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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Bürokraten-Briefe

mindestens seit anderthalb Jahren eine Demokratie, als es in den Abgrund stürzte?
War nicht jeder Schritt, den es der Demokratie entgegen tat, ein Schritt auf diesen Ab¬
grund zu? Hat nicht Clemenceau Frankreich gerade dadurch gerettet, daß er die Demo¬
kratie lahmlegte und sich zum Diktator aufwarf? Und jene Großen, die Sie nennen,
haben sie das, was sie erreichten, vermöge der Demokratie erreicht, oder nicht vielmehr
im Kampfe mit ihr, die sie ständig gehemmt, ihren Erfolg erschwert und gefährdet
hat? Daß ein bedeutender, vollends ein genialer Staatsmann zur Not auch auf
diesem Instrumente spielen kann, ist kein Beweis für seine Brauchbarkeit unter
gewöhnlichen Verhältnissen. Ein politisches Genie, das, mit weitem Blick und
starkem Willen begabt, mit feinem Ohr den geheimnisvollen wahren Volkswillen zu
erlauschen weiß und nicht allein seiner Nation das Ziel weist und den Weg dahin
findet, sondern auch die öffentliche Meinung zu überzeugen versteht, daß es ihr Ziel
und ihre Richtung sei, ein solcher Mann wird auch mit einer demokratischen Ver¬
fassung fertig, indem er den Parteien seinen Willen aufzwingt. Aber ist das noch
Demokratie? Ist das nicht unter demokratischer Verkleidung der verworfene Obrig¬
keitsstaat? Ist hier die demokratische Verfassungsform nicht wirklich nur Drapierung,
nur eine Maskenkomödie, zur Erheiterung und Erhebung des souveränen Demos
aufgeführt? Tut man da nicht besser, der Wahrheit die Ehre zu geben, das Kind
beim Namen zu nennen und auch auf den Schein und das Beiwerk der Demokratie
zu verzichten? Die Genugtuung, die dieser Mummenschanz gläubigen Zuschauern
bereitet, scheint mir die Fülle von Reibungen und Hemmungen nicht wert, die dem
Staatswesen und seinem Leiter, Beweglichkeit und Kraftentfaltung hindernd, durch
die Wahrung der demokratischen Form entstehen. Selbst das Genie meistert diese
Schwierigkeiten, die einen unverhältnismäßigen Teil seiner Nerven-, Willens- und
Arbeitskraft nutzlos binden, nicht ohne Einbuße am Erfolg. Genies aber, oder auch
nur wirkliche Staatsmänner werden, wie bekannt, nicht alle Tage, kaum in jedem
Jahrhundert einmal geboren. In der Zwischenzeit, in den Jahrzehnten, in denen
das Volk vergebens auf den berufenen Führer wartet, für die lange Dauer solcher
Fehljahre, die in Monarchien, wenn auch unfruchtbar an sichtbaren Erfolgen,
wenigstens ruhiger und gesunder Entwicklung dienen können, verfällt die Demokratie
rettungslos der zersetzenden Popularitätswirtschaft, deren Wesen ich soeben zu kenn¬
zeichnen versuchte -- überflüssigerweise, denn seit Kleon von Athen bis auf Matthias
Erzberger ist die Geschichte der Demokratien eine einzige, selten unterbrochene Kette
abschreckender Beispiele dafür. In diesen Fällen haben wir dann freilich ein Regi¬
ment, das, wie ich zugeben muß, nicht nur der Form nach, sondern, indem es tat¬
sächlich und ausschließlich auf dem unbeeinflußten Mehrheitswillen beruht, in feinem
innersten Wesen wirklich demokratisch ist. Ob es der Idee der Demokratie entspricht,
das zu entscheiden, muß ich ihren Anhängern überlassen. Auch sie werden nicht zu
behaupten wagen, daß es dem Staatszweck und dem Wohle der Gesamtheit dient.




