Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Der Aufstieg der Begabten Vom Gesichtspunkt staatlicher Nützlichkeit kommt es also nicht auf den Auf¬ Auch ohne feste Definition ist soviel klar, daß begabr und tüchtig nicht Man sieht, hier fängt das Problem bereits an, ungeahnte Schwierigkeiten Aus diesen Gründen find die Bedenken, die Professor Becker an dieser. Fähigkeit des Lernens, die auf der Schule vielfach abhanden kommt. Ich habe
Leute gekannt, die nie ein Buch lasen und Menschen und Begebenheiten anschau¬ licher und lebendiger schilderten als der kultivierteste Literat. Was heißt da Aufstieg? Der Aufstieg der Begabten Vom Gesichtspunkt staatlicher Nützlichkeit kommt es also nicht auf den Auf¬ Auch ohne feste Definition ist soviel klar, daß begabr und tüchtig nicht Man sieht, hier fängt das Problem bereits an, ungeahnte Schwierigkeiten Aus diesen Gründen find die Bedenken, die Professor Becker an dieser. Fähigkeit des Lernens, die auf der Schule vielfach abhanden kommt. Ich habe
Leute gekannt, die nie ein Buch lasen und Menschen und Begebenheiten anschau¬ licher und lebendiger schilderten als der kultivierteste Literat. Was heißt da Aufstieg? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336320"/> <fw type="header" place="top"> Der Aufstieg der Begabten</fw><lb/> <note xml:id="FID_2" place="foot"> Fähigkeit des Lernens, die auf der Schule vielfach abhanden kommt. Ich habe<lb/> Leute gekannt, die nie ein Buch lasen und Menschen und Begebenheiten anschau¬<lb/> licher und lebendiger schilderten als der kultivierteste Literat. Was heißt da<lb/> Aufstieg?</note><lb/> <p xml:id="ID_76"> Vom Gesichtspunkt staatlicher Nützlichkeit kommt es also nicht auf den Auf¬<lb/> stieg an, sondern auf die möglichst restlose Erfassung und Nutzbarmachung (auch<lb/> im kulturellen, nickt bloß materialistischen Sinne) aller Begabungen. Dann über<lb/> erhebt sich gleich die Hauptfrage: Was ist Begabung? Was ist Tüchtigkeit?</p><lb/> <p xml:id="ID_77"> Auch ohne feste Definition ist soviel klar, daß begabr und tüchtig nicht<lb/> dasselbe bedeuten. Der Begabte ist nicht immer tüchtig. Tüchtig ist der um¬<lb/> fassendere Begriff, seine Bedeutung erstreckt sich auch auf Eigenschaften des Charakters.<lb/> Wer aber soll nun z. B. führender Staatsmann werