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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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werden, darf füglich bezweifelt werden. Daß England die Wendung der Dinge
in Amerika tatsächlich nicht ohne Besorgnis ansieht, beweist seine vorsichtige
Zurückhaltung bei den Völker bundsverhandlungen, deren Ausgang erst noch
abgewartet werden muß, um sie bewerten zu können.

In Osteuropa ist die französische Politik nicht von Glück begünstigt gewesen.
Die Bildung des großen Antibolschewistenblocks aus kleiner Entente, Ungarn,
Polen und Rumänien ist trotz der eifrigsten, infolge der Niederlagen Wrangels
und der damit herausziehenden Gefahr für den gerade erst bestätigten bessarabiscl en
Besitz noch verstärkten Bemühungen Tale Jonescus am Mißtrauen Polens gegen
die Tschechen gescheitert. Amcheinend hält man es in Warschau augenblicklich für
vorteilhafter, sich auf eigene Hand eventuell mit Ungarn zu verständigen und sich
in ihm gegen einen im nächsten Jahr als ziemlich sicher zu erwartenden neuen
russischen Angriff einen verlänlicheren Bundesgenossen zu schaffen, als esTsch'cho-
Slowaken und Südslawen sein würden. Andererseits würden natürlich die West¬
mächte die Bildung eines Gegenblocks gegen die Kleine Entente nicht gerade als
Gewähr für einen dauernden Frieden ansehen können. Besonders nicht, wenn sich
der Kleinen Entente, um einen Rückhalt Griechenland gegenüber, das ihm den
Zugang zum ögäischen Meere sperrt, Bulgarien anschließen würde. Einstweilen
wirbt allerdings Stambuliski in Paris noch um Frankreichs Gunst, die ihm, falls
England nicht Größeres verspricht, angesichts der Entwicklung in Griechenland
vielleicht doch noch zuteil werden wird, besonders da der infolge Wilsons Wahl¬
niederlage und des im Ausfall der italienischen Kommunalwahlen deutlich erkenn¬
baren wneren Erstarkens Italiens überraschend schnell zustande gekommene Vertrag
von Rapallo sehr zum Mißbehagen Frankreichs eine italienisch-südslawische An¬
näherung vmsieht und damit Italien in weniger starkem, bei der diplomatischen
Kunst Giolitt's aber immerhin fühlbaren Maße die Möglichkeit geben würde,
auf dem Balkan zwischen England und Frankreich eine ähnliche Vermittlerrolle
zu spielen, wie es das in Kleinasien getan hat. Jedenfalls at>er erstarkt Italien
durch den Vertrag von Rapallo und die zunehmende innere Beruhigung so sehr,
daß die Gefahr einer Isolierung Frankreichs immer näherrückt, besonders wenn
letzteres nicht endlich die Finger aus den Habsburgischen Intrigen herausläßt.

Das große Rätsel bleibt nach wie vor Nußland, besonders da man über
die Stabilität der Sowjetregierung immer noch im Dunkel gelassen wird. Kleine
lokale Aufstände sind allgemeine Kriegserscheinungen und beweis n gar nichts, aber
auch der viel besprochene Vertrag mit Vanderlip beweist nichts, da ein ostsibirisches
Pachtgebiet selbst bei einem Regierungswechsel in Moskau hinreichende Garantie
hüten würde. Immerhin zeigt der rasche und vollständige Sieg über die gut
ausgebildeten und, wie es (wohl mit Recht) hieß, vortrefflich disziplinierten
Wrängeltruppen, daß es wenigstens um die Militärtransporte in Rußland nicht
so miserabel stehen kann, wie man uns immer wieder glauben machen will. Als
sicher kann angenommen werden, daß die Sowjets jetzt zunächst mit Machno und
Peiljura, sowie urit Balachowitsch aufräumen werden, um sich dann, im nöchsten
Sommer, wieder gegen die Polen zu wenden, die sich inzwischen mit Unterstützung
Lettlands einen ollein zwar ohnmächtigen, mit bolschewistischer Unterstützung aber
immerhin gefährlichen Gegner in den durch Zeligowskis d'Annunziostreich aufs
höchste erbitterten Litauern geschaffen haben. Was dann aus den in der polnischen
Presse schon jetzt erörterten Absichten Polens auf Dünaburg und womöglich R'g"
wird, ist schon jetzt vorauszusehen, beionders wenn etwa die durch eine etwaige
polnisch ungarische Verbindung bedrohten Tschechen ins Lager der Gegner getrieben
werden sollten. Die verstärkte und durch Wahlmißerfolge der Sozialisten keineswegs
abgeschreckte Tätigkeit der Bolschewisten in allen Ländern, der energische Vorstoß
der Kemalisten gegen Armenien, der die langerwartete Erklärung sür ihr ausfällig
rasches Zurückgehen an der griechisch-kleinasiatischen Front gibt, die Verhandlungen
zwischen Sowjet-Rußland und China zeigen, daß die Sowjetregierung noch lange
nicht gesonnen ist, ihre Kampfstellung gegen England und die ganze Welt aus¬
zugeben.


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werden, darf füglich bezweifelt werden. Daß England die Wendung der Dinge
in Amerika tatsächlich nicht ohne Besorgnis ansieht, beweist seine vorsichtige
Zurückhaltung bei den Völker bundsverhandlungen, deren Ausgang erst noch
abgewartet werden muß, um sie bewerten zu können.

In Osteuropa ist die französische Politik nicht von Glück begünstigt gewesen.
Die Bildung des großen Antibolschewistenblocks aus kleiner Entente, Ungarn,
Polen und Rumänien ist trotz der eifrigsten, infolge der Niederlagen Wrangels
und der damit herausziehenden Gefahr für den gerade erst bestätigten bessarabiscl en
Besitz noch verstärkten Bemühungen Tale Jonescus am Mißtrauen Polens gegen
die Tschechen gescheitert. Amcheinend hält man es in Warschau augenblicklich für
vorteilhafter, sich auf eigene Hand eventuell mit Ungarn zu verständigen und sich
in ihm gegen einen im nächsten Jahr als ziemlich sicher zu erwartenden neuen
russischen Angriff einen verlänlicheren Bundesgenossen zu schaffen, als esTsch'cho-
Slowaken und Südslawen sein würden. Andererseits würden natürlich die West¬
mächte die Bildung eines Gegenblocks gegen die Kleine Entente nicht gerade als
Gewähr für einen dauernden Frieden ansehen können. Besonders nicht, wenn sich
der Kleinen Entente, um einen Rückhalt Griechenland gegenüber, das ihm den
Zugang zum ögäischen Meere sperrt, Bulgarien anschließen würde. Einstweilen
wirbt allerdings Stambuliski in Paris noch um Frankreichs Gunst, die ihm, falls
England nicht Größeres verspricht, angesichts der Entwicklung in Griechenland
vielleicht doch noch zuteil werden wird, besonders da der infolge Wilsons Wahl¬
niederlage und des im Ausfall der italienischen Kommunalwahlen deutlich erkenn¬
baren wneren Erstarkens Italiens überraschend schnell zustande gekommene Vertrag
von Rapallo sehr zum Mißbehagen Frankreichs eine italienisch-südslawische An¬
näherung vmsieht und damit Italien in weniger starkem, bei der diplomatischen
Kunst Giolitt's aber immerhin fühlbaren Maße die Möglichkeit geben würde,
auf dem Balkan zwischen England und Frankreich eine ähnliche Vermittlerrolle
zu spielen, wie es das in Kleinasien getan hat. Jedenfalls at>er erstarkt Italien
durch den Vertrag von Rapallo und die zunehmende innere Beruhigung so sehr,
daß die Gefahr einer Isolierung Frankreichs immer näherrückt, besonders wenn
letzteres nicht endlich die Finger aus den Habsburgischen Intrigen herausläßt.

Das große Rätsel bleibt nach wie vor Nußland, besonders da man über
die Stabilität der Sowjetregierung immer noch im Dunkel gelassen wird. Kleine
lokale Aufstände sind allgemeine Kriegserscheinungen und beweis n gar nichts, aber
auch der viel besprochene Vertrag mit Vanderlip beweist nichts, da ein ostsibirisches
Pachtgebiet selbst bei einem Regierungswechsel in Moskau hinreichende Garantie
hüten würde. Immerhin zeigt der rasche und vollständige Sieg über die gut
ausgebildeten und, wie es (wohl mit Recht) hieß, vortrefflich disziplinierten
Wrängeltruppen, daß es wenigstens um die Militärtransporte in Rußland nicht
so miserabel stehen kann, wie man uns immer wieder glauben machen will. Als
sicher kann angenommen werden, daß die Sowjets jetzt zunächst mit Machno und
Peiljura, sowie urit Balachowitsch aufräumen werden, um sich dann, im nöchsten
Sommer, wieder gegen die Polen zu wenden, die sich inzwischen mit Unterstützung
Lettlands einen ollein zwar ohnmächtigen, mit bolschewistischer Unterstützung aber
immerhin gefährlichen Gegner in den durch Zeligowskis d'Annunziostreich aufs
höchste erbitterten Litauern geschaffen haben. Was dann aus den in der polnischen
Presse schon jetzt erörterten Absichten Polens auf Dünaburg und womöglich R'g»
wird, ist schon jetzt vorauszusehen, beionders wenn etwa die durch eine etwaige
polnisch ungarische Verbindung bedrohten Tschechen ins Lager der Gegner getrieben
werden sollten. Die verstärkte und durch Wahlmißerfolge der Sozialisten keineswegs
abgeschreckte Tätigkeit der Bolschewisten in allen Ländern, der energische Vorstoß
der Kemalisten gegen Armenien, der die langerwartete Erklärung sür ihr ausfällig
rasches Zurückgehen an der griechisch-kleinasiatischen Front gibt, die Verhandlungen
zwischen Sowjet-Rußland und China zeigen, daß die Sowjetregierung noch lange
nicht gesonnen ist, ihre Kampfstellung gegen England und die ganze Welt aus¬
zugeben.


