Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Die deutsche Studentenschaft wendet sich
dieser Tage mit einem Aufruf unter dem Titel
"Die Auslieferung der deutschen Wissenschaft an
das Ausland" an das deutsche Voll. In dem
Bewußtsein seiner Verantwortung für das
ganze Volk hat der deutsche Student sich dem
Dienst an Vaterland und Volk nie endogen:
er hat auch der Republik mit der Waffe ge¬
dient und trägt mit Geduld die Last der Not.
Aber Rücksicht und Nachsicht hört auf, wenn
es dahin kommt, daß d>e Wissenschaft, sein
LsbenSelement, gegenüber anderen Arbeits¬
gebieten ini Staate benachteiligt wird. Dieser
Moment ist heute eingetreten, da ungeheure
Mittel für die Besserung der Lage des Werk¬
tätigen Volkes von Staats wegen zur Ver¬
fügung gestellt, aber den Hochschulen die
nötigen Mittel für Unterricht und Forschung
durenthalten werden. Mit einem Fünftel des
Friedensetats sollen uns-re Institute existieren
und ihre hochgesteckten Aufgaben erfüllen.
Dies Ziel zu erreichen ist ein Unding: Die
Forschungsanstalten werden notwendig zu
Lehranstalten herabgedrückt. Forscher von
Ruf (er Göttingen letzthin der Physiker P.
Debye) werden gezwungen, Rufen ins Aus¬
land zu folgen. Und das Kultusministerium
erklärt sich außerstande, die Verhältnisse zu
Andern! -- Gegen diese Hochschulpolitik der
Negierung wendet sich die deutsche Studenten¬
schaft. Sie erblickt darin eine unverdiente
Zurücksetzung der akademischen Jugend, der
vielfach gemachte Versprechungen tatkräftiger
Unterstützung nicht gehalten werden, und,
was ganz und gar unerträglich ist, eine Nicht¬
achtung des hohen Berufs der Hochschule,
aus deren Forschungsinstituten durch die
Ausschöpfung und Ausgestaltung neuer Lebens¬
werte schaffender Ideen Quellen des Fort-
schritts des Volkes und der Menschheit von
unersetzlichen Werte fließen solltenl Der
Staat beraubt sich selbst mit seyenden Augen,
wenn er so fortfährt, wie er beginnt, der
Stätten, von denen immer wieder aufs neue
befruchtende Gedanken hinausgehen könnten
in das Reich der Praxis. Reine Wissen¬
schaft und voraussetzungslose Forschung sind
die unversieglichen, aber auch die einzigen

[Spaltenumbruch]

Quellen der Aufwärtsentwicklung Praktischen
Könnens des Volkes. So mahnt die deutsche
Studentenschaft die Forschungsanstalten, die
Hochschulen zu hüten und zu bewahren, in
denen wir den Schlüssel in der Hand haben
zur Rettung und zur Wiederaufrichtung des
ganzen Volkes. Nicht Ausbesserungen an der
Fassade des Volksgebäudes, sondern Be¬
festigung des Grundsteins: das ist der Wunsch
und die Forderung der deutschen Studenten¬
schaft für die Hochschulpolitik der Regierung;
angesichts dessen, was mit der Auslieferung
der deutschen Wissenschaft ans Ausland für
das gesamte deutsche Volk auf dem Spiele
steht, erscheint die geplante Volksbildungs-
erneuerung als ein Ausbesserungsunternehmen;
Fundamentierungsarbeit aber ist die Sicher¬
stellung des Lebens und der Fortentwicklung
unserer Hochschulen und Forschungsstätten I

Sollte aber der feinhörige Belauschcr des
Zeitgeistes nicht meinen, wenn er solche be¬
trüblichen Tatsachen vernimmt, daß es den
verantwortlichen Stellen, von denen die
Initiative zu politischem Handeln auszugehen
hat, gegenüber dieser Grundfrage unseres
Staatslebens von der Fähigkeit zur rechten
Erfassung ihres Wertes abgeht? Scheint es
nicht gerade hier wieder, daß es unserer
Politik an der Abstufung der nötigen Wer¬
tungen von den politischen Ewigkeitswerten
zu den Notwendigkeiten der Tagespolitik
fehlt, unserer Politik, die für das, was sie
Volksbildung nennt, ein offenes Herz und
einen offenen Beutel bezeigt, aber die Hoch¬
schulen stiefmütterlich behandelt? Liegen die
Dinge so, dann müssen wir den Aufruf der
Studentenschaft als einen Weckruf beurteilen,
der uns mahnt, über den Gedanken, welche
die Bildungsideale der einzelnen Politischen
Kreise beherrschen, nicht die Frage außer acht
lassen, die das ganze Volk angehen, die Kern¬
frage seiner Rettung durch die Fortbildung
kulturschöpferischer Ideen in den dazu be¬
rufenen Forschungsinstituten unserer Hoch¬
schulen, durch die Wissenschaft.

