Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Das angeblich elsässische Jubelfest von der Behandlung als "Bürger zweiter Klasse", von dem "doppelten Maße", Einer dieser tapferen Männer war der Stadtarchivar Ludwig Schnee¬ "Obgleich er während längerer Zeit schon," so berichtet G. Kühl S. 40 der Alsatia Wie übrigens eine solche Versündigung an der eigensten Natur sich noch auf ander- Im Jahre 1348 war Ludwig Schneegans Mitarbeiter der "Deutschen Das angeblich elsässische Jubelfest von der Behandlung als „Bürger zweiter Klasse", von dem „doppelten Maße", Einer dieser tapferen Männer war der Stadtarchivar Ludwig Schnee¬ „Obgleich er während längerer Zeit schon," so berichtet G. Kühl S. 40 der Alsatia Wie übrigens eine solche Versündigung an der eigensten Natur sich noch auf ander- Im Jahre 1348 war Ludwig Schneegans Mitarbeiter der „Deutschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337084"/> <fw type="header" place="top"> Das angeblich elsässische Jubelfest</fw><lb/> <p xml:id="ID_1944" prev="#ID_1943"> von der Behandlung als „Bürger zweiter Klasse", von dem „doppelten Maße",<lb/> mit dem gemessen werde, wieder ans. Diesmal aber sind die Franzosen die<lb/> Kegner, wie sie es vor 1870 bei all denen waren, denen ihr Elsässertum mehr<lb/> war als eine Last, die man den Welschen zum Opfer bringen müsse.</p><lb/> <p xml:id="ID_1945"> Einer dieser tapferen Männer war der Stadtarchivar Ludwig Schnee¬<lb/> gans von Slrcitzburg, der im Jahre 1858 in seiner Vaterstadt gestorben ist.<lb/> Gustav Musk hat ihm in der Alsatia (1862-67) eine biographische Skizze<lb/> gewidmet. Den aufrechten Mann schmerzte das Zwittertum, dem er seine Heimat<lb/> verfallen sah, im Innersten seiner Seele. Obwohl er den Untergang des alten<lb/> Elsässertums als unvermeidlich ansah, behauptete er sich in seiner Eigenart,<lb/> entschlossen bei der rechten Sache innerlich auszuharren, auch wenn sie verloren sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1946"> „Obgleich er während längerer Zeit schon," so berichtet G. Kühl S. 40 der Alsatia<lb/> von ihm, „seinen vorwiegend wissenschaftlichen Zwecken zuliebe, den um ihn her bestehenden<lb/> Verhältnissen und literarischen Gelegenheiten ohne weiteres sich anbequemte und seine vielen<lb/> Arbeiten abwechselnd deutsch und wieder französisch abfaßte, ward eS ihm mit den Jahren<lb/> doch immer unheimlicher bei dieser sprachlichen Zersplitterung, und zwar umsomehr, als<lb/> er stets deutlicher erkannte, welche mannigfaltigen Übelstände in den verschiedenen Klassen<lb/> der Gesellschaft das fortwährende Schwanken dieses Zwitterzustandes überhaupt nach sich<lb/> zog. Er ersah nämlich stets deutlicher, daß, bei Abrechnung ehrenvoller Ausnahmen, diese<lb/> beständige Sprnchvertauschnng nachgerade das Gegenteil von dem herbeiführte, was höher<lb/> denkende, über jedes nationale Vorurteil hinausgehende Männer sich dereinst im Elsaß von<lb/> dieser Doppelstellung versprochen hatten; er beklagte jetzt immer mehr die stets zunehmende<lb/> Gleichgültigkeit gegen die angestammte Na^ur, deren Zeugen wir heute sind und deren<lb/> traurige Folgen — man erinnere sich einst unserer Wortel — in späterer Zeit sich noch<lb/> «uffallendcr und unheilbarer kundgeben werden. Ihm klang es sodann auch in seiner Ver¬<lb/> stimmung lächerlich und wehmütig zugleich, wenn, im Gegensatz zu manchen früheren Be¬<lb/> strebungen, gewisse Stimmen Plötzlich eine Erwsckunz und Belebung ursprünglicher National-<lb/> elemente im Elsaß, vornehmlich auch dem Rechte der heimischen Sprache das Wort redeten<lb/> und zugleich über die Vermittlungsrolle unse-rer Provinz zwischen den beiden Nachbar¬<lb/> völkern sich in sentimentalstem Tone vernehmen ließen. Er selbst hatte leider erkannt, daß<lb/> sogar die Durchführung dieser letzteren, weniger originellen Aufgabe von Jahrzehnt zu<lb/> Jahrzehnt immer mehr nnter uns gefährdet erscheinen dürfte, und brauchte dabei nur die<lb/> Erziehnngsweiso des sämtlichen nachwachsenden Geschlechts zu betrachten, dem bereits, mit<lb/> unerheblichen Ausnahmen, das rechte Verständnis für die freiere elsässische und vielseitigere<lb/> Art geistiger Entwicklung abhanden kam; er dürfte ja nur ein die allbekannte traurige —<lb/> die Bezeichnung trifft leider im schlimmeren Sinne zu — deutsche Charakterlosigkeit denken,<lb/> Mit welcher die meisten unter den Jüngeren sich bereits einer Sprache schämen und eine<lb/> Literatur ignorieren, die doch bis in die letzte Zeit die kräftige Muttermilch der Gebildeten<lb/> unter uns gewesen und die, zu unserer eigenen Schande sei'S gssagtl gerade jetzt wieder<lb/> reichlichere Anerkennung in Frankreich s.lbst findet---</p><lb/> <p xml:id="ID_1947"> Wie übrigens eine solche Versündigung an der eigensten Natur sich noch auf ander-<lb/> weitige Zustände und Verhältnisse nach und nach zu erstrecken Pflegt, wollen wir hier nicht<lb/> näher erörtern. Die Geschichte lehrt uns längst, daß die Natur eben noch niemals einen<lb/> derartigen leichtsinnigen Brich verliehen hat und ihn immer, früher oder später, in mannig«<lb/> sachster Weise zu rächen weiß."</p><lb/> <p xml:id="ID_1948" next="#ID_1949"> Im Jahre 1348 war Ludwig Schneegans Mitarbeiter der „Deutschen<lb/> Teilung", des bekannicn Hauptorgans der nationalen Nevolutionsbewegung.<lb/> Damals befürchteten die Franzosen, daß die deutsche Bewegung doch irgendwelche<lb/> Rückwirkung auf das Elsaß ausüben könne, und veranlaßten daher die elsässischen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
Das angeblich elsässische Jubelfest
von der Behandlung als „Bürger zweiter Klasse", von dem „doppelten Maße",
mit dem gemessen werde, wieder ans. Diesmal aber sind die Franzosen die
Kegner, wie sie es vor 1870 bei all denen waren, denen ihr Elsässertum mehr
war als eine Last, die man den Welschen zum Opfer bringen müsse.
