Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
weltspicgel

und Verhindern wollte, daß er ein Werkzeug zum ausschließlichen Gebrauch der
Großmächte bliebe, schon vor einigen Monaten mit Oberst House verhandelt hat,
und daß der amerikanische Gesandte in Buenos Aires nichts Eiligeres zu tun hatte,
als die argentinische Regierung zur Stellungnahme ihres Genfer Vertreters zu be¬
glückwünschen und der völligen Billigung von selten der Vereinigten Staaten zu
versichern. Nordamerika wird jetzt sehr energische Anstalten machen, zunächst,
übrigens durchaus im Sinne der Monroedoktrin, zu der ja der Völkerbund, wie er
von England konzipiert worden ist, im Widerspruch stehen soll, sämtliche Staaten
des amerikanischen Kontinents zusammenzufassen, Englands Einfluß auf Süd¬
amerika, der während und infolge des Krieges sowieso abgenommen hat, zu
schwächen, um dann, gestützt auf diese Autorität, alle diejenigen europäischen Staaten
anzugliedern, die mit der englischen Konzeption unzufrieden sind. Daß diese Politik
ganz zielbewußt in Angriff genommen wird, darauf weisen nicht nur Anzeichen, wie
die Reise Colbys nach Südamerika, Äußerungen amerikanischer Senatoren über die
künftige Stellung zu Deutschland, sondern vor allem auch die Verhandlungen mit
Mexiko. Ganz deutlich haben nämlich die Vertreter Washingtons zu erkennen
gegeben, daß sie ihre bisherigen Cinmischungsmethoden aufzugeben gesonnen sind,
wofern die Mexikanische Regierung den Versuchen europäischer Mächte, in Mexiko
ihren wirtschaftlichen Einfluß (namentlich auf die Petroleumausbeutung) zu
festigen oder auszubreiten, einen Riegel vorschieben wird. Das heißt natürlich nichts
anderes, als daß man Mexiko zunächst Selbständigkeit zuerkennen will, Um es dann
desto sicherer als ungeteiltes' Ganzes überschlucken zu können, aber es scheint doch,
daß Mexiko, vielleicht auch aus innerpolitischen Rücksichten auf amerikanische, ihm
am nächsten liegende Hilfe angewiesen, in diesem Punkt optimistischer über seine
künftige Selbständigkeit denkt als die Amerikaner. Ähnliches scheint sich in Mittel¬
amerika zu vollziehen. Der beabsichtigte Zusammenschluß von San Salvador,
Guatemala, Costarica, Honduras und Nicaragua ist zunächst sicher als ein süd¬
amerikanischer Riegel gegen den Norden gedacht, aber auch hier werden die Nord-
crmerikaner hoffen dürfen, ein Ganzes sei letzten Endes leichter zu bewältigen als
disparate Stücke. Beharrt Argentinien, dessen Auftreten in Genf von deutschen
Blättern zum Teil recht ungeschickt kommentiert worden ist, auf seiner sezessio--
nistischen Haltung, wird man über den amerikanischen Gegenbund bald neues hören.

Leider besteht für Deutschland keinerlei Anlaß, sich der hierdurch entstehenden
Verlegenheiten Englands zu freuen. Auf Deutschland allein kann sich England
gegen Amerika, zumal die deutsche Flotte auf dem Grunde von Scava Flow liegt,
nicht stützen, Nußland wird, auch wenn England Polen aufgibt, und trotz aller
Handelsabkommen, bei deren Verhandlung die Nüssen neuerdings wieder, ebenso wie
gegen Polen, sehr selbstbewußt auftreten, sein gefährlichster Feind bleiben. Bleibt als
Rückhalt nur Frankreich, und es ist nicht unwichtig, daß Lord Derby unlängst mit
viel Energie eine Lanze für ein förmliches (eventuell durch Belgien vermitteltes)
englisch-französisches Bündnis gebrochen hat. Und wenn auch die alte englische
Scheu, eine feste Bindung einzugehen, wahrscheinlich die Oberhand behalten wird,
so wird England doch alles tun, um eine weitere französisch-amerikanische An¬
näherung zu verhindern, und wird diesem Bestreben auch ohne weiteres die Rück¬
sicht auf eine kaufkräftige deutsche Kundschaft zum Opfer bringen. Die Stellung¬
nahme Polen gegenüber ist in dieser Hinsicht lehrreich genug. England braucht den
europäischen Frieden, und ein Wiederaufleben des russisch-polnischen Konfliktes wäre
ihm höchst unangenehm. Aber da Frankreich die Polen für seine Politik gegen
Deutschland braucht und nicht verstimmen will, läßt man es in England ruhig zu,
wenn von Paris aus den Polen nahegelegt wird, sich für Mäßigung in Riga an
Deutschland, in Danzig und Oberschlesien, schadlos zu halten, und dieser Gedanke
war es auch, der der Abstimmungsnote zugrunde lag. Deutschland selbst sieht sich
diesmal genötigt, auf dem Versailler Vertrag, dessen Milderung (man sollte in öffent¬
lichen Erörterungen endlich aufhören, das die Franzosen stets mit neuem Schreck
durchzuckende Wort Revision zu gebrauchen) es mit allen Kräften anstreben muß,
zu besteh 'Meneinils en. Vae- piceis!




