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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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hanptet (was bei der Fülle von brauchbaren
Literaturgeschichten zunächst bezweifelt werden
könnte): sie will einmal durch geschickt und
treffend ausgewählte Textproben, durch ent¬
sprechende Charakteristik nicht allein über den
Dichter sprechen, sondern zu ihm, d. h, zur
Quelle sühren. Dann aber gibt sie, da das
Gesamtbild der Entwicklung der deutschen
Literatur maßgebend bleibt, von den Einzel"
dichtungen nur das Typische, das Charak¬
teristische, was den allgemeinen Verlauf des
deutschen Schrifttums bestimmend beeinflußt
hat. Sie behandelt also nicht alles, sondern
nnr daS Wichtige, zieht dabei auch Sterne
dritter Größe heran, wenn sie für den Fort¬
gang wichtig sind, läßt aber bei Großen
dann auch manches fort, was in ähnlicher
Art bei anderen genügend in die Erscheinung
getreten ist. Dieses Zielbewußtsein, diese
große Linie fordert Entsagung, namentlich
von einem Kenner wie Oehlke, aber schafft
ein lesbares Buch, das den Riesenstvff in
acht Kapitel von den ältesten Anfängen bis
Zur neuesten Gegenwart gliedert. Die ein¬
zelnen Kapitel geben nicht allein Zusammen¬
fassungen (z. V. das deutsche Altertum, die
Begründung der deutschen Nationalliteratur,
das Zeitalter des Realismus und Natura¬
lismus), sondern bündeln wieder in beson¬
dere Aufgaben etwa Goethes Lyrik, Prosa,
österreichische Dichter, den Impressionismus
in der Lyrik u. a. Man sieht auch hier das
Bestreben, zur selbständigen Verarbeitung
gemeinsamer Gesichtspunkte in verschiedenen
Dichtungen zu führen. Besonders aber ver¬
dienen die vier letzten Abschnitte des letzten
Buches besondere Beachtung: Wissenschaft
und Prosa, Buch und Presse, Jugendlileratur,
die Literaturwissenschaft. Hier werden Ge¬
biete berührt, die für die Allgemeinheit als
geschmack- und charakterbildend angesprochen
werden müssen und die leider zu viel ver¬
nachlässigt werden. Dann aber wird hier
der Versuch gemacht, in einer Art von
Methodik zur Erwerbung eines eigenen
Urteils und gediegenen Geschmackes in[Spaltenumbruch]
oberflächlichen und sehr häufigen Gerede über
Dichtung Abhilfe geschaffen werden soll.
Gründlichkeit in einer Sache erzieht den
ganzen Menschen, und wenn in einer Hinsicht
eine Änderung herbeigeführt werden muß,
dann ist das bezüglich des literarischen
Geschmackes nötig, den Krieg und Zeit,
Theater, Wort, Kino und Bild der Gegen¬
wart gründlich und sicher verdorben haben.
