Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Frankreichs deutsche Politik Augenblicke, in denen er sich darüber klar ist, daß jeder weitere Widerstand Der zweite Fehler war der, daß man diese neugebildete deutsche Negierung, Der dritte Fehler -- ich rede hier nicht vom deutschen, sondern nur von Der vierte Fehler ist der, daß Frankreich die Regierung ihrer letzten Macht- Frankreichs deutsche Politik Augenblicke, in denen er sich darüber klar ist, daß jeder weitere Widerstand Der zweite Fehler war der, daß man diese neugebildete deutsche Negierung, Der dritte Fehler — ich rede hier nicht vom deutschen, sondern nur von Der vierte Fehler ist der, daß Frankreich die Regierung ihrer letzten Macht- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336607"/> <fw type="header" place="top"> Frankreichs deutsche Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1164" prev="#ID_1163"> Augenblicke, in denen er sich darüber klar ist, daß jeder weitere Widerstand<lb/> unnütz und unmöglich ist und daß er eben die Folgen seiner Niederlage auf sich<lb/> zu nehmen hat. Daß wir Einbußen an Territorien erleiden würden, war nach allem,<lb/> was vorhergegangen, nicht anders zu erwarten. Der Fehler war der, daß man sich<lb/> nicht darauf beschränkte, die Konsequenzen der am Ende des Krieges bestehenden<lb/> Machtverhältnisse zu ziehen, sondern daß man darauf ausging, die augenblickliche<lb/> Machtlage ins Unabsehbare zu verewigen, wider alle Natur politischer Unmöglich-<lb/> keiten. Man forderte nicht nur Anerkennung der gegenwärtigen Machtverhälmisse,<lb/> sondern Anerkennung dauernder Versklavung. Man haderte sich den Teufel darum,<lb/> ob Deutschland willig war, das Verlangte zu leisten, oder überzeugt war, es leisten<lb/> zu können, man verlangte blinde Unterwerfung, man ließ es auf einen Re¬<lb/> gierungswechsel ankommen, nur um die Unterschrift zu erzwingen. Damit soll<lb/> natürlich nicht gesagt werden, daß die beiden deutschen Minister den Vertrag mit<lb/> einer reservatio mentalis unterschrieben haben, aber die Vorgänge zeigen doch<lb/> vor allem deutlich, daß man auf die innere Überzeugung Deutschlands bei der<lb/> Unterschrist gar keinen Wert legte. Die beiden Minister mußten ihr Land ja<lb/> auch nicht nur auf die Anerkennung unmöglicher wirtschaftlicher Forderungen fest¬<lb/> legen, sondern auch auf das Eingeständnis, daß Teutschland allein Schuld am<lb/> Kriege trage, ein Eingeständnis, das um so wertloser war, als die „alliierten<lb/> und associerten Regierungen" von sich aus nicht das leiseste dazu getan hatten,<lb/> durch Öffnung ihrer Archive zur einwandfreien Lösung dieser heiß umstrittenen<lb/> Frage beizutragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1165"> Der zweite Fehler war der, daß man diese neugebildete deutsche Negierung,<lb/> die sich aus Überzeugung zur Unterschrift herbeigelassen hatte, nicht möglichst<lb/> stützte, sondern sofort durch Bestehen auf der Auslieferung im eigenen Lande<lb/> diskreditierte. Die Auslieferung ist keine Frage der Ethik und der Weltgerechtig¬<lb/> keit. Ginge es der Entente darum, so müßte, auch über Taten ihrer eigene»<lb/> Angehörigen, ein Gericht von Neutralen entscheiden. Aber so einseitig gestellt<lb/> und nicht nur aus die paar wirklichen Diebe, Erpresser oder von Tropenkoller<lb/> Besessenen beschränkt, sondern auf die unter dem Zwang der Kriegsnotwendigteit<lb/> arbeitenden Führer eines ganzen Volkes ausgedehnt, ist die Auslieferung ein<lb/> politisches Attentat auf die elementarsten Ehrbegriffe eines Volkes, die nur völlige<lb/> Lumpenhaftigkeit verkennen oder leicht nehmen darf. Es geht nicht darum, ob<lb/> die Anwendung, sagen wir, von Giftgasen berechtigt war oder nicht, sondern ob<lb/> «in Volk, was es vier Jahre lang verehrte, plötzlich auf fremden Befehl anspeien<lb/> oll. Natürlich wird die Entente ja auch die Macht haben, einer Negierung in<lb/> Deutschland zur Herrschaft zu verhelfen, die sich dazu herbeiläßt, — die Unabhängigen<lb/> scheinen ja alle Lust dazu zu haben. Aber wie es um die Autorität einer solchen<lb/> Regierung bestellt sein wird, mag sich die Entente selber sagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1166"> Der dritte Fehler — ich rede hier nicht vom deutschen, sondern nur von<lb/> einem objektiven politischen Nützlichkeitsstandpunkt — ist der, daß die Entente<lb/> Miene macht, der bestehenden Negierung jede Möglichkeit, die geforderten Ent¬<lb/> schädigungen aufzutreiben, zu nehmen. . Keine etwa auf Grund des Notopfers<lb/> gewonnene Abschlagzahlung wird hinreichen, die finanziellen Bedürfnisse Frank-<lb/> Reichs auch nur sür kurze Zeit zu befriedigen, eine wirkliche Entschädigung ist<lb/> uur möglich, wenn Deutschland auf Jahrzehnte hinaus arbeiten kann. Dazu ge¬<lb/> Hort Vertrauen in die Zukunft. Die Entente hat bis jetzt nicht das geringste<lb/> dazu getan, ein solches Vertrauen aufkommen zu lassen, Wohl aber alles, den<lb/> "och bestehenden Nest zu erschüttern. Ihre Politik entbehrt hier jeder Gro߬<lb/> zügigkeit. Wer im Anstand auf Hochwild nach Fasanen schießt, wird keinen<lb/> Hirsch heimbringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1167"> Der vierte Fehler ist der, daß Frankreich die Regierung ihrer letzten Macht-<lb/> Atttel berauben will. Eine Negierung ohne Machtmittel bedeutet im demoralisierten<lb/> Deutschland Unordnung, Umsturz, Raub, Plünderung, Mord, bestenfalls einen<lb/> Ausfischen Bolschewismus, nur keinen irgendwie verwertbaren Arbeitsertrag. Das<lb/> rann nur ein Blinder verkennen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0317]