weltspicgel

und Verhindern wollte, daß er ein Werkzeug zum ausschließlichen Gebrauch der
Großmächte bliebe, schon vor einigen Monaten mit Oberst House verhandelt hat,
und daß der amerikanische Gesandte in Buenos Aires nichts Eiligeres zu tun hatte,
als die argentinische Regierung zur Stellungnahme ihres Genfer Vertreters zu be¬
glückwünschen und der völligen Billigung von selten der Vereinigten Staaten zu
versichern. Nordamerika wird jetzt sehr energische Anstalten machen, zunächst,
übrigens durchaus im Sinne der Monroedoktrin, zu der ja der Völkerbund, wie er
von England konzipiert worden ist, im Widerspruch stehen soll, sämtliche Staaten
des amerikanischen Kontinents zusammenzufassen, Englands Einfluß auf Süd¬
amerika, der während und infolge des Krieges sowieso abgenommen hat, zu
schwächen, um dann, gestützt auf diese Autorität, alle diejenigen europäischen Staaten
anzugliedern, die mit der englischen Konzeption unzufrieden sind. Daß diese Politik
ganz zielbewußt in Angriff genommen wird, darauf weisen nicht nur Anzeichen, wie
die Reise Colbys nach Südamerika, Äußerungen amerikanischer Senatoren über die
künftige Stellung zu Deutschland, sondern vor allem auch die Verhandlungen mit
Mexiko. Ganz deutlich haben nämlich die Vertreter Washingtons zu erkennen
gegeben, daß sie ihre bisherigen Cinmischungsmethoden aufzugeben gesonnen sind,
wofern die Mexikanische Regierung den Versuchen europäischer Mächte, in Mexiko
ihren wirtschaftlichen Einfluß (namentlich auf die Petroleumausbeutung) zu
festigen oder auszubreiten, einen Riegel vorschieben wird. Das heißt natürlich nichts
anderes, als daß man Mexiko zunächst Selbständigkeit zuerkennen will, Um es dann
desto sicherer als ungeteiltes' Ganzes überschlucken zu können, aber es scheint doch,
daß Mexiko, vielleicht auch aus innerpolitischen Rücksichten auf amerikanische, ihm
am nächsten liegende Hilfe angewiesen, in diesem Punkt optimistischer über seine
künftige Selbständigkeit denkt als die Amerikaner. Ähnliches scheint sich in Mittel¬
amerika zu vollziehen. Der beabsichtigte Zusammenschluß von San Salvador,
Guatemala, Costarica, Honduras und Nicaragua ist zunächst sicher als ein süd¬
amerikanischer Riegel gegen den Norden gedacht, aber auch hier werden die Nord-
crmerikaner hoffen dürfen, ein Ganzes sei letzten Endes leichter zu bewältigen als
disparate Stücke. Beharrt Argentinien, dessen Auftreten in Genf von deutschen
Blättern zum Teil recht ungeschickt kommentiert worden ist, auf seiner sezessio--
nistischen Haltung, wird man über den amerikanischen Gegenbund bald neues hören.

