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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

Um diese Bestimmungen zu verstehen, nutz man folgende völkerrechtliche
Grundsätze im Auge behalten.

Die Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrages durch die Bevollmächtigten
der kontrahierenden Staaten hat noch nicht die Bedeutung, daß damit der Vertrag
"geschlossen" ist. Ihre Vollmacht geht im allgemeinen nur dahin, daß sie befugt
sind, einen Vertragsentwurf aufzustellen, der so lange bloßer Entwurf bleibt, bis
die Staatsorgane, denen die Verfassung ihrer Staaten die Befugnis zur völker¬
rechtlichen Vertretung, d. h. das Recht, ihre Staaten anderen Staaten gegenüber
zu berechtigen und zu verpflichten, beilegen, in einem förmlichen Akte, den Ent¬
wurf "gutgeheißen", ihn "ratifiziert" haben. Im allgemeinen werden sie diese
"nach außen" wirkende Ratifikation erst vornehmen, wenn die Gesetzgebungsorgane,
also namentlich die Volksvertretungen, ihre verfassungsmäßige Zustimmung gegeben
haben, ohne welche die Normen des Vertrages "im Innern" des Staates keine
Wirkungen entfalten können. Wie ein vom Parlament "verabschiedetes" Gesetz
noch nicht "gilt", bevor es zunächst einmal die Gutheißung oder Sanktion des
Monarchen erhalten hat, so wird auch ein von den Bevollmächtigten unterzeichneter
völkerrechtlicher Vertrag erst wirksam, wenn er von allen Kontrahenten gutgeheißen,
ratifiziert worden ist.

Aber auch mit der Sanktion tritt das Gesetz ebensowenig in Kraft, wie der
Vertrag mit der Ratifikation. Das Gesetz wird erst wirksam, wenn es seinen
Adressaten, den Gesetz-Unterworfenen, in gehöriger Form bekanntgegeben, wenn
es ausgefertigt und verkündet ist. Entsprechendes gilt für den völkerrechtlichen
Vertrag. Ein Unterschied besteht freilich darin, daß das Gesetz ein einseitiger
Befehl des Staates an seine Bürger, an seine Untertanen ist, während der Vertrag
ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft unter zwei oder mehreren gleichgeordneten
Parteien darstellt. Darum kann der Rechtsakt, der den Vertrag "vollendet", ihn
"perfiziert", nicht ein einseitiger Publikationsakt sein, sondern es nutz ein Rechtsakt
sein, bei dem alle Kontrahenten, die ja gleichgeordnete Parteien sind, zusammen¬
wirken. Dieser komplizierte Rechtsakt besteht darin, datz die Bevollmächtigten der
vertragschließenden Staaten die von ihren Staatshäuptern vollzogenen Ratifikations¬
urkunden untereinander prüfen und dann "austauschen" und schließlich über diesen
Austausch eine gemeinsame Niederschrift aufstellen. Darum wird ein völkerrechtlicher
Vertrag grundsätzlich erst wirksam, nachdem die "Ratifikationsurkunden ausgetauscht"
sind und über den Austausch ein "Protokoll errichtet" worden ist.

Von diesem an sich, d. h. wenn im Vertrage nichts anderes ausdrücklich
bestimmt ist, notwendigen Verfahren pflegt man in neuester Zeit bei großen
Kollektivverträgen, d. h. bei Verträgen, an denen eine große Zahl oder fast alle
Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft beteiligt find, etwas abzuweichen und ein im
Vertrage besonders zu regelndes, vereinfachtes Ratifikationsverfahren anzuwenden,
weil der Apparat durch den erneuten Zusammentritt aller Bevollmächtigten an
einen Ort zu kompliziert und auch zu kostspielig sein würde. Das für den
Versailler Frieden gültige vereinfachte Ratifikationsverfahren ist in den oben an¬
geführten Sätzen geregelt. Man wird sie nur richtig auslegen können, wenn
man die Grundsätze im Auge behält, von denen sie Abwandlungen bzw. Verein¬
fachungen darstellen sollen.

Die Vereinfachung besteht danach in folgendem:

Es findet kein "Austausch" der Ratifikationsurkunden statt. Die Bevoll¬
mächtigten brauchen darum nicht noch einmal alle gleichzeitig persönlich nach
Versailles zu kommen; sondern die Ratifikationsurkunden werden zunächst einmal
nur in Paris "niedergelegt", d. h, aufgestapelt, bis eine genügende Anzahl da ist.
Für die außereuropäischen Mächte, deren Reise nach Paris ja Wochen dauert,
bedarf es nicht einmal dieser Niederlegung, sondern es genügt die "diplomatische"
Mitteilung an die französische Negierung, daß die Ratifikation erteilt ist. Die
betreffendeUrkunde soll dann aber so schnell wie möglich nach Paris übermittelt werden.

