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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Das Problem des praktischen Bolschewismus

Lloyd George hatte sich für Räterußland entschieden. Warum dieser Ent¬
schluß nicht zu positiven Ergebnissen führen kann, habe ich schon versucht ZU
zeigen. Hier möchte ich noch auf eine direkte Gefahr hinweisen, die diesem
Entschlüsse entspringt.

Deutschland ist in Europa das letzte Bollwerk gegen den Bolschewismus.
Das will ich nicht in dem Sinne verstanden wissen, als ob in Deutschland ^die
Vorbedingungen des Bolschewismus nicht vorhanden wären. Im Gegenteil!
Deutschland leidet ebenso wie ganz Europa durch die Unterproduktion. Die
starke Vermögensabgabe ist doch weiter nichts als ein Leben vom Vorräte.
Zugleich ist das Proletariat in Deutschland unvergleichlich besser organisiert und
einflußreicher als in Rußland zu Kerenskis Zeiten.

Wenn ich aber von Deutschland als einem Bollwerk gegen den Bol-
schewismus spreche, so habe ich ein doppeltes im Sinne. Erstens hat Deutschland
einen erstaunlichen Willen zur produktiven Arbeit. Würde man Deutschlands
Arbeit nicht stören, so würde es unfehlbar sich nach einigen wenigen Jahren
aus der Unterproduktion herausgearbeitet haben.

Zweitens ist Deutschlands Armee noch ein Schutz der Produktionsmittel-
Solauge dies beides noch der Fall ist, kann der Bolschewismus in Deutschland
nicht hochkommen.

Nun will England mit dem Bolschewismus Frieden schließen. Das be¬
deutet, daß er für eine gewisse Zeit gestärkt wird. Dieser Friedensschluß erfolgt
wahrscheinlich wohl auch zu dem Zwecke, damit die Entente die Hände zu^
Schwächung Deutschlands freibekommt. Deutschlands Armee soll auf ein
Minimum reduziert werden, also auch der Schutz der Produktionsmittel dem¬
entsprechend vermindert werden. Deutschlands Arbeitsertrag soll an die Entente
abgeführt werden, wenn nur die Arbeitsfreudigkeit darunter nicht leidet! Muß
der Widerstand Deutschlands gegen den Bolschewismus auf diese Art schließlich
nicht versagen?

Es ist ein grausiges Spiel mit dem Feuer, das Lloyd George treibt.

Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Stellungnahme Lloyd Georges
einer Revision zu unterziehen. Sollte es zu einer Verständigung zwische^
Deutschland und der Entente kommen, so ist es allerdings ausgeschlossen, daß
Deutschland -- gleich den unseligen Raubstaaten -- an der militärische"
Intervention gegen das Räterußland für eigene Rechnung teilniniw -
Was Deutschland zu dieser Unternehmung liefern kann, ist zweifellos ein
genügende Heeresmacht zum Vorstoß gegen die Räteregierung, wie auch ^
Teil der Produktionsmittel und der intellektuellen Kräfte zur Hebung de
Produktion in Nußland. Die Finanzierung des Vorstoßes muß aber unbeding
von der Entente ausgehen, wenn nicht anders, dann in Form einer VerrechnnN"
auf die Kriegsentschädigung.

Hätte Deutschland den Kampf gegen den Bolschewismus für eigen
Rechnung zu führen, dann müßte es -- zwar langsamer, aber ebenso sich
zusammenbrechen wie Estland, Lettland, Ukraine und wohl auch P"l^
Kommt es nicht zu einer solchen Verständigung, so nehme ich an, daß DeuM
land sich zunächst auf einen passiven Widerstand einrichten wird. Wie lang
es ihn führen kann, wenn einerseits die durch die Entente gestärkte Na


Das Problem des praktischen Bolschewismus

Lloyd George hatte sich für Räterußland entschieden. Warum dieser Ent¬
schluß nicht zu positiven Ergebnissen führen kann, habe ich schon versucht ZU
zeigen. Hier möchte ich noch auf eine direkte Gefahr hinweisen, die diesem
Entschlüsse entspringt.

Deutschland ist in Europa das letzte Bollwerk gegen den Bolschewismus.
Das will ich nicht in dem Sinne verstanden wissen, als ob in Deutschland ^die
Vorbedingungen des Bolschewismus nicht vorhanden wären. Im Gegenteil!
Deutschland leidet ebenso wie ganz Europa durch die Unterproduktion. Die
starke Vermögensabgabe ist doch weiter nichts als ein Leben vom Vorräte.
Zugleich ist das Proletariat in Deutschland unvergleichlich besser organisiert und
einflußreicher als in Rußland zu Kerenskis Zeiten.

Wenn ich aber von Deutschland als einem Bollwerk gegen den Bol-
schewismus spreche, so habe ich ein doppeltes im Sinne. Erstens hat Deutschland
einen erstaunlichen Willen zur produktiven Arbeit. Würde man Deutschlands
Arbeit nicht stören, so würde es unfehlbar sich nach einigen wenigen Jahren
aus der Unterproduktion herausgearbeitet haben.

Zweitens ist Deutschlands Armee noch ein Schutz der Produktionsmittel-
Solauge dies beides noch der Fall ist, kann der Bolschewismus in Deutschland
nicht hochkommen.