Leider besteht für Deutschland keinerlei Anlaß, sich der hierdurch entstehenden
Verlegenheiten Englands zu freuen. Auf Deutschland allein kann sich England
gegen Amerika, zumal die deutsche Flotte auf dem Grunde von Scava Flow liegt,
nicht stützen, Nußland wird, auch wenn England Polen aufgibt, und trotz aller
Handelsabkommen, bei deren Verhandlung die Nüssen neuerdings wieder, ebenso wie
gegen Polen, sehr selbstbewußt auftreten, sein gefährlichster Feind bleiben. Bleibt als
Rückhalt nur Frankreich, und es ist nicht unwichtig, daß Lord Derby unlängst mit
viel Energie eine Lanze für ein förmliches (eventuell durch Belgien vermitteltes)
englisch-französisches Bündnis gebrochen hat. Und wenn auch die alte englische
Scheu, eine feste Bindung einzugehen, wahrscheinlich die Oberhand behalten wird,
so wird England doch alles tun, um eine weitere französisch-amerikanische An¬
näherung zu verhindern, und wird diesem Bestreben auch ohne weiteres die Rück¬
sicht auf eine kaufkräftige deutsche Kundschaft zum Opfer bringen. Die Stellung¬
nahme Polen gegenüber ist in dieser Hinsicht lehrreich genug. England braucht den
europäischen Frieden, und ein Wiederaufleben des russisch-polnischen Konfliktes wäre
ihm höchst unangenehm. Aber da Frankreich die Polen für seine Politik gegen
Deutschland braucht und nicht verstimmen will, läßt man es in England ruhig zu,
wenn von Paris aus den Polen nahegelegt wird, sich für Mäßigung in Riga an
Deutschland, in Danzig und Oberschlesien, schadlos zu halten, und dieser Gedanke
war es auch, der der Abstimmungsnote zugrunde lag. Deutschland selbst sieht sich
diesmal genötigt, auf dem Versailler Vertrag, dessen Milderung (man sollte in öffent¬
lichen Erörterungen endlich aufhören, das die Franzosen stets mit neuem Schreck
durchzuckende Wort Revision zu gebrauchen) es mit allen Kräften anstreben muß,
zu besteh 'Meneinils en. Vae- piceis!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338383"/>
          <fw type="header" place="top"> weltspicgel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324"> und Verhindern wollte, daß er ein Werkzeug zum ausschließlichen Gebrauch der<lb/>
Großmächte bliebe, schon vor einigen Monaten mit Oberst House verhandelt hat,<lb/>
und daß der amerikanische Gesandte in Buenos Aires nichts Eiligeres zu tun hatte,<lb/>
als die argentinische Regierung zur Stellungnahme ihres Genfer Vertreters zu be¬<lb/>
glückwünschen und der völligen Billigung von selten der Vereinigten Staaten zu<lb/>
versichern. Nordamerika wird jetzt sehr energische Anstalten machen, zunächst,<lb/>
übrigens durchaus im Sinne der Monroedoktrin, zu der ja der Völkerbund, wie er<lb/>
von England konzipiert worden ist, im Widerspruch stehen soll, sämtliche Staaten<lb/>
des amerikanischen Kontinents zusammenzufassen, Englands Einfluß auf Süd¬<lb/>
amerika, der während und infolge des Krieges sowieso abgenommen hat, zu<lb/>
schwächen, um dann, gestützt auf diese Autorität, alle diejenigen europäischen Staaten<lb/>
anzugliedern, die mit der englischen Konzeption unzufrieden sind. Daß diese Politik<lb/>
ganz zielbewußt in Angriff genommen wird, darauf weisen nicht nur Anzeichen, wie<lb/>
die Reise Colbys nach Südamerika, Äußerungen amerikanischer Senatoren über die<lb/>
künftige Stellung zu Deutschland, sondern vor allem auch die Verhandlungen mit<lb/>
Mexiko. Ganz deutlich haben nämlich die Vertreter Washingtons zu erkennen<lb/>
gegeben, daß sie ihre bisherigen Cinmischungsmethoden aufzugeben gesonnen sind,<lb/>
wofern die Mexikanische Regierung den Versuchen europäischer Mächte, in Mexiko<lb/>
ihren wirtschaftlichen Einfluß (namentlich auf die Petroleumausbeutung) zu<lb/>
festigen oder auszubreiten, einen Riegel vorschieben wird. Das heißt natürlich nichts<lb/>
anderes, als daß man Mexiko zunächst Selbständigkeit zuerkennen will, Um es dann<lb/>
