Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Deutschlands außenpolitische Lage ^920 bindung mit türkischen Nationalisten und anderen Gegnern Englands? Oder Darum war im Sommer im deutschen Osten die Stimmung zwiespältig, als Zwischen dem Imperialismus Frankreichs und der Entente und dem Deutschlands außenpolitische Lage ^920 bindung mit türkischen Nationalisten und anderen Gegnern Englands? Oder Darum war im Sommer im deutschen Osten die Stimmung zwiespältig, als Zwischen dem Imperialismus Frankreichs und der Entente und dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338400"/> <fw type="header" place="top"> Deutschlands außenpolitische Lage ^920</fw><lb/> <p xml:id="ID_1382" prev="#ID_1381"> bindung mit türkischen Nationalisten und anderen Gegnern Englands? Oder<lb/> Wirtschaftsabkommen und Handelsbeziehungen der europäischen Mächte mit<lb/> Sowjetrußland? Das Jahr schließt ab mit einer militärisch und politisch nach außen<lb/> ungemein günstigen Stellung der Sowjetregierung. Nach allen Berichten von<lb/> Augenzeugen aber nimmt man an, daß es ihr vor der ungeheuren, alle Begriffe<lb/> übersteigenden Erschöpfung und Zerstörung in ihrem Lande mehr darauf ankomme, in<lb/> wirtschaftlich-friedliche Beziehungen mit der Außenwelt zu kommen, als neue Kriegs-<lb/> opcrationen vorzubereiten. Doch um das zu entscheiden, müßten wir (und auch die<lb/> Ententemächte!) genauere Borstellungen von dem Verhältnis zwischen Sowjet¬<lb/> regierung und Sowjetarmee haben, als uns zu Gebote stehen. Wer die Berichte<lb/> der Augenzeugen über Rußland liest, wird immer vermissen, daß über diesen<lb/> wichtigen Punkt so wenig, im Grunde eigentlich nichts gesagt wird. So bleibt nichts<lb/> übrig, als heute jene Fragen zu stellen, sich innerlich auf sie einzustellen und sich<lb/> nach außen auf sie zu rüsten. An aktiver Politik war und ist zunächst nicht mehr zu<lb/> tun, als im Hinblick auf die absolut notwendige und als solche im ganzen deutschen<lb/> Volk erkannte künftige Verbindung mit dem Nußland der Zukunft die Brücken schon<lb/> zu schlagen oder den Brückenschlag wenigstens vorzubereiten. Im deutsch¬<lb/> lettischen Friedensvertrag und im Wirtschaftsabkommen mit der Tschecho-Slowakei<lb/> und Ungarn sind 1920 wenigstens die Anfänge dazu auf sehr schwierigem Boden<lb/> zu gleichfalls absolut notwendigen Beziehungen gemacht. Mit Deutsch-Österreich<lb/> ist auch ein Wirtschaftsabkommen geschlossen, mit Litauen und Jugoslawien sind<lb/> Verhandlungen im Gang. 'Die deutsch-polnischen Verhandlungen aber haben zu<lb/> keinem Ziel und Abschluß geführt und können es auch nicht. Es fehlt auf beiden<lb/> Seiten die Möglichkeit, sich darauf einzustellen: mit dem Imperialismus Polens,<lb/> der uns die deutschen Gebiete Posens und Westpreußens entriß, Danzig zu seinem<lb/> Ausfallsfort machen, Ostpreußen abschnüren und Oberschlesien an sich reißen will,<lb/> sind keine Beziehungen von Tragkraft möglich. Das gleiche gilt ja von Osten<lb/> her für das Verhältnis zwischen Russen und Polen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1383"> Darum war im Sommer im deutschen Osten die Stimmung zwiespältig, als<lb/> die Russen Polen über den Haufen zu werfen schienen. Der russische Bolschewismus,<lb/> der heranrückte, befreite ja von der polnischen Herrschaft, aber er bedrohte zugleich<lb/> Staat und Wirtschaft in Deutschland. Vielleicht stellt uns das kommende Jahr wieder<lb/> vor diese Aussicht. Nach den Erfahrungen von 1920 wird dann Polen noch weniger<lb/> von der Entente zu erwarten, Sowjetrußland noch weniger von einer militärischen<lb/> Intervention der Entente zu fürchten haben als bisher. Und auch wir werden<lb/> dann auf uns allein angewiesen sein!</p><lb/> <p xml:id="ID_1384" next="#ID_1385"> Zwischen dem Imperialismus Frankreichs und der Entente und dem<lb/> Bolschewismus des Ostens ist Deutschland, auss tiefste erschöpft, eingekeilt und<lb/> bedroht. Seine geographische Lage im Herzen Europas ist heute wie seit zwei<lb/> Jahrtausenden sein Schicksal. Sie schreibt ihm sein innen- und sein außenpolitisches<lb/> Programm vor und sie weist ihm seine große geschichtliche Mission in die Zukunft.<lb/> Es ist möglich, daß wir die Lasten, Schwierigkeiten und Gefahren unserer außen¬<lb/> politischen Lage nicht meistern können. Es ist auch möglich, daß unserer inneren<lb/> Entwicklung, so wenig nach unserer Überzeugung die psychologischen Voraussetzungen<lb/> in Teutschland dafür gegeben sind, die Umwälzung zum Bolschewismus nicht erspart<lb/> bleibt. Niemandem aber gibt solche Erwägung das Recht, die Hände sinken zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Deutschlands außenpolitische Lage ^920
bindung mit türkischen Nationalisten und anderen Gegnern Englands? Oder
Wirtschaftsabkommen und Handelsbeziehungen der europäischen Mächte mit
Sowjetrußland? Das Jahr schließt ab mit einer militärisch und politisch nach außen
ungemein günstigen Stellung der Sowjetregierung. Nach allen Berichten von
Augenzeugen aber nimmt man an, daß es ihr vor der ungeheuren, alle Begriffe
übersteigenden Erschöpfung und Zerstörung in ihrem Lande mehr darauf ankomme, in
wirtschaftlich-friedliche Beziehungen mit der Außenwelt zu kommen, als neue Kriegs-
opcrationen vorzubereiten. Doch um das zu entscheiden, müßten wir (und auch die
Ententemächte!) genauere Borstellungen von dem Verhältnis zwischen Sowjet¬
regierung und Sowjetarmee haben, als uns zu Gebote stehen. Wer die Berichte
der Augenzeugen über Rußland liest, wird immer vermissen, daß über diesen
wichtigen Punkt so wenig, im Grunde eigentlich nichts gesagt wird. So bleibt nichts
übrig, als heute jene Fragen zu stellen, sich innerlich auf sie einzustellen und sich
nach außen auf sie zu rüsten. An aktiver Politik war und ist zunächst nicht mehr zu
tun, als im Hinblick auf die absolut notwendige und als solche im ganzen deutschen
Volk erkannte künftige Verbindung mit dem Nußland der Zukunft die Brücken schon
zu schlagen oder den Brückenschlag wenigstens vorzubereiten. Im deutsch¬
lettischen Friedensvertrag und im Wirtschaftsabkommen mit der Tschecho-Slowakei
und Ungarn sind 1920 wenigstens die Anfänge dazu auf sehr schwierigem Boden
zu gleichfalls absolut notwendigen Beziehungen gemacht. Mit Deutsch-Österreich
ist auch ein Wirtschaftsabkommen geschlossen, mit Litauen und Jugoslawien sind
Verhandlungen im Gang. 'Die deutsch-polnischen Verhandlungen aber haben zu
keinem Ziel und Abschluß geführt und können es auch nicht. Es fehlt auf beiden
Seiten die Möglichkeit, sich darauf einzustellen: mit dem Imperialismus Polens,
der uns die deutschen Gebiete Posens und Westpreußens entriß, Danzig zu seinem
Ausfallsfort machen, Ostpreußen abschnüren und Oberschlesien an sich reißen will,
sind keine Beziehungen von Tragkraft möglich. Das gleiche gilt ja von Osten
her für das Verhältnis zwischen Russen und Polen.
Darum war im Sommer im deutschen Osten die Stimmung zwiespältig, als
die Russen Polen über den Haufen zu werfen schienen. Der russische Bolschewismus,
der heranrückte, befreite ja von der polnischen Herrschaft, aber er bedrohte zugleich
Staat und Wirtschaft in Deutschland. Vielleicht stellt uns das kommende Jahr wieder
vor diese Aussicht. Nach den Erfahrungen von 1920 wird dann Polen noch weniger
von der Entente zu erwarten, Sowjetrußland noch weniger von einer militärischen
Intervention der Entente zu fürchten haben als bisher. Und auch wir werden
dann auf uns allein angewiesen sein!
Zwischen dem Imperialismus Frankreichs und der Entente und dem
Bolschewismus des Ostens ist Deutschland, auss tiefste erschöpft, eingekeilt und
bedroht. Seine geographische Lage im Herzen Europas ist heute wie seit zwei
Jahrtausenden sein Schicksal. Sie schreibt ihm sein innen- und sein außenpolitisches
Programm vor und sie weist ihm seine große geschichtliche Mission in die Zukunft.
Es ist möglich, daß wir die Lasten, Schwierigkeiten und Gefahren unserer außen¬
politischen Lage nicht meistern können. Es ist auch möglich, daß unserer inneren
Entwicklung, so wenig nach unserer Überzeugung die psychologischen Voraussetzungen
in Teutschland dafür gegeben sind, die Umwälzung zum Bolschewismus nicht erspart
bleibt. Niemandem aber gibt solche Erwägung das Recht, die Hände sinken zu
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