Unsere Hochschulen sind nicht Bildungs¬
anstalten für einen besonderen Stand, sondern
die Stätten, an denen die Hochgedanken deS

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Die deutsche Studentenschaft wendet sich
dieser Tage mit einem Aufruf unter dem Titel
»Die Auslieferung der deutschen Wissenschaft an
das Ausland" an das deutsche Voll. In dem
Bewußtsein seiner Verantwortung für das
ganze Volk hat der deutsche Student sich dem
Dienst an Vaterland und Volk nie endogen:
er hat auch der Republik mit der Waffe ge¬
dient und trägt mit Geduld die Last der Not.
Aber Rücksicht und Nachsicht hört auf, wenn
es dahin kommt, daß d>e Wissenschaft, sein
LsbenSelement, gegenüber anderen Arbeits¬
gebieten ini Staate benachteiligt wird. Dieser
Moment ist heute eingetreten, da ungeheure
Mittel für die Besserung der Lage des Werk¬
tätigen Volkes von Staats wegen zur Ver¬
fügung gestellt, aber den Hochschulen die
nötigen Mittel für Unterricht und Forschung
durenthalten werden. Mit einem Fünftel des
Friedensetats sollen uns-re Institute existieren
und ihre hochgesteckten Aufgaben erfüllen.
Dies Ziel zu erreichen ist ein Unding: Die
Forschungsanstalten werden notwendig zu
Lehranstalten herabgedrückt. Forscher von
Ruf (er Göttingen letzthin der Physiker P.
Debye) werden gezwungen, Rufen ins Aus¬
land zu folgen. Und das Kultusministerium
erklärt sich außerstande, die Verhältnisse zu
Andern! — Gegen diese Hochschulpolitik der
Negierung wendet sich die deutsche Studenten¬
schaft. Sie erblickt darin eine unverdiente
Zurücksetzung der akademischen Jugend, der
vielfach gemachte Versprechungen tatkräftiger
Unterstützung nicht gehalten werden, und,
was ganz und gar unerträglich ist, eine Nicht¬
achtung des hohen Berufs der Hochschule,
aus deren Forschungsinstituten durch die
Ausschöpfung und Ausgestaltung neuer Lebens¬
werte schaffender Ideen Quellen des Fort-
schritts des Volkes und der Menschheit von
unersetzlichen Werte fließen solltenl Der
Staat beraubt sich selbst mit seyenden Augen,
wenn er so fortfährt, wie er beginnt, der
Stätten, von denen immer wieder aufs neue
befruchtende Gedanken hinausgehen könnten
in das Reich der Praxis. Reine Wissen¬
schaft und voraussetzungslose Forschung sind
die unversieglichen, aber auch die einzigen

[Spaltenumbruch]

Quellen der Aufwärtsentwicklung Praktischen
Könnens des Volkes. So mahnt die deutsche
Studentenschaft die Forschungsanstalten, die
Hochschulen zu hüten und zu bewahren, in
denen wir den Schlüssel in der Hand haben
zur Rettung und zur Wiederaufrichtung des
ganzen Volkes. Nicht Ausbesserungen an der
Fassade des Volksgebäudes, sondern Be¬
festigung des Grundsteins: das ist der Wunsch
und die Forderung der deutschen Studenten¬
schaft für die Hochschulpolitik der Regierung;
angesichts dessen, was mit der Auslieferung
der deutschen Wissenschaft ans Ausland für
das gesamte deutsche Volk auf dem Spiele
steht, erscheint die geplante Volksbildungs-
erneuerung als ein Ausbesserungsunternehmen;
Fundamentierungsarbeit aber ist die Sicher¬
stellung des Lebens und der Fortentwicklung
unserer Hochschulen und Forschungsstätten I

