hierbei wirksam wurden; ihm genügte, fest¬
zustellen, daß dort eine lebendige, hier eine tote Sprache gesprochen wurde, und
daß schon aus diesem allgemeinen Unterschied die einschneidendsten Folgen für
das Leben der Völker sich ergaben. Betrachtet man aber, weitergehend, die besondere
Art der Sprache, die in Wirklichkeit angenommen wurde, so gewinnt man über das
Wesen Europas und der sogenannten modernen Nationen noch viel deutlichere
Aufschlüsse,

Denn die römische Sprache hatte, wie jede Sprache, ihre Weltanschauung
oder die Bestimmung zu einer solchen in sich -- und es war eine Weltanschauung,
die von der germanischen aufs tiefste verschieden war,


5,

Die römische Sprache, das Lateinische, ist an sich zur Abstraktion vorher¬
bestimmt, Es ist, wenn man will, eine Sprache zweiten Ranges: ohne Artikel,
steinern, verstellbar, zusammensetzbar wie Mosaik -- man muß nur die richtigen
Zäpfchen finden, damit alles zusammenpaßt. Alles ist ans mechanische Richtigkeit,
auf die immer abstrakt anwendbare Regel gestellt, nicht auf organisches Wachstum
und die Mannigfaltigkeit eines alles bedingenden inneren Rhythmus, Alles ist
Grammatik, Logik, Berechenbarkeit -- Menschen und Dinge können von einer solchen
Sprache bloß nach ihrer schematischen, logischen Eignung erfaßt werden: es wird
von ihrer Persönlichkeit abstrahiert.

Im Geistigen war diese Weltanschauung unfruchtbar und eben nur der Ab¬
straktion des Lebendigen fähig: der Römer, von sich aus ohne Dichtung und Kunst
in unserem Sinne, nah"! die griechische Kunst und Dichtung in sich auf und über¬
setzte sie in seine Sprache, das heißt, er brachte etwas ihm im Grunde gänzlich
Fremdes in seine starre, kalte, logische, meßbare Form, Seine Vermittlerrolle, sein
eigentlich tiefes Mißverstehen des griechischen Geistes befähigte ihn, den abstrakten,
unantastbaren Kanon des "Klassischen" aufzustellen, Schönheitsbegriffe, Dichtungs-
arten und Versmaße für alle Zeiten festzusetzen.

Auf die Dinge des persönlichen und öffentlichen Lebens übertragen, ergab diese
Weltanschauung das abstrakte und lückenlose System des Rechts, welches eben durch
feine Ungebundenheit ans Persönliche, durch seine überall mögliche Anwendbarkeit
auf ganz andere Zeiten und Zustände sich hat übertragen lassen.

Im rein Politischen vollendete sich diese Weltanschauung in der Idee des
Imperium Romanum, welches sich von den vorhergehenden Weltreichen durch seine
übernationale logische Struktur unterschied und deshalb als übertragbarer Begriff
weiterleben und spätere Zeiten und Völker beherrschen und infizieren konnte, als
Rom als eine irdische Macht längst nicht mehr bestand.

Die klassische Kunst, das römische Recht, die Idee des Imperium -- das
waren die drei Mächte, die das untergehende Rom um dus gesamte Abendland ver-



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In der vierten seiner Reden an die deutsche Nation hat Fichte diesen zuerst
von ihm mit Klarheit erkannten Unterschied zwischen dem Volk der ursprünglichen
und lebendigen Sprache, das heißt: den Deutschen, und dem Volk der übernommenen
und toten Sprache, das heißt: den von ihrer Ursprache abgefallenen Franken und
Langobarden, auseinandergesetzt. Er hat dabei ausdrücklich darauf verzichtet,
zu untersuchen, welche Eigentümlichkeiten der nun tatsächlich übernommenen
fremden Sprache, der römischen, hierbei wirksam wurden; ihm genügte, fest¬
zustellen, daß dort eine lebendige, hier eine tote Sprache gesprochen wurde, und
daß schon aus diesem allgemeinen Unterschied die einschneidendsten Folgen für
das Leben der Völker sich ergaben. Betrachtet man aber, weitergehend, die besondere
Art der Sprache, die in Wirklichkeit angenommen wurde, so gewinnt man über das
Wesen Europas und der sogenannten modernen Nationen noch viel deutlichere
Aufschlüsse,

Denn die römische Sprache hatte, wie jede Sprache, ihre Weltanschauung
oder die Bestimmung zu einer solchen in sich — und es war eine Weltanschauung,
die von der germanischen aufs tiefste verschieden war,


5,

Die römische Sprache, das Lateinische, ist an sich zur Abstraktion vorher¬
bestimmt, Es ist, wenn man will, eine Sprache zweiten Ranges: ohne Artikel,
steinern, verstellbar, zusammensetzbar wie Mosaik — man muß nur die richtigen
Zäpfchen finden, damit alles zusammenpaßt. Alles ist ans mechanische Richtigkeit,
auf die immer abstrakt anwendbare Regel gestellt, nicht auf organisches Wachstum
und die Mannigfaltigkeit eines alles bedingenden inneren Rhythmus, Alles ist
Grammatik, Logik, Berechenbarkeit — Menschen und Dinge können von einer solchen
Sprache bloß nach ihrer schematischen, logischen Eignung erfaßt werden: es wird
von ihrer Persönlichkeit abstrahiert.

