Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Zwangswirtschaft und Sozialisierung Viehes und nicht zuletzt in den ganz individuellen Qualitäten und Fähig¬ Zwangswirtschaft und Sozialisierung Viehes und nicht zuletzt in den ganz individuellen Qualitäten und Fähig¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337007"/> <fw type="header" place="top"> Zwangswirtschaft und Sozialisierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_547" prev="#ID_546" next="#ID_548"> Viehes und nicht zuletzt in den ganz individuellen Qualitäten und Fähig¬<lb/> keiten des Leiters und der Arbeiter. Und all diese Bedingungen, die<lb/> fest an die Scholle gebunden sind und nur in ganz geringem Maße einer<lb/> Änderungsmöglichkeit unterliegen, sind tausendfältig unter einander verflochten<lb/> und bedingen eine die andere. Und alle zusammen bewirken, daß jede einzelne<lb/> Landwirtschaft ein ausgeprägtes, ganz individuelles Gesicht hat, und richtig ge¬<lb/> leitet werden kann nur durch denjenigen, der mit all ihren Bedingungen vertraut<lb/> ist, der in sie hineingewachsen ist. Nun denke man einem Wirtschaftsleben gegen¬<lb/> über, das sich aus solchen Wirtschaftsindividuen zusammensetzt, unsere Zwangs¬<lb/> wirtschaft mit ihrer Unzahl von Wirtschaftsanordnungen. Man kann ohne Über¬<lb/> treibung behaupten, daß nicht eine einzige dieser Wirtschaftsanordnungen auf alle<lb/> landwirtschaftlichen Betriebe paßt. Immer geht sie nur vom grünen Tisch aus.<lb/> Mit generellen Anweisungen läßt sich der Landwirtschaft gegenüber Überhaupt<lb/> nur vom grünen Tisch aus arbeiten. Eine jede solche Anordnung greift in zahl¬<lb/> lose Wirtschaften störend ein. Solange der Landwirt kann, widersetzt er sich durch<lb/> Selbsthilfe, indem er die Anordnung nicht ausführt. Wird er dazu gezwungen,<lb/> so leidet seine Wirtschaft Schaden, seine Produktion wird geschwächt. Nehmen<lb/> wir als Beispiel den einfachsten Fall der Ablieferung des gcernteten Getreides.<lb/> Wie ich es in Belgien kennen gelernt habe, gibt es zahlreiche Landwirte, die in<lb/> einem festen Verhältnis zu einem bestimmten Getreidehändler stehen, der ihnen<lb/> die Ernte zum frühesten möglichen Termin abnimmt. Auf dieses individuelle<lb/> Verhältnis hat der Landwirt seine Wirtschaft aufgebaut, indem er sich die Kosten<lb/> für Lagerräume gespart hat. Eine Verzögerung der Abnahme bedeutet für ihn<lb/> Verderb der Ernte. Andere Wirtschaften haben sich infolge der bei ihnen not¬<lb/> wendigen Arbeiten für andere Feldfrüchte auf möglichst späte Ablieferung ein¬<lb/> gestellt. Nun kommt die Druschprämie oder, wie wir es ja auch gehabt haben,<lb/> gar ein befristeter Ablieferungszwang. Der Landwirt, der der Strafe entgehen<lb/> will, oder sich durch die niedrigen Preise verleiten läßt, nach der Druschprämie<lb/> zu streben, wird dadurch gezwungen, die Arbeiten für die anderen Feldfrüchte zu<lb/> verschieben. Eine Umgestaltung des Anbauplanes, ja unter Umständen Rückgang<lb/> der Anbaufläche für wichtige Volksnahrungsmittel ist möglicherweise die Folge.<lb/> Dabei ist die Druschprämie noch eine verhältnismäßig ungefährliche Maßnahme.<lb/> Ganz anders sah es mit den Eingriffen in die Viehwirtschaft, mit der Rationierung<lb/> des Selbstverbrauchs, der Futtermittel und des Saatgutes aus. Doch auf Einzel¬<lb/> heiten soll hier nicht weiter eingegangen werden. Es genügt festzustellen, daß<lb/> keine generelle Anordnung denkbar ist, die nicht für eine Unzahl von Wirtschaften<lb/> unzuträglich wäre, das heißt bei ihrer Durchführung die Produktion dieser Wirt¬<lb/> schaften schädigte. Dieser Schädigung, die letzten Endes immer in einem Pro¬<lb/> duktionsrückgang zum Ausdruck kommt, steht für andere Wirtschaften keinerlei<lb/> Vorteil gegenüber. War die angeordnete Maßnahme für eine andere Wirtschaft vorteil¬<lb/> haft, so war sie von dieser Wirtschaft selbst schon längst ergriffen. So kommen wir zu<lb/> dem erschreckenden Resultat, daß jede Anordnung der Zwangswirtschaft im letzten<lb/> Erfolg einen Abstrich von der Produktion der Gesamtwirtschaft bedeutet. Je länger die<lb/> Zwangswirtschaft dauert, je weiter sie ausgebaut wird, desto verheerender wird<lb/> ihre Wirkung. Das Wirtschaftsleben kann zentral nicht gelenkt<lb/> werden, sondern immer nur individual. Der Erfolg der Zwangswirtschaft</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Zwangswirtschaft und Sozialisierung