Sollte aber der feinhörige Belauschcr des
Zeitgeistes nicht meinen, wenn er solche be¬
trüblichen Tatsachen vernimmt, daß es den
verantwortlichen Stellen, von denen die
Initiative zu politischem Handeln auszugehen
hat, gegenüber dieser Grundfrage unseres
Staatslebens von der Fähigkeit zur rechten
Erfassung ihres Wertes abgeht? Scheint es
nicht gerade hier wieder, daß es unserer
Politik an der Abstufung der nötigen Wer¬
tungen von den politischen Ewigkeitswerten
zu den Notwendigkeiten der Tagespolitik
fehlt, unserer Politik, die für das, was sie
Volksbildung nennt, ein offenes Herz und
einen offenen Beutel bezeigt, aber die Hoch¬
schulen stiefmütterlich behandelt? Liegen die
Dinge so, dann müssen wir den Aufruf der
Studentenschaft als einen Weckruf beurteilen,
der uns mahnt, über den Gedanken, welche
die Bildungsideale der einzelnen Politischen
Kreise beherrschen, nicht die Frage außer acht
lassen, die das ganze Volk angehen, die Kern¬
frage seiner Rettung durch die Fortbildung
kulturschöpferischer Ideen in den dazu be¬
rufenen Forschungsinstituten unserer Hoch¬
schulen, durch die Wissenschaft.

Unsere Hochschulen sind nicht Bildungs¬
anstalten für einen besonderen Stand, sondern
die Stätten, an denen die Hochgedanken deS

