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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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nur immer gegen Deutschland und Deutsch¬
tum gerichtete Ausmünzung Wilsonscher Ge-
dankenspiele betrachtet worden.

Mit einer gewissen Spannung haben
wir die innerpolitischen Wandlungen der
südosteuropäischen Staaten verfolgt, immer
noch in der leisen Hoffnung, aus von uns
kaum beeinflußbaren Konstellationen die An¬
näherung an den Minderheitsschutzgedanken
hervorgehen zu sehen.

Für die Tschechoslowakei scheint Ver¬
zicht geboten. Die Schulpolitik dieses
Staates bedeutet krasseste Vergewaltigung.
Zwar sind Verordnungen von der subjektiv
gutwilligen Tucszarregierung ergangen. Die
Tatsachen sprechen für sich. In Budweis
ist sdas während des Krieges mit Militär
belegte deutsche Lehrerseminar bis heute
nicht freigegeben worden. Die Turnhalle
überlieh man zum Überfluß an eine
tschechische Jugendorganisation als Vereins-
heim. -- In einem kleinen Orte mit über¬
wiegend deutscher Bevölkerung ordnete der
tschechische Schulrat Schließung der Volks-
schule an und verwies die deutschen Schul¬
kinder an eine mehrere Wegstunden ent¬
fernte Gemeindeschule. Für sechs oder sieben
tschechische schulpflichtige will man in dem
genannten Orte dafür eine eigene Schule
einrichten.

Die schärfsten Maßnahmen, die auch
kulturpolitisch von größter Bedeutung sind,
hat man gegen die deutsche Universität
Pr°g ergriffen, die damit praktisch aufgelöst
ist, ohne aber das Recht zu haben, mit ihrem
Lehrkörper und den erforderlichen Lehr¬
mitteln und Jnstitutseinrichtungen ge¬
schlossen in das deutschböhmische Gebiet
überzusiedeln. Zwar hat Masaryk seine
Unterschrist neueren Nachrichten zufolge ver¬
weigert, doch bleibt der starke nationalistische
Druck auf die Negierung bestehen.

Günstiger scheinen sich die Verhältnisse
in Ungarn gestalten zu wollen. Die Deutsch.
Ungarn warnen allerdings vor Überschätzung
der aus außenpolitischen Beweggründen er¬
lassenen Verordnungen. Wir beschränken
"us deshalb auf objektive Wiedergabe. Graf
Apponhi, der Leiter der ungarischen Dele-
Sation, hat gegenüber Edmund SIeinacker,
einem angesehenen Führer der deutschen

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Bewegung in Ungarn, ?urz "or seiner Ab¬
reise "rklirt, daß die von ihm selbst bisher
betriebene Nationalitätenpolitik nunmehr
fallen gelassen werden müsse. Er sei zu der
Überzeugung gekommen, daß nur eine im
weitgehendsten Maße liberale Nationalitäten-
Politik im ungarischen Interesse liege.

Der Hintergrund dieser Äußerungen ist
durchsichtig. UngarnhatteHoffnungen, Deutsch-
Ungarn zu behalten, wollte sich die Bevöl¬
kerung für eine Abstimmung sichern, wie es
auch gegenüber Slowaken, Rumänen und
Banciter Schwaben mit dem Zuckerbrod der
Selbstbestimmung arbeitete.

Apponyis Private Erklärungen liegen
Wochen zurück. Man wartet bis heute, daß
er sie vor der Öffentlichkeit vertritt.

Immerhin hat der Unterrichtsminister
inzwischen eine weitgehende Verordnung
über die Unterrichtssprache erlassen, bemer¬
kenswerterweise zusammen mit dem in
deutschen Kreisen übel berüchtigten Minister
für die nationalen Minderheiten, dem Rene¬
gaten Jakob Bleyer.

Nach dieser Verordnung sind an den
Elementarschulen in der Muttersprache zu
lehren: Religion, Lesen, Schreiben und
Rechnen, die anderen Gegenstände können
auch in magyarischer Sprache behandelt
Werden, es sei denn, daß weniger als
zwanzig magyarische Schulkinder vorhanden
find.

Man muß bedenken, daß .die deutschen
Minoritäten, wenn auch in Sprachinseln
verstreut, die von ihnen bewohnten Ort¬
schaften zahlenmäßig beherrschen. Sogar
für den Fall der Gemischtsprachigkeit inner¬
halb einer Gemeinde sollen die schon vor¬
handenen verschiedenen Schulen nach dem
Zahlenverhältnis der Bevölkerungselemente
aufgeteilt werden. Das bedeutet zum Beispiel
für Budapest die Überlassung von mindestens
dreißig Elementarschulen an die Deutschen

Des Weiteren beschäftigt sich der Erlaß
mit der Schulvrganisation und ordnet die
Hinzuziehung von Fachleuten aus den
nationalen Minderheiten zu den Schul-
inspektoraten an.

Das Bedenken der Deutschen ist erklärlich
nach den bisherigen Erfahrungen mit der

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Drinnen und draußen

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nur immer gegen Deutschland und Deutsch¬
tum gerichtete Ausmünzung Wilsonscher Ge-
dankenspiele betrachtet worden.

