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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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gebührte Wohl die erste Stelle in dieser Ab¬
handlung, da die Zerrüttung der Verkehrs¬
mittel den Hauptgrund für den katastrophalen
wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes
bildet. Aus der Abhandlung über Landwirt¬
schaft ist besonders hervorzuheben, daß das
Märchen von russischen Getreidcüberschüsfen
für Westeuropa als solches gekennzeichnet wird.

Besonders beachtenswert ist weiterhin das
Urteil dieses langjährigen Kenners der russi¬
schen und slawischen Volksseele über die Dauer
der bolschewistischen Herrschaft: Entgegen
übereilten Folgerunge", welche unsere Presse
aus Alarmnachrichten über Leninsche Schwäche¬
anfälle zu ziehen geneigt ist, steht der Ver¬
fasser auf dem Standpunkt, daß mit einer
noch mehrjährigen Periode des Bolschewismus
in Rußland zu rechnen sei. So beachtens¬
wert die Ausführungen über Stellung der
russischen Oligarchen zur Kriegsidee ist --
"sie brauchen den Krieg zu ihrem Bestehen"
(Seite 36) --, so vermissen wir doch an
dieser Stelle eine kurze kritische Skizze über
die Frage, ob der Bolschewismus national
oder international orientiert sei, weil sich
hieraus wichtige Weiterungen ergeben. Wir

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erachten die internationale Färbung für ein
propagandistisches Mäntelchen.

Unter den Folgerungen, welche Cleinow
aus seinem umfangreichen Material zieht, ist
bemerkenswert, daß er versucht, den Weg zur
Rettung anzugeben. Wenn er sich zu diesen?
Zweck an die Bürger und Arbeiter ganz
Europas wendet, so stimmen wir ihm mit
dem Hinweise zu, daß die bolschewistischen
Ideen bereits in der ganzen Welt umher¬
gehen. Der Verfasser entwickelt unbewußt
die Ncmmcmnsche Idee weiter, wenn er die
Rettung in dem Gedanken des wirtschaftlich
vereinigten Europa sieht. In diesem Zu¬
sammenhang erinnern wir uns, daß auch in
Deutschland erst die wirtschaftliche Einheit
dem Reiche die Widerstandskraft gegen zer¬
setzende Einflüsse gab. Aber wir dürfen nicht
vergessen, daß die Cleinowsche Idee die Soli¬
darität des europäischen Arbeiter- und Bürger¬
tums voraussetzt Das Machwerk der "Big
Four" hängt trotz Kehnes J'accuse noch
immer als Damoklesschwert über jeder inter¬
nationalen Einigung.

Was wir dennoch für möglich halten, das
ist die Herstellung der Einheitsfront in

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gebührte Wohl die erste Stelle in dieser Ab¬
handlung, da die Zerrüttung der Verkehrs¬
mittel den Hauptgrund für den katastrophalen
wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes
bildet. Aus der Abhandlung über Landwirt¬
schaft ist besonders hervorzuheben, daß das
Märchen von russischen Getreidcüberschüsfen
für Westeuropa als solches gekennzeichnet wird.

Besonders beachtenswert ist weiterhin das
Urteil dieses langjährigen Kenners der russi¬
schen und slawischen Volksseele über die Dauer
der bolschewistischen Herrschaft: Entgegen
übereilten Folgerunge», welche unsere Presse
aus Alarmnachrichten über Leninsche Schwäche¬
anfälle zu ziehen geneigt ist, steht der Ver¬
fasser auf dem Standpunkt, daß mit einer
noch mehrjährigen Periode des Bolschewismus
in Rußland zu rechnen sei. So beachtens¬
wert die Ausführungen über Stellung der
russischen Oligarchen zur Kriegsidee ist —
„sie brauchen den Krieg zu ihrem Bestehen"
(Seite 36) —, so vermissen wir doch an
dieser Stelle eine kurze kritische Skizze über
die Frage, ob der Bolschewismus national
oder international orientiert sei, weil sich
hieraus wichtige Weiterungen ergeben. Wir

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erachten die internationale Färbung für ein
propagandistisches Mäntelchen.

Unter den Folgerungen, welche Cleinow
aus seinem umfangreichen Material zieht, ist
bemerkenswert, daß er versucht, den Weg zur
Rettung anzugeben. Wenn er sich zu diesen?
Zweck an die Bürger und Arbeiter ganz
Europas wendet, so stimmen wir ihm mit
dem Hinweise zu, daß die bolschewistischen
Ideen bereits in der ganzen Welt umher¬
gehen. Der Verfasser entwickelt unbewußt
die Ncmmcmnsche Idee weiter, wenn er die
Rettung in dem Gedanken des wirtschaftlich
vereinigten Europa sieht. In diesem Zu¬
sammenhang erinnern wir uns, daß auch in
Deutschland erst die wirtschaftliche Einheit
dem Reiche die Widerstandskraft gegen zer¬
setzende Einflüsse gab. Aber wir dürfen nicht
vergessen, daß die Cleinowsche Idee die Soli¬
darität des europäischen Arbeiter- und Bürger¬
tums voraussetzt Das Machwerk der „Big
Four" hängt trotz Kehnes J'accuse noch
immer als Damoklesschwert über jeder inter¬
nationalen Einigung.

Was wir dennoch für möglich halten, das
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[0040] Biicherschcm gebührte Wohl die erste Stelle in dieser Ab¬ handlung, da die Zerrüttung der Verkehrs¬ mittel den Hauptgrund für den katastrophalen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes bildet. Aus der Abhandlung über Landwirt¬ schaft ist besonders hervorzuheben, daß das Märchen von russischen Getreidcüberschüsfen für Westeuropa als solches gekennzeichnet wird. Besonders beachtenswert ist weiterhin das Urteil dieses langjährigen Kenners der russi¬ schen und slawischen Volksseele über die Dauer der bolschewistischen Herrschaft: Entgegen übereilten Folgerunge», welche unsere Presse aus Alarmnachrichten über Leninsche Schwäche¬ anfälle zu ziehen geneigt ist, steht der Ver¬ fasser auf dem Standpunkt, daß mit einer noch mehrjährigen Periode des Bolschewismus in Rußland zu rechnen sei. So beachtens¬ wert die Ausführungen über Stellung der russischen Oligarchen zur Kriegsidee ist — „sie brauchen den Krieg zu ihrem Bestehen" (Seite 36) —, so vermissen wir doch an dieser Stelle eine kurze kritische Skizze über die Frage, ob der Bolschewismus national oder international orientiert sei, weil sich hieraus wichtige Weiterungen ergeben. Wir erachten die internationale Färbung für ein propagandistisches Mäntelchen. Unter den Folgerungen, welche Cleinow aus seinem umfangreichen Material zieht, ist bemerkenswert, daß er versucht, den Weg zur Rettung anzugeben. Wenn er sich zu diesen? Zweck an die Bürger und Arbeiter ganz Europas wendet, so stimmen wir ihm mit dem Hinweise zu, daß die bolschewistischen Ideen bereits in der ganzen Welt umher¬ gehen. Der Verfasser entwickelt unbewußt die Ncmmcmnsche Idee weiter, wenn er die Rettung in dem Gedanken des wirtschaftlich vereinigten Europa sieht. In diesem Zu¬ sammenhang erinnern wir uns, daß auch in Deutschland erst die wirtschaftliche Einheit dem Reiche die Widerstandskraft gegen zer¬ setzende Einflüsse gab. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Cleinowsche Idee die Soli¬ darität des europäischen Arbeiter- und Bürger¬ tums voraussetzt Das Machwerk der „Big Four" hängt trotz Kehnes J'accuse noch immer als Damoklesschwert über jeder inter¬ nationalen Einigung. Was wir dennoch für möglich halten, das ist die Herstellung der Einheitsfront in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/40>, abgerufen am 01.07.2024.