Im Geistigen war diese Weltanschauung unfruchtbar und eben nur der Ab¬
straktion des Lebendigen fähig: der Römer, von sich aus ohne Dichtung und Kunst
in unserem Sinne, nah»! die griechische Kunst und Dichtung in sich auf und über¬
setzte sie in seine Sprache, das heißt, er brachte etwas ihm im Grunde gänzlich
Fremdes in seine starre, kalte, logische, meßbare Form, Seine Vermittlerrolle, sein
eigentlich tiefes Mißverstehen des griechischen Geistes befähigte ihn, den abstrakten,
unantastbaren Kanon des „Klassischen" aufzustellen, Schönheitsbegriffe, Dichtungs-
arten und Versmaße für alle Zeiten festzusetzen.

Auf die Dinge des persönlichen und öffentlichen Lebens übertragen, ergab diese
Weltanschauung das abstrakte und lückenlose System des Rechts, welches eben durch
feine Ungebundenheit ans Persönliche, durch seine überall mögliche Anwendbarkeit
auf ganz andere Zeiten und Zustände sich hat übertragen lassen.

Im rein Politischen vollendete sich diese Weltanschauung in der Idee des
Imperium Romanum, welches sich von den vorhergehenden Weltreichen durch seine
übernationale logische Struktur unterschied und deshalb als übertragbarer Begriff
weiterleben und spätere Zeiten und Völker beherrschen und infizieren konnte, als
Rom als eine irdische Macht längst nicht mehr bestand.

Die klassische Kunst, das römische Recht, die Idee des Imperium — das
waren die drei Mächte, die das untergehende Rom um dus gesamte Abendland ver-


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[0076] 4. ^ ,, In der vierten seiner Reden an die deutsche Nation hat Fichte diesen zuerst von ihm mit Klarheit erkannten Unterschied zwischen dem Volk der ursprünglichen und lebendigen Sprache, das heißt: den Deutschen, und dem Volk der übernommenen und toten Sprache, das heißt: den von ihrer Ursprache abgefallenen Franken und Langobarden, auseinandergesetzt. Er hat dabei ausdrücklich darauf verzichtet, zu untersuchen, welche Eigentümlichkeiten der nun tatsächlich übernommenen fremden Sprache, der römischen, hierbei wirksam wurden; ihm genügte, fest¬ zustellen, daß dort eine lebendige, hier eine tote Sprache gesprochen wurde, und daß schon aus diesem allgemeinen Unterschied die einschneidendsten Folgen für das Leben der Völker sich ergaben. Betrachtet man aber, weitergehend, die besondere Art der Sprache, die in Wirklichkeit angenommen wurde, so gewinnt man über das Wesen Europas und der sogenannten modernen Nationen noch viel deutlichere Aufschlüsse, Denn die römische Sprache hatte, wie jede Sprache, ihre Weltanschauung oder die Bestimmung zu einer solchen in sich — und es war eine Weltanschauung, die von der germanischen aufs tiefste verschieden war, 5, Die römische Sprache, das Lateinische, ist an sich zur Abstraktion vorher¬ bestimmt, Es ist, wenn man will, eine Sprache zweiten Ranges: ohne Artikel, steinern, verstellbar, zusammensetzbar wie Mosaik — man muß nur die richtigen Zäpfchen finden, damit alles zusammenpaßt. Alles ist ans mechanische Richtigkeit, auf die immer abstrakt anwendbare Regel gestellt, nicht auf organisches Wachstum und die Mannigfaltigkeit eines alles bedingenden inneren Rhythmus, Alles ist Grammatik, Logik, Berechenbarkeit — Menschen und Dinge können von einer solchen Sprache bloß nach ihrer schematischen, logischen Eignung erfaßt werden: es wird von ihrer Persönlichkeit abstrahiert. Im Geistigen war diese Weltanschauung unfruchtbar und eben nur der Ab¬ straktion des Lebendigen fähig: der Römer, von sich aus ohne Dichtung und Kunst in unserem Sinne, nah»! die griechische Kunst und Dichtung in sich auf und über¬ setzte sie in seine Sprache, das heißt, er brachte etwas ihm im Grunde gänzlich Fremdes in seine starre, kalte, logische, meßbare Form, Seine Vermittlerrolle, sein eigentlich tiefes Mißverstehen des griechischen Geistes befähigte ihn, den abstrakten, unantastbaren Kanon des „Klassischen" aufzustellen, Schönheitsbegriffe, Dichtungs- arten und Versmaße für alle Zeiten festzusetzen. Auf die Dinge des persönlichen und öffentlichen Lebens übertragen, ergab diese Weltanschauung das abstrakte und lückenlose System des Rechts, welches eben durch feine Ungebundenheit ans Persönliche, durch seine überall mögliche Anwendbarkeit auf ganz andere Zeiten und Zustände sich hat übertragen lassen. Im rein Politischen vollendete sich diese Weltanschauung in der Idee des Imperium Romanum, welches sich von den vorhergehenden Weltreichen durch seine übernationale logische Struktur unterschied und deshalb als übertragbarer Begriff weiterleben und spätere Zeiten und Völker beherrschen und infizieren konnte, als Rom als eine irdische Macht längst nicht mehr bestand. Die klassische Kunst, das römische Recht, die Idee des Imperium — das waren die drei Mächte, die das untergehende Rom um dus gesamte Abendland ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/76>, abgerufen am 04.07.2024.