Mit einer gewissen Spannung haben
wir die innerpolitischen Wandlungen der
südosteuropäischen Staaten verfolgt, immer
noch in der leisen Hoffnung, aus von uns
kaum beeinflußbaren Konstellationen die An¬
näherung an den Minderheitsschutzgedanken
hervorgehen zu sehen.

Für die Tschechoslowakei scheint Ver¬
zicht geboten. Die Schulpolitik dieses
Staates bedeutet krasseste Vergewaltigung.
Zwar sind Verordnungen von der subjektiv
gutwilligen Tucszarregierung ergangen. Die
Tatsachen sprechen für sich. In Budweis
ist sdas während des Krieges mit Militär
belegte deutsche Lehrerseminar bis heute
nicht freigegeben worden. Die Turnhalle
überlieh man zum Überfluß an eine
tschechische Jugendorganisation als Vereins-
heim. — In einem kleinen Orte mit über¬
wiegend deutscher Bevölkerung ordnete der
tschechische Schulrat Schließung der Volks-
schule an und verwies die deutschen Schul¬
kinder an eine mehrere Wegstunden ent¬
fernte Gemeindeschule. Für sechs oder sieben
tschechische schulpflichtige will man in dem
genannten Orte dafür eine eigene Schule
einrichten.

Die schärfsten Maßnahmen, die auch
kulturpolitisch von größter Bedeutung sind,
hat man gegen die deutsche Universität
Pr°g ergriffen, die damit praktisch aufgelöst
ist, ohne aber das Recht zu haben, mit ihrem
Lehrkörper und den erforderlichen Lehr¬
mitteln und Jnstitutseinrichtungen ge¬
schlossen in das deutschböhmische Gebiet
überzusiedeln. Zwar hat Masaryk seine
Unterschrist neueren Nachrichten zufolge ver¬
weigert, doch bleibt der starke nationalistische
Druck auf die Negierung bestehen.

Günstiger scheinen sich die Verhältnisse
in Ungarn gestalten zu wollen. Die Deutsch.
Ungarn warnen allerdings vor Überschätzung
der aus außenpolitischen Beweggründen er¬
lassenen Verordnungen. Wir beschränken
»us deshalb auf objektive Wiedergabe. Graf
Apponhi, der Leiter der ungarischen Dele-
Sation, hat gegenüber Edmund SIeinacker,
einem angesehenen Führer der deutschen

[Spaltenumbruch]

Bewegung in Ungarn, ?urz »or seiner Ab¬
reise «rklirt, daß die von ihm selbst bisher
betriebene Nationalitätenpolitik nunmehr
fallen gelassen werden müsse. Er sei zu der
Überzeugung gekommen, daß nur eine im
weitgehendsten Maße liberale Nationalitäten-
Politik im ungarischen Interesse liege.

Der Hintergrund dieser Äußerungen ist
durchsichtig. UngarnhatteHoffnungen, Deutsch-
Ungarn zu behalten, wollte sich die Bevöl¬
kerung für eine Abstimmung sichern, wie es
auch gegenüber Slowaken, Rumänen und
Banciter Schwaben mit dem Zuckerbrod der
Selbstbestimmung arbeitete.

Apponyis Private Erklärungen liegen
Wochen zurück. Man wartet bis heute, daß
er sie vor der Öffentlichkeit vertritt.

Immerhin hat der Unterrichtsminister
inzwischen eine weitgehende Verordnung
über die Unterrichtssprache erlassen, bemer¬
kenswerterweise zusammen mit dem in
deutschen Kreisen übel berüchtigten Minister
für die nationalen Minderheiten, dem Rene¬
gaten Jakob Bleyer.

Nach dieser Verordnung sind an den
Elementarschulen in der Muttersprache zu
lehren: Religion, Lesen, Schreiben und
Rechnen, die anderen Gegenstände können
auch in magyarischer Sprache behandelt
Werden, es sei denn, daß weniger als
zwanzig magyarische Schulkinder vorhanden
find.

Man muß bedenken, daß .die deutschen
Minoritäten, wenn auch in Sprachinseln
verstreut, die von ihnen bewohnten Ort¬
schaften zahlenmäßig beherrschen. Sogar
für den Fall der Gemischtsprachigkeit inner¬
halb einer Gemeinde sollen die schon vor¬
handenen verschiedenen Schulen nach dem
Zahlenverhältnis der Bevölkerungselemente
aufgeteilt werden. Das bedeutet zum Beispiel
für Budapest die Überlassung von mindestens
dreißig Elementarschulen an die Deutschen

Des Weiteren beschäftigt sich der Erlaß
mit der Schulvrganisation und ordnet die
Hinzuziehung von Fachleuten aus den
nationalen Minderheiten zu den Schul-
inspektoraten an.

Das Bedenken der Deutschen ist erklärlich
nach den bisherigen Erfahrungen mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/139>, abgerufen am 22.12.2024.