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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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der West- und mitteleuropäischen Völker von den gewaltigen asiatischen Länder¬
und Völkermassen, über die wir wohl mehr oder weniger genau unterrichtet
waren, die uns aber doch fern erschienen, trotz vieler geschichtlicher, wirtschaft¬
licher und politischer Verknüpfungen, fern wie eine andere Welt. Und die
asiatischen Völker erkannten die kulturelle, geistige und wirtschaftliche Vor¬
herrschaft der westlich der russischen Grenzen die europäischen Vorländer Asiens
bewohnenden Völker an und mußten sich vielfach, willig oder widerstrebend,
ihrem politischen und wirtschaftlichen Imperialismus beugen.

Im Weltkriege zerfleischten sich die europäischen Nationen. Und der
Nimbus der Überlegenheit der europäischen Kultur und Zivilisation ging unter
in den Kämpfen des Weltkrieges, vor denen, die ihn aus der Ferne betrachteten,
vor denen, die aus Vorder- und Hinterindien als englische und französische
Hilfstruppen in dem ihnen unverständlichen Kampf gegen Mitteleuropa ihr
Leben einsetzten, vor denen, die aus den weiten Landstrichen Sibiriens und
Transkaspiens unter dem Befehl des Zaren gegen Deutschland und Österreich-
Ungarn heranfluteten, vor denen, die den Mitteleuropäer geächtet sahen von
Franzosen und Engländern in allen Teilen Asiens, wo man bis dahin die
Europäer, trotz allem, als etwas Einheitliches, als Vertreter höheren Menschen¬
tums zu betrachten gewohnt war. Und überallhin drang die Propaganda gegen
Deutschland, die blutige, verleumderische Hetze, der Schrei vom verletzten
Völkerrecht, von der Freiheit und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Und in Rußland erhob sich in grauenhafter Reaktion gegen die ungesunde,
kranke Zarenherrschaft der Kommunismus mit neuen Lehren, die Befreiung
von überlieferter Unfreiheit und altem Joch verhießen. Den Kapitalismus im
eigenen Volke und dann in der ganzen Welt zu überwinden, war das Ziel der
neuen Lehre.

Der Kapitalismus aber ist der Vater des Imperialismus unserer Zeit.
Und so wandte sich der Bolschewismus nicht allein gegen die durch den Kapita¬
lismus bedingte gesellschaftliche Gestaltung der zivilisierten Völker, mehr und
mehr wurde er, von den Siegern im Weltkriege bekämpft, zum Todfeinde des
von diesen vertretenen Imperialismus, zum Bundesgenossen aller asiatischen
Völker, die unter dem imperialistischen Joch europäischer Staaten seufzten.

Unterschiede des Glaubens und der Nationalität traten zurück gegenüber
der neuen Lehre, die sich an die breiten Massen aller Länder gleichmüßig wendet.
Und wo wie im Islam das kommunistische Evangelium als Grundlage einer
neuen Gesellschaftsordnung keinen Boden findet, da wirkt es nicht weniger
stark in seinem Streben nach Befreiung der Völker vom europäisch-imperialisti¬
schen Joch. Das zaristische Rußland wollte sich einst in seinem Drang zum Meer
Indien, Persien und die Türkei unterwerfen, das kommunistische Rußland nimmt
die überlieferte Feindschaft gegen England wieder auf, sucht aber in diesem
Gedanken und mit diesem Ziel den Weg zum Meer im Zusammenschluß mit den
Völkern des asiatischen Festlandes und strebt einen asiatischen Imperialismus
an, der sich unmittelbar gegen den englischen Imperialismus richtet, der im
Gedanken der Weltrevolution Europa mit Asien vereinen, es in einem neuen
großen asiatischen Gedanken aufgehen lassen will.


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der West- und mitteleuropäischen Völker von den gewaltigen asiatischen Länder¬
und Völkermassen, über die wir wohl mehr oder weniger genau unterrichtet
waren, die uns aber doch fern erschienen, trotz vieler geschichtlicher, wirtschaft¬
licher und politischer Verknüpfungen, fern wie eine andere Welt. Und die
asiatischen Völker erkannten die kulturelle, geistige und wirtschaftliche Vor¬
herrschaft der westlich der russischen Grenzen die europäischen Vorländer Asiens
bewohnenden Völker an und mußten sich vielfach, willig oder widerstrebend,
ihrem politischen und wirtschaftlichen Imperialismus beugen.

Im Weltkriege zerfleischten sich die europäischen Nationen. Und der
Nimbus der Überlegenheit der europäischen Kultur und Zivilisation ging unter
in den Kämpfen des Weltkrieges, vor denen, die ihn aus der Ferne betrachteten,
vor denen, die aus Vorder- und Hinterindien als englische und französische
Hilfstruppen in dem ihnen unverständlichen Kampf gegen Mitteleuropa ihr
Leben einsetzten, vor denen, die aus den weiten Landstrichen Sibiriens und
Transkaspiens unter dem Befehl des Zaren gegen Deutschland und Österreich-
Ungarn heranfluteten, vor denen, die den Mitteleuropäer geächtet sahen von
Franzosen und Engländern in allen Teilen Asiens, wo man bis dahin die
Europäer, trotz allem, als etwas Einheitliches, als Vertreter höheren Menschen¬
tums zu betrachten gewohnt war. Und überallhin drang die Propaganda gegen
Deutschland, die blutige, verleumderische Hetze, der Schrei vom verletzten
Völkerrecht, von der Freiheit und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Und in Rußland erhob sich in grauenhafter Reaktion gegen die ungesunde,
kranke Zarenherrschaft der Kommunismus mit neuen Lehren, die Befreiung
von überlieferter Unfreiheit und altem Joch verhießen. Den Kapitalismus im
eigenen Volke und dann in der ganzen Welt zu überwinden, war das Ziel der
neuen Lehre.

Der Kapitalismus aber ist der Vater des Imperialismus unserer Zeit.
Und so wandte sich der Bolschewismus nicht allein gegen die durch den Kapita¬
lismus bedingte gesellschaftliche Gestaltung der zivilisierten Völker, mehr und
mehr wurde er, von den Siegern im Weltkriege bekämpft, zum Todfeinde des
von diesen vertretenen Imperialismus, zum Bundesgenossen aller asiatischen
Völker, die unter dem imperialistischen Joch europäischer Staaten seufzten.

Unterschiede des Glaubens und der Nationalität traten zurück gegenüber
der neuen Lehre, die sich an die breiten Massen aller Länder gleichmüßig wendet.
Und wo wie im Islam das kommunistische Evangelium als Grundlage einer
neuen Gesellschaftsordnung keinen Boden findet, da wirkt es nicht weniger
stark in seinem Streben nach Befreiung der Völker vom europäisch-imperialisti¬
schen Joch. Das zaristische Rußland wollte sich einst in seinem Drang zum Meer
Indien, Persien und die Türkei unterwerfen, das kommunistische Rußland nimmt
die überlieferte Feindschaft gegen England wieder auf, sucht aber in diesem
Gedanken und mit diesem Ziel den Weg zum Meer im Zusammenschluß mit den
Völkern des asiatischen Festlandes und strebt einen asiatischen Imperialismus
an, der sich unmittelbar gegen den englischen Imperialismus richtet, der im
Gedanken der Weltrevolution Europa mit Asien vereinen, es in einem neuen
großen asiatischen Gedanken aufgehen lassen will.


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[0103] pas asiatische Problem der West- und mitteleuropäischen Völker von den gewaltigen asiatischen Länder¬ und Völkermassen, über die wir wohl mehr oder weniger genau unterrichtet waren, die uns aber doch fern erschienen, trotz vieler geschichtlicher, wirtschaft¬ licher und politischer Verknüpfungen, fern wie eine andere Welt. Und die asiatischen Völker erkannten die kulturelle, geistige und wirtschaftliche Vor¬ herrschaft der westlich der russischen Grenzen die europäischen Vorländer Asiens bewohnenden Völker an und mußten sich vielfach, willig oder widerstrebend, ihrem politischen und wirtschaftlichen Imperialismus beugen. Im Weltkriege zerfleischten sich die europäischen Nationen. Und der Nimbus der Überlegenheit der europäischen Kultur und Zivilisation ging unter in den Kämpfen des Weltkrieges, vor denen, die ihn aus der Ferne betrachteten, vor denen, die aus Vorder- und Hinterindien als englische und französische Hilfstruppen in dem ihnen unverständlichen Kampf gegen Mitteleuropa ihr Leben einsetzten, vor denen, die aus den weiten Landstrichen Sibiriens und Transkaspiens unter dem Befehl des Zaren gegen Deutschland und Österreich- Ungarn heranfluteten, vor denen, die den Mitteleuropäer geächtet sahen von Franzosen und Engländern in allen Teilen Asiens, wo man bis dahin die Europäer, trotz allem, als etwas Einheitliches, als Vertreter höheren Menschen¬ tums zu betrachten gewohnt war. Und überallhin drang die Propaganda gegen Deutschland, die blutige, verleumderische Hetze, der Schrei vom verletzten Völkerrecht, von der Freiheit und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und in Rußland erhob sich in grauenhafter Reaktion gegen die ungesunde, kranke Zarenherrschaft der Kommunismus mit neuen Lehren, die Befreiung von überlieferter Unfreiheit und altem Joch verhießen. Den Kapitalismus im eigenen Volke und dann in der ganzen Welt zu überwinden, war das Ziel der neuen Lehre. Der Kapitalismus aber ist der Vater des Imperialismus unserer Zeit. Und so wandte sich der Bolschewismus nicht allein gegen die durch den Kapita¬ lismus bedingte gesellschaftliche Gestaltung der zivilisierten Völker, mehr und mehr wurde er, von den Siegern im Weltkriege bekämpft, zum Todfeinde des von diesen vertretenen Imperialismus, zum Bundesgenossen aller asiatischen Völker, die unter dem imperialistischen Joch europäischer Staaten seufzten. Unterschiede des Glaubens und der Nationalität traten zurück gegenüber der neuen Lehre, die sich an die breiten Massen aller Länder gleichmüßig wendet. Und wo wie im Islam das kommunistische Evangelium als Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung keinen Boden findet, da wirkt es nicht weniger stark in seinem Streben nach Befreiung der Völker vom europäisch-imperialisti¬ schen Joch. Das zaristische Rußland wollte sich einst in seinem Drang zum Meer Indien, Persien und die Türkei unterwerfen, das kommunistische Rußland nimmt die überlieferte Feindschaft gegen England wieder auf, sucht aber in diesem Gedanken und mit diesem Ziel den Weg zum Meer im Zusammenschluß mit den Völkern des asiatischen Festlandes und strebt einen asiatischen Imperialismus an, der sich unmittelbar gegen den englischen Imperialismus richtet, der im Gedanken der Weltrevolution Europa mit Asien vereinen, es in einem neuen großen asiatischen Gedanken aufgehen lassen will.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/103>, abgerufen am 01.07.2024.