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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg Cleinow und die Grenzboten

rückt, eine große Möglichkeit, der sozialdemokratischen Propaganda das Wasser
abzugraben, wie er denn überhaupt in der Befreiung von Grund und Boden aus den
Händen der Spekulation im Zusammenhang mit einer gerechten Besteuerung
das Mittel erkannte, aus den Wirtschaftskrisen und der Unzufriedenheit heraus¬
zukommen. Allerdings trat er auch für eine ideelle Bekämpfung der Sozial¬
demokratie ein. Da er auf eine Versöhnung der Klassen und Stände ausging,
mußte ihn die unversöhnliche Klassenkampftheorie der Sozialdemokratie abstoßen,
um so mehr, als er sich der Bedeutung der Arbeiter für das Volkstum bewußt
war. Wenn er ihnen selbst durch Erörterungsabende, die er im Osten und
Norden Berlins abgehalten hat, näher zu kommen suchte, so schien ihm doch
eigentlich nur die Arbeit an ihren Kindern durch nationalpolitische Erziehung
und Organisation der Jugend Erfolge zu versprechen. Selbstredend war hiermit
keine Erziehung zum Hurrapatriotismus gemeint, sondern Schürfung und An¬
leitung des dem jugendlichen Alter eigenen kritischen Sinnes, der sich zunächst
naturgemäß gegen die Autoritäten und die staatlichen Einrichtungen richtet, wie
sie seinerzeit der Reichsverband der nationalliberalen Jugend erstrebt hat. Auch
die Arbeit an der Jugend, die von den Pastoren Ciaassen in Hamburg, Jlgen-
stein in Berlin und vielen anderen geleistet wurde, erkannte Cleinow freudig
an und suchte für die Ideen dieser Männer in seinem Leserkreise Verständnis
zu werben. Der zu überwindenden Schwierigkeiten war er sich bewußt: die
imposante Organisation der sozialdemokratischen Partei übte selbst auf die ge¬
bildete Jugend starke Anziehungskraft aus, trotz aller Unkultur, die ihr an¬
haftete. Diese Unkultur der deutschen Sozialdemokratie führte Cleinow auf ihre
engen Beziehungen zur jüdischen Intelligenz in Rußland zurück, die viel stärker
waren, als die Beziehungen zu den sozialistischen Parteien der westeuropäischen
Länder. Schon 1911 äußerte Cleinow, daß die deutsche Sozialdemokratie sich
offenbar verpflichtet fühle, so lange die Interessen des Reiches hinter die der
russischen Revolutionäre zurückzustellen, als die Juden in Rußland Be¬
schränkungen unterworfen seien. Auch er war auf Grund genauer Kenntnis der
russischen Judenpolitik der Meinung, daß die Emanzipation der Juden in Ru߬
land, die dort geradenwegs zur Revolution erzogen wurden, eine Notwendigkeit
sei, sowie er überhaupt allzu gerecht dachte, um einem Antisemitismus zu
huldigen. Aus demselben Gerechtigkeitsgefühl heraus lehnte er freilich auch
die Zumutung ab, daß einige hunderttausend Juden sechzig Millionen Deutsche
bevormunden und in einer ihnen wesensfremden Weise führen könnten. In
den an den vormärzlichen Internationalismus gemahnenden Auffassungen des
Freisinns und der Sozialdemokratie sah er eine Gefahr. Wie richtig diese
Auffassung war, liege heute vor aller Augen.

Die Parole, die die Regierung 1912 in den Wahlkampf geworfen hatte,
war eine Aufforderung an die bürgerlichen Parteien, sich gegen die Sozial¬
demokratie zusammenzuschließen, damit der Reichstag eine Zusammensetzung
aufweise, die die Bewilligung der Heeresforderungen gewährleiste. Angesichts


Georg Cleinow und die Grenzboten

rückt, eine große Möglichkeit, der sozialdemokratischen Propaganda das Wasser
abzugraben, wie er denn überhaupt in der Befreiung von Grund und Boden aus den
Händen der Spekulation im Zusammenhang mit einer gerechten Besteuerung
das Mittel erkannte, aus den Wirtschaftskrisen und der Unzufriedenheit heraus¬
zukommen. Allerdings trat er auch für eine ideelle Bekämpfung der Sozial¬
demokratie ein. Da er auf eine Versöhnung der Klassen und Stände ausging,
mußte ihn die unversöhnliche Klassenkampftheorie der Sozialdemokratie abstoßen,
um so mehr, als er sich der Bedeutung der Arbeiter für das Volkstum bewußt
war. Wenn er ihnen selbst durch Erörterungsabende, die er im Osten und
Norden Berlins abgehalten hat, näher zu kommen suchte, so schien ihm doch
eigentlich nur die Arbeit an ihren Kindern durch nationalpolitische Erziehung
und Organisation der Jugend Erfolge zu versprechen. Selbstredend war hiermit
keine Erziehung zum Hurrapatriotismus gemeint, sondern Schürfung und An¬
leitung des dem jugendlichen Alter eigenen kritischen Sinnes, der sich zunächst
naturgemäß gegen die Autoritäten und die staatlichen Einrichtungen richtet, wie
sie seinerzeit der Reichsverband der nationalliberalen Jugend erstrebt hat. Auch
die Arbeit an der Jugend, die von den Pastoren Ciaassen in Hamburg, Jlgen-
stein in Berlin und vielen anderen geleistet wurde, erkannte Cleinow freudig
an und suchte für die Ideen dieser Männer in seinem Leserkreise Verständnis
zu werben. Der zu überwindenden Schwierigkeiten war er sich bewußt: die
imposante Organisation der sozialdemokratischen Partei übte selbst auf die ge¬
bildete Jugend starke Anziehungskraft aus, trotz aller Unkultur, die ihr an¬
haftete. Diese Unkultur der deutschen Sozialdemokratie führte Cleinow auf ihre
engen Beziehungen zur jüdischen Intelligenz in Rußland zurück, die viel stärker
waren, als die Beziehungen zu den sozialistischen Parteien der westeuropäischen
Länder. Schon 1911 äußerte Cleinow, daß die deutsche Sozialdemokratie sich
offenbar verpflichtet fühle, so lange die Interessen des Reiches hinter die der
russischen Revolutionäre zurückzustellen, als die Juden in Rußland Be¬
schränkungen unterworfen seien. Auch er war auf Grund genauer Kenntnis der
russischen Judenpolitik der Meinung, daß die Emanzipation der Juden in Ru߬
land, die dort geradenwegs zur Revolution erzogen wurden, eine Notwendigkeit
sei, sowie er überhaupt allzu gerecht dachte, um einem Antisemitismus zu
huldigen. Aus demselben Gerechtigkeitsgefühl heraus lehnte er freilich auch
die Zumutung ab, daß einige hunderttausend Juden sechzig Millionen Deutsche
bevormunden und in einer ihnen wesensfremden Weise führen könnten. In
den an den vormärzlichen Internationalismus gemahnenden Auffassungen des
Freisinns und der Sozialdemokratie sah er eine Gefahr. Wie richtig diese
Auffassung war, liege heute vor aller Augen.

Die Parole, die die Regierung 1912 in den Wahlkampf geworfen hatte,
war eine Aufforderung an die bürgerlichen Parteien, sich gegen die Sozial¬
demokratie zusammenzuschließen, damit der Reichstag eine Zusammensetzung
aufweise, die die Bewilligung der Heeresforderungen gewährleiste. Angesichts


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[0024] Georg Cleinow und die Grenzboten rückt, eine große Möglichkeit, der sozialdemokratischen Propaganda das Wasser abzugraben, wie er denn überhaupt in der Befreiung von Grund und Boden aus den Händen der Spekulation im Zusammenhang mit einer gerechten Besteuerung das Mittel erkannte, aus den Wirtschaftskrisen und der Unzufriedenheit heraus¬ zukommen. Allerdings trat er auch für eine ideelle Bekämpfung der Sozial¬ demokratie ein. Da er auf eine Versöhnung der Klassen und Stände ausging, mußte ihn die unversöhnliche Klassenkampftheorie der Sozialdemokratie abstoßen, um so mehr, als er sich der Bedeutung der Arbeiter für das Volkstum bewußt war. Wenn er ihnen selbst durch Erörterungsabende, die er im Osten und Norden Berlins abgehalten hat, näher zu kommen suchte, so schien ihm doch eigentlich nur die Arbeit an ihren Kindern durch nationalpolitische Erziehung und Organisation der Jugend Erfolge zu versprechen. Selbstredend war hiermit keine Erziehung zum Hurrapatriotismus gemeint, sondern Schürfung und An¬ leitung des dem jugendlichen Alter eigenen kritischen Sinnes, der sich zunächst naturgemäß gegen die Autoritäten und die staatlichen Einrichtungen richtet, wie sie seinerzeit der Reichsverband der nationalliberalen Jugend erstrebt hat. Auch die Arbeit an der Jugend, die von den Pastoren Ciaassen in Hamburg, Jlgen- stein in Berlin und vielen anderen geleistet wurde, erkannte Cleinow freudig an und suchte für die Ideen dieser Männer in seinem Leserkreise Verständnis zu werben. Der zu überwindenden Schwierigkeiten war er sich bewußt: die imposante Organisation der sozialdemokratischen Partei übte selbst auf die ge¬ bildete Jugend starke Anziehungskraft aus, trotz aller Unkultur, die ihr an¬ haftete. Diese Unkultur der deutschen Sozialdemokratie führte Cleinow auf ihre engen Beziehungen zur jüdischen Intelligenz in Rußland zurück, die viel stärker waren, als die Beziehungen zu den sozialistischen Parteien der westeuropäischen Länder. Schon 1911 äußerte Cleinow, daß die deutsche Sozialdemokratie sich offenbar verpflichtet fühle, so lange die Interessen des Reiches hinter die der russischen Revolutionäre zurückzustellen, als die Juden in Rußland Be¬ schränkungen unterworfen seien. Auch er war auf Grund genauer Kenntnis der russischen Judenpolitik der Meinung, daß die Emanzipation der Juden in Ru߬ land, die dort geradenwegs zur Revolution erzogen wurden, eine Notwendigkeit sei, sowie er überhaupt allzu gerecht dachte, um einem Antisemitismus zu huldigen. Aus demselben Gerechtigkeitsgefühl heraus lehnte er freilich auch die Zumutung ab, daß einige hunderttausend Juden sechzig Millionen Deutsche bevormunden und in einer ihnen wesensfremden Weise führen könnten. In den an den vormärzlichen Internationalismus gemahnenden Auffassungen des Freisinns und der Sozialdemokratie sah er eine Gefahr. Wie richtig diese Auffassung war, liege heute vor aller Augen. Die Parole, die die Regierung 1912 in den Wahlkampf geworfen hatte, war eine Aufforderung an die bürgerlichen Parteien, sich gegen die Sozial¬ demokratie zusammenzuschließen, damit der Reichstag eine Zusammensetzung aufweise, die die Bewilligung der Heeresforderungen gewährleiste. Angesichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/24>, abgerufen am 27.07.2024.