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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Uapxsche Abenteuer

sammengebrochen ist. Trotzdem lag es nahe, daß die Negierung die An¬
wendung des Generalstreiks in Erwägung zog. Hätte sie ihn aber beschlossen,
so war hier besondere Staatskunst nötig. Sie durste ihn keinesfalls zu einer
Generalhetze gegen Armee und Teile des Bürgertums ausarten lassen, falls
sie dazu auslief. Das Aufputschen der Volksmassen ist eine Waffe, die ihren
eigenen Herrn schlägt. Einem untergeordneten Organ der Regierung ist es vor¬
behalten geblieben, vor der Weltgeschichte die Verantwortung für den General¬
streik zu tragen. Der Pressechef des Reichskanzlers Ulrich Rauscher wagte
es, Flugblätter, die zum Generalstreik aufforderten, herauszugeben mit der
Unterschrift Eberts und Rostes, die später erklärten, keine Ermächtigung dazu
gegeben zu haben. Dies Verbrechen am deutschen Volke dürfte mit der Auf¬
regung des Augenblickes nicht völlig entschuldigt werden loi.nen. Sie erschraken
selbst vor den Geistern, die ihr Zauberlehrling gerufen hatte.

Neben Pabst und Genossen hat Ulrich Rauscher seinen geschichtlichen
Platz als ein Beispiel verirrten Parteigeistes. .Sem Schritt hatte unmittelbar
die schädlichsten Folgen. Wenn die Regierung selbst einen solchen Schritt für
richtig gehalten hätte, so würde sie ihn auf die Absperrung Berlins beschränkt
haben. Rauschers dreiste Tat entzündete den Generalstreik an allen Ecken und
Enden Deutschlands, sogar an? späteren Sitze der alten Regierung in Stuttgart,
peitschte die kaum erst gebändigten Leidenschaften und Erwartungen der Massen
empor und rief die rote Armee auf den Plan. Brandfackel war gegen Brand-
fackel geworfen.

Unter den Truppen, die auf Berlin marschierten, befand sich kaum
Reichswehr, so wie sich unter den Verschwörern kaum aktive Offiziere be¬
funden hatten.

Nicht in Siegesstimmnng, sondern gedrückt und schweren Herzens über
das verfrühte und mangelhaft organisierte Unternehmen schlugen Kapp und
Lüttwitz los. Ihre Pläne waren über sie selbst hinausgegangen.


II.

Die militärisch glatte Eroberung Berlins war die selbstverständliche Folge
des Befehls der entwichenen Regierung, daß kein Widerstand geleistet werden
solle. Wie es morgens in der Stadt hieß, fiel in der ganzen Nacht nur ein
einziger Schuß, ein Signal, auf welches die Verteidiger Berlins abgeschwenkt
sein sollen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Die militärische Einführung der Diktatur Kapp-Lüttwitz mußte infolge¬
dessen dem Gefühl der überrumpelten Berliner Bevölkerung zunächst imponieren.
Der Bürger, der ahnungslos unter einer neuen Regierung aufgewacht war
und der gewohnheitsmäßig die militärische Machtentfaltung als Ausstrahlung
der obersten Staatsautorität ansah, konnte niet)t wissen, wie dürftig in Wirklich-


Das Uapxsche Abenteuer

sammengebrochen ist. Trotzdem lag es nahe, daß die Negierung die An¬
wendung des Generalstreiks in Erwägung zog. Hätte sie ihn aber beschlossen,
so war hier besondere Staatskunst nötig. Sie durste ihn keinesfalls zu einer
Generalhetze gegen Armee und Teile des Bürgertums ausarten lassen, falls
sie dazu auslief. Das Aufputschen der Volksmassen ist eine Waffe, die ihren
eigenen Herrn schlägt. Einem untergeordneten Organ der Regierung ist es vor¬
behalten geblieben, vor der Weltgeschichte die Verantwortung für den General¬
streik zu tragen. Der Pressechef des Reichskanzlers Ulrich Rauscher wagte
es, Flugblätter, die zum Generalstreik aufforderten, herauszugeben mit der
Unterschrift Eberts und Rostes, die später erklärten, keine Ermächtigung dazu
gegeben zu haben. Dies Verbrechen am deutschen Volke dürfte mit der Auf¬
regung des Augenblickes nicht völlig entschuldigt werden loi.nen. Sie erschraken
selbst vor den Geistern, die ihr Zauberlehrling gerufen hatte.

Neben Pabst und Genossen hat Ulrich Rauscher seinen geschichtlichen
Platz als ein Beispiel verirrten Parteigeistes. .Sem Schritt hatte unmittelbar
die schädlichsten Folgen. Wenn die Regierung selbst einen solchen Schritt für
richtig gehalten hätte, so würde sie ihn auf die Absperrung Berlins beschränkt
haben. Rauschers dreiste Tat entzündete den Generalstreik an allen Ecken und
Enden Deutschlands, sogar an? späteren Sitze der alten Regierung in Stuttgart,
peitschte die kaum erst gebändigten Leidenschaften und Erwartungen der Massen
empor und rief die rote Armee auf den Plan. Brandfackel war gegen Brand-
fackel geworfen.

Unter den Truppen, die auf Berlin marschierten, befand sich kaum
Reichswehr, so wie sich unter den Verschwörern kaum aktive Offiziere be¬
funden hatten.

Nicht in Siegesstimmnng, sondern gedrückt und schweren Herzens über
das verfrühte und mangelhaft organisierte Unternehmen schlugen Kapp und
Lüttwitz los. Ihre Pläne waren über sie selbst hinausgegangen.


II.

Die militärisch glatte Eroberung Berlins war die selbstverständliche Folge
des Befehls der entwichenen Regierung, daß kein Widerstand geleistet werden
solle. Wie es morgens in der Stadt hieß, fiel in der ganzen Nacht nur ein
einziger Schuß, ein Signal, auf welches die Verteidiger Berlins abgeschwenkt
sein sollen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Die militärische Einführung der Diktatur Kapp-Lüttwitz mußte infolge¬
dessen dem Gefühl der überrumpelten Berliner Bevölkerung zunächst imponieren.
Der Bürger, der ahnungslos unter einer neuen Regierung aufgewacht war
und der gewohnheitsmäßig die militärische Machtentfaltung als Ausstrahlung
der obersten Staatsautorität ansah, konnte niet)t wissen, wie dürftig in Wirklich-


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[0342] Das Uapxsche Abenteuer sammengebrochen ist. Trotzdem lag es nahe, daß die Negierung die An¬ wendung des Generalstreiks in Erwägung zog. Hätte sie ihn aber beschlossen, so war hier besondere Staatskunst nötig. Sie durste ihn keinesfalls zu einer Generalhetze gegen Armee und Teile des Bürgertums ausarten lassen, falls sie dazu auslief. Das Aufputschen der Volksmassen ist eine Waffe, die ihren eigenen Herrn schlägt. Einem untergeordneten Organ der Regierung ist es vor¬ behalten geblieben, vor der Weltgeschichte die Verantwortung für den General¬ streik zu tragen. Der Pressechef des Reichskanzlers Ulrich Rauscher wagte es, Flugblätter, die zum Generalstreik aufforderten, herauszugeben mit der Unterschrift Eberts und Rostes, die später erklärten, keine Ermächtigung dazu gegeben zu haben. Dies Verbrechen am deutschen Volke dürfte mit der Auf¬ regung des Augenblickes nicht völlig entschuldigt werden loi.nen. Sie erschraken selbst vor den Geistern, die ihr Zauberlehrling gerufen hatte. Neben Pabst und Genossen hat Ulrich Rauscher seinen geschichtlichen Platz als ein Beispiel verirrten Parteigeistes. .Sem Schritt hatte unmittelbar die schädlichsten Folgen. Wenn die Regierung selbst einen solchen Schritt für richtig gehalten hätte, so würde sie ihn auf die Absperrung Berlins beschränkt haben. Rauschers dreiste Tat entzündete den Generalstreik an allen Ecken und Enden Deutschlands, sogar an? späteren Sitze der alten Regierung in Stuttgart, peitschte die kaum erst gebändigten Leidenschaften und Erwartungen der Massen empor und rief die rote Armee auf den Plan. Brandfackel war gegen Brand- fackel geworfen. Unter den Truppen, die auf Berlin marschierten, befand sich kaum Reichswehr, so wie sich unter den Verschwörern kaum aktive Offiziere be¬ funden hatten. Nicht in Siegesstimmnng, sondern gedrückt und schweren Herzens über das verfrühte und mangelhaft organisierte Unternehmen schlugen Kapp und Lüttwitz los. Ihre Pläne waren über sie selbst hinausgegangen. II. Die militärisch glatte Eroberung Berlins war die selbstverständliche Folge des Befehls der entwichenen Regierung, daß kein Widerstand geleistet werden solle. Wie es morgens in der Stadt hieß, fiel in der ganzen Nacht nur ein einziger Schuß, ein Signal, auf welches die Verteidiger Berlins abgeschwenkt sein sollen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Die militärische Einführung der Diktatur Kapp-Lüttwitz mußte infolge¬ dessen dem Gefühl der überrumpelten Berliner Bevölkerung zunächst imponieren. Der Bürger, der ahnungslos unter einer neuen Regierung aufgewacht war und der gewohnheitsmäßig die militärische Machtentfaltung als Ausstrahlung der obersten Staatsautorität ansah, konnte niet)t wissen, wie dürftig in Wirklich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/342>, abgerufen am 28.07.2024.