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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Lage der Sudetendeutschen

Es ist zunächst sozusagen a priori klar, daß durch die Verlegring des
administrative!? Zentrums aus dem neutral-bürokratischen Wien nach dem tschechisch¬
nationalen Prag, durch die Abwanderung zahlloser deutschen Beamten und Offiziere,
durch die Umwandlung einer national stark gemischten in eine sehr verschieden
tschechische Wehrmacht der Jnstanzengang sehr zuungunsten deS deutschen Bevölkerungs-
elements beeinflußt werden mußte.

Noch ehe der tschechische Staat seine Grenzen definitiv zugewiesen erhalten
hatte, hatten die Tschechen schon "ihr" Haus für sich allein bestellt. Sie hatten
der Behördenorganisation einen neuen, rein tschechischen Oberbau geschaffen, und ein
"Revolutionsparlament" von eigenen Gnaden beriet über das Schicksal von Millionen,
die zunächst seinem Machtbereiche legal noch nicht angehörten. Als dann die
Grenzen festgelegt waren, die Deutschen Einlaß in das Parlament begehrten, in
dem auch über ihre Lebens Interessen beschlossen werden sollte, fanden sie die Tür
verriegelt. Und das tschechisch-nationale Parlament ratschlagte, ungerührt durch
die deutschen Proteste, über eine Menge legislativer Probleme, von denen insbesondere
das Universitätsgesetz, das Wahlgesetz und das Sprachengesetz eine sehr erhebliche
Schädigung des sudctendeutschen Besitzstandes in die Wege leiteten.

Das Universitätsgesetz löste die Präger deutsche Universität gewaltsam von
ihrem historischen Zusammenhang mit der Tradition der Gründung Karls IV.

Das Wahlgesetz machte alle idealen Versprechungen durch die Praxis einer
Kreiseinteilung wett, die einem gleichberechtigten Nebeneinanderleben von Deutschen
und Tschechen ebenso ernsthafte Hindernisse in den Weg legte, wie die noch kurz vor
der Auflösung der Monarchie proklamierte neue böhmische Kreisverfassung einer
reinlichen administrativen Scheidung der hauptsächlichen Siedlungsgebiete günstig
war. Diese Kreisteilung, die anstatt fünf nur zwei reindeutsche Kreise in Böhmen
beläßt, keinen deutschen Ort als Mittelpunkt eines Senats-Doppelwahlkreises
anerkennt, Städte von Reichenbergs und Teplitz' Bedeutung "Metropolen" wie
Laun und Jungbunzlau unterordnet, dem Prager fast rein tschechischen Riesen-
Wahlkreis eine bevorzugte Verordnungsquote einräumt und im übrigen mit Mischnngö-
relationen von es. 26--47 7° Deutschen operiert, das überwiegend deutsche Land
Schlesien ganz von der Bildflnche verschwinden läßt, erzeugt im Gegensatz zu den
fünf deutschen Kreisen von 1918, innerhalb deren die stärkste tschechische Beimischung
nirgends ION überstiegen hätte, eine höchst unliebsame Kampfstimmung zwischen
beiden Nationalitäten. Die Losreißung deutscher Gebietsteile aus dem deutschen
Mehrheitsverband hatte in Verbindung mit der "geeigneten" Verwendung wahl¬
berechtigter Soldaten dann mich das gewünschte Ergebnis, daß die Deutschen anstatt
mit 81 bloß mit 72 Abgeordneten in das zweite -- gewählte -- Parlament ein¬
zogen. Was eifrige Tschechen freilich noch immer viel zu viel finden.

Daß der Sprachgebrauch bei den Behörden im Grunde kein nationales,
sondern ein technisches Problem sein sollte, ist einsichtigen Tschechen wie Kallab
iind Vontschck gewiß nicht entgangen. Einstweilen sind die prinzipiellen "Gleich-



llbcr die Kreiseinteilung handelt Albin Oberschall sehr interessant in Heft 20/21
der Halbmonastschrist "Deutsche Arbeit", die von Dr. Ullmann in Berlin vorzüglich geleitet,
musterhaft unbefangene und maßvolle Information über die Lage des ehemals österreichischen
Deutschtums vermittelt.
Die Lage der Sudetendeutschen

Es ist zunächst sozusagen a priori klar, daß durch die Verlegring des
administrative!? Zentrums aus dem neutral-bürokratischen Wien nach dem tschechisch¬
nationalen Prag, durch die Abwanderung zahlloser deutschen Beamten und Offiziere,
durch die Umwandlung einer national stark gemischten in eine sehr verschieden
tschechische Wehrmacht der Jnstanzengang sehr zuungunsten deS deutschen Bevölkerungs-
elements beeinflußt werden mußte.

Noch ehe der tschechische Staat seine Grenzen definitiv zugewiesen erhalten
hatte, hatten die Tschechen schon „ihr" Haus für sich allein bestellt. Sie hatten
der Behördenorganisation einen neuen, rein tschechischen Oberbau geschaffen, und ein
„Revolutionsparlament" von eigenen Gnaden beriet über das Schicksal von Millionen,
die zunächst seinem Machtbereiche legal noch nicht angehörten. Als dann die
Grenzen festgelegt waren, die Deutschen Einlaß in das Parlament begehrten, in
dem auch über ihre Lebens Interessen beschlossen werden sollte, fanden sie die Tür
verriegelt. Und das tschechisch-nationale Parlament ratschlagte, ungerührt durch
die deutschen Proteste, über eine Menge legislativer Probleme, von denen insbesondere
das Universitätsgesetz, das Wahlgesetz und das Sprachengesetz eine sehr erhebliche
Schädigung des sudctendeutschen Besitzstandes in die Wege leiteten.

Das Universitätsgesetz löste die Präger deutsche Universität gewaltsam von
ihrem historischen Zusammenhang mit der Tradition der Gründung Karls IV.

Das Wahlgesetz machte alle idealen Versprechungen durch die Praxis einer
Kreiseinteilung wett, die einem gleichberechtigten Nebeneinanderleben von Deutschen
und Tschechen ebenso ernsthafte Hindernisse in den Weg legte, wie die noch kurz vor
der Auflösung der Monarchie proklamierte neue böhmische Kreisverfassung einer
reinlichen administrativen Scheidung der hauptsächlichen Siedlungsgebiete günstig
war. Diese Kreisteilung, die anstatt fünf nur zwei reindeutsche Kreise in Böhmen
beläßt, keinen deutschen Ort als Mittelpunkt eines Senats-Doppelwahlkreises
anerkennt, Städte von Reichenbergs und Teplitz' Bedeutung „Metropolen" wie
Laun und Jungbunzlau unterordnet, dem Prager fast rein tschechischen Riesen-
Wahlkreis eine bevorzugte Verordnungsquote einräumt und im übrigen mit Mischnngö-
relationen von es. 26—47 7° Deutschen operiert, das überwiegend deutsche Land
Schlesien ganz von der Bildflnche verschwinden läßt, erzeugt im Gegensatz zu den
fünf deutschen Kreisen von 1918, innerhalb deren die stärkste tschechische Beimischung
nirgends ION überstiegen hätte, eine höchst unliebsame Kampfstimmung zwischen
beiden Nationalitäten. Die Losreißung deutscher Gebietsteile aus dem deutschen
Mehrheitsverband hatte in Verbindung mit der „geeigneten" Verwendung wahl¬
berechtigter Soldaten dann mich das gewünschte Ergebnis, daß die Deutschen anstatt
mit 81 bloß mit 72 Abgeordneten in das zweite — gewählte — Parlament ein¬
zogen. Was eifrige Tschechen freilich noch immer viel zu viel finden.

Daß der Sprachgebrauch bei den Behörden im Grunde kein nationales,
sondern ein technisches Problem sein sollte, ist einsichtigen Tschechen wie Kallab
iind Vontschck gewiß nicht entgangen. Einstweilen sind die prinzipiellen „Gleich-



llbcr die Kreiseinteilung handelt Albin Oberschall sehr interessant in Heft 20/21
der Halbmonastschrist „Deutsche Arbeit", die von Dr. Ullmann in Berlin vorzüglich geleitet,
musterhaft unbefangene und maßvolle Information über die Lage des ehemals österreichischen
Deutschtums vermittelt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/230>, abgerufen am 29.12.2024.