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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Aappsche Abenteuer

ihr begeistert zufiel, nimmt nicht Wunder. Hatte sich doch dies vom Mutter¬
körper abgetrennte Glied von der alten Negierung zurückgesetzt, ja verlassen
gefühlt. Die ganzen Hoffnungen des schwergeprüften Deutschtums im Osten
jubclien dem scheinbar neu entstehenden Schwarzweißrot entgegen, und so ist
dann später auf den schmählichen Zusammenbruch dieser Hoffnungen eine
grenzenlose Erbitterung gefolgt, die sich vereinzelt bis zu LoZIösungswünschen
verdichtete.

Der Lüttwitzkonzern aber glaubte, mit krampfhaftem Schönfärben der wahren
Verhältnisse in der Reichswehr, dem Bürgertum und der Arbeiterschaft, daß er.
gestützt auf Ostdeutschland, in einer phantastischen Erinnerung an 1"13 die
Nation "befreien" könne, nicht allerdings von einer Fremdherrschaft, sondern
von den "Schiebern, Parlamentariern" usw. Sie drängten Kapp zum Durch¬
halten, und es ist ihnen auch gelungen für ein oder zwei Tage den gegenteiligen
Einfluß der Herren des Neichswehrministcriums zu lähmen.

In der Pressesitzung, welche am Sonntag vormittag im Pfeilersaal der
Reichskanzlei stattfand, war am Verhalten der anwesenden Journalisten ebenso wi e
an der mangelhaften Regie und den verlegenen, inhaltsleeren Worten des per¬
sönlich erschienenen "Reichskanzlers" Kapp deutlich zu spüren, daß der Respekt,
den der Anschein einer Militärdiktatur am ersten Tage noch erweckt hatte, rasch
im Verbleichen war.

Eine Kabinettsbildung kam überhaupt nicht zustande. Die paar per¬
sönlichen Freunde Kapps, die sich wie Dr. Schiele, v. Falkenhausen, Traub,
trotzdem sie den Pulses verurteilten, nunmehr opferten, indem sie eine Art
Staatsrat bildeten, konnten und wollten nicht als Negierung angesprochen
werden. Alle namhafterer Politiker der Rechten, die um Hilfe angegangen
wurden, winkten deutlich ab. Auch das Einspringen des energischen Herrn
v. Jagow, der sich seinerzeit als Polizeipräsident von Berlin trotz oder gerade
wegen seiner Junkernase einer eigentümlichen Volkstümlichkeit erfreut hatte,
konnte am jetzigen Tage nichts verbessern. Seit Sonnabend abend war der
Streik als eine gewaltige Macht in Erscheinung getreten, heraufbeschworen durch
jene Flugblätter, welche die gefälschte Unterschrist von Ebert und Roste trugen.
Obwohl in vielen Arbeiterkreisen Streikmüdigkeit herrschte, wurde es ihren
Führern leicht, sie mitzureißen, da die bis zur äußersten Rechten aufflammende
Entrüstung über Kapps Torenstreich von der Negierung noch angeblasen
wurde. Die unheimlich prompte Durchführung des Streiks, der Stillstand
der Verkehrsmittel, das Nichterscheinen von Zeitungen in einem so von Gerüchten
und Nerven erfüllten Zeitpunkt wirkte stärker auf die Stimmung, als die Stahl¬
helme und Maschinengewehre. Vergeblich spielten die Militärkapellen in der nicht
sonntäglich, sondern trotzig feiernden Stadt; spärlich begrüßt und viel verwünscht
zogen die stolzen Bauernjungen der einrückenden Regimenter im strammen alten
Tritt der kaiserlichen Zeit, mit Blumen im Knopfloch und auf den Bajonetten,
durch die Straßen Berlins. Streikaufrufe der Demokraten und Sozialisten


Das Aappsche Abenteuer

ihr begeistert zufiel, nimmt nicht Wunder. Hatte sich doch dies vom Mutter¬
körper abgetrennte Glied von der alten Negierung zurückgesetzt, ja verlassen
gefühlt. Die ganzen Hoffnungen des schwergeprüften Deutschtums im Osten
jubclien dem scheinbar neu entstehenden Schwarzweißrot entgegen, und so ist
dann später auf den schmählichen Zusammenbruch dieser Hoffnungen eine
grenzenlose Erbitterung gefolgt, die sich vereinzelt bis zu LoZIösungswünschen
verdichtete.

Der Lüttwitzkonzern aber glaubte, mit krampfhaftem Schönfärben der wahren
Verhältnisse in der Reichswehr, dem Bürgertum und der Arbeiterschaft, daß er.
gestützt auf Ostdeutschland, in einer phantastischen Erinnerung an 1»13 die
Nation „befreien" könne, nicht allerdings von einer Fremdherrschaft, sondern
von den „Schiebern, Parlamentariern" usw. Sie drängten Kapp zum Durch¬
halten, und es ist ihnen auch gelungen für ein oder zwei Tage den gegenteiligen
Einfluß der Herren des Neichswehrministcriums zu lähmen.

In der Pressesitzung, welche am Sonntag vormittag im Pfeilersaal der
Reichskanzlei stattfand, war am Verhalten der anwesenden Journalisten ebenso wi e
an der mangelhaften Regie und den verlegenen, inhaltsleeren Worten des per¬
sönlich erschienenen „Reichskanzlers" Kapp deutlich zu spüren, daß der Respekt,
den der Anschein einer Militärdiktatur am ersten Tage noch erweckt hatte, rasch
im Verbleichen war.

Eine Kabinettsbildung kam überhaupt nicht zustande. Die paar per¬
sönlichen Freunde Kapps, die sich wie Dr. Schiele, v. Falkenhausen, Traub,
trotzdem sie den Pulses verurteilten, nunmehr opferten, indem sie eine Art
Staatsrat bildeten, konnten und wollten nicht als Negierung angesprochen
werden. Alle namhafterer Politiker der Rechten, die um Hilfe angegangen
wurden, winkten deutlich ab. Auch das Einspringen des energischen Herrn
v. Jagow, der sich seinerzeit als Polizeipräsident von Berlin trotz oder gerade
wegen seiner Junkernase einer eigentümlichen Volkstümlichkeit erfreut hatte,
konnte am jetzigen Tage nichts verbessern. Seit Sonnabend abend war der
Streik als eine gewaltige Macht in Erscheinung getreten, heraufbeschworen durch
jene Flugblätter, welche die gefälschte Unterschrist von Ebert und Roste trugen.
Obwohl in vielen Arbeiterkreisen Streikmüdigkeit herrschte, wurde es ihren
Führern leicht, sie mitzureißen, da die bis zur äußersten Rechten aufflammende
Entrüstung über Kapps Torenstreich von der Negierung noch angeblasen
wurde. Die unheimlich prompte Durchführung des Streiks, der Stillstand
der Verkehrsmittel, das Nichterscheinen von Zeitungen in einem so von Gerüchten
und Nerven erfüllten Zeitpunkt wirkte stärker auf die Stimmung, als die Stahl¬
helme und Maschinengewehre. Vergeblich spielten die Militärkapellen in der nicht
sonntäglich, sondern trotzig feiernden Stadt; spärlich begrüßt und viel verwünscht
zogen die stolzen Bauernjungen der einrückenden Regimenter im strammen alten
Tritt der kaiserlichen Zeit, mit Blumen im Knopfloch und auf den Bajonetten,
durch die Straßen Berlins. Streikaufrufe der Demokraten und Sozialisten


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[0348] Das Aappsche Abenteuer ihr begeistert zufiel, nimmt nicht Wunder. Hatte sich doch dies vom Mutter¬ körper abgetrennte Glied von der alten Negierung zurückgesetzt, ja verlassen gefühlt. Die ganzen Hoffnungen des schwergeprüften Deutschtums im Osten jubclien dem scheinbar neu entstehenden Schwarzweißrot entgegen, und so ist dann später auf den schmählichen Zusammenbruch dieser Hoffnungen eine grenzenlose Erbitterung gefolgt, die sich vereinzelt bis zu LoZIösungswünschen verdichtete. Der Lüttwitzkonzern aber glaubte, mit krampfhaftem Schönfärben der wahren Verhältnisse in der Reichswehr, dem Bürgertum und der Arbeiterschaft, daß er. gestützt auf Ostdeutschland, in einer phantastischen Erinnerung an 1»13 die Nation „befreien" könne, nicht allerdings von einer Fremdherrschaft, sondern von den „Schiebern, Parlamentariern" usw. Sie drängten Kapp zum Durch¬ halten, und es ist ihnen auch gelungen für ein oder zwei Tage den gegenteiligen Einfluß der Herren des Neichswehrministcriums zu lähmen. In der Pressesitzung, welche am Sonntag vormittag im Pfeilersaal der Reichskanzlei stattfand, war am Verhalten der anwesenden Journalisten ebenso wi e an der mangelhaften Regie und den verlegenen, inhaltsleeren Worten des per¬ sönlich erschienenen „Reichskanzlers" Kapp deutlich zu spüren, daß der Respekt, den der Anschein einer Militärdiktatur am ersten Tage noch erweckt hatte, rasch im Verbleichen war. Eine Kabinettsbildung kam überhaupt nicht zustande. Die paar per¬ sönlichen Freunde Kapps, die sich wie Dr. Schiele, v. Falkenhausen, Traub, trotzdem sie den Pulses verurteilten, nunmehr opferten, indem sie eine Art Staatsrat bildeten, konnten und wollten nicht als Negierung angesprochen werden. Alle namhafterer Politiker der Rechten, die um Hilfe angegangen wurden, winkten deutlich ab. Auch das Einspringen des energischen Herrn v. Jagow, der sich seinerzeit als Polizeipräsident von Berlin trotz oder gerade wegen seiner Junkernase einer eigentümlichen Volkstümlichkeit erfreut hatte, konnte am jetzigen Tage nichts verbessern. Seit Sonnabend abend war der Streik als eine gewaltige Macht in Erscheinung getreten, heraufbeschworen durch jene Flugblätter, welche die gefälschte Unterschrist von Ebert und Roste trugen. Obwohl in vielen Arbeiterkreisen Streikmüdigkeit herrschte, wurde es ihren Führern leicht, sie mitzureißen, da die bis zur äußersten Rechten aufflammende Entrüstung über Kapps Torenstreich von der Negierung noch angeblasen wurde. Die unheimlich prompte Durchführung des Streiks, der Stillstand der Verkehrsmittel, das Nichterscheinen von Zeitungen in einem so von Gerüchten und Nerven erfüllten Zeitpunkt wirkte stärker auf die Stimmung, als die Stahl¬ helme und Maschinengewehre. Vergeblich spielten die Militärkapellen in der nicht sonntäglich, sondern trotzig feiernden Stadt; spärlich begrüßt und viel verwünscht zogen die stolzen Bauernjungen der einrückenden Regimenter im strammen alten Tritt der kaiserlichen Zeit, mit Blumen im Knopfloch und auf den Bajonetten, durch die Straßen Berlins. Streikaufrufe der Demokraten und Sozialisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/348>, abgerufen am 30.12.2024.