Die erste "Zusammenfassung" der einzelnen niedergelegten Ratifikations¬
urkunden soll erfolgen, sobald mindestens Deutschland einerseits und drei Haupt-


Materialien zur ostdeutschen Frage

Um diese Bestimmungen zu verstehen, nutz man folgende völkerrechtliche
Grundsätze im Auge behalten.

Die Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrages durch die Bevollmächtigten
der kontrahierenden Staaten hat noch nicht die Bedeutung, daß damit der Vertrag
„geschlossen" ist. Ihre Vollmacht geht im allgemeinen nur dahin, daß sie befugt
sind, einen Vertragsentwurf aufzustellen, der so lange bloßer Entwurf bleibt, bis
die Staatsorgane, denen die Verfassung ihrer Staaten die Befugnis zur völker¬
rechtlichen Vertretung, d. h. das Recht, ihre Staaten anderen Staaten gegenüber
zu berechtigen und zu verpflichten, beilegen, in einem förmlichen Akte, den Ent¬
wurf „gutgeheißen", ihn „ratifiziert" haben. Im allgemeinen werden sie diese
„nach außen" wirkende Ratifikation erst vornehmen, wenn die Gesetzgebungsorgane,
also namentlich die Volksvertretungen, ihre verfassungsmäßige Zustimmung gegeben
haben, ohne welche die Normen des Vertrages „im Innern" des Staates keine
Wirkungen entfalten können. Wie ein vom Parlament „verabschiedetes" Gesetz
noch nicht „gilt", bevor es zunächst einmal die Gutheißung oder Sanktion des
Monarchen erhalten hat, so wird auch ein von den Bevollmächtigten unterzeichneter
völkerrechtlicher Vertrag erst wirksam, wenn er von allen Kontrahenten gutgeheißen,
ratifiziert worden ist.

Aber auch mit der Sanktion tritt das Gesetz ebensowenig in Kraft, wie der
Vertrag mit der Ratifikation. Das Gesetz wird erst wirksam, wenn es seinen
Adressaten, den Gesetz-Unterworfenen, in gehöriger Form bekanntgegeben, wenn
es ausgefertigt und verkündet ist. Entsprechendes gilt für den völkerrechtlichen
Vertrag. Ein Unterschied besteht freilich darin, daß das Gesetz ein einseitiger
Befehl des Staates an seine Bürger, an seine Untertanen ist, während der Vertrag
ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft unter zwei oder mehreren gleichgeordneten
Parteien darstellt. Darum kann der Rechtsakt, der den Vertrag „vollendet", ihn
„perfiziert", nicht ein einseitiger Publikationsakt sein, sondern es nutz ein Rechtsakt
sein, bei dem alle Kontrahenten, die ja gleichgeordnete Parteien sind, zusammen¬
wirken. Dieser komplizierte Rechtsakt besteht darin, datz die Bevollmächtigten der
vertragschließenden Staaten die von ihren Staatshäuptern vollzogenen Ratifikations¬
urkunden untereinander prüfen und dann „austauschen" und schließlich über diesen
Austausch eine gemeinsame Niederschrift aufstellen. Darum wird ein völkerrechtlicher
Vertrag grundsätzlich erst wirksam, nachdem die „Ratifikationsurkunden ausgetauscht"
sind und über den Austausch ein „Protokoll errichtet" worden ist.

Von diesem an sich, d. h. wenn im Vertrage nichts anderes ausdrücklich
bestimmt ist, notwendigen Verfahren pflegt man in neuester Zeit bei großen
Kollektivverträgen, d. h. bei Verträgen, an denen eine große Zahl oder fast alle
Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft beteiligt find, etwas abzuweichen und ein im
Vertrage besonders zu regelndes, vereinfachtes Ratifikationsverfahren anzuwenden,
weil der Apparat durch den erneuten Zusammentritt aller Bevollmächtigten an
einen Ort zu kompliziert und auch zu kostspielig sein würde. Das für den
Versailler Frieden gültige vereinfachte Ratifikationsverfahren ist in den oben an¬
geführten Sätzen geregelt. Man wird sie nur richtig auslegen können, wenn
man die Grundsätze im Auge behält, von denen sie Abwandlungen bzw. Verein¬
fachungen darstellen sollen.

Die Vereinfachung besteht danach in folgendem:

Es findet kein „Austausch" der Ratifikationsurkunden statt. Die Bevoll¬
mächtigten brauchen darum nicht noch einmal alle gleichzeitig persönlich nach
Versailles zu kommen; sondern die Ratifikationsurkunden werden zunächst einmal
nur in Paris „niedergelegt", d. h, aufgestapelt, bis eine genügende Anzahl da ist.
Für die außereuropäischen Mächte, deren Reise nach Paris ja Wochen dauert,
bedarf es nicht einmal dieser Niederlegung, sondern es genügt die „diplomatische"
Mitteilung an die französische Negierung, daß die Ratifikation erteilt ist. Die
betreffendeUrkunde soll dann aber so schnell wie möglich nach Paris übermittelt werden.

Die erste „Zusammenfassung" der einzelnen niedergelegten Ratifikations¬
urkunden soll erfolgen, sobald mindestens Deutschland einerseits und drei Haupt-


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[0438] Materialien zur ostdeutschen Frage Um diese Bestimmungen zu verstehen, nutz man folgende völkerrechtliche Grundsätze im Auge behalten. Die Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertrages durch die Bevollmächtigten der kontrahierenden Staaten hat noch nicht die Bedeutung, daß damit der Vertrag „geschlossen" ist. Ihre Vollmacht geht im allgemeinen nur dahin, daß sie befugt sind, einen Vertragsentwurf aufzustellen, der so lange bloßer Entwurf bleibt, bis die Staatsorgane, denen die Verfassung ihrer Staaten die Befugnis zur völker¬ rechtlichen Vertretung, d. h. das Recht, ihre Staaten anderen Staaten gegenüber zu berechtigen und zu verpflichten, beilegen, in einem förmlichen Akte, den Ent¬ wurf „gutgeheißen", ihn „ratifiziert" haben. Im allgemeinen werden sie diese „nach außen" wirkende Ratifikation erst vornehmen, wenn die Gesetzgebungsorgane, also namentlich die Volksvertretungen, ihre verfassungsmäßige Zustimmung gegeben haben, ohne welche die Normen des Vertrages „im Innern" des Staates keine Wirkungen entfalten können. Wie ein vom Parlament „verabschiedetes" Gesetz noch nicht „gilt", bevor es zunächst einmal die Gutheißung oder Sanktion des Monarchen erhalten hat, so wird auch ein von den Bevollmächtigten unterzeichneter völkerrechtlicher Vertrag erst wirksam, wenn er von allen Kontrahenten gutgeheißen, ratifiziert worden ist. Aber auch mit der Sanktion tritt das Gesetz ebensowenig in Kraft, wie der Vertrag mit der Ratifikation. Das Gesetz wird erst wirksam, wenn es seinen Adressaten, den Gesetz-Unterworfenen, in gehöriger Form bekanntgegeben, wenn es ausgefertigt und verkündet ist. Entsprechendes gilt für den völkerrechtlichen Vertrag. Ein Unterschied besteht freilich darin, daß das Gesetz ein einseitiger Befehl des Staates an seine Bürger, an seine Untertanen ist, während der Vertrag ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft unter zwei oder mehreren gleichgeordneten Parteien darstellt. Darum kann der Rechtsakt, der den Vertrag „vollendet", ihn „perfiziert", nicht ein einseitiger Publikationsakt sein, sondern es nutz ein Rechtsakt sein, bei dem alle Kontrahenten, die ja gleichgeordnete Parteien sind, zusammen¬ wirken. Dieser komplizierte Rechtsakt besteht darin, datz die Bevollmächtigten der vertragschließenden Staaten die von ihren Staatshäuptern vollzogenen Ratifikations¬ urkunden untereinander prüfen und dann „austauschen" und schließlich über diesen Austausch eine gemeinsame Niederschrift aufstellen. Darum wird ein völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich erst wirksam, nachdem die „Ratifikationsurkunden ausgetauscht" sind und über den Austausch ein „Protokoll errichtet" worden ist. Von diesem an sich, d. h. wenn im Vertrage nichts anderes ausdrücklich bestimmt ist, notwendigen Verfahren pflegt man in neuester Zeit bei großen Kollektivverträgen, d. h. bei Verträgen, an denen eine große Zahl oder fast alle Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft beteiligt find, etwas abzuweichen und ein im Vertrage besonders zu regelndes, vereinfachtes Ratifikationsverfahren anzuwenden, weil der Apparat durch den erneuten Zusammentritt aller Bevollmächtigten an einen Ort zu kompliziert und auch zu kostspielig sein würde. Das für den Versailler Frieden gültige vereinfachte Ratifikationsverfahren ist in den oben an¬ geführten Sätzen geregelt. Man wird sie nur richtig auslegen können, wenn man die Grundsätze im Auge behält, von denen sie Abwandlungen bzw. Verein¬ fachungen darstellen sollen. Die Vereinfachung besteht danach in folgendem: Es findet kein „Austausch" der Ratifikationsurkunden statt. Die Bevoll¬ mächtigten brauchen darum nicht noch einmal alle gleichzeitig persönlich nach Versailles zu kommen; sondern die Ratifikationsurkunden werden zunächst einmal nur in Paris „niedergelegt", d. h, aufgestapelt, bis eine genügende Anzahl da ist. Für die außereuropäischen Mächte, deren Reise nach Paris ja Wochen dauert, bedarf es nicht einmal dieser Niederlegung, sondern es genügt die „diplomatische" Mitteilung an die französische Negierung, daß die Ratifikation erteilt ist. Die betreffendeUrkunde soll dann aber so schnell wie möglich nach Paris übermittelt werden. Die erste „Zusammenfassung" der einzelnen niedergelegten Ratifikations¬ urkunden soll erfolgen, sobald mindestens Deutschland einerseits und drei Haupt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/438>, abgerufen am 15.01.2025.