So will Oehlke zum selbständigen Lesen und
Arbeiten auffordern, und deshalb ist sein
Buch besonders gut gerade für die, die in
der Literatur nichts wissen, oder danach
trachten, durch Lesen unserer Großen und
guter deutscher Dichtkunst überhaupt wieder
zu nationaler Anständigkeit zu kommen. Die
frische und flüssige Darstellung wird durch
gute bildliche Wiedergaben der wichtigsten
Dichter und von zwei Philosophen (von
denen Nietzsche auch ein Dichter ist), von
Wolfram von Eschenbach bis Gsrhart Haupt¬
mann belebt. Darunter erscheint nur das
Mayschs Goethebildnis zu steif und den
Großen zu wenig charakterisierend. In Einzel¬
heiten wird nur bezüglich der Beurteilung
dieses und jenes Werkes vielleicht verschie¬
dener Meinung sein können, Stichproben
haben aber Bemerkenswertes in Abweichung
nicht ergeben. Im Hinblick auf das Gesamt¬
bild, den Hauptzweck der Darstellung, steht
alles im rechten Lichte. Das Register erhöht
die Brauchbarkeit des überlegten, tüchtigen
Buches, das dem Gelehrten ebenso wie dem
Pädagogen Ehre einlegt. Äußerlich zeigt es
ein ansprechendes Gewand. Wir wünschen
nur, daß der im Vorwort angezeigte wissen¬
schaftliche Apparat bald erscheint, damit noch
größere Möglichkeit gegeben ist, selbständig
in die deutsche Literatur einzudringen. Denn
darin hat der Verfasser sicher recht, wenn er
Seite 429 behauptet, daß Vorlesungen über¬
schätzt werden, nahezu überhaupt keinen
Wert haben, wenigstens nicht den, den ein
gutes Buch hat, das zu eigener, urteils-
biloender Arbeit weist. Hier ist ein solches
<Lurt bitte gegeben. [Ende Spaltensatz]
literarischen Dingen anzuleiten, womit dem



VermiNvorlUch: Dr. Mnx Hildcbcit Borda in Berlin-Friedemiu.
Schristlcitung und Verwg- Berlin SW l>, Temr>cU,oser User "b.i. Fernruf: Lühow Will.
Vcrinq K F. Rochier, Aiileiiunq G>en,do>en, Verim.
Druck: "Der !I!e>chsboie" Ä in b. H in Berlin SW ti, De!I"ner Strasze Sß/87.

Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen bcigcsii,.des Rückporto.
Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet.


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hanptet (was bei der Fülle von brauchbaren
Literaturgeschichten zunächst bezweifelt werden
könnte): sie will einmal durch geschickt und
treffend ausgewählte Textproben, durch ent¬
sprechende Charakteristik nicht allein über den
Dichter sprechen, sondern zu ihm, d. h, zur
Quelle sühren. Dann aber gibt sie, da das
Gesamtbild der Entwicklung der deutschen
Literatur maßgebend bleibt, von den Einzel«
dichtungen nur das Typische, das Charak¬
teristische, was den allgemeinen Verlauf des
deutschen Schrifttums bestimmend beeinflußt
hat. Sie behandelt also nicht alles, sondern
nnr daS Wichtige, zieht dabei auch Sterne
dritter Größe heran, wenn sie für den Fort¬
gang wichtig sind, läßt aber bei Großen
dann auch manches fort, was in ähnlicher
Art bei anderen genügend in die Erscheinung
getreten ist. Dieses Zielbewußtsein, diese
große Linie fordert Entsagung, namentlich
von einem Kenner wie Oehlke, aber schafft
ein lesbares Buch, das den Riesenstvff in
acht Kapitel von den ältesten Anfängen bis
Zur neuesten Gegenwart gliedert. Die ein¬
zelnen Kapitel geben nicht allein Zusammen¬
fassungen (z. V. das deutsche Altertum, die
Begründung der deutschen Nationalliteratur,
das Zeitalter des Realismus und Natura¬
lismus), sondern bündeln wieder in beson¬
dere Aufgaben etwa Goethes Lyrik, Prosa,
österreichische Dichter, den Impressionismus
in der Lyrik u. a. Man sieht auch hier das
Bestreben, zur selbständigen Verarbeitung
gemeinsamer Gesichtspunkte in verschiedenen
Dichtungen zu führen. Besonders aber ver¬
dienen die vier letzten Abschnitte des letzten
Buches besondere Beachtung: Wissenschaft
und Prosa, Buch und Presse, Jugendlileratur,
die Literaturwissenschaft. Hier werden Ge¬
biete berührt, die für die Allgemeinheit als
geschmack- und charakterbildend angesprochen
werden müssen und die leider zu viel ver¬
nachlässigt werden. Dann aber wird hier
der Versuch gemacht, in einer Art von
Methodik zur Erwerbung eines eigenen
Urteils und gediegenen Geschmackes in[Spaltenumbruch]
oberflächlichen und sehr häufigen Gerede über
Dichtung Abhilfe geschaffen werden soll.
