Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Materialien zur ostdeutschen Frage [Beginn Spaltensatz] onalversammlung Hermann Schulz-Elbing Die Würfel sind gefallen. Die National¬ In dem Augenblicke der Ratifikation des haben uns die Wahrheit erzählt: die En¬ Herr Neubauer gab im Namen der Zen¬ Herr Raube von der Unabhängigen Als Vertreter der deutschen demokratischen Materialien zur ostdeutschen Frage [Beginn Spaltensatz] onalversammlung Hermann Schulz-Elbing Die Würfel sind gefallen. Die National¬ In dem Augenblicke der Ratifikation des haben uns die Wahrheit erzählt: die En¬ Herr Neubauer gab im Namen der Zen¬ Herr Raube von der Unabhängigen Als Vertreter der deutschen demokratischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336668"/> <fw type="header" place="top"> Materialien zur ostdeutschen Frage</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1459" prev="#ID_1458"> onalversammlung Hermann Schulz-Elbing<lb/> namens der mehrheitssozialistischen Partei.<lb/> Redner führte aus:</p> <p xml:id="ID_1460"> Die Würfel sind gefallen. Die National¬<lb/> versammlung hat die Regierung beauftragt,<lb/> die Friedensbedingungen der Entente zu<lb/> unterschreiben. Die schwere Frage für den<lb/> Osten sei jetzt: Was tun? Es gäbe ja<lb/> leichtsinnige Stimmen, die dazu raten, hier<lb/> im Osten auf eigene Faust vorzugehen und<lb/> bewaffneten Widerstand zu leisten. Hiervor<lb/> müsse man energisch warnen. Wir würden<lb/> auf diese Weise in denselben Taumel hinein¬<lb/> gehen, wie im August 1914, aus dem wir<lb/> so furchtbar ernüchtert herauskamen. Auch<lb/> im August 1914 ist das deutsche Volk in<lb/> eine Siedehitze hineingesetzt worden. Das<lb/> sollte uns eine Lehre sein, und wir sollten<lb/> uns hüten, uns wieder von gewissenlosen<lb/> Hetzern in einen derartigen chauvinistischen<lb/> Taumel hineinsetzen zu lassen. Es muß<lb/> niedriger gehängt werden, wenn Geheimrat<lb/> Cleinow-Bromberg in der „Täglichen Rund¬<lb/> schau" alle diejenigen, die den Friedens¬<lb/> vertrag angenommen haben, als Lumpen<lb/> bezeichnet. Im Westen und in Mitteldeutsch¬<lb/> land bis tief nach Ostdeutschland hinein sei<lb/> die Stimmung für Unterschreiben gewesen.<lb/> In Weimar seien Stöße und abermals Stöße<lb/> von Telegrammen eingelaufen, in denen auf¬<lb/> gefordert wurde: „Unterschreibt!" Die En¬<lb/> tente hat heute noch zehnmal soviel Truppen<lb/> im Westen, als wir augenblicklich besitzen.<lb/> Auch unsere eigene Generalität in Berlin<lb/> hat von bewaffnetem Widerstand abgeraten,<lb/> denn mit der heroischen Geste und Phrase<lb/> sei es nicht getan. Man müsse den Tatsachen<lb/> nüchtern ins Auge sehen.</p> <p xml:id="ID_1461" next="#ID_1462"> In dem Augenblicke der Ratifikation des<lb/> Vertrages müssen wir im Osten uns fügen.<lb/> Andernfalls würde die Entente das als einen<lb/> Bruch des Vertrages ansehen, und einfach<lb/> im Westen einmarschieren. Schon aus diesem<lb/> Grunde sei eS gegen die deutschen Brüder<lb/> in der Republik geradezu ein Verbrechen,<lb/> hier zu bewaffneten Sonderaktionen aufzu¬<lb/> reizen. Das Ende dieser Sonderaktion würde<lb/> ein Ende mit Schrecken sein. Möge man<lb/> dem deutschen Volte nicht Vorreden, die En¬<lb/> tente rücke nicht ein. Wir wissen es besser.<lb/> Die Abgeordneten aus den besetzten Gebieten</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> haben uns die Wahrheit erzählt: die En¬<lb/> tente hatte es lieber gesehen, wir hätten<lb/> nicht unterschrieben, damit sie hätten ein¬<lb/> rücken können. Seien wir einig! Stellen<lb/> wir uns hinter die Regierung! Verwerfen<lb/> wir sämtliche Putsche, von welcher Seite sie<lb/> auch kommen mögen, denn genau wie 1914<lb/> Würden auch jetzt die eigentlichen Hetzer<lb/> nicht kämpfen, sondern hinten in Sicherheit<lb/> sitzen und andere für sich kämpfen lassen.<lb/> (Lebhafter Beifall.)</p> <p xml:id="ID_1463"> Herr Neubauer gab im Namen der Zen¬<lb/> trumspartei die Erklärung ab, daß seine<lb/> Partei allezeit eine gut deutsche Partei bleiben<lb/> und auch nach der Abtretung Westprsußens<lb/> ihr Deutschtum nie verleugnen werde. Auch<lb/> dieser Redner betonte, daß man sich mit<lb/> den vollendeten Tatsachen abfinden und da¬<lb/> her jeden bewaffneten Widerstand verurteilen<lb/> müsse.</p> <p xml:id="ID_1464"> Herr Raube von der Unabhängigen<lb/> Sozialdemokratisckien Partei unterstrich im<lb/> wesentlichen die Ausführungen des Abgeord¬<lb/> neten Schulz-Elbing. Er bezeichnete die<lb/> Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, hier<lb/> im Osten einen neuen Krieg zu entfesseln,<lb/> als eine Verantwortungslosigkeit sonder¬<lb/> gleichen und als ein Verbrechen am<lb/> ganzen Volke. Der Plan des Geheimrath<lb/> Cleinow, der auf die Ausrufung zweier Ost¬<lb/> republiken hinzielte, war nicht nur ein<lb/> grenzenloser Leichtsinn, sondern verbrecherischer<lb/> Hochverrat. Bei der Partei des Redners<lb/> seien Hunderte von Briefen von Freiwilligen¬<lb/> verbänden eingelaufen, die energisch gegen<lb/> einen weiteren Kampf nach Friedensunter¬<lb/> zeichnung protestierten. Die Truppe hätt«<lb/> die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die<lb/> Maßnahmen der Regierung auszuführen,<lb/> andernfalls sie die Volks- und Reichsinteressen<lb/> empfindlich schädige. Redner verurteilte die<lb/> Versenkung der deutschen Flotte in der Scapa<lb/> Flow; diese sehr erhebliche Summe werde<lb/> dem deutschen Volke natürlich angerechnet<lb/> werden. Weiter wandte sich Redner scharf<lb/> gegen die deutscherseits vorgekommenen Pro¬<lb/> vokationen an der polnischen Demarkations¬<lb/> linie.</p> <p xml:id="ID_1465" next="#ID_1466"> Als Vertreter der deutschen demokratischen<lb/> Partei sprach deren Sekretär, Herr Miro.<lb/> Er verurteilte den Gewaltfrieden und be-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Materialien zur ostdeutschen Frage
onalversammlung Hermann Schulz-Elbing
namens der mehrheitssozialistischen Partei.
Redner führte aus:
Die Würfel sind gefallen. Die National¬
versammlung hat die Regierung beauftragt,
die Friedensbedingungen der Entente zu
unterschreiben. Die schwere Frage für den
Osten sei jetzt: Was tun? Es gäbe ja
leichtsinnige Stimmen, die dazu raten, hier
im Osten auf eigene Faust vorzugehen und
bewaffneten Widerstand zu leisten. Hiervor
müsse man energisch warnen. Wir würden
auf diese Weise in denselben Taumel hinein¬
gehen, wie im August 1914, aus dem wir
so furchtbar ernüchtert herauskamen. Auch
im August 1914 ist das deutsche Volk in
eine Siedehitze hineingesetzt worden. Das
sollte uns eine Lehre sein, und wir sollten
uns hüten, uns wieder von gewissenlosen
Hetzern in einen derartigen chauvinistischen
Taumel hineinsetzen zu lassen. Es muß
niedriger gehängt werden, wenn Geheimrat
Cleinow-Bromberg in der „Täglichen Rund¬
schau" alle diejenigen, die den Friedens¬
vertrag angenommen haben, als Lumpen
bezeichnet. Im Westen und in Mitteldeutsch¬
land bis tief nach Ostdeutschland hinein sei
die Stimmung für Unterschreiben gewesen.
