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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Die wirtschaftliche Lage Deutschlands nach dem Friedensschluß

schließlich der sogenannten Wiedergutmachung, die ohne bisherige Begrenzung nach
oben der Friedensvertrag in all seinen Auswirkungen von ihm fordert man denke
nur an die Kosten der feindlichen Besetzung! --, so kommt man zu Beträgen, die
sich jeder Berechnung entziehen und mit deren wirklicher Beschaffung und Ein¬
treibung nicht ernstlich gerechnet werden kann. Infolgedessen dürfte es Aufgabe
der deutschen Regierung sein, bei den bevorstehenden Verhandlungen über die Fest¬
setzung einer Pauschalsumme als Kriegsentschädigung, die in Genf, Brüssel oder
Paris vor sich gehen sollen, in noch intensiverem Maßstabe, als dies in Spa geschehen
ist, die wirtschaftliche Lage Deutschlands wie den Stand seiner Finanzen klarzu¬
legen und alle über die Kräfte des Reiches hinausgehenden finanziellen Forderungen
entschieden zurückzuweisen. Zum Wiederaufbau ebenso der deutschen Finanzkraft
wie des deutschen Wirtschaftslebens, die sich beide gegenseitig bedingen, gehört von
feiten der Feinde eine Schonung, die in ihrem eigenen Interesse liegt, wenn sie über¬
haupt in absehbarer Zeit weitere Leistungen von Deutschland erreichen wollen. ES
gehört von feiten des deutschen Volkes dazu ein Sichbesinnen in allen Kreisen der
Bevölkerung. Die Arbeiterschaft, die durch die politische Entwicklung die herrschende
Klasse geworden ist, muß sich vergegenwärtigen, daß Herrschaft nicht nur Rechte gibt,
sondern auch Pflichten und Verantwortung aufbürdet. Sie muß vor allen Dingen
lernen, anstatt der schrankenlosen Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sich als
Glied des Großen und Ganzen zu fühlen und die von ihr veranlaßte Umwälzung
nicht dauernd zu immer erneutem Lohnkampf herabzuwürdigen. Das deutsche
Bürgertum, dessen Feigheit und Fatalismus nach oben wie nach unten an dem
Niederbruch Deutschlands wesentlich mit schuld ist, wird, wenn es sich und sein Volk
vor völligem Untergang bewahren will, die Mahnung Goethes beherzigen müssen:

So ist Deutschland nicht zu retten, die deutsche Wirtschaft nicht wieder aufzu¬
bauen, ohne eine Änderung der psychischen Verfassung des deutschen Volkes. ES
ist der Geist, der sich den Körper baut. Die deutsche Seele, die deutsche Volksseele
ist krank. Alle, die geistige Führer sind, müssen daran arbeiten, daß die deutsche
Volksseele gesunde. Hier erwächst vor allem der Kirche und ihren Dienern eine
gewaltige nationale und soziale Aufgabe. Bismarck hat einmal gesagt: "Nach 1L06
war Deutschland in Preußens Pfarrhäusern". Die evangelische Kirche ist im poli¬
tischen Leben von jeher nie, im sozialen wenig hervorgetreten. Das entspricht ihrer
Eigenart und ihrer Aufgabe, die nicht auf diesseitige Dinge eingestellt ist. Aber
in einer Not des Volkes und Vaterlandes, wo es sich auch in geistiger und geist¬
licher Beziehung um die letzten und höchsten Dinge handelt, kann die evangelische
Kirche durch ihre Diener und Gemeinden ein Sauerteig werden, der die Genesung
des deutschen Geistes und die Erlösung aus den Nöten dieser Zeiten mit herbei¬
führen hilft.