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336613"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <cb type="start"/>
          <p xml:id="ID_1185" next="#ID_1186"> Die deutsche Studentenschaft wendet sich<lb/>
dieser Tage mit einem Aufruf unter dem Titel<lb/>
»Die Auslieferung der deutschen Wissenschaft an<lb/>
das Ausland" an das deutsche Voll. In dem<lb/>
Bewußtsein seiner Verantwortung für das<lb/>
ganze Volk hat der deutsche Student sich dem<lb/>
Dienst an Vaterland und Volk nie endogen:<lb/>
er hat auch der Republik mit der Waffe ge¬<lb/>
dient und trägt mit Geduld die Last der Not.<lb/>
Aber Rücksicht und Nachsicht hört auf, wenn<lb/>
es dahin kommt, daß d&gt;e Wissenschaft, sein<lb/>
LsbenSelement, gegenüber anderen Arbeits¬<lb/>
gebieten ini Staate benachteiligt wird. Dieser<lb/>
Moment ist heute eingetreten, da ungeheure<lb/>
Mittel für die Besserung der Lage des Werk¬<lb/>
tätigen Volkes von Staats wegen zur Ver¬<lb/>
fügung gestellt, aber den Hochschulen die<lb/>
nötigen Mittel für Unterricht und Forschung<lb/>
durenthalten werden. Mit einem Fünftel des<lb/>
Friedensetats sollen uns-re Institute existieren<lb/>
und ihre hochgesteckten Aufgaben erfüllen.<lb/>
Dies Ziel zu erreichen ist ein Unding: Die<lb/>
Forschungsanstalten werden notwendig zu<lb/>
Lehranstalten herabgedrückt.  Forscher von<lb/>
Ruf (er Göttingen letzthin der Physiker P.<lb/>
Debye) werden gezwungen, Rufen ins Aus¬<lb/>
land zu folgen. Und das Kultusministerium<lb/>
erklärt sich außerstande, die Verhältnisse zu<lb/>
Andern! &#x2014; Gegen diese Hochschulpolitik der<lb/>
Negierung wendet sich die deutsche Studenten¬<lb/>
schaft.  Sie erblickt darin eine unverdiente<lb/>
Zurücksetzung der akademischen Jugend, der<lb/>
vielfach gemachte Versprechungen tatkräftiger<lb/>
Unterstützung nicht gehalten werden, und,<lb/>
was ganz und gar unerträglich ist, eine Nicht¬<lb/>
achtung des hohen Berufs der Hochschule,<lb/>
aus deren Forschungsinstituten durch die<lb/>
Ausschöpfung und Ausgestaltung neuer Lebens¬<lb/>
werte schaffender Ideen Quellen des Fort-<lb/>
schritts des Volkes und der Menschheit von<lb/>
unersetzlichen Werte fließen solltenl Der<lb/>
Staat beraubt sich selbst mit seyenden Augen,<lb/>
wenn er so fortfährt, wie er beginnt, der<lb/>
Stätten, von denen immer wieder aufs neue<lb/>
befruchtende Gedanken hinausgehen könnten<lb/>
in das Reich der Praxis.  Reine Wissen¬<lb/>
schaft und voraussetzungslose Forschung sind<lb/>
die unversieglichen, aber auch die einzigen</p>
          <cb/><lb/>
          <p xml:id="ID_1186" prev="#ID_1185"> Quellen der Aufwärtsentwicklung Praktischen<lb/>
Könnens des Volkes. So mahnt die deutsche<lb/>
Studentenschaft die Forschungsanstalten, die<lb/>
Hochschulen zu hüten und zu bewahren, in<lb/>
denen wir den Schlüssel in der Hand haben<lb/>
zur Rettung und zur Wiederaufrichtung des<lb/>
ganzen Volkes. Nicht Ausbesserungen an der<lb/>
Fassade des Volksgebäudes, sondern Be¬<lb/>
festigung des Grundsteins: das ist der Wunsch<lb/>
und die Forderung der deutschen Studenten¬<lb/>
schaft für die Hochschulpolitik der Regierung;<lb/>
angesichts dessen, was mit der Auslieferung<lb/>
der deutschen Wissenschaft ans Ausland für<lb/>
das gesamte deutsche Volk auf dem Spiele<lb/>
steht, erscheint die geplante Volksbildungs-<lb/>
erneuerung als ein Ausbesserungsunternehmen;<lb/>
Fundamentierungsarbeit aber ist die Sicher¬<lb/>
stellung des Lebens und der Fortentwicklung<lb/>
unserer Hochschulen und Forschungsstätten I</p>
          <p xml:id="ID_1187"> Sollte aber der feinhörige Belauschcr des<lb/>
Zeitgeistes nicht meinen, wenn er solche be¬<lb/>
trüblichen Tatsachen vernimmt, daß es den<lb/>
verantwortlichen Stellen, von denen die<lb/>
Initiative zu politischem Handeln auszugehen<lb/>
hat, gegenüber dieser Grundfrage unseres<lb/>
Staatslebens von der Fähigkeit zur rechten<lb/>
Erfassung ihres Wertes abgeht? Scheint es<lb/>
nicht gerade hier wieder, daß es unserer<lb/>
Politik an der Abstufung der nötigen Wer¬<lb/>
tungen von den politischen Ewigkeitswerten<lb/>
zu den Notwendigkeiten der Tagespolitik<lb/>
fehlt, unserer Politik, die für das, was sie<lb/>
Volksbildung nennt, ein offenes Herz und<lb/>
einen offenen Beutel bezeigt, aber die Hoch¬<lb/>
schulen stiefmütterlich behandelt? Liegen die<lb/>
Dinge so, dann müssen wir den Aufruf der<lb/>
Studentenschaft als einen Weckruf beurteilen,<lb/>
der uns mahnt, über den Gedanken, welche<lb/>
die Bildungsideale der einzelnen Politischen<lb/>
Kreise beherrschen, nicht die Frage außer acht<lb/>
lassen, die das ganze Volk angehen, die Kern¬<lb/>
frage seiner Rettung durch die Fortbildung<lb/>
