Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Die völkischen Minderheiten und die deutsch.polnische Politik Das Deutschtum in Polett, der Korridor und Rußland sind die drei Ziel¬ Die völkischen Minderheiten und die deutsch.polnische Politik Das Deutschtum in Polett, der Korridor und Rußland sind die drei Ziel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338556"/> <fw type="header" place="top"> Die völkischen Minderheiten und die deutsch.polnische Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_384" next="#ID_385"> Das Deutschtum in Polett, der Korridor und Rußland sind die drei Ziel¬<lb/> punkte für die deutsche Politik/ denen gegenüber das unmittelbare Interesse an<lb/> Polen und der polnischen Wirtschaft in den Hintergrund tritt. Die deutsche<lb/> Politik kann zur Lösung der ihr gestellten drei Hauptaufgaben die Kräfte nicht<lb/> gleichmäßig und in einer Richtung ansetzen, weil die Wege, auf denen die drei<lb/> Ziele gesucht werden können, sich in eigenartiger Weise schneiden. Dieser Umstand<lb/> ist ein wesentlicher Aktivposten für die Polnische Politik Deutschland gegenüber.<lb/> Die Konsolidierung des neugebildeten polnischen Staates muß innerpolitisch in der<lb/> Hauptsache in einer Überwindung der wirtschaftlichen und der nationalitäts¬<lb/> politischen Schwierigkeiten gesucht werden. Alle anderen Schwierigkeiten der<lb/> inneren polnischen Politik gehen irgendwie auf diese beiden Wurzeln zurück. Für<lb/> das Nationalitäte:rproblem mag eine Ausrottung der fremdstämmigen Nationalitäten<lb/> die einfachste Lösung scheinen. Aber sie ist nie reinlich durchzuführen, und die Aus¬<lb/> rottung des Deutschtums würde Polen seines stärksten politischen Mittels Deutsch¬<lb/> land gegenüber berauben und gleichzeitig den wirtschaftlichen Aufbau Polens<lb/> unmöglich machen. Ohne Zusammenarbeit mit Deutschland ist der polnische<lb/> Wirtschaftsaufbau nicht denkbar, und die von Deutschland zu leistende Hilfe darf<lb/> nicht nur durch Handelsverträge und Wirtschaftsabkommen formell zur Verfügung<lb/> gestellt werden, sondern sie muß auf Grund eigenen wirtschaftlichen und politischen<lb/> Interesses von Deutschland tatsächlich und willig geleistet werden. Eine Unter¬<lb/> drückung des Deutschtums in Polen mindert gefühlsmäßig das deutsche Interesse<lb/> an Polen und schwächt, da das Deutschtum einer der stärksten wirtschaftlichen<lb/> Faktoren Polens ist, die wirtschaftspolitische Bündnisfähigkeit Polens. Weiter<lb/> werden die Deutschen, denen die Polen ihre Existenzmöglichkeit abgeschnitten<lb/> haben, nach Rußland gedrängt werden, weil Deutschland für den ganzen Zustrom<lb/> nicht aufnahmefähig ist. Moskau ist stets der Hauptkonkurrent von Lodz gewesen,<lb/> und Polen muß damit rechnen, daß der Verlust der deutschen wirtschaftlichen<lb/> Kräfte auf der anderen Seite zu einer Stärkung der russischen Konkurrenz führt.<lb/> Weit wichtiger ist, daß die deutsche Politik bei Fortfall der Möglichkeit, für das<lb/> Deutschtum in Polen zu arbeiten, in ihrer Rußlandpolitik auf eine völlig neue<lb/> Grundlage gestellt wird und für Polen die Gefahr entsteht, daß eine solche<lb/> Politik auf seine Kosten getrieben wird. Und Rußland allein stellt für Polen ein<lb/> Problem, das an die Grundlagen seiner staatlichen Existenz geht. Der bolsche¬<lb/> wistische Vormarsch des vergangenen Sommers ist viel weniger ein Menetekel<lb/> des Bolschewismus als des neu zu Kräften kommenden russischen Staatsgedankens.<lb/> Mag Lenin die gemeinsame deutsch-russische Grenze zur Verbreiterung der Basis<lb/> der Weltrevolution und zur Verstärkung der eigenen innerpolitischen Stellung<lb/> durch Erweckung rationalistischer Leidenschaften erstreben, im Wesen handelt es<lb/> sich um das Streben jeder zukünftigen russischen Politik, durch Herstellung der<lb/> gemeinsamen Grenze mit Deutschland die Grundlagen für den russischen Wieder¬<lb/> aufbau und die politischen Betätigungsmöglichkeiten Rußlands zu stärken. Ganz<lb/> abgesehen von den deutsch-russischen Beziehungen, stellt die allrussische Gefahr die<lb/> höchsten Anforderungen an Polen in der Behandlung der gesamten Fragen der<lb/> Ost- und Randstaatenpolitik. Sie verlangt insbesondere eine innere Erstarkung,<lb/> ein Erfordernis, das bei seiner wirtschaftlichen Bedingtheit auf Deutschland weist.<lb/> Der Belastungsprobe einer deutsch-russischen Politik, die Polen als lästiges</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Die völkischen Minderheiten und die deutsch.polnische Politik
Das Deutschtum in Polett, der Korridor und Rußland sind die drei Ziel¬
punkte für die deutsche Politik/ denen gegenüber das unmittelbare Interesse an
Polen und der polnischen Wirtschaft in den Hintergrund tritt. Die deutsche
Politik kann zur Lösung der ihr gestellten drei Hauptaufgaben die Kräfte nicht
gleichmäßig und in einer Richtung ansetzen, weil die Wege, auf denen die drei
Ziele gesucht werden können, sich in eigenartiger Weise schneiden. Dieser Umstand
ist ein wesentlicher Aktivposten für die Polnische Politik Deutschland gegenüber.
Die Konsolidierung des neugebildeten polnischen Staates muß innerpolitisch in der
Hauptsache in einer Überwindung der wirtschaftlichen und der nationalitäts¬
politischen Schwierigkeiten gesucht werden. Alle anderen Schwierigkeiten der
inneren polnischen Politik gehen irgendwie auf diese beiden Wurzeln zurück. Für
das Nationalitäte:rproblem mag eine Ausrottung der fremdstämmigen Nationalitäten
die einfachste Lösung scheinen. Aber sie ist nie reinlich durchzuführen, und die Aus¬
rottung des Deutschtums würde Polen seines stärksten politischen Mittels Deutsch¬
land gegenüber berauben und gleichzeitig den wirtschaftlichen Aufbau Polens
unmöglich machen. Ohne Zusammenarbeit mit Deutschland ist der polnische
Wirtschaftsaufbau nicht denkbar, und die von Deutschland zu leistende Hilfe darf
nicht nur durch Handelsverträge und Wirtschaftsabkommen formell zur Verfügung
gestellt werden, sondern sie muß auf Grund eigenen wirtschaftlichen und politischen
Interesses von Deutschland tatsächlich und willig geleistet werden. Eine Unter¬
drückung des Deutschtums in Polen mindert gefühlsmäßig das deutsche Interesse
an Polen und schwächt, da das Deutschtum einer der stärksten wirtschaftlichen
Faktoren Polens ist, die wirtschaftspolitische Bündnisfähigkeit Polens. Weiter
werden die Deutschen, denen die Polen ihre Existenzmöglichkeit abgeschnitten
haben, nach Rußland gedrängt werden, weil Deutschland für den ganzen Zustrom
nicht aufnahmefähig ist. Moskau ist stets der Hauptkonkurrent von Lodz gewesen,
und Polen muß damit rechnen, daß der Verlust der deutschen wirtschaftlichen
Kräfte auf der anderen Seite zu einer Stärkung der russischen Konkurrenz führt.
Weit wichtiger ist, daß die deutsche Politik bei Fortfall der Möglichkeit, für das
Deutschtum in Polen zu arbeiten, in ihrer Rußlandpolitik auf eine völlig neue
Grundlage gestellt wird und für Polen die Gefahr entsteht, daß eine solche
Politik auf seine Kosten getrieben wird. Und Rußland allein stellt für Polen ein
Problem, das an die Grundlagen seiner staatlichen Existenz geht. Der bolsche¬
wistische Vormarsch des vergangenen Sommers ist viel weniger ein Menetekel
des Bolschewismus als des neu zu Kräften kommenden russischen Staatsgedankens.
Mag Lenin die gemeinsame deutsch-russische Grenze zur Verbreiterung der Basis
der Weltrevolution und zur Verstärkung der eigenen innerpolitischen Stellung
durch Erweckung rationalistischer Leidenschaften erstreben, im Wesen handelt es
sich um das Streben jeder zukünftigen russischen Politik, durch Herstellung der
gemeinsamen Grenze mit Deutschland die Grundlagen für den russischen Wieder¬
aufbau und die politischen Betätigungsmöglichkeiten Rußlands zu stärken. Ganz
abgesehen von den deutsch-russischen Beziehungen, stellt die allrussische Gefahr die
höchsten Anforderungen an Polen in der Behandlung der gesamten Fragen der
Ost- und Randstaatenpolitik. Sie verlangt insbesondere eine innere Erstarkung,
ein Erfordernis, das bei seiner wirtschaftlichen Bedingtheit auf Deutschland weist.
Der Belastungsprobe einer deutsch-russischen Politik, die Polen als lästiges
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |