Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelei und England gegen dieses zusammen aufgetreten waren/ so erklärt sich der Tadel, Die Deutschen sollten eben für Frankreich "Feinde" bleiben, wie Gaston "Nein, das werde ich niemals tun, weil kein Minister der auswärtigen Also aus Rücksicht auf den Revanchekrieg gegen Deutschland mochte Frank¬ "Es ist der Großvater des Kaisers, der alte stahlgepanzerte König, Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelei und England gegen dieses zusammen aufgetreten waren/ so erklärt sich der Tadel, Die Deutschen sollten eben für Frankreich „Feinde" bleiben, wie Gaston „Nein, das werde ich niemals tun, weil kein Minister der auswärtigen Also aus Rücksicht auf den Revanchekrieg gegen Deutschland mochte Frank¬ „Es ist der Großvater des Kaisers, der alte stahlgepanzerte König, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338540"/> <fw type="header" place="top"> Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelei</fw><lb/> <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> und England gegen dieses zusammen aufgetreten waren/ so erklärt sich der Tadel,<lb/> den nationalistische Zeitungen über die Kraftwagensahrt Paris—Berlin vom<lb/> S7. Juni 1901 verhängten, weil sie eine Annäherung an Deutschland sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_332"> Die Deutschen sollten eben für Frankreich „Feinde" bleiben, wie Gaston<lb/> Deschamp nach der Rückkehr aus Elsaß-Lothringen uns in einen langen, an der<lb/> Spitze des „Figaro" im September 1898 oder 1899 veröffentlichten Berichte mit<lb/> dankenswerter Ehrlichkeit genannt hat. Aus jeder Zeile dieses Berichts spricht<lb/> tiefer Groll gegen Deutschland, bohrender Schmerz über den Verlust der beiden<lb/> Provinzen und — die Hoffnung auf ihre Rückeroberung durch Frankreich. Um<lb/> das große französische Publikum für Reisen nach Elsaß-Lothringen zu gewinnen,<lb/> wurde in Paris Anfang 1905 das Reisebureau „Ver-, gegründet, dessen<lb/> die Pariser Presse sich mit lebhaftestem Eifer annahm. Daß die Kunden dieses<lb/> Reisebureaus ihre politischen Gedanken vors l'^lsaoe richten sollten, liegt auf der<lb/> Hand. Wie sicher sie aber sein konnten, dabei dem Minister des Auswärtigen<lb/> Delcassö zu begegnen, hat der Deutschensresser Stephan Lauzcmne im „Matin"<lb/> nach einer Unterredung ausgeplaudert, die er am 15. Februar 1903 mit Delcassv<lb/> über Mazedonien gehabt hatte. Delcass6 gab bei dieser Gelegenheit folgende<lb/> Erklärung der Gründe, aus denen Frankreich über die diplomatische Unterstützung<lb/> des Reformprogramms nicht hinausgehen werde:</p><lb/> <quote> „Nein, das werde ich niemals tun, weil kein Minister der auswärtigen<lb/> Angelegenheiten es tun könnte, weil Frankreich nicht das Recht hat, für<lb/> eine Sache, die nicht ausschließlich die seinige ist und die niemals aus¬<lb/> schließlich die seinige war, 30 Jahre der Arbeiten und An¬<lb/> strengungen zu riskieren." — Was Delcassö hiermit meinte, schlug<lb/> Lauzanne an die große Glocke, indem er erläuternd fortfuhr: „Hier<lb/> hielt der Minister inne? Stillschweigen schwebte über uns; er dachte,<lb/> wir dachten an Männer und an Dinge, die man nicht vergessen<lb/> soll, auch wenn man nicht von ihnen spricht."</quote><lb/> <p xml:id="ID_333"> Also aus Rücksicht auf den Revanchekrieg gegen Deutschland mochte Frank¬<lb/> reich sich nicht in andere riskante Unternehmungen einlassen. Das war (solange<lb/> es keine europäische Konflagration gab) die Ansicht nicht nur des Herrn Lauzanne,<lb/> sondern auch des Herrn Delcassö. In der Tat, Lauzanne hatte Ursache, von der<lb/> Kundgebung Delcassvs zu rühmen: Sie verdiene es, daß man bei ihr verweile<lb/> und über sie nachdenke! Fast unmittelbar vorher durfte sich der „Matin" an<lb/> dem Hasse laben, der wegen des venezolanischen Streites in England und in<lb/> Nordamerika gegenüber Deutschland zutage getreten war. Der „Matin" fand<lb/> solchen Haß in Italien nicht weniger als in Ungarn und in Rußland. Ver¬<lb/> antwortlich aber machte das genannte Blatt für diesen „Riesenkrach" weder den<lb/> deutschen Kaiser noch den Grafen Bülow) es schrieb vielmehr:</p><lb/> <quote> „Es ist der Großvater des Kaisers, der alte stahlgepanzerte König,<lb/> der nur von Eroberungen und Schlachten träumte (!), und es ist sein<lb/> Meister, der eiserne Kanzler.., sie sind es, die ihm (Wilhelm II.)<lb/> den Haß der Welt eintragen, in den man ihn zu dieser Stunde<lb/> wie in einen Schraubstock einschließt. Sie sind es, Wilhelm von Hohen-<lb/> zollern und Bismarck von Schönhausen, welche dieses störrische, gereizte,<lb/> aufreizende Kaiserreich geschaffen haben, das seit einem Viertel-</quote><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelei
und England gegen dieses zusammen aufgetreten waren/ so erklärt sich der Tadel,
den nationalistische Zeitungen über die Kraftwagensahrt Paris—Berlin vom
S7. Juni 1901 verhängten, weil sie eine Annäherung an Deutschland sei.
Die Deutschen sollten eben für Frankreich „Feinde" bleiben, wie Gaston
Deschamp nach der Rückkehr aus Elsaß-Lothringen uns in einen langen, an der
Spitze des „Figaro" im September 1898 oder 1899 veröffentlichten Berichte mit
dankenswerter Ehrlichkeit genannt hat. Aus jeder Zeile dieses Berichts spricht
tiefer Groll gegen Deutschland, bohrender Schmerz über den Verlust der beiden
Provinzen und — die Hoffnung auf ihre Rückeroberung durch Frankreich. Um
das große französische Publikum für Reisen nach Elsaß-Lothringen zu gewinnen,
wurde in Paris Anfang 1905 das Reisebureau „Ver-, gegründet, dessen
die Pariser Presse sich mit lebhaftestem Eifer annahm. Daß die Kunden dieses
Reisebureaus ihre politischen Gedanken vors l'^lsaoe richten sollten, liegt auf der
Hand. Wie sicher sie aber sein konnten, dabei dem Minister des Auswärtigen
Delcassö zu begegnen, hat der Deutschensresser Stephan Lauzcmne im „Matin"
nach einer Unterredung ausgeplaudert, die er am 15. Februar 1903 mit Delcassv
über Mazedonien gehabt hatte. Delcass6 gab bei dieser Gelegenheit folgende
Erklärung der Gründe, aus denen Frankreich über die diplomatische Unterstützung
des Reformprogramms nicht hinausgehen werde:
„Nein, das werde ich niemals tun, weil kein Minister der auswärtigen
Angelegenheiten es tun könnte, weil Frankreich nicht das Recht hat, für
eine Sache, die nicht ausschließlich die seinige ist und die niemals aus¬
schließlich die seinige war, 30 Jahre der Arbeiten und An¬
strengungen zu riskieren." — Was Delcassö hiermit meinte, schlug
Lauzanne an die große Glocke, indem er erläuternd fortfuhr: „Hier
hielt der Minister inne? Stillschweigen schwebte über uns; er dachte,
wir dachten an Männer und an Dinge, die man nicht vergessen
soll, auch wenn man nicht von ihnen spricht."
Also aus Rücksicht auf den Revanchekrieg gegen Deutschland mochte Frank¬
reich sich nicht in andere riskante Unternehmungen einlassen. Das war (solange
es keine europäische Konflagration gab) die Ansicht nicht nur des Herrn Lauzanne,
sondern auch des Herrn Delcassö. In der Tat, Lauzanne hatte Ursache, von der
Kundgebung Delcassvs zu rühmen: Sie verdiene es, daß man bei ihr verweile
und über sie nachdenke! Fast unmittelbar vorher durfte sich der „Matin" an
dem Hasse laben, der wegen des venezolanischen Streites in England und in
Nordamerika gegenüber Deutschland zutage getreten war. Der „Matin" fand
solchen Haß in Italien nicht weniger als in Ungarn und in Rußland. Ver¬
antwortlich aber machte das genannte Blatt für diesen „Riesenkrach" weder den
deutschen Kaiser noch den Grafen Bülow) es schrieb vielmehr:
„Es ist der Großvater des Kaisers, der alte stahlgepanzerte König,
der nur von Eroberungen und Schlachten träumte (!), und es ist sein
Meister, der eiserne Kanzler.., sie sind es, die ihm (Wilhelm II.)
den Haß der Welt eintragen, in den man ihn zu dieser Stunde
wie in einen Schraubstock einschließt. Sie sind es, Wilhelm von Hohen-
zollern und Bismarck von Schönhausen, welche dieses störrische, gereizte,
aufreizende Kaiserreich geschaffen haben, das seit einem Viertel-
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