In Weimar seien Stöße und abermals Stöße
von Telegrammen eingelaufen, in denen auf¬
gefordert wurde: „Unterschreibt!" Die En¬
tente hat heute noch zehnmal soviel Truppen
im Westen, als wir augenblicklich besitzen.
Auch unsere eigene Generalität in Berlin
hat von bewaffnetem Widerstand abgeraten,
denn mit der heroischen Geste und Phrase
sei es nicht getan. Man müsse den Tatsachen
nüchtern ins Auge sehen.
In dem Augenblicke der Ratifikation des
Vertrages müssen wir im Osten uns fügen.
Andernfalls würde die Entente das als einen
Bruch des Vertrages ansehen, und einfach
im Westen einmarschieren. Schon aus diesem
Grunde sei eS gegen die deutschen Brüder
in der Republik geradezu ein Verbrechen,
hier zu bewaffneten Sonderaktionen aufzu¬
reizen. Das Ende dieser Sonderaktion würde
ein Ende mit Schrecken sein. Möge man
dem deutschen Volte nicht Vorreden, die En¬
tente rücke nicht ein. Wir wissen es besser.
Die Abgeordneten aus den besetzten Gebieten
haben uns die Wahrheit erzählt: die En¬
tente hatte es lieber gesehen, wir hätten
nicht unterschrieben, damit sie hätten ein¬
rücken können. Seien wir einig! Stellen
wir uns hinter die Regierung! Verwerfen
wir sämtliche Putsche, von welcher Seite sie
auch kommen mögen, denn genau wie 1914
Würden auch jetzt die eigentlichen Hetzer
nicht kämpfen, sondern hinten in Sicherheit
sitzen und andere für sich kämpfen lassen.
(Lebhafter Beifall.)
Herr Neubauer gab im Namen der Zen¬
trumspartei die Erklärung ab, daß seine
Partei allezeit eine gut deutsche Partei bleiben
und auch nach der Abtretung Westprsußens
ihr Deutschtum nie verleugnen werde. Auch
dieser Redner betonte, daß man sich mit
den vollendeten Tatsachen abfinden und da¬
her jeden bewaffneten Widerstand verurteilen
müsse.
Herr Raube von der Unabhängigen
Sozialdemokratisckien Partei unterstrich im
wesentlichen die Ausführungen des Abgeord¬
neten Schulz-Elbing. Er bezeichnete die
Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, hier
im Osten einen neuen Krieg zu entfesseln,
als eine Verantwortungslosigkeit sonder¬
gleichen und als ein Verbrechen am
ganzen Volke. Der Plan des Geheimrath
Cleinow, der auf die Ausrufung zweier Ost¬
republiken hinzielte, war nicht nur ein
grenzenloser Leichtsinn, sondern verbrecherischer
Hochverrat. Bei der Partei des Redners
seien Hunderte von Briefen von Freiwilligen¬
verbänden eingelaufen, die energisch gegen
einen weiteren Kampf nach Friedensunter¬
zeichnung protestierten. Die Truppe hätt«
die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die
Maßnahmen der Regierung auszuführen,
andernfalls sie die Volks- und Reichsinteressen
empfindlich schädige. Redner verurteilte die
Versenkung der deutschen Flotte in der Scapa
Flow; diese sehr erhebliche Summe werde
dem deutschen Volke natürlich angerechnet
werden. Weiter wandte sich Redner scharf
gegen die deutscherseits vorgekommenen Pro¬
vokationen an der polnischen Demarkations¬
linie.
Als Vertreter der deutschen demokratischen
Partei sprach deren Sekretär, Herr Miro.
Er verurteilte den Gewaltfrieden und be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |