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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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sein Selbstbewußtsein, nur um es nicht unter der Einwirkung fremden Einflusses
zu verlieren, jeden Augenblick krampfhaft ausspielen muß, der ist ja wirklich leicht
Pikiert. Vielleicht hängt damit zusammen, daß der Deutsche die Ursache seines
Unglücks nie in sich selbst, sondern immer außer sich und in der abgrundtiefen
Schlechtigkeit der übrigen Menschheit sucht. Das muß er sich abgewöhnen.
Nirgends gilt der Satz "Hilf dir selbst, und Gott wird dir helfen" so wie in der
Weltpolitik, und hier wie im Leben geht es durchaus nach dem Spruch "Wer da
hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe,- wer aber nicht hat, von dem
wird auch genommen, was er hat." Es ist nicht nötig, dies mit Beispielen zu
belegen.

Hören wir endlich auf, uns auf Dinge zu verlassen, die außer uns liegen.
Machen wir uns klar, wohin wir wollen. Es geht nicht an, daß große Teile des
deutschen Volkes, ohne den Schatten einer realen Macht hinter sich zu haben, die
Revision des Bersailler Vertrages fordern, während andere wimmern: Wir
können ihn zwar nicht erfüllen, wollen es aber trotzdem. Und wenn schon die
Franzosen (aus Profitgier, aber auch -- das darf nicht übersehen werden -- aus
innerpolitischen Bedenken) es nicht über sich gewinnen können, uns rechtzeitig "die
Gesamtsumme ihrer Forderungen zu nennen und mit uns gemeinsam die Wege
zu beraten, wie diese Forderungen für beide Teile am leichtesten erfüllt werden,
so entschließe man sich endlich bei uns, ohne kleinliche Kuhhandelskünste nach sorg¬
fältigster und ehrlichster Erwägung des wirklich Durchführbaren und politisch
Erreichbaren, und unter Anführung aller Varianten, die sich aus eintretenden
Eventualitäten (Oberschlesien!) ergeben könnten, ein Angebot zu machen und Wege
vorzuschlagen, die so gehalten und motiviert sein müssen, daß Frankreich, wenn es
sie nicht annimmt, vor der übrigen, äußerst ruhebedürftigen Welt moralisch und
-Politisch isoliert dasteht, von denen man sich aber auch durch die Drohung mit
Gewaltanwendung unter keinen Umständen abbringen läßt. Eine andere Rettung
gibt es nicht.

Die Brüsseler Konferenz zeigt die Lage in einem selten klaren Lichte. Die
Vereinigten Staaten verhalten sich den politischen Verwicklungen Europas gegen¬
über politisch indifferent. Mit Partnern, die ihnen vertrauenswürdig erscheinen,
knüpfen sie Geschäfte an, und damit fertig. Englands außenpolitische Kraft
erlahmt infolge der irischen Wirren und der Kämpfe mit den Arbeitern jeden
Monat mehr. Frankreich behauptet einstweilen, bis sich Rußland wieder militärisch
konsolidiert hat, was auf reinen Fall vor dem nächsten Sommer der Fall sein
wird, eine fast unbestrittene Hegemonie in Europa, die es ihm ermöglicht, auf
einer Konferenz, die sich zur' Besprechung der internationalen Wirtschaftslage
Zusammengefunden hat, jede Erwähnung des Versailler Friedensvertrages zu ver¬
bieten. (Etwa als ob ich einem Arzt, der mich heilen soll, die Untersuchung von
Lunge, Leber, Herz untersage.) Gerade dies aber muß den übrigen Staaten deutlich
zum Bewußtsein kommen lassen, wie wenig es in ihrem Interesse liegt, Deutsch¬
land zu helfen. Denn solange Frankreich nicht gezwungen werden kann -- und
wer vermöchte es zu zwingen? --, die Höhe seiner Ansprüche zu fixieren, so lange
hat es auch die Möglichkeit, den Raum jeder Deutschland gewährten Hilfeleistung
für sich mit Beschlag zu belegen und eben hierdurch seine Vormachtstellung in
Europa weiter zu befestigen. Jede Hilfeleistung würde einen Tribut an Frank¬
reich darstellen, und schon aus diesem Grunde besteht wenig Hoffnung, daß uns
geholfen wird, wenn auch andererseits nicht geleugnet werden soll, daß durch
gegenseitige Fühlungnahme der Finanzleute aller Länder die schwebenden Probleme
zum allgemeinen Segen geklärt werden können. Die Gerechtigkeitsfanatiker aber,
die bei uns, natürlich ohne gangbare Wege vorzuschlagen, stündig restlose Er¬
füllung des Vertrages verlangen, sollten in keinem Fall vergessen, daß für all
diese Verwicklungen und Verhandlungen, all diese Gereiztheit, die den Kriegs¬
zustand über den Friedensschluß hinaus verlängert, nicht Deutschland, sondern in
erster Linie Frankreich verantwortlich ist. Man beachte nur, was Andre Tardieu
Angst wieder in der "Illustration" über die Vorgeschichte der Wiedergutmachungs-


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sein Selbstbewußtsein, nur um es nicht unter der Einwirkung fremden Einflusses
zu verlieren, jeden Augenblick krampfhaft ausspielen muß, der ist ja wirklich leicht
Pikiert. Vielleicht hängt damit zusammen, daß der Deutsche die Ursache seines
Unglücks nie in sich selbst, sondern immer außer sich und in der abgrundtiefen
Schlechtigkeit der übrigen Menschheit sucht. Das muß er sich abgewöhnen.
Nirgends gilt der Satz „Hilf dir selbst, und Gott wird dir helfen" so wie in der
Weltpolitik, und hier wie im Leben geht es durchaus nach dem Spruch „Wer da
hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe,- wer aber nicht hat, von dem
wird auch genommen, was er hat." Es ist nicht nötig, dies mit Beispielen zu
belegen.

Hören wir endlich auf, uns auf Dinge zu verlassen, die außer uns liegen.
Machen wir uns klar, wohin wir wollen. Es geht nicht an, daß große Teile des
deutschen Volkes, ohne den Schatten einer realen Macht hinter sich zu haben, die
Revision des Bersailler Vertrages fordern, während andere wimmern: Wir
können ihn zwar nicht erfüllen, wollen es aber trotzdem. Und wenn schon die
Franzosen (aus Profitgier, aber auch — das darf nicht übersehen werden — aus
innerpolitischen Bedenken) es nicht über sich gewinnen können, uns rechtzeitig "die
Gesamtsumme ihrer Forderungen zu nennen und mit uns gemeinsam die Wege
zu beraten, wie diese Forderungen für beide Teile am leichtesten erfüllt werden,
so entschließe man sich endlich bei uns, ohne kleinliche Kuhhandelskünste nach sorg¬
fältigster und ehrlichster Erwägung des wirklich Durchführbaren und politisch
Erreichbaren, und unter Anführung aller Varianten, die sich aus eintretenden
Eventualitäten (Oberschlesien!) ergeben könnten, ein Angebot zu machen und Wege
vorzuschlagen, die so gehalten und motiviert sein müssen, daß Frankreich, wenn es
sie nicht annimmt, vor der übrigen, äußerst ruhebedürftigen Welt moralisch und
-Politisch isoliert dasteht, von denen man sich aber auch durch die Drohung mit
Gewaltanwendung unter keinen Umständen abbringen läßt. Eine andere Rettung
gibt es nicht.

Die Brüsseler Konferenz zeigt die Lage in einem selten klaren Lichte. Die
Vereinigten Staaten verhalten sich den politischen Verwicklungen Europas gegen¬
über politisch indifferent. Mit Partnern, die ihnen vertrauenswürdig erscheinen,
knüpfen sie Geschäfte an, und damit fertig. Englands außenpolitische Kraft
erlahmt infolge der irischen Wirren und der Kämpfe mit den Arbeitern jeden
Monat mehr. Frankreich behauptet einstweilen, bis sich Rußland wieder militärisch
konsolidiert hat, was auf reinen Fall vor dem nächsten Sommer der Fall sein
wird, eine fast unbestrittene Hegemonie in Europa, die es ihm ermöglicht, auf
einer Konferenz, die sich zur' Besprechung der internationalen Wirtschaftslage
Zusammengefunden hat, jede Erwähnung des Versailler Friedensvertrages zu ver¬
bieten. (Etwa als ob ich einem Arzt, der mich heilen soll, die Untersuchung von
Lunge, Leber, Herz untersage.) Gerade dies aber muß den übrigen Staaten deutlich
zum Bewußtsein kommen lassen, wie wenig es in ihrem Interesse liegt, Deutsch¬
land zu helfen. Denn solange Frankreich nicht gezwungen werden kann — und
wer vermöchte es zu zwingen? —, die Höhe seiner Ansprüche zu fixieren, so lange
hat es auch die Möglichkeit, den Raum jeder Deutschland gewährten Hilfeleistung
für sich mit Beschlag zu belegen und eben hierdurch seine Vormachtstellung in
Europa weiter zu befestigen. Jede Hilfeleistung würde einen Tribut an Frank¬
reich darstellen, und schon aus diesem Grunde besteht wenig Hoffnung, daß uns
geholfen wird, wenn auch andererseits nicht geleugnet werden soll, daß durch
gegenseitige Fühlungnahme der Finanzleute aller Länder die schwebenden Probleme
zum allgemeinen Segen geklärt werden können. Die Gerechtigkeitsfanatiker aber,
die bei uns, natürlich ohne gangbare Wege vorzuschlagen, stündig restlose Er¬
füllung des Vertrages verlangen, sollten in keinem Fall vergessen, daß für all
diese Verwicklungen und Verhandlungen, all diese Gereiztheit, die den Kriegs¬
zustand über den Friedensschluß hinaus verlängert, nicht Deutschland, sondern in
erster Linie Frankreich verantwortlich ist. Man beachte nur, was Andre Tardieu
Angst wieder in der „Illustration" über die Vorgeschichte der Wiedergutmachungs-


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[0043] rveltspiegel sein Selbstbewußtsein, nur um es nicht unter der Einwirkung fremden Einflusses zu verlieren, jeden Augenblick krampfhaft ausspielen muß, der ist ja wirklich leicht Pikiert. Vielleicht hängt damit zusammen, daß der Deutsche die Ursache seines Unglücks nie in sich selbst, sondern immer außer sich und in der abgrundtiefen Schlechtigkeit der übrigen Menschheit sucht. Das muß er sich abgewöhnen. Nirgends gilt der Satz „Hilf dir selbst, und Gott wird dir helfen" so wie in der Weltpolitik, und hier wie im Leben geht es durchaus nach dem Spruch „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe,- wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat." Es ist nicht nötig, dies mit Beispielen zu belegen. Hören wir endlich auf, uns auf Dinge zu verlassen, die außer uns liegen. Machen wir uns klar, wohin wir wollen. Es geht nicht an, daß große Teile des deutschen Volkes, ohne den Schatten einer realen Macht hinter sich zu haben, die Revision des Bersailler Vertrages fordern, während andere wimmern: Wir können ihn zwar nicht erfüllen, wollen es aber trotzdem. Und wenn schon die Franzosen (aus Profitgier, aber auch — das darf nicht übersehen werden — aus innerpolitischen Bedenken) es nicht über sich gewinnen können, uns rechtzeitig "die Gesamtsumme ihrer Forderungen zu nennen und mit uns gemeinsam die Wege zu beraten, wie diese Forderungen für beide Teile am leichtesten erfüllt werden, so entschließe man sich endlich bei uns, ohne kleinliche Kuhhandelskünste nach sorg¬ fältigster und ehrlichster Erwägung des wirklich Durchführbaren und politisch Erreichbaren, und unter Anführung aller Varianten, die sich aus eintretenden Eventualitäten (Oberschlesien!) ergeben könnten, ein Angebot zu machen und Wege vorzuschlagen, die so gehalten und motiviert sein müssen, daß Frankreich, wenn es sie nicht annimmt, vor der übrigen, äußerst ruhebedürftigen Welt moralisch und -Politisch isoliert dasteht, von denen man sich aber auch durch die Drohung mit Gewaltanwendung unter keinen Umständen abbringen läßt. Eine andere Rettung gibt es nicht. Die Brüsseler Konferenz zeigt die Lage in einem selten klaren Lichte. Die Vereinigten Staaten verhalten sich den politischen Verwicklungen Europas gegen¬ über politisch indifferent. Mit Partnern, die ihnen vertrauenswürdig erscheinen, knüpfen sie Geschäfte an, und damit fertig. Englands außenpolitische Kraft erlahmt infolge der irischen Wirren und der Kämpfe mit den Arbeitern jeden Monat mehr. Frankreich behauptet einstweilen, bis sich Rußland wieder militärisch konsolidiert hat, was auf reinen Fall vor dem nächsten Sommer der Fall sein wird, eine fast unbestrittene Hegemonie in Europa, die es ihm ermöglicht, auf einer Konferenz, die sich zur' Besprechung der internationalen Wirtschaftslage Zusammengefunden hat, jede Erwähnung des Versailler Friedensvertrages zu ver¬ bieten. (Etwa als ob ich einem Arzt, der mich heilen soll, die Untersuchung von Lunge, Leber, Herz untersage.) Gerade dies aber muß den übrigen Staaten deutlich zum Bewußtsein kommen lassen, wie wenig es in ihrem Interesse liegt, Deutsch¬ land zu helfen. Denn solange Frankreich nicht gezwungen werden kann — und wer vermöchte es zu zwingen? —, die Höhe seiner Ansprüche zu fixieren, so lange hat es auch die Möglichkeit, den Raum jeder Deutschland gewährten Hilfeleistung für sich mit Beschlag zu belegen und eben hierdurch seine Vormachtstellung in Europa weiter zu befestigen. Jede Hilfeleistung würde einen Tribut an Frank¬ reich darstellen, und schon aus diesem Grunde besteht wenig Hoffnung, daß uns geholfen wird, wenn auch andererseits nicht geleugnet werden soll, daß durch gegenseitige Fühlungnahme der Finanzleute aller Länder die schwebenden Probleme zum allgemeinen Segen geklärt werden können. Die Gerechtigkeitsfanatiker aber, die bei uns, natürlich ohne gangbare Wege vorzuschlagen, stündig restlose Er¬ füllung des Vertrages verlangen, sollten in keinem Fall vergessen, daß für all diese Verwicklungen und Verhandlungen, all diese Gereiztheit, die den Kriegs¬ zustand über den Friedensschluß hinaus verlängert, nicht Deutschland, sondern in erster Linie Frankreich verantwortlich ist. Man beachte nur, was Andre Tardieu Angst wieder in der „Illustration" über die Vorgeschichte der Wiedergutmachungs- s*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/43>, abgerufen am 22.07.2024.