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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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sogar bedeutender Staatsmann zu sein, sondern daß man auch Mensch und viel¬
leicht bei allen Anlässen immer und zu allererst Mensch sein sollte. Auch hier
sprach der Staatsmann: "Eure Großmutter Frankreich wurde von Barbaren
angegriffen, die unser Land auf der Weltkarte auslöschen wollten. Und da haben
die Franzosen gemerkt, daß sie schön dumm wären, sich untereinander zu raufen,
wo sie doch so viel Gründe hatten, einander zu lieben." Aber zunächst suchte
und fand er doch einmal einen menschlichen Kontakt zu seinen Hörern, unbekümmert
den um, ob er sich etwa eine Blöße gebe. Um so tiefer mußte sich einprägen,
was der Staatsmann zu sagen hatte.

"Was lmlse es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und
nehme doch Schaden an seiner Seele?" Es ist die Tragödie des deutschen
Menschen, daß er, von tausend materiellen Nöten bedrängt und mißtrauisch gegen
die Undisziplmiertheit, das schrankenlose Schweifen seiner Geistigkeit, glaubt es
sich nicht mehr leisten zu können Mensch zu sein. Fortwährend muß er sich
wegen seiner nach tausend Fernen greifenden und darüber das Nächstliegende
nicht mit der nötigen sinnlichen Aufmerksamkeit erfassender Energielosigkeit
zurufen: "Landgraf, werde hart!" Und eben darum nehmen'sich seine Versuche,
energisch, zielvoll, sachlich-konzentriert zu sein, aus wie die rauh quietschenden,
das feinere Ohr beleidigenden Töne, die der Anfänger der sanften Flöte entlockt.
Immer ist er, um sich in der bösen Welt behaupten zu können, genötigt, sich
selbst herauszufordern, die eigene Unsicherheit unter Forschheit und angelernter
Schneidigkeit zu verbergen. Und so viel Anstrengung muß er darauf verwenden,
daß der ganze Mensch in diese Übung mit hineingerissen wird. Das kann bei
fortgesetzter Übung eine bedeutende Durchschlagskraft und Tüchtigkeit ergeben,
aber liebenswürdig wirkt diese Tätigkeit nicht. Liebenswürdig oder doch anziehend
wirkt nur das Menschliche. Der Deutsche fordert, daß er sachlich gewertet
werde, aber das ist eine rein theoretische Forderung, denn überall sonst auf der
Erde sind es die Imponderabilien, die in erster Linie wirken, und oft genug sind
sie ausschlaggebend.

Dazu kommt, daß unter dem nivellierenden Einfluß einer vorzugsweise auf
materielles Gedeihen gerichteten geistigen Einstellung und des dadurch begünstigten
Liberalismus die Zahl der geistig wirklich bedeutenden Männer so stark abgenommen
hat, daß sie zur Bewältigung großer Aufgaben kaum mehr ausreicht) daß die
wenigen mit laufenden Geschäften derart überlastet sind, daß sie den Überblick und
das Gefühl für das Wesentliche und Maßgebende verloren. Von Lloyd George
ist bekannt, daß er ein leidenschaftlicher Golfspieler ist (auch dem fanatischsten
englischen Sozialisten würde es nicht einfallen, ihm daraus ein Verbrechen zu
machen),- Millerand machte noch als Ministerpräsident täglich seinen gewohnten
einstündigem Morgenspaziergang durch Paris zu Fuß. Er bekam das Volk zu
sehen, für das er arbeitete. Unsere Minister gehen nicht spazieren. Sie sausen
im Auto. Sie hören Vorträge, lesen Berichte. Papier, Schlagworte, Zahlen.
Es fehlt der Kontakt mit Menschen. Es fehlt das lebendige Gefühl für das
Wesentliche.

Und jetzt scheint in der Tretmühle der Staatsgeschäfte auch Reichsminister
Simons, der noch in Spa selbst den Feinden scheuen Respekt abgenötigt hatte,
abgenutzt zu sein. Es ist leicht möglich, daß die praktischen Ergebnisse der Londoner
Konferenz nicht andere gewesen wären, wenn er statt nüchtern, ehrlich, sachlich¬
juristisch, als Mensch, als Vertreter eines Volkes aufgetreten wäre, das immerhin
der übrigen Menschheit Kant, Goethe, Leibnitz und die großen Musiker geschenkt
hat, wenn er statt mit dem Abstraktum des finanztechnischen Zahlenmaterials mit
dem Konkretum des praktischen Wiederaufbaues begonnen hätte. Es mag ganz
richtig sein, daß vor der Abstimmung in Oberschlesien und bei der schlampigen
und gehässigen Arbeitsmethode der Redaktionskommission ein detaillierter Wieder¬
aufbauplan in Einzelheiten nicht aufgestellt werden konnte. Aber es kam, da
man nun einmal vor aller Welt diskutierte, nicht auf die Einzelheiten an, die
hüben wie drüben kaum Hunderte beurteilen können, sondern auf die Geste, auf


