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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Vncherschau

[Beginn Spaltensatz]

Ja diesen Worten spiegelt sich das ganze
tragische Schicksal dieses Grenzlandes wieder,
wie es auf breitesten: geschichtlichem Hinter¬
grund und mit sorglicher Aufmerksamkeit sür
die kleinsten Einzelzüge aus den geschicht¬
lichen Bedingtheiten erschlossen wird Wer
aus lebendiger Anschauung die Verhältnisse
des ehemaligen Reichslandes kennt, der
locis!, daß die eigentümlich sperrigen Ver-
schränkuilgen seines provinzialen Geistes ganz
besonders die schweren und doch wieder
begreiflichen Mißgriffe erklärt, die Berlin
sich zu Schulden kommen ließ und die auch
Paris nicht erspart bleiben werden. Der
Schlüssel deS Verständnisses sür das jahr¬
hundertelange Znntlerschickfal, das dies Buch
aufrollt, ist der ewig unausgeglichene Zwie¬
spalt zwischen Heimat und VateUaud,
unter dem die eljäMhe Seele leidet.
Diesen Drehpunkt hat spähn richtig gesehen.
Von ganz besonderem Interesse ist es daher,
wie er die Kurve des provinzialen Gcistss
verfolgt und aus den Entwicklungen des
ausgehenden Mutelalters bereits die heutige
Mentalität der Elsässer und Loihriuger
verständlich macht. Auch das eigentümliche

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fortwirken geschichtlicher Antriebe auf Grund
eines Gesetzes historischer Trägheit wird
glücklich herausgearbeitet: es zeigte sich nach
1681 und nach 1871, eS wird sich anch nach
1919 zeigen. Wenn etwas das schlüssige
Ergebnis dieser streng sachlichen Darstellung
ist, dann erhellt ans ihr, dasz die elsaß-
lolhriugische Frage mit der zweiten Annexion
durch Frankreich so wenig endgültig gelöst
ist, wie durch die erste oder durch unsere
Desannexivn bor fünfzig Jahren. Der
Verfasser verzichtet .auf Voransichau und
wir haben an dieser Stelle keinen Anlaß,
seine Ausführungen in dieser Richtung
zu ergänzen. Das kann auch nicht die
Geschichte tun, die heule geschrieben wird,
sondern das wird die Geschichte tun, die
gemacht werden musz. Die fortwährende
Problematik des clsaß-lothringischen Schicksals,
die wir ans diesem aufschlußreichen Buche
historisch begreifen, wird selbsttätig auch in
der Zwischenzeit als Polnischer Sauerteig
wirken, wo unser Volk zu aktiver Außen¬
politik infolge seines furchtbaren Kräfteverfall
kaum imstande sein wird.

M. H. Bochen [Ende Spaltensatz]




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Druck: "Der :>i°!ehe.böte" W, in b. H in Berlin SW it, Dessnncr Slrnsze 80/87.

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Nachdruck sniiitlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlagesgestattet.


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[Beginn Spaltensatz]

Ja diesen Worten spiegelt sich das ganze
tragische Schicksal dieses Grenzlandes wieder,
wie es auf breitesten: geschichtlichem Hinter¬
grund und mit sorglicher Aufmerksamkeit sür
die kleinsten Einzelzüge aus den geschicht¬
lichen Bedingtheiten erschlossen wird Wer
aus lebendiger Anschauung die Verhältnisse
des ehemaligen Reichslandes kennt, der
locis!, daß die eigentümlich sperrigen Ver-
schränkuilgen seines provinzialen Geistes ganz
besonders die schweren und doch wieder
begreiflichen Mißgriffe erklärt, die Berlin
sich zu Schulden kommen ließ und die auch
Paris nicht erspart bleiben werden. Der
Schlüssel deS Verständnisses sür das jahr¬
hundertelange Znntlerschickfal, das dies Buch
aufrollt, ist der ewig unausgeglichene Zwie¬
spalt zwischen Heimat und VateUaud,
unter dem die eljäMhe Seele leidet.
Diesen Drehpunkt hat spähn richtig gesehen.
Von ganz besonderem Interesse ist es daher,
wie er die Kurve des provinzialen Gcistss
verfolgt und aus den Entwicklungen des
ausgehenden Mutelalters bereits die heutige
Mentalität der Elsässer und Loihriuger
verständlich macht. Auch das eigentümliche