Nun will England mit dem Bolschewismus Frieden schließen. Das be¬
deutet, daß er für eine gewisse Zeit gestärkt wird. Dieser Friedensschluß erfolgt
wahrscheinlich wohl auch zu dem Zwecke, damit die Entente die Hände zu^
Schwächung Deutschlands freibekommt. Deutschlands Armee soll auf ein
Minimum reduziert werden, also auch der Schutz der Produktionsmittel dem¬
entsprechend vermindert werden. Deutschlands Arbeitsertrag soll an die Entente
abgeführt werden, wenn nur die Arbeitsfreudigkeit darunter nicht leidet! Muß
der Widerstand Deutschlands gegen den Bolschewismus auf diese Art schließlich
nicht versagen?

Es ist ein grausiges Spiel mit dem Feuer, das Lloyd George treibt.

Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Stellungnahme Lloyd Georges
einer Revision zu unterziehen. Sollte es zu einer Verständigung zwische^
Deutschland und der Entente kommen, so ist es allerdings ausgeschlossen, daß
Deutschland — gleich den unseligen Raubstaaten — an der militärische"
Intervention gegen das Räterußland für eigene Rechnung teilniniw -
Was Deutschland zu dieser Unternehmung liefern kann, ist zweifellos ein
genügende Heeresmacht zum Vorstoß gegen die Räteregierung, wie auch ^
Teil der Produktionsmittel und der intellektuellen Kräfte zur Hebung de
Produktion in Nußland. Die Finanzierung des Vorstoßes muß aber unbeding
von der Entente ausgehen, wenn nicht anders, dann in Form einer VerrechnnN»
auf die Kriegsentschädigung.

Hätte Deutschland den Kampf gegen den Bolschewismus für eigen
Rechnung zu führen, dann müßte es — zwar langsamer, aber ebenso sich
zusammenbrechen wie Estland, Lettland, Ukraine und wohl auch P"l^
Kommt es nicht zu einer solchen Verständigung, so nehme ich an, daß DeuM
land sich zunächst auf einen passiven Widerstand einrichten wird. Wie lang
es ihn führen kann, wenn einerseits die durch die Entente gestärkte Na


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[0308] Das Problem des praktischen Bolschewismus Lloyd George hatte sich für Räterußland entschieden. Warum dieser Ent¬ schluß nicht zu positiven Ergebnissen führen kann, habe ich schon versucht ZU zeigen. Hier möchte ich noch auf eine direkte Gefahr hinweisen, die diesem Entschlüsse entspringt. Deutschland ist in Europa das letzte Bollwerk gegen den Bolschewismus. Das will ich nicht in dem Sinne verstanden wissen, als ob in Deutschland ^die Vorbedingungen des Bolschewismus nicht vorhanden wären. Im Gegenteil! Deutschland leidet ebenso wie ganz Europa durch die Unterproduktion. Die starke Vermögensabgabe ist doch weiter nichts als ein Leben vom Vorräte. Zugleich ist das Proletariat in Deutschland unvergleichlich besser organisiert und einflußreicher als in Rußland zu Kerenskis Zeiten. Wenn ich aber von Deutschland als einem Bollwerk gegen den Bol- schewismus spreche, so habe ich ein doppeltes im Sinne. Erstens hat Deutschland einen erstaunlichen Willen zur produktiven Arbeit. Würde man Deutschlands Arbeit nicht stören, so würde es unfehlbar sich nach einigen wenigen Jahren aus der Unterproduktion herausgearbeitet haben. Zweitens ist Deutschlands Armee noch ein Schutz der Produktionsmittel- Solauge dies beides noch der Fall ist, kann der Bolschewismus in Deutschland nicht hochkommen. Nun will England mit dem Bolschewismus Frieden schließen. Das be¬ deutet, daß er für eine gewisse Zeit gestärkt wird. Dieser Friedensschluß erfolgt wahrscheinlich wohl auch zu dem Zwecke, damit die Entente die Hände zu^ Schwächung Deutschlands freibekommt. Deutschlands Armee soll auf ein Minimum reduziert werden, also auch der Schutz der Produktionsmittel dem¬ entsprechend vermindert werden. Deutschlands Arbeitsertrag soll an die Entente abgeführt werden, wenn nur die Arbeitsfreudigkeit darunter nicht leidet! Muß der Widerstand Deutschlands gegen den Bolschewismus auf diese Art schließlich nicht versagen? Es ist ein grausiges Spiel mit dem Feuer, das Lloyd George treibt. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Stellungnahme Lloyd Georges einer Revision zu unterziehen. Sollte es zu einer Verständigung zwische^ Deutschland und der Entente kommen, so ist es allerdings ausgeschlossen, daß Deutschland — gleich den unseligen Raubstaaten — an der militärische" Intervention gegen das Räterußland für eigene Rechnung teilniniw - Was Deutschland zu dieser Unternehmung liefern kann, ist zweifellos ein genügende Heeresmacht zum Vorstoß gegen die Räteregierung, wie auch ^ Teil der Produktionsmittel und der intellektuellen Kräfte zur Hebung de Produktion in Nußland. Die Finanzierung des Vorstoßes muß aber unbeding von der Entente ausgehen, wenn nicht anders, dann in Form einer VerrechnnN» auf die Kriegsentschädigung. Hätte Deutschland den Kampf gegen den Bolschewismus für eigen Rechnung zu führen, dann müßte es — zwar langsamer, aber ebenso sich zusammenbrechen wie Estland, Lettland, Ukraine und wohl auch P"l^ Kommt es nicht zu einer solchen Verständigung, so nehme ich an, daß DeuM land sich zunächst auf einen passiven Widerstand einrichten wird. Wie lang es ihn führen kann, wenn einerseits die durch die Entente gestärkte Na

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/308>, abgerufen am 24.08.2024.