Einer dieser tapferen Männer war der Stadtarchivar Ludwig Schnee¬
gans von Slrcitzburg, der im Jahre 1858 in seiner Vaterstadt gestorben ist.
Gustav Musk hat ihm in der Alsatia (1862-67) eine biographische Skizze
gewidmet. Den aufrechten Mann schmerzte das Zwittertum, dem er seine Heimat
verfallen sah, im Innersten seiner Seele. Obwohl er den Untergang des alten
Elsässertums als unvermeidlich ansah, behauptete er sich in seiner Eigenart,
entschlossen bei der rechten Sache innerlich auszuharren, auch wenn sie verloren sei.
„Obgleich er während längerer Zeit schon," so berichtet G. Kühl S. 40 der Alsatia
von ihm, „seinen vorwiegend wissenschaftlichen Zwecken zuliebe, den um ihn her bestehenden
Verhältnissen und literarischen Gelegenheiten ohne weiteres sich anbequemte und seine vielen
Arbeiten abwechselnd deutsch und wieder französisch abfaßte, ward eS ihm mit den Jahren
doch immer unheimlicher bei dieser sprachlichen Zersplitterung, und zwar umsomehr, als
er stets deutlicher erkannte, welche mannigfaltigen Übelstände in den verschiedenen Klassen
der Gesellschaft das fortwährende Schwanken dieses Zwitterzustandes überhaupt nach sich
zog. Er ersah nämlich stets deutlicher, daß, bei Abrechnung ehrenvoller Ausnahmen, diese
beständige Sprnchvertauschnng nachgerade das Gegenteil von dem herbeiführte, was höher
denkende, über jedes nationale Vorurteil hinausgehende Männer sich dereinst im Elsaß von
dieser Doppelstellung versprochen hatten; er beklagte jetzt immer mehr die stets zunehmende
Gleichgültigkeit gegen die angestammte Na^ur, deren Zeugen wir heute sind und deren
traurige Folgen — man erinnere sich einst unserer Wortel — in späterer Zeit sich noch
«uffallendcr und unheilbarer kundgeben werden. Ihm klang es sodann auch in seiner Ver¬
stimmung lächerlich und wehmütig zugleich, wenn, im Gegensatz zu manchen früheren Be¬
strebungen, gewisse Stimmen Plötzlich eine Erwsckunz und Belebung ursprünglicher National-
elemente im Elsaß, vornehmlich auch dem Rechte der heimischen Sprache das Wort redeten
und zugleich über die Vermittlungsrolle unse-rer Provinz zwischen den beiden Nachbar¬
völkern sich in sentimentalstem Tone vernehmen ließen. Er selbst hatte leider erkannt, daß
sogar die Durchführung dieser letzteren, weniger originellen Aufgabe von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt immer mehr nnter uns gefährdet erscheinen dürfte, und brauchte dabei nur die
Erziehnngsweiso des sämtlichen nachwachsenden Geschlechts zu betrachten, dem bereits, mit
unerheblichen Ausnahmen, das rechte Verständnis für die freiere elsässische und vielseitigere
Art geistiger Entwicklung abhanden kam; er dürfte ja nur ein die allbekannte traurige —
die Bezeichnung trifft leider im schlimmeren Sinne zu — deutsche Charakterlosigkeit denken,
Mit welcher die meisten unter den Jüngeren sich bereits einer Sprache schämen und eine
Literatur ignorieren, die doch bis in die letzte Zeit die kräftige Muttermilch der Gebildeten
unter uns gewesen und die, zu unserer eigenen Schande sei'S gssagtl gerade jetzt wieder
reichlichere Anerkennung in Frankreich s.lbst findet---
Wie übrigens eine solche Versündigung an der eigensten Natur sich noch auf ander-
weitige Zustände und Verhältnisse nach und nach zu erstrecken Pflegt, wollen wir hier nicht
näher erörtern. Die Geschichte lehrt uns längst, daß die Natur eben noch niemals einen
derartigen leichtsinnigen Brich verliehen hat und ihn immer, früher oder später, in mannig«
sachster Weise zu rächen weiß."
Im Jahre 1348 war Ludwig Schneegans Mitarbeiter der „Deutschen
Teilung", des bekannicn Hauptorgans der nationalen Nevolutionsbewegung.
Damals befürchteten die Franzosen, daß die deutsche Bewegung doch irgendwelche
Rückwirkung auf das Elsaß ausüben könne, und veranlaßten daher die elsässischen
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