Man hat gesagt, ein Volk von 60 Millionen könne nicht sterben. DaS ist
arr dann richtig, wenn dieses Volk sich nicht selbst aufgibt. Im inneren Kampf


Die wirtschaftliche Lage Deutschlands nach dem Friedensschluß

schließlich der sogenannten Wiedergutmachung, die ohne bisherige Begrenzung nach
oben der Friedensvertrag in all seinen Auswirkungen von ihm fordert man denke
nur an die Kosten der feindlichen Besetzung! —, so kommt man zu Beträgen, die
sich jeder Berechnung entziehen und mit deren wirklicher Beschaffung und Ein¬
treibung nicht ernstlich gerechnet werden kann. Infolgedessen dürfte es Aufgabe
der deutschen Regierung sein, bei den bevorstehenden Verhandlungen über die Fest¬
setzung einer Pauschalsumme als Kriegsentschädigung, die in Genf, Brüssel oder
Paris vor sich gehen sollen, in noch intensiverem Maßstabe, als dies in Spa geschehen
ist, die wirtschaftliche Lage Deutschlands wie den Stand seiner Finanzen klarzu¬
legen und alle über die Kräfte des Reiches hinausgehenden finanziellen Forderungen
entschieden zurückzuweisen. Zum Wiederaufbau ebenso der deutschen Finanzkraft
wie des deutschen Wirtschaftslebens, die sich beide gegenseitig bedingen, gehört von
feiten der Feinde eine Schonung, die in ihrem eigenen Interesse liegt, wenn sie über¬
haupt in absehbarer Zeit weitere Leistungen von Deutschland erreichen wollen. ES
gehört von feiten des deutschen Volkes dazu ein Sichbesinnen in allen Kreisen der
Bevölkerung. Die Arbeiterschaft, die durch die politische Entwicklung die herrschende
Klasse geworden ist, muß sich vergegenwärtigen, daß Herrschaft nicht nur Rechte gibt,
sondern auch Pflichten und Verantwortung aufbürdet. Sie muß vor allen Dingen
lernen, anstatt der schrankenlosen Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sich als
Glied des Großen und Ganzen zu fühlen und die von ihr veranlaßte Umwälzung
nicht dauernd zu immer erneutem Lohnkampf herabzuwürdigen. Das deutsche
Bürgertum, dessen Feigheit und Fatalismus nach oben wie nach unten an dem
Niederbruch Deutschlands wesentlich mit schuld ist, wird, wenn es sich und sein Volk
vor völligem Untergang bewahren will, die Mahnung Goethes beherzigen müssen:

So ist Deutschland nicht zu retten, die deutsche Wirtschaft nicht wieder aufzu¬
bauen, ohne eine Änderung der psychischen Verfassung des deutschen Volkes. ES
ist der Geist, der sich den Körper baut. Die deutsche Seele, die deutsche Volksseele
ist krank. Alle, die geistige Führer sind, müssen daran arbeiten, daß die deutsche
Volksseele gesunde. Hier erwächst vor allem der Kirche und ihren Dienern eine
gewaltige nationale und soziale Aufgabe. Bismarck hat einmal gesagt: „Nach 1L06
war Deutschland in Preußens Pfarrhäusern". Die evangelische Kirche ist im poli¬
tischen Leben von jeher nie, im sozialen wenig hervorgetreten. Das entspricht ihrer
Eigenart und ihrer Aufgabe, die nicht auf diesseitige Dinge eingestellt ist. Aber
in einer Not des Volkes und Vaterlandes, wo es sich auch in geistiger und geist¬
licher Beziehung um die letzten und höchsten Dinge handelt, kann die evangelische
Kirche durch ihre Diener und Gemeinden ein Sauerteig werden, der die Genesung
des deutschen Geistes und die Erlösung aus den Nöten dieser Zeiten mit herbei¬
führen hilft.

Man hat gesagt, ein Volk von 60 Millionen könne nicht sterben. DaS ist
arr dann richtig, wenn dieses Volk sich nicht selbst aufgibt. Im inneren Kampf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/218>, abgerufen am 22.07.2024.