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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Grenzdeutschtnm

Grenzdeutschtum
Max Hildebcrt Bochen von

ils Jahr l9l9 brachte den Frieden als ein Programm, das
nur wenige begriffen. Das neue Jahr, in das wir schweren
Fußes und dunklen Herzens hinüberscbreiten, wird die Verwirk¬
lichung bringen. Und die werden alle begreifen. Das Henkers-
mahl, an dnn unser Volk heule noch praßt und schwelgt, neigt
sich zum Ende. Feinere Ohren hören bereits das Klirren der Guillotine.
Es ist auch metallischer Klang, aber er klingt anders, als die Vielen sich ein
Klingen der Friedensglocken erträumten. Der angelsächsische Tiktatsriede, an
dessen Möglichkeit ihre Träumereien nicht glciublen, wird fürchterlichste Wirk¬
lichkeit. Und es ist Zeit, sich des Wortes eins bekannten Gelehrten zu er¬
innern, der einmal sagte, es falle dem Teutschen leichter, fürs Vaterland zu
sterben, als fürs Vaterland zu leben. Wir Überlebenden der großen Welt¬
katastrophe werden mit anderen Waffen, aber nicht mit geringeren Mühen den
Selbstbehauptuugskampf des Deutschtums in der Welt fortsetzen müssen, den
dieser Friede nicht entschieden hat. nicht entschieden haben darf; denn was ent¬
schieden scheint, das ist allein unser Untergang. Es beginnt das große deutsche
Martyrium, dessen Ende auch wir Jüngeren nicht erleben werden. Schon
drückt und schiebt sich ins Ausland, was in Zeiten des Glanzes an seinem
Deutschtum profitieren wollte. Nicht als Pioniere des Deutschtums ziehen diese
aus, sondern als Abtrünniae, d e ein kleines Rentncrglück. ein jämmerliches
Behagen retten wollen. u> d denen dafür der Preis nationaler Würde und
Verantwortung vor dem Volksganzen nicht zu hoch ist. Was am erkaltenden
Herde des Vaterlandes zurückbleibt, damit die durch Jahrtausende gehegte
Flamme nicht ganz erlischt, das ist werktätiges Volk, mag es am Schraubstock
oder im Kondor, auf weitem Acker oder in enger Schreibstube seines sauren
Werktages Arbeit addieren. Die fmchtbare Tragik aber ist die, daß all dieser
Treuesten und Besten Wirken und Schaffen in erster Linie nicht ihnen und
ihren Kindern und ihrem Volke, sondern denen zugute kommen wird, die wir
auch fortan unsere Feinde nennen müssen, weil nach ihrem Willen der Krieg
nicht beendet, sondern nur in eine andere Form gewandelt wurde. Deutsche
Volksgemeinschaft bleibt auf Jahrzehnte Opfergemeinschaft und Leidens¬
gemeinschaft.

Nur heurte Menschen sind dem Opfer gewachsen. Überall sehen wir die
beginnende Flucht vor dem Leii-er um das Volksganze. Nicht immer zeigt
die Flucht in die Flach-'" pe söulichen Behagens die plumpen Formen äußer¬
licher Genußsucht und Verschwendung. Feinere Naturen verträumen sich etwa
in ein bescheidenes Gailenstadtidyll. Ganz am Rande der freudlosen Zeit
wollen sie sich in ein eng? Familienglück zwischen Erbsen und Reseden ein¬
spinnen und die ganze Welt mit ihren Sorgen und Nöten nach Möglichkeit


Grenzboten I 1S20 2
Grenzdeutschtnm

Grenzdeutschtum
Max Hildebcrt Bochen von

ils Jahr l9l9 brachte den Frieden als ein Programm, das
nur wenige begriffen. Das neue Jahr, in das wir schweren
Fußes und dunklen Herzens hinüberscbreiten, wird die Verwirk¬
lichung bringen. Und die werden alle begreifen. Das Henkers-
mahl, an dnn unser Volk heule noch praßt und schwelgt, neigt
sich zum Ende. Feinere Ohren hören bereits das Klirren der Guillotine.
Es ist auch metallischer Klang, aber er klingt anders, als die Vielen sich ein
Klingen der Friedensglocken erträumten. Der angelsächsische Tiktatsriede, an
dessen Möglichkeit ihre Träumereien nicht glciublen, wird fürchterlichste Wirk¬
lichkeit. Und es ist Zeit, sich des Wortes eins bekannten Gelehrten zu er¬
innern, der einmal sagte, es falle dem Teutschen leichter, fürs Vaterland zu
sterben, als fürs Vaterland zu leben. Wir Überlebenden der großen Welt¬
katastrophe werden mit anderen Waffen, aber nicht mit geringeren Mühen den
Selbstbehauptuugskampf des Deutschtums in der Welt fortsetzen müssen, den
dieser Friede nicht entschieden hat. nicht entschieden haben darf; denn was ent¬
schieden scheint, das ist allein unser Untergang. Es beginnt das große deutsche
Martyrium, dessen Ende auch wir Jüngeren nicht erleben werden. Schon
drückt und schiebt sich ins Ausland, was in Zeiten des Glanzes an seinem
Deutschtum profitieren wollte. Nicht als Pioniere des Deutschtums ziehen diese
aus, sondern als Abtrünniae, d e ein kleines Rentncrglück. ein jämmerliches
Behagen retten wollen. u> d denen dafür der Preis nationaler Würde und
Verantwortung vor dem Volksganzen nicht zu hoch ist. Was am erkaltenden
Herde des Vaterlandes zurückbleibt, damit die durch Jahrtausende gehegte
Flamme nicht ganz erlischt, das ist werktätiges Volk, mag es am Schraubstock
oder im Kondor, auf weitem Acker oder in enger Schreibstube seines sauren
Werktages Arbeit addieren. Die fmchtbare Tragik aber ist die, daß all dieser
Treuesten und Besten Wirken und Schaffen in erster Linie nicht ihnen und
ihren Kindern und ihrem Volke, sondern denen zugute kommen wird, die wir
auch fortan unsere Feinde nennen müssen, weil nach ihrem Willen der Krieg
nicht beendet, sondern nur in eine andere Form gewandelt wurde. Deutsche
Volksgemeinschaft bleibt auf Jahrzehnte Opfergemeinschaft und Leidens¬
gemeinschaft.

Nur heurte Menschen sind dem Opfer gewachsen. Überall sehen wir die
beginnende Flucht vor dem Leii-er um das Volksganze. Nicht immer zeigt
die Flucht in die Flach-'» pe söulichen Behagens die plumpen Formen äußer¬
licher Genußsucht und Verschwendung. Feinere Naturen verträumen sich etwa
in ein bescheidenes Gailenstadtidyll. Ganz am Rande der freudlosen Zeit
wollen sie sich in ein eng? Familienglück zwischen Erbsen und Reseden ein¬
spinnen und die ganze Welt mit ihren Sorgen und Nöten nach Möglichkeit


Grenzboten I 1S20 2
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[0031] Grenzdeutschtnm Grenzdeutschtum Max Hildebcrt Bochen von ils Jahr l9l9 brachte den Frieden als ein Programm, das nur wenige begriffen. Das neue Jahr, in das wir schweren Fußes und dunklen Herzens hinüberscbreiten, wird die Verwirk¬ lichung bringen. Und die werden alle begreifen. Das Henkers- mahl, an dnn unser Volk heule noch praßt und schwelgt, neigt sich zum Ende. Feinere Ohren hören bereits das Klirren der Guillotine. Es ist auch metallischer Klang, aber er klingt anders, als die Vielen sich ein Klingen der Friedensglocken erträumten. Der angelsächsische Tiktatsriede, an dessen Möglichkeit ihre Träumereien nicht glciublen, wird fürchterlichste Wirk¬ lichkeit. Und es ist Zeit, sich des Wortes eins bekannten Gelehrten zu er¬ innern, der einmal sagte, es falle dem Teutschen leichter, fürs Vaterland zu sterben, als fürs Vaterland zu leben. Wir Überlebenden der großen Welt¬ katastrophe werden mit anderen Waffen, aber nicht mit geringeren Mühen den Selbstbehauptuugskampf des Deutschtums in der Welt fortsetzen müssen, den dieser Friede nicht entschieden hat. nicht entschieden haben darf; denn was ent¬ schieden scheint, das ist allein unser Untergang. Es beginnt das große deutsche Martyrium, dessen Ende auch wir Jüngeren nicht erleben werden. Schon drückt und schiebt sich ins Ausland, was in Zeiten des Glanzes an seinem Deutschtum profitieren wollte. Nicht als Pioniere des Deutschtums ziehen diese aus, sondern als Abtrünniae, d e ein kleines Rentncrglück. ein jämmerliches Behagen retten wollen. u> d denen dafür der Preis nationaler Würde und Verantwortung vor dem Volksganzen nicht zu hoch ist. Was am erkaltenden Herde des Vaterlandes zurückbleibt, damit die durch Jahrtausende gehegte Flamme nicht ganz erlischt, das ist werktätiges Volk, mag es am Schraubstock oder im Kondor, auf weitem Acker oder in enger Schreibstube seines sauren Werktages Arbeit addieren. Die fmchtbare Tragik aber ist die, daß all dieser Treuesten und Besten Wirken und Schaffen in erster Linie nicht ihnen und ihren Kindern und ihrem Volke, sondern denen zugute kommen wird, die wir auch fortan unsere Feinde nennen müssen, weil nach ihrem Willen der Krieg nicht beendet, sondern nur in eine andere Form gewandelt wurde. Deutsche Volksgemeinschaft bleibt auf Jahrzehnte Opfergemeinschaft und Leidens¬ gemeinschaft. Nur heurte Menschen sind dem Opfer gewachsen. Überall sehen wir die beginnende Flucht vor dem Leii-er um das Volksganze. Nicht immer zeigt die Flucht in die Flach-'» pe söulichen Behagens die plumpen Formen äußer¬ licher Genußsucht und Verschwendung. Feinere Naturen verträumen sich etwa in ein bescheidenes Gailenstadtidyll. Ganz am Rande der freudlosen Zeit wollen sie sich in ein eng? Familienglück zwischen Erbsen und Reseden ein¬ spinnen und die ganze Welt mit ihren Sorgen und Nöten nach Möglichkeit Grenzboten I 1S20 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/31>, abgerufen am 27.07.2024.