Gründlichkeit in einer Sache erzieht den
ganzen Menschen, und wenn in einer Hinsicht
eine Änderung herbeigeführt werden muß,
dann ist das bezüglich des literarischen
Geschmackes nötig, den Krieg und Zeit,
Theater, Wort, Kino und Bild der Gegen¬
wart gründlich und sicher verdorben haben.
So will Oehlke zum selbständigen Lesen und
Arbeiten auffordern, und deshalb ist sein
Buch besonders gut gerade für die, die in
der Literatur nichts wissen, oder danach
trachten, durch Lesen unserer Großen und
guter deutscher Dichtkunst überhaupt wieder
zu nationaler Anständigkeit zu kommen. Die
frische und flüssige Darstellung wird durch
gute bildliche Wiedergaben der wichtigsten
Dichter und von zwei Philosophen (von
denen Nietzsche auch ein Dichter ist), von
Wolfram von Eschenbach bis Gsrhart Haupt¬
mann belebt. Darunter erscheint nur das
Mayschs Goethebildnis zu steif und den
Großen zu wenig charakterisierend. In Einzel¬
heiten wird nur bezüglich der Beurteilung
dieses und jenes Werkes vielleicht verschie¬
dener Meinung sein können, Stichproben
haben aber Bemerkenswertes in Abweichung
nicht ergeben. Im Hinblick auf das Gesamt¬
bild, den Hauptzweck der Darstellung, steht
alles im rechten Lichte. Das Register erhöht
die Brauchbarkeit des überlegten, tüchtigen
Buches, das dem Gelehrten ebenso wie dem
Pädagogen Ehre einlegt. Äußerlich zeigt es
ein ansprechendes Gewand. Wir wünschen
nur, daß der im Vorwort angezeigte wissen¬
schaftliche Apparat bald erscheint, damit noch
größere Möglichkeit gegeben ist, selbständig
in die deutsche Literatur einzudringen. Denn
darin hat der Verfasser sicher recht, wenn er
Seite 429 behauptet, daß Vorlesungen über¬
schätzt werden, nahezu überhaupt keinen
Wert haben, wenigstens nicht den, den ein
gutes Buch hat, das zu eigener, urteils-
biloender Arbeit weist. Hier ist ein solches
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literarischen Dingen anzuleiten, womit dem



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Vcrinq K F. Rochier, Aiileiiunq G>en,do>en, Verim.
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[0141] Bücherschau hanptet (was bei der Fülle von brauchbaren Literaturgeschichten zunächst bezweifelt werden könnte): sie will einmal durch geschickt und treffend ausgewählte Textproben, durch ent¬ sprechende Charakteristik nicht allein über den Dichter sprechen, sondern zu ihm, d. h, zur Quelle sühren. Dann aber gibt sie, da das Gesamtbild der Entwicklung der deutschen Literatur maßgebend bleibt, von den Einzel« dichtungen nur das Typische, das Charak¬ teristische, was den allgemeinen Verlauf des deutschen Schrifttums bestimmend beeinflußt hat. Sie behandelt also nicht alles, sondern nnr daS Wichtige, zieht dabei auch Sterne dritter Größe heran, wenn sie für den Fort¬ gang wichtig sind, läßt aber bei Großen dann auch manches fort, was in ähnlicher Art bei anderen genügend in die Erscheinung getreten ist. Dieses Zielbewußtsein, diese große Linie fordert Entsagung, namentlich von einem Kenner wie Oehlke, aber schafft ein lesbares Buch, das den Riesenstvff in acht Kapitel von den ältesten Anfängen bis Zur neuesten Gegenwart gliedert. Die ein¬ zelnen Kapitel geben nicht allein Zusammen¬ fassungen (z. V. das deutsche Altertum, die Begründung der