Viehes und nicht zuletzt in den ganz individuellen Qualitäten und Fähig¬
keiten des Leiters und der Arbeiter. Und all diese Bedingungen, die
fest an die Scholle gebunden sind und nur in ganz geringem Maße einer
Änderungsmöglichkeit unterliegen, sind tausendfältig unter einander verflochten
und bedingen eine die andere. Und alle zusammen bewirken, daß jede einzelne
Landwirtschaft ein ausgeprägtes, ganz individuelles Gesicht hat, und richtig ge¬
leitet werden kann nur durch denjenigen, der mit all ihren Bedingungen vertraut
ist, der in sie hineingewachsen ist. Nun denke man einem Wirtschaftsleben gegen¬
über, das sich aus solchen Wirtschaftsindividuen zusammensetzt, unsere Zwangs¬
wirtschaft mit ihrer Unzahl von Wirtschaftsanordnungen. Man kann ohne Über¬
treibung behaupten, daß nicht eine einzige dieser Wirtschaftsanordnungen auf alle
landwirtschaftlichen Betriebe paßt. Immer geht sie nur vom grünen Tisch aus.
Mit generellen Anweisungen läßt sich der Landwirtschaft gegenüber Überhaupt
nur vom grünen Tisch aus arbeiten. Eine jede solche Anordnung greift in zahl¬
lose Wirtschaften störend ein. Solange der Landwirt kann, widersetzt er sich durch
Selbsthilfe, indem er die Anordnung nicht ausführt. Wird er dazu gezwungen,
so leidet seine Wirtschaft Schaden, seine Produktion wird geschwächt. Nehmen
wir als Beispiel den einfachsten Fall der Ablieferung des gcernteten Getreides.
Wie ich es in Belgien kennen gelernt habe, gibt es zahlreiche Landwirte, die in
einem festen Verhältnis zu einem bestimmten Getreidehändler stehen, der ihnen
die Ernte zum frühesten möglichen Termin abnimmt. Auf dieses individuelle
Verhältnis hat der Landwirt seine Wirtschaft aufgebaut, indem er sich die Kosten
für Lagerräume gespart hat. Eine Verzögerung der Abnahme bedeutet für ihn
Verderb der Ernte. Andere Wirtschaften haben sich infolge der bei ihnen not¬
wendigen Arbeiten für andere Feldfrüchte auf möglichst späte Ablieferung ein¬
gestellt. Nun kommt die Druschprämie oder, wie wir es ja auch gehabt haben,
gar ein befristeter Ablieferungszwang. Der Landwirt, der der Strafe entgehen
will, oder sich durch die niedrigen Preise verleiten läßt, nach der Druschprämie
zu streben, wird dadurch gezwungen, die Arbeiten für die anderen Feldfrüchte zu
verschieben. Eine Umgestaltung des Anbauplanes, ja unter Umständen Rückgang
der Anbaufläche für wichtige Volksnahrungsmittel ist möglicherweise die Folge.
Dabei ist die Druschprämie noch eine verhältnismäßig ungefährliche Maßnahme.
Ganz anders sah es mit den Eingriffen in die Viehwirtschaft, mit der Rationierung
des Selbstverbrauchs, der Futtermittel und des Saatgutes aus. Doch auf Einzel¬
heiten soll hier nicht weiter eingegangen werden. Es genügt festzustellen, daß
keine generelle Anordnung denkbar ist, die nicht für eine Unzahl von Wirtschaften
unzuträglich wäre, das heißt bei ihrer Durchführung die Produktion dieser Wirt¬
schaften schädigte. Dieser Schädigung, die letzten Endes immer in einem Pro¬
duktionsrückgang zum Ausdruck kommt, steht für andere Wirtschaften keinerlei
Vorteil gegenüber. War die angeordnete Maßnahme für eine andere Wirtschaft vorteil¬
haft, so war sie von dieser Wirtschaft selbst schon längst ergriffen. So kommen wir zu
dem erschreckenden Resultat, daß jede Anordnung der Zwangswirtschaft im letzten
Erfolg einen Abstrich von der Produktion der Gesamtwirtschaft bedeutet. Je länger die
Zwangswirtschaft dauert, je weiter sie ausgebaut wird, desto verheerender wird
ihre Wirkung. Das Wirtschaftsleben kann zentral nicht gelenkt
werden, sondern immer nur individual. Der Erfolg der Zwangswirtschaft
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