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sogar bedeutender Staatsmann zu sein, sondern daß man auch Mensch und viel¬
leicht bei allen Anlässen immer und zu allererst Mensch sein sollte. Auch hier
sprach der Staatsmann: „Eure Großmutter Frankreich wurde von Barbaren
angegriffen, die unser Land auf der Weltkarte auslöschen wollten. Und da haben
die Franzosen gemerkt, daß sie schön dumm wären, sich untereinander zu raufen,
wo sie doch so viel Gründe hatten, einander zu lieben." Aber zunächst suchte
und fand er doch einmal einen menschlichen Kontakt zu seinen Hörern, unbekümmert
den um, ob er sich etwa eine Blöße gebe. Um so tiefer mußte sich einprägen,
was der Staatsmann zu sagen hatte.

„Was lmlse es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und
nehme doch Schaden an seiner Seele?" Es ist die Tragödie des deutschen
Menschen, daß er, von tausend materiellen Nöten bedrängt und mißtrauisch gegen
die Undisziplmiertheit, das schrankenlose Schweifen seiner Geistigkeit, glaubt es
sich nicht mehr leisten zu können Mensch zu sein. Fortwährend muß er sich
wegen seiner nach tausend Fernen greifenden und darüber das Nächstliegende
nicht mit der nötigen sinnlichen Aufmerksamkeit erfassender Energielosigkeit
zurufen: „Landgraf, werde hart!" Und eben darum nehmen'sich seine Versuche,
energisch, zielvoll, sachlich-konzentriert zu sein, aus wie die rauh quietschenden,
das feinere Ohr beleidigenden Töne, die der Anfänger der sanften Flöte entlockt.
Immer ist er, um sich in der bösen Welt behaupten zu können, genötigt, sich
selbst herauszufordern, die eigene Unsicherheit unter Forschheit und angelernter
Schneidigkeit zu verbergen. Und so viel Anstrengung muß er darauf verwenden,
daß der ganze Mensch in diese Übung mit hineingerissen wird. Das kann bei
fortgesetzter Übung eine bedeutende Durchschlagskraft und Tüchtigkeit ergeben,
aber liebenswürdig wirkt diese Tätigkeit nicht. Liebenswürdig oder doch anziehend
wirkt nur das Menschliche. Der Deutsche fordert, daß er sachlich gewertet
werde, aber das ist eine rein theoretische Forderung, denn überall sonst auf der
Erde sind es die Imponderabilien, die in erster Linie wirken, und oft genug sind
sie ausschlaggebend.

Dazu kommt, daß unter dem nivellierenden Einfluß einer vorzugsweise auf
materielles Gedeihen gerichteten geistigen Einstellung und des dadurch begünstigten
Liberalismus die Zahl der geistig wirklich bedeutenden Männer so stark abgenommen
hat, daß sie zur Bewältigung großer Aufgaben kaum mehr ausreicht) daß die
wenigen mit laufenden Geschäften derart überlastet sind, daß sie den Überblick und
das Gefühl für das Wesentliche und Maßgebende verloren. Von Lloyd George
ist bekannt, daß er ein leidenschaftlicher Golfspieler ist (auch dem fanatischsten
englischen Sozialisten würde es nicht einfallen, ihm daraus ein Verbrechen zu
machen),- Millerand machte noch als Ministerpräsident täglich seinen gewohnten
einstündigem Morgenspaziergang durch Paris zu Fuß. Er bekam das Volk zu
sehen, für das er arbeitete. Unsere Minister gehen nicht spazieren. Sie sausen
im Auto. Sie hören Vorträge, lesen Berichte. Papier, Schlagworte, Zahlen.
Es fehlt der Kontakt mit Menschen. Es fehlt das lebendige Gefühl für das
Wesentliche.

Und jetzt scheint in der Tretmühle der Staatsgeschäfte auch Reichsminister
Simons, der noch in Spa selbst den Feinden scheuen Respekt abgenötigt hatte,
abgenutzt zu sein. Es ist leicht möglich, daß die praktischen Ergebnisse der Londoner
Konferenz nicht andere gewesen wären, wenn er statt nüchtern, ehrlich, sachlich¬
juristisch, als Mensch, als Vertreter eines Volkes aufgetreten wäre, das immerhin
der übrigen Menschheit Kant, Goethe, Leibnitz und die großen Musiker geschenkt
hat, wenn er statt mit dem Abstraktum des finanztechnischen Zahlenmaterials mit
dem Konkretum des praktischen Wiederaufbaues begonnen hätte. Es mag ganz
richtig sein, daß vor der Abstimmung in Oberschlesien und bei der schlampigen
und gehässigen Arbeitsmethode der Redaktionskommission ein detaillierter Wieder¬
aufbauplan in Einzelheiten nicht aufgestellt werden konnte. Aber es kam, da
man nun einmal vor aller Welt diskutierte, nicht auf die Einzelheiten an, die
hüben wie drüben kaum Hunderte beurteilen können, sondern auf die Geste, auf