kulturschöpferischer Ideen in den dazu be¬<lb/>
rufenen Forschungsinstituten unserer Hoch¬<lb/>
schulen, durch die Wissenschaft.</p>
          <p xml:id="ID_1188" next="#ID_1189"> Unsere Hochschulen sind nicht Bildungs¬<lb/>
anstalten für einen besonderen Stand, sondern<lb/>
die Stätten, an denen die Hochgedanken deS</p>
          <cb type="end"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Die deutsche Studentenschaft wendet sich dieser Tage mit einem Aufruf unter dem Titel »Die Auslieferung der deutschen Wissenschaft an das Ausland" an das deutsche Voll. In dem Bewußtsein seiner Verantwortung für das ganze Volk hat der deutsche Student sich dem Dienst an Vaterland und Volk nie endogen: er hat auch der Republik mit der Waffe ge¬ dient und trägt mit Geduld die Last der Not. Aber Rücksicht und Nachsicht hört auf, wenn es dahin kommt, daß d>e Wissenschaft, sein LsbenSelement, gegenüber anderen Arbeits¬ gebieten ini Staate benachteiligt wird. Dieser Moment ist heute eingetreten, da ungeheure Mittel für die Besserung der Lage des Werk¬ tätigen Volkes von Staats wegen zur Ver¬ fügung gestellt, aber den Hochschulen die nötigen Mittel für Unterricht und Forschung durenthalten werden. Mit einem Fünftel des Friedensetats sollen uns-re Institute existieren und ihre hochgesteckten Aufgaben erfüllen. Dies Ziel zu erreichen ist ein Unding: Die Forschungsanstalten werden notwendig zu Lehranstalten herabgedrückt. Forscher von Ruf (er Göttingen letzthin der Physiker P. Debye) werden gezwungen, Rufen ins Aus¬ land zu folgen. Und das Kultusministerium erklärt sich außerstande, die Verhältnisse zu Andern! — Gegen diese Hochschulpolitik der Negierung wendet sich die deutsche Studenten¬ schaft. Sie erblickt darin eine unverdiente Zurücksetzung der akademischen Jugend, der vielfach gemachte Versprechungen tatkräftiger Unterstützung nicht gehalten werden, und, was ganz und gar unerträglich ist, eine Nicht¬ achtung des hohen Berufs der Hochschule, aus deren Forschungsinstituten durch die Ausschöpfung und Ausgestaltung neuer Lebens¬ werte schaffender Ideen Quellen des Fort- schritts des Volkes und der Menschheit von unersetzlichen Werte fließen solltenl Der Staat beraubt sich selbst mit seyenden Augen, wenn er so fortfährt, wie er beginnt, der Stätten, von denen immer wieder aufs neue befruchtende Gedanken hinausgehen könnten in das Reich der Praxis. Reine Wissen¬ schaft und voraussetzungslose Forschung sind die unversieglichen, aber auch die einzigen Quellen der Aufwärtsentwicklung Praktischen Könnens des Volkes. So mahnt die deutsche Studentenschaft die Forschungsanstalten, die Hochschulen zu hüten und zu bewahren, in denen wir den Schlüssel in der Hand haben zur Rettung und zur Wiederaufrichtung des ganzen Volkes. Nicht Ausbesserungen an der Fassade des Volksgebäudes, sondern Be¬ festigung des Grundsteins: das ist der Wunsch und die Forderung der deutschen Studenten¬ schaft für die Hochschulpolitik der Regierung; angesichts dessen, was mit der Auslieferung der deutschen Wissenschaft ans Ausland für das gesamte deutsche Volk auf dem Spiele steht, erscheint die geplante Volksbildungs- erneuerung als ein Ausbesserungsunternehmen; Fundamentierungsarbeit aber ist die Sicher¬ stellung des Lebens und der Fortentwicklung unserer Hochschulen und Forschungsstätten I Sollte aber der feinhörige Belauschcr des Zeitgeistes nicht meinen, wenn er solche be¬ trüblichen Tatsachen vernimmt, daß es den verantwortlichen Stellen, von denen die Initiative zu politischem Handeln auszugehen hat, gegenüber dieser Grundfrage unseres Staatslebens von der Fähigkeit zur rechten Erfassung ihres Wertes abgeht? Scheint es nicht gerade hier wieder, daß es unserer Politik an der Abstufung der nötigen Wer¬ tungen von den politischen Ewigkeitswerten zu den Notwendigkeiten der Tagespolitik fehlt, unserer Politik, die für das, was sie Volksbildung nennt, ein offenes Herz und einen offenen Beutel bezeigt, aber die Hoch¬ schulen stiefmütterlich behandelt? Liegen die Dinge so, dann müssen wir den Aufruf der Studentenschaft als einen Weckruf beurteilen, der uns mahnt, über den Gedanken, welche die Bildungsideale der einzelnen Politischen Kreise beherrschen, nicht die Frage außer acht lassen, die das ganze Volk angehen, die Kern¬ frage seiner Rettung durch die Fortbildung kulturschöpferischer Ideen in den dazu be¬ rufenen Forschungsinstituten unserer Hoch¬ schulen, durch die Wissenschaft. Unsere Hochschulen sind nicht Bildungs¬ anstalten für einen besonderen Stand, sondern die Stätten, an denen die Hochgedanken deS

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/323>, abgerufen am 15.01.2025.