desto sicherer als ungeteiltes' Ganzes überschlucken zu können, aber es scheint doch,<lb/>
daß Mexiko, vielleicht auch aus innerpolitischen Rücksichten auf amerikanische, ihm<lb/>
am nächsten liegende Hilfe angewiesen, in diesem Punkt optimistischer über seine<lb/>
künftige Selbständigkeit denkt als die Amerikaner. Ähnliches scheint sich in Mittel¬<lb/>
amerika zu vollziehen. Der beabsichtigte Zusammenschluß von San Salvador,<lb/>
Guatemala, Costarica, Honduras und Nicaragua ist zunächst sicher als ein süd¬<lb/>
amerikanischer Riegel gegen den Norden gedacht, aber auch hier werden die Nord-<lb/>
crmerikaner hoffen dürfen, ein Ganzes sei letzten Endes leichter zu bewältigen als<lb/>
disparate Stücke. Beharrt Argentinien, dessen Auftreten in Genf von deutschen<lb/>
Blättern zum Teil recht ungeschickt kommentiert worden ist, auf seiner sezessio--<lb/>
nistischen Haltung, wird man über den amerikanischen Gegenbund bald neues hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1326"> Leider besteht für Deutschland keinerlei Anlaß, sich der hierdurch entstehenden<lb/>
Verlegenheiten Englands zu freuen. Auf Deutschland allein kann sich England<lb/>
gegen Amerika, zumal die deutsche Flotte auf dem Grunde von Scava Flow liegt,<lb/>
nicht stützen, Nußland wird, auch wenn England Polen aufgibt, und trotz aller<lb/>
Handelsabkommen, bei deren Verhandlung die Nüssen neuerdings wieder, ebenso wie<lb/>
gegen Polen, sehr selbstbewußt auftreten, sein gefährlichster Feind bleiben. Bleibt als<lb/>
Rückhalt nur Frankreich, und es ist nicht unwichtig, daß Lord Derby unlängst mit<lb/>
viel Energie eine Lanze für ein förmliches (eventuell durch Belgien vermitteltes)<lb/>
englisch-französisches Bündnis gebrochen hat. Und wenn auch die alte englische<lb/>
Scheu, eine feste Bindung einzugehen, wahrscheinlich die Oberhand behalten wird,<lb/>
so wird England doch alles tun, um eine weitere französisch-amerikanische An¬<lb/>
näherung zu verhindern, und wird diesem Bestreben auch ohne weiteres die Rück¬<lb/>
sicht auf eine kaufkräftige deutsche Kundschaft zum Opfer bringen. Die Stellung¬<lb/>
nahme Polen gegenüber ist in dieser Hinsicht lehrreich genug. England braucht den<lb/>
europäischen Frieden, und ein Wiederaufleben des russisch-polnischen Konfliktes wäre<lb/>
ihm höchst unangenehm. Aber da Frankreich die Polen für seine Politik gegen<lb/>
Deutschland braucht und nicht verstimmen will, läßt man es in England ruhig zu,<lb/>
wenn von Paris aus den Polen nahegelegt wird, sich für Mäßigung in Riga an<lb/>
Deutschland, in Danzig und Oberschlesien, schadlos zu halten, und dieser Gedanke<lb/>
war es auch, der der Abstimmungsnote zugrunde lag. Deutschland selbst sieht sich<lb/>
diesmal genötigt, auf dem Versailler Vertrag, dessen Milderung (man sollte in öffent¬<lb/>
lichen Erörterungen endlich aufhören, das die Franzosen stets mit neuem Schreck<lb/>
durchzuckende Wort Revision zu gebrauchen) es mit allen Kräften anstreben muß,<lb/>
zu besteh<note type="byline"> 'Meneinils</note> en. Vae- piceis! </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] weltspicgel und Verhindern wollte, daß er ein Werkzeug zum ausschließlichen Gebrauch der Großmächte bliebe, schon vor einigen Monaten mit Oberst House verhandelt hat, und daß der amerikanische Gesandte in Buenos Aires nichts Eiligeres zu tun hatte, als die argentinische Regierung zur Stellungnahme ihres Genfer Vertreters zu be¬ glückwünschen und der völligen Billigung von selten der Vereinigten Staaten zu versichern. Nordamerika wird jetzt sehr energische Anstalten machen, zunächst, übrigens durchaus im Sinne der Monroedoktrin, zu der ja der Völkerbund, wie er von England konzipiert worden ist, im Widerspruch stehen soll, sämtliche Staaten des amerikanischen Kontinents zusammenzufassen, Englands Einfluß auf Süd¬ amerika, der während und infolge des Krieges sowieso abgenommen hat, zu schwächen, um dann, gestützt auf diese Autorität, alle diejenigen europäischen Staaten anzugliedern, die mit der englischen Konzeption unzufrieden sind. Daß diese Politik ganz zielbewußt in Angriff genommen wird, darauf weisen nicht nur Anzeichen, wie die Reise Colbys nach Südamerika, Äußerungen amerikanischer Senatoren über die künftige Stellung zu Deutschland, sondern vor allem auch die Verhandlungen mit Mexiko. Ganz deutlich haben nämlich die Vertreter Washingtons zu erkennen gegeben, daß sie ihre bisherigen Cinmischungsmethoden aufzugeben gesonnen sind, wofern die Mexikanische Regierung den Versuchen europäischer Mächte, in Mexiko ihren wirtschaftlichen Einfluß (namentlich auf die Petroleumausbeutung) zu festigen oder auszubreiten, einen Riegel vorschieben wird. Das heißt natürlich nichts anderes, als daß man Mexiko zunächst Selbständigkeit zuerkennen will, Um es dann desto sicherer als ungeteiltes' Ganzes überschlucken zu können, aber es scheint doch, daß Mexiko, vielleicht auch aus innerpolitischen Rücksichten auf amerikanische, ihm am nächsten liegende Hilfe angewiesen, in diesem Punkt optimistischer über seine künftige Selbständigkeit denkt als die Amerikaner. Ähnliches scheint sich in Mittel¬ amerika zu vollziehen. Der beabsichtigte Zusammenschluß von San Salvador, Guatemala, Costarica, Honduras und Nicaragua ist zunächst sicher als ein süd¬ amerikanischer Riegel gegen den Norden gedacht, aber auch hier werden die Nord- crmerikaner hoffen dürfen, ein Ganzes sei letzten Endes leichter zu bewältigen als disparate Stücke. Beharrt Argentinien, dessen Auftreten in Genf von deutschen Blättern zum Teil recht ungeschickt kommentiert worden ist, auf seiner sezessio-- nistischen Haltung, wird man über den amerikanischen Gegenbund bald neues hören. Leider besteht für Deutschland keinerlei Anlaß, sich der hierdurch entstehenden Verlegenheiten Englands zu freuen. Auf Deutschland allein kann sich England gegen Amerika, zumal die deutsche Flotte auf dem Grunde von Scava Flow liegt, nicht stützen, Nußland wird, auch wenn England Polen aufgibt, und trotz aller Handelsabkommen, bei deren Verhandlung die Nüssen neuerdings wieder, ebenso wie gegen Polen, sehr selbstbewußt auftreten, sein gefährlichster Feind bleiben. Bleibt als Rückhalt nur Frankreich, und es ist nicht unwichtig, daß Lord Derby unlängst mit viel Energie eine Lanze für ein förmliches (eventuell durch Belgien vermitteltes) englisch-französisches Bündnis gebrochen hat. Und wenn auch die alte englische Scheu, eine feste Bindung einzugehen, wahrscheinlich die Oberhand behalten wird, so wird England doch alles tun, um eine weitere französisch-amerikanische An¬ näherung zu verhindern, und wird diesem Bestreben auch ohne weiteres die Rück¬ sicht auf eine kaufkräftige deutsche Kundschaft zum Opfer bringen. Die Stellung¬ nahme Polen gegenüber ist in dieser Hinsicht lehrreich genug. England braucht den europäischen Frieden, und ein Wiederaufleben des russisch-polnischen Konfliktes wäre ihm höchst unangenehm. Aber da Frankreich die Polen für seine Politik gegen Deutschland braucht und nicht verstimmen will, läßt man es in England ruhig zu, wenn von Paris aus den Polen nahegelegt wird, sich für Mäßigung in Riga an Deutschland, in Danzig und Oberschlesien, schadlos zu halten, und dieser Gedanke war es auch, der der Abstimmungsnote zugrunde lag. Deutschland selbst sieht sich diesmal genötigt, auf dem Versailler Vertrag, dessen Milderung (man sollte in öffent¬ lichen Erörterungen endlich aufhören, das die Franzosen stets mit neuem Schreck durchzuckende Wort Revision zu gebrauchen) es mit allen Kräften anstreben muß, zu besteh 'Meneinils en. Vae- piceis!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/360>, abgerufen am 24.08.2024.