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[0360] Weltspiegel sogar bedeutender Staatsmann zu sein, sondern daß man auch Mensch und viel¬ leicht bei allen Anlässen immer und zu allererst Mensch sein sollte. Auch hier sprach der Staatsmann: „Eure Großmutter Frankreich wurde von Barbaren angegriffen, die unser Land auf der Weltkarte auslöschen wollten. Und da haben die Franzosen gemerkt, daß sie schön dumm wären, sich untereinander zu raufen, wo sie doch so viel Gründe hatten, einander zu lieben." Aber zunächst suchte und fand er doch einmal einen menschlichen Kontakt zu seinen Hörern, unbekümmert den um, ob er sich etwa eine Blöße gebe. Um so tiefer mußte sich einprägen, was der Staatsmann zu sagen hatte. „Was lmlse es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, und nehme doch Schaden an seiner Seele?" Es ist die Tragödie des deutschen Menschen, daß er, von tausend materiellen Nöten bedrängt und mißtrauisch gegen die Undisziplmiertheit, das schrankenlose Schweifen seiner Geistigkeit, glaubt es sich nicht mehr leisten zu können Mensch zu sein. Fortwährend muß er sich wegen seiner nach tausend Fernen greifenden und darüber das Nächstliegende nicht mit der nötigen sinnlichen Aufmerksamkeit erfassender Energielosigkeit zurufen: „Landgraf, werde hart!" Und eben darum nehmen'sich seine Versuche, energisch, zielvoll, sachlich-konzentriert zu sein, aus wie die rauh quietschenden, das feinere Ohr beleidigenden Töne, die der Anfänger der sanften Flöte entlockt. Immer ist er, um sich in der bösen Welt behaupten zu können, genötigt, sich selbst herauszufordern, die eigene Unsicherheit unter Forschheit und angelernter Schneidigkeit zu verbergen. Und so viel Anstrengung muß er darauf verwenden, daß der ganze Mensch in diese Übung mit hineingerissen wird. Das kann bei fortgesetzter Übung eine bedeutende Durchschlagskraft und Tüchtigkeit ergeben, aber liebenswürdig wirkt diese Tätigkeit nicht. Liebenswürdig oder doch anziehend wirkt nur das Menschliche. Der Deutsche fordert, daß er sachlich gewertet werde, aber das ist eine rein theoretische Forderung, denn überall sonst auf der Erde sind es die Imponderabilien, die in erster Linie wirken, und oft genug sind sie ausschlaggebend. Dazu kommt, daß unter dem nivellierenden Einfluß einer vorzugsweise auf materielles Gedeihen gerichteten geistigen Einstellung und des dadurch begünstigten Liberalismus die Zahl der geistig wirklich bedeutenden Männer so stark abgenommen hat, daß sie zur Bewältigung großer Aufgaben kaum mehr ausreicht) daß die wenigen mit laufenden Geschäften derart überlastet sind, daß sie den Überblick und das Gefühl für das Wesentliche und Maßgebende verloren. Von Lloyd George ist bekannt, daß er ein leidenschaftlicher Golfspieler ist (auch dem fanatischsten englischen Sozialisten würde es nicht einfallen, ihm daraus ein Verbrechen zu machen),- Millerand machte noch als Ministerpräsident täglich seinen gewohnten einstündigem Morgenspaziergang durch Paris zu Fuß. Er bekam das Volk zu sehen, für das er arbeitete. Unsere Minister gehen nicht spazieren. Sie sausen im Auto. Sie hören Vorträge, lesen Berichte. Papier, Schlagworte, Zahlen. Es fehlt der Kontakt mit Menschen. Es fehlt das lebendige Gefühl für das Wesentliche. Und jetzt scheint in der Tretmühle der Staatsgeschäfte auch Reichsminister Simons, der noch in Spa selbst den Feinden scheuen Respekt abgenötigt hatte, abgenutzt zu sein. Es ist leicht möglich, daß die praktischen Ergebnisse der Londoner Konferenz nicht andere gewesen wären, wenn er statt nüchtern, ehrlich, sachlich¬ juristisch, als Mensch, als Vertreter eines Volkes aufgetreten wäre, das immerhin der übrigen Menschheit Kant, Goethe, Leibnitz und die großen Musiker geschenkt hat, wenn er statt mit dem Abstraktum des finanztechnischen Zahlenmaterials mit dem Konkretum des praktischen Wiederaufbaues begonnen hätte. Es mag ganz richtig sein, daß vor der Abstimmung in Oberschlesien und bei der schlampigen und gehässigen Arbeitsmethode der Redaktionskommission ein detaillierter Wieder¬ aufbauplan in Einzelheiten nicht aufgestellt werden konnte. Aber es kam, da man nun einmal vor aller Welt diskutierte, nicht auf die Einzelheiten an, die hüben wie drüben kaum Hunderte beurteilen können, sondern auf die Geste, auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/360>, abgerufen am 28.12.2024.