Bürokraten-Briefe

mindestens seit anderthalb Jahren eine Demokratie, als es in den Abgrund stürzte?
War nicht jeder Schritt, den es der Demokratie entgegen tat, ein Schritt auf diesen Ab¬
grund zu? Hat nicht Clemenceau Frankreich gerade dadurch gerettet, daß er die Demo¬
kratie lahmlegte und sich zum Diktator aufwarf? Und jene Großen, die Sie nennen,
haben sie das, was sie erreichten, vermöge der Demokratie erreicht, oder nicht vielmehr
im Kampfe mit ihr, die sie ständig gehemmt, ihren Erfolg erschwert und gefährdet
hat? Daß ein bedeutender, vollends ein genialer Staatsmann zur Not auch auf
diesem Instrumente spielen kann, ist kein Beweis für seine Brauchbarkeit unter
gewöhnlichen Verhältnissen. Ein politisches Genie, das, mit weitem Blick und
starkem Willen begabt, mit feinem Ohr den geheimnisvollen wahren Volkswillen zu
erlauschen weiß und nicht allein seiner Nation das Ziel weist und den Weg dahin
findet, sondern auch die öffentliche Meinung zu überzeugen versteht, daß es ihr Ziel
und ihre Richtung sei, ein solcher Mann wird auch mit einer demokratischen Ver¬
fassung fertig, indem er den Parteien seinen Willen aufzwingt. Aber ist das noch
Demokratie? Ist das nicht unter demokratischer Verkleidung der verworfene Obrig¬
keitsstaat? Ist hier die demokratische Verfassungsform nicht wirklich nur Drapierung,
nur eine Maskenkomödie, zur Erheiterung und Erhebung des souveränen Demos
aufgeführt? Tut man da nicht besser, der Wahrheit die Ehre zu geben, das Kind
beim Namen zu nennen und auch auf den Schein und das Beiwerk der Demokratie
zu verzichten? Die Genugtuung, die dieser Mummenschanz gläubigen Zuschauern
bereitet, scheint mir die Fülle von Reibungen und Hemmungen nicht wert, die dem
Staatswesen und seinem Leiter, Beweglichkeit und Kraftentfaltung hindernd, durch
die Wahrung der demokratischen Form entstehen. Selbst das Genie meistert diese
Schwierigkeiten, die einen unverhältnismäßigen Teil seiner Nerven-, Willens- und
Arbeitskraft nutzlos binden, nicht ohne Einbuße am Erfolg. Genies aber, oder auch
nur wirkliche Staatsmänner werden, wie bekannt, nicht alle Tage, kaum in jedem
Jahrhundert einmal geboren. In der Zwischenzeit, in den Jahrzehnten, in denen
das Volk vergebens auf den berufenen Führer wartet, für die lange Dauer solcher
Fehljahre, die in Monarchien, wenn auch unfruchtbar an sichtbaren Erfolgen,
wenigstens ruhiger und gesunder Entwicklung dienen können, verfällt die Demokratie
rettungslos der zersetzenden Popularitätswirtschaft, deren Wesen ich soeben zu kenn¬
zeichnen versuchte — überflüssigerweise, denn seit Kleon von Athen bis auf Matthias
Erzberger ist die Geschichte der Demokratien eine einzige, selten unterbrochene Kette
abschreckender Beispiele dafür. In diesen Fällen haben wir dann freilich ein Regi¬
ment, das, wie ich zugeben muß, nicht nur der Form nach, sondern, indem es tat¬
sächlich und ausschließlich auf dem unbeeinflußten Mehrheitswillen beruht, in feinem
innersten Wesen wirklich demokratisch ist. Ob es der Idee der Demokratie entspricht,
das zu entscheiden, muß ich ihren Anhängern überlassen. Auch sie werden nicht zu
behaupten wagen, daß es dem Staatszweck und dem Wohle der Gesamtheit dient.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/120>, abgerufen am 22.07.2024.