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[0230] ZVeltspiegel werden, darf füglich bezweifelt werden. Daß England die Wendung der Dinge in Amerika tatsächlich nicht ohne Besorgnis ansieht, beweist seine vorsichtige Zurückhaltung bei den Völker bundsverhandlungen, deren Ausgang erst noch abgewartet werden muß, um sie bewerten zu können. In Osteuropa ist die französische Politik nicht von Glück begünstigt gewesen. Die Bildung des großen Antibolschewistenblocks aus kleiner Entente, Ungarn, Polen und Rumänien ist trotz der eifrigsten, infolge der Niederlagen Wrangels und der damit herausziehenden Gefahr für den gerade erst bestätigten bessarabiscl en Besitz noch verstärkten Bemühungen Tale Jonescus am Mißtrauen Polens gegen die Tschechen gescheitert. Amcheinend hält man es in Warschau augenblicklich für vorteilhafter, sich auf eigene Hand eventuell mit Ungarn zu verständigen und sich in ihm gegen einen im nächsten Jahr als ziemlich sicher zu erwartenden neuen russischen Angriff einen verlänlicheren Bundesgenossen zu schaffen, als esTsch'cho- Slowaken und Südslawen sein würden. Andererseits würden natürlich die West¬ mächte die Bildung eines Gegenblocks gegen die Kleine Entente nicht gerade als Gewähr für einen dauernden Frieden ansehen können. Besonders nicht, wenn sich der Kleinen Entente, um einen Rückhalt Griechenland gegenüber, das ihm den Zugang zum ögäischen Meere sperrt, Bulgarien anschließen würde. Einstweilen wirbt allerdings Stambuliski in Paris noch um Frankreichs Gunst, die ihm, falls England nicht Größeres verspricht, angesichts der Entwicklung in Griechenland vielleicht doch noch zuteil werden wird, besonders da der infolge Wilsons Wahl¬ niederlage und des im Ausfall der italienischen Kommunalwahlen deutlich erkenn¬ baren wneren Erstarkens Italiens überraschend schnell zustande gekommene Vertrag von Rapallo sehr zum Mißbehagen Frankreichs eine italienisch-südslawische An¬ näherung vmsieht und damit Italien in weniger starkem, bei der diplomatischen Kunst Giolitt's aber immerhin fühlbaren Maße die Möglichkeit geben würde, auf dem Balkan zwischen England und Frankreich eine ähnliche Vermittlerrolle zu spielen, wie es das in Kleinasien getan hat. Jedenfalls at>er erstarkt Italien durch den Vertrag von Rapallo und die zunehmende innere Beruhigung so sehr, daß die Gefahr einer Isolierung Frankreichs immer näherrückt, besonders wenn letzteres nicht endlich die Finger aus den Habsburgischen Intrigen herausläßt. Das große Rätsel bleibt nach wie vor Nußland, besonders da man über die Stabilität der Sowjetregierung immer noch im Dunkel gelassen wird. Kleine lokale Aufstände sind allgemeine Kriegserscheinungen und beweis n gar nichts, aber auch der viel besprochene Vertrag mit Vanderlip beweist nichts, da ein ostsibirisches Pachtgebiet selbst bei einem Regierungswechsel in Moskau hinreichende Garantie hüten würde. Immerhin zeigt der rasche und vollständige Sieg über die gut ausgebildeten und, wie es (wohl mit Recht) hieß, vortrefflich disziplinierten Wrängeltruppen, daß es wenigstens um die Militärtransporte in Rußland nicht so miserabel stehen kann, wie man uns immer wieder glauben machen will. Als sicher kann angenommen werden, daß die Sowjets jetzt zunächst mit Machno und Peiljura, sowie urit Balachowitsch aufräumen werden, um sich dann, im nöchsten Sommer, wieder gegen die Polen zu wenden, die sich inzwischen mit Unterstützung Lettlands einen ollein zwar ohnmächtigen, mit bolschewistischer Unterstützung aber immerhin gefährlichen Gegner in den durch Zeligowskis d'Annunziostreich aufs höchste erbitterten Litauern geschaffen haben. Was dann aus den in der polnischen Presse schon jetzt erörterten Absichten Polens auf Dünaburg und womöglich R'g» wird, ist schon jetzt vorauszusehen, beionders wenn etwa die durch eine etwaige polnisch ungarische Verbindung bedrohten Tschechen ins Lager der Gegner getrieben werden sollten. Die verstärkte und durch Wahlmißerfolge der Sozialisten keineswegs abgeschreckte Tätigkeit der Bolschewisten in allen Ländern, der energische Vorstoß der Kemalisten gegen Armenien, der die langerwartete Erklärung sür ihr ausfällig rasches Zurückgehen an der griechisch-kleinasiatischen Front gibt, die Verhandlungen zwischen Sowjet-Rußland und China zeigen, daß die Sowjetregierung noch lange nicht gesonnen ist, ihre Kampfstellung gegen England und die ganze Welt aus¬ zugeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/230>, abgerufen am 22.07.2024.