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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

habe auf seiner Reise nach Rom sich der höflichsten Behandlung zu erfreuen
gehabt. Die PostVerhältnisse seien die denkbar besten, die Art, wie man vati¬
kanische Sendungen behandelt, geradezu zuvorkommend. Die Negierung tue
sicherlich alles, um Beschwerden der Kurie vorzubeugen.




Mein Gewährsmann hat aus den Unterredungen, die er in Rom gehabt
hat. die Überzeugung gewonnen, daß der Papst dahin informiert ist, daß England
nul keinen Preis einem Frieden zustimmen wird, der nicht die Retablierung
Belgiens in sich begreift, und daß infolge des starken Druckes, hauptsächlich
finanzieller Natur, den England auf seine Verbündeten ausübt, der Gedanke an
die Möglichkeit des Abschlusses separierter Frieden ausgeschlossen ist.




Bern, den 15. August 1915

Der belgische Gesandte, der persönlich ein verständiger und ruhig denkender
Mann ist, ist, wie ich von einem ihm nahestehenden Diplomaten höre, überzeugt,
daß die Entente keinen Frieden machen wird, der nicht die vollständige Wieder¬
herstellung Belgiens in sich begreift. Weder in Paris noch in London, weder in
Rom noch in Se. Petersburg denke man an einen Separatfrieden. Wenn
man auch zu der Einsicht gekommen sei, daß man sich in der militärischen
Leistungsfähigkeit der Zentralmächte, insbesondere in jener Deutschlands, nur zu
sehr getäuscht habe, so sei man ebenso sicher überzeugt, daß Deutschland sich wirt¬
schaftlich zu Tode siegen werde. Der Kampf gelte dem im Deutschen Reich ver¬
körperten System. Es sei das gemeinsame Interesse der Vierverbandsmächte und
sogar, wie der belgische Gesandte betonte, der meisten neutralen Staaten, daß
eine bis an die Zähne bewaffnete Nation von siebenzig Millionen nicht in alle
Zukunft die Ruhe und den Frieden der Welt bedrohe. Korne man Deutschland
im ersten Jahre nicht militärisch niederringen, so werde man es im zweiten oder
dritten Jahre wirtschaftlich desto sicherer vernichten. Das Deutsche Reich setze
jetzt, wie ein Spieler, nach, und nach sein ganzes Vermögen zu, ohne ernsthaft
mit der Möglichkeit eines seinerzeitigen Nückersatzes seiner für den Krieg gemachten
Auslagen rechnen zu können.




Im weiteren Verlaufe unserer Unterredung erörterte Mons. S. . . , auch
die innerpolitische Lage Italiens, über die er erst in den jüngsten Tagen durch
kuriale Vertrauensmänner eingehend unterrichtet worden ist. Nach diesen Nach¬
richten hebt sich, hauptsächlich auf Grund der Siegesbulletins Cadornas, denen
vollster Glaube beigemessen werde, sowie durch die geschickte Preßmache der
Regierung die Stimmung im Lande zusehends. Der Kampfgeist der Armee ist
erheblich gestiegen, sie rechnet zuversichtlich auf einen siegreichen Ausgang des
Feldzuges. Die großen Verluste auf den Schlachtfeldern hätten keineswegs Er¬
nüchterung, sondern eher Gefühle der Wiedervergeltung hervorgerufen. Das Land
sei ruhig und fest in der Hand der Regierung, insbesondere herrsche viel größere
Ordnung als in Friedenszeiten. Irgend welche Strömungen, die auf eine Be-


Grenzbotm II 1920 ^
Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

habe auf seiner Reise nach Rom sich der höflichsten Behandlung zu erfreuen
gehabt. Die PostVerhältnisse seien die denkbar besten, die Art, wie man vati¬
kanische Sendungen behandelt, geradezu zuvorkommend. Die Negierung tue
sicherlich alles, um Beschwerden der Kurie vorzubeugen.




Mein Gewährsmann hat aus den Unterredungen, die er in Rom gehabt
hat. die Überzeugung gewonnen, daß der Papst dahin informiert ist, daß England
nul keinen Preis einem Frieden zustimmen wird, der nicht die Retablierung
Belgiens in sich begreift, und daß infolge des starken Druckes, hauptsächlich
finanzieller Natur, den England auf seine Verbündeten ausübt, der Gedanke an
die Möglichkeit des Abschlusses separierter Frieden ausgeschlossen ist.




Bern, den 15. August 1915

Der belgische Gesandte, der persönlich ein verständiger und ruhig denkender
Mann ist, ist, wie ich von einem ihm nahestehenden Diplomaten höre, überzeugt,
daß die Entente keinen Frieden machen wird, der nicht die vollständige Wieder¬
herstellung Belgiens in sich begreift. Weder in Paris noch in London, weder in
Rom noch in Se. Petersburg denke man an einen Separatfrieden. Wenn
man auch zu der Einsicht gekommen sei, daß man sich in der militärischen
Leistungsfähigkeit der Zentralmächte, insbesondere in jener Deutschlands, nur zu
sehr getäuscht habe, so sei man ebenso sicher überzeugt, daß Deutschland sich wirt¬
schaftlich zu Tode siegen werde. Der Kampf gelte dem im Deutschen Reich ver¬
körperten System. Es sei das gemeinsame Interesse der Vierverbandsmächte und
sogar, wie der belgische Gesandte betonte, der meisten neutralen Staaten, daß
eine bis an die Zähne bewaffnete Nation von siebenzig Millionen nicht in alle
Zukunft die Ruhe und den Frieden der Welt bedrohe. Korne man Deutschland
im ersten Jahre nicht militärisch niederringen, so werde man es im zweiten oder
dritten Jahre wirtschaftlich desto sicherer vernichten. Das Deutsche Reich setze
jetzt, wie ein Spieler, nach, und nach sein ganzes Vermögen zu, ohne ernsthaft
mit der Möglichkeit eines seinerzeitigen Nückersatzes seiner für den Krieg gemachten
Auslagen rechnen zu können.




Im weiteren Verlaufe unserer Unterredung erörterte Mons. S. . . , auch
die innerpolitische Lage Italiens, über die er erst in den jüngsten Tagen durch
kuriale Vertrauensmänner eingehend unterrichtet worden ist. Nach diesen Nach¬
richten hebt sich, hauptsächlich auf Grund der Siegesbulletins Cadornas, denen
vollster Glaube beigemessen werde, sowie durch die geschickte Preßmache der
Regierung die Stimmung im Lande zusehends. Der Kampfgeist der Armee ist
erheblich gestiegen, sie rechnet zuversichtlich auf einen siegreichen Ausgang des
Feldzuges. Die großen Verluste auf den Schlachtfeldern hätten keineswegs Er¬
nüchterung, sondern eher Gefühle der Wiedervergeltung hervorgerufen. Das Land
sei ruhig und fest in der Hand der Regierung, insbesondere herrsche viel größere
Ordnung als in Friedenszeiten. Irgend welche Strömungen, die auf eine Be-


Grenzbotm II 1920 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/351>, abgerufen am 26.06.2024.