deutschen Nationalliteratur, das Zeitalter des Realismus und Natura¬ lismus), sondern bündeln wieder in beson¬ dere Aufgaben etwa Goethes Lyrik, Prosa, österreichische Dichter, den Impressionismus in der Lyrik u. a. Man sieht auch hier das Bestreben, zur selbständigen Verarbeitung gemeinsamer Gesichtspunkte in verschiedenen Dichtungen zu führen. Besonders aber ver¬ dienen die vier letzten Abschnitte des letzten Buches besondere Beachtung: Wissenschaft und Prosa, Buch und Presse, Jugendlileratur, die Literaturwissenschaft. Hier werden Ge¬ biete berührt, die für die Allgemeinheit als geschmack- und charakterbildend angesprochen werden müssen und die leider zu viel ver¬ nachlässigt werden. Dann aber wird hier der Versuch gemacht, in einer Art von Methodik zur Erwerbung eines eigenen Urteils und gediegenen Geschmackes in oberflächlichen und sehr häufigen Gerede über Dichtung Abhilfe geschaffen werden soll. Gründlichkeit in einer Sache erzieht den ganzen Menschen, und wenn in einer Hinsicht eine Änderung herbeigeführt werden muß, dann ist das bezüglich des literarischen Geschmackes nötig, den Krieg und Zeit, Theater, Wort, Kino und Bild der Gegen¬ wart gründlich und sicher verdorben haben. So will Oehlke zum selbständigen Lesen und Arbeiten auffordern, und deshalb ist sein Buch besonders gut gerade für die, die in der Literatur nichts wissen, oder danach trachten, durch Lesen unserer Großen und guter deutscher Dichtkunst überhaupt wieder zu nationaler Anständigkeit zu kommen. Die frische und flüssige Darstellung wird durch gute bildliche Wiedergaben der wichtigsten Dichter und von zwei Philosophen (von denen Nietzsche auch ein Dichter ist), von Wolfram von Eschenbach bis Gsrhart Haupt¬ mann belebt. Darunter erscheint nur das Mayschs Goethebildnis zu steif und den Großen zu wenig charakterisierend. In Einzel¬ heiten wird nur bezüglich der Beurteilung dieses und jenes Werkes vielleicht verschie¬ dener Meinung sein können, Stichproben haben aber Bemerkenswertes in Abweichung nicht ergeben. Im Hinblick auf das Gesamt¬ bild, den Hauptzweck der Darstellung, steht alles im rechten Lichte. Das Register erhöht die Brauchbarkeit des überlegten, tüchtigen Buches, das dem Gelehrten ebenso wie dem Pädagogen Ehre einlegt. Äußerlich zeigt es ein ansprechendes Gewand. Wir wünschen nur, daß der im Vorwort angezeigte wissen¬ schaftliche Apparat bald erscheint, damit noch größere Möglichkeit gegeben ist, selbständig in die deutsche Literatur einzudringen. Denn darin hat der Verfasser sicher recht, wenn er Seite 429 behauptet, daß Vorlesungen über¬ schätzt werden, nahezu überhaupt keinen Wert haben, wenigstens nicht den, den ein gutes Buch hat, das zu eigener, urteils- biloender Arbeit weist. Hier ist ein solches <Lurt bitte gegeben. literarischen Dingen anzuleiten, womit dem VermiNvorlUch: Dr. Mnx Hildcbcit Borda in Berlin-Friedemiu. Schristlcitung und Verwg- Berlin SW l>, Temr>cU,oser User »b.i. Fernruf: Lühow Will. Vcrinq K F. Rochier, Aiileiiunq G>en,do>en, Verim. Druck: „Der !I!e>chsboie" Ä in b. H in Berlin SW ti, De!I»ner Strasze Sß/87. Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen bcigcsii,.des Rückporto. Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/141>, abgerufen am 27.07.2024.