Frankreichs deutsche Politik
Augenblicke, in denen er sich darüber klar ist, daß jeder weitere Widerstand
unnütz und unmöglich ist und daß er eben die Folgen seiner Niederlage auf sich
zu nehmen hat. Daß wir Einbußen an Territorien erleiden würden, war nach allem,
was vorhergegangen, nicht anders zu erwarten. Der Fehler war der, daß man sich
nicht darauf beschränkte, die Konsequenzen der am Ende des Krieges bestehenden
Machtverhältnisse zu ziehen, sondern daß man darauf ausging, die augenblickliche
Machtlage ins Unabsehbare zu verewigen, wider alle Natur politischer Unmöglich-
keiten. Man forderte nicht nur Anerkennung der gegenwärtigen Machtverhälmisse,
sondern Anerkennung dauernder Versklavung. Man haderte sich den Teufel darum,
ob Deutschland willig war, das Verlangte zu leisten, oder überzeugt war, es leisten
zu können, man verlangte blinde Unterwerfung, man ließ es auf einen Re¬
gierungswechsel ankommen, nur um die Unterschrift zu erzwingen. Damit soll
natürlich nicht gesagt werden, daß die beiden deutschen Minister den Vertrag mit
einer reservatio mentalis unterschrieben haben, aber die Vorgänge zeigen doch
vor allem deutlich, daß man auf die innere Überzeugung Deutschlands bei der
Unterschrist gar keinen Wert legte. Die beiden Minister mußten ihr Land ja
auch nicht nur auf die Anerkennung unmöglicher wirtschaftlicher Forderungen fest¬
legen, sondern auch auf das Eingeständnis, daß Teutschland allein Schuld am
Kriege trage, ein Eingeständnis, das um so wertloser war, als die „alliierten
und associerten Regierungen" von sich aus nicht das leiseste dazu getan hatten,
durch Öffnung ihrer Archive zur einwandfreien Lösung dieser heiß umstrittenen
Frage beizutragen.
Der zweite Fehler war der, daß man diese neugebildete deutsche Negierung,
die sich aus Überzeugung zur Unterschrift herbeigelassen hatte, nicht möglichst
stützte, sondern sofort durch Bestehen auf der Auslieferung im eigenen Lande
diskreditierte. Die Auslieferung ist keine Frage der Ethik und der Weltgerechtig¬
keit. Ginge es der Entente darum, so müßte, auch über Taten ihrer eigene»
Angehörigen, ein Gericht von Neutralen entscheiden. Aber so einseitig gestellt
und nicht nur aus die paar wirklichen Diebe, Erpresser oder von Tropenkoller
Besessenen beschränkt, sondern auf die unter dem Zwang der Kriegsnotwendigteit
arbeitenden Führer eines ganzen Volkes ausgedehnt, ist die Auslieferung ein
politisches Attentat auf die elementarsten Ehrbegriffe eines Volkes, die nur völlige
Lumpenhaftigkeit verkennen oder leicht nehmen darf. Es geht nicht darum, ob
die Anwendung, sagen wir, von Giftgasen berechtigt war oder nicht, sondern ob
«in Volk, was es vier Jahre lang verehrte, plötzlich auf fremden Befehl anspeien
oll. Natürlich wird die Entente ja auch die Macht haben, einer Negierung in
Deutschland zur Herrschaft zu verhelfen, die sich dazu herbeiläßt, — die Unabhängigen
scheinen ja alle Lust dazu zu haben. Aber wie es um die Autorität einer solchen
Regierung bestellt sein wird, mag sich die Entente selber sagen.
Der dritte Fehler — ich rede hier nicht vom deutschen, sondern nur von
einem objektiven politischen Nützlichkeitsstandpunkt — ist der, daß die Entente
Miene macht, der bestehenden Negierung jede Möglichkeit, die geforderten Ent¬
schädigungen aufzutreiben, zu nehmen. . Keine etwa auf Grund des Notopfers
gewonnene Abschlagzahlung wird hinreichen, die finanziellen Bedürfnisse Frank-
Reichs auch nur sür kurze Zeit zu befriedigen, eine wirkliche Entschädigung ist
uur möglich, wenn Deutschland auf Jahrzehnte hinaus arbeiten kann. Dazu ge¬
Hort Vertrauen in die Zukunft. Die Entente hat bis jetzt nicht das geringste
dazu getan, ein solches Vertrauen aufkommen zu lassen, Wohl aber alles, den
"och bestehenden Nest zu erschüttern. Ihre Politik entbehrt hier jeder Gro߬
zügigkeit. Wer im Anstand auf Hochwild nach Fasanen schießt, wird keinen
Hirsch heimbringen.
Der vierte Fehler ist der, daß Frankreich die Regierung ihrer letzten Macht-
Atttel berauben will. Eine Negierung ohne Machtmittel bedeutet im demoralisierten
Deutschland Unordnung, Umsturz, Raub, Plünderung, Mord, bestenfalls einen
Ausfischen Bolschewismus, nur keinen irgendwie verwertbaren Arbeitsertrag. Das
rann nur ein Blinder verkennen.
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