[Spaltenumbruch]

fortwirken geschichtlicher Antriebe auf Grund
eines Gesetzes historischer Trägheit wird
glücklich herausgearbeitet: es zeigte sich nach
1681 und nach 1871, eS wird sich anch nach
1919 zeigen. Wenn etwas das schlüssige
Ergebnis dieser streng sachlichen Darstellung
ist, dann erhellt ans ihr, dasz die elsaß-
lolhriugische Frage mit der zweiten Annexion
durch Frankreich so wenig endgültig gelöst
ist, wie durch die erste oder durch unsere
Desannexivn bor fünfzig Jahren. Der
Verfasser verzichtet .auf Voransichau und
wir haben an dieser Stelle keinen Anlaß,
seine Ausführungen in dieser Richtung
zu ergänzen. Das kann auch nicht die
Geschichte tun, die heule geschrieben wird,
sondern das wird die Geschichte tun, die
gemacht werden musz. Die fortwährende
Problematik des clsaß-lothringischen Schicksals,
die wir ans diesem aufschlußreichen Buche
historisch begreifen, wird selbsttätig auch in
der Zwischenzeit als Polnischer Sauerteig
wirken, wo unser Volk zu aktiver Außen¬
politik infolge seines furchtbaren Kräfteverfall
kaum imstande sein wird.

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[0197] Vncherschau Ja diesen Worten spiegelt sich das ganze tragische Schicksal dieses Grenzlandes wieder, wie es auf breitesten: geschichtlichem Hinter¬ grund und mit sorglicher Aufmerksamkeit sür die kleinsten Einzelzüge aus den geschicht¬ lichen Bedingtheiten erschlossen wird Wer aus lebendiger Anschauung die Verhältnisse des ehemaligen Reichslandes kennt, der locis!, daß die eigentümlich sperrigen Ver- schränkuilgen seines provinzialen Geistes ganz besonders die schweren und doch wieder begreiflichen Mißgriffe erklärt, die Berlin sich zu Schulden kommen ließ und die auch Paris nicht erspart bleiben werden. Der Schlüssel deS Verständnisses sür das jahr¬ hundertelange Znntlerschickfal, das dies Buch aufrollt, ist der ewig unausgeglichene Zwie¬ spalt zwischen Heimat und VateUaud, unter dem die eljäMhe Seele leidet. Diesen Drehpunkt hat spähn richtig gesehen. Von ganz besonderem Interesse ist es daher, wie er die Kurve des provinzialen Gcistss verfolgt und aus den Entwicklungen des ausgehenden Mutelalters bereits die heutige Mentalität der Elsässer und Loihriuger verständlich macht. Auch das eigentümliche fortwirken geschichtlicher Antriebe auf Grund eines Gesetzes historischer Trägheit wird glücklich herausgearbeitet: es zeigte sich nach 1681 und nach 1871, eS wird sich anch nach 1919 zeigen. Wenn etwas das schlüssige Ergebnis dieser streng sachlichen Darstellung ist, dann erhellt ans ihr, dasz die elsaß- lolhriugische Frage mit der zweiten Annexion durch Frankreich so wenig endgültig gelöst ist, wie durch die erste oder durch unsere Desannexivn bor fünfzig Jahren. Der Verfasser verzichtet .auf Voransichau und wir haben an dieser Stelle keinen Anlaß, seine Ausführungen in dieser Richtung zu ergänzen. Das kann auch nicht die Geschichte tun, die heule geschrieben wird, sondern das wird die Geschichte tun, die gemacht werden musz. Die fortwährende Problematik des clsaß-lothringischen Schicksals, die wir ans diesem aufschlußreichen Buche historisch begreifen, wird selbsttätig auch in der Zwischenzeit als Polnischer Sauerteig wirken, wo unser Volk zu aktiver Außen¬ politik infolge seines furchtbaren Kräfteverfall kaum imstande sein wird. M. H. Bochen .... .. »ermiiw-Mes: Dr. Max HildrSert Boelnn in B«rum.ssrlede«a». <SX»«M«,tung und «erlog: Brrli» SW >,. Iren»«l»»ser User i',K,i. K»r>mi>: «»tzow SS1V. »«lag « F «veiller, A»,an«n« «ren,»»,«^ Berlin. Druck: „Der :>i°!ehe.böte" W, in b. H in Berlin SW it, Dessnncr Slrnsze 80/87. M ^ücksei'd»»,, von Manuskripten erfolgt ,,»r gegen b-.-igcsii.tes Rückporto Nachdruck sniiitlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlagesgestattet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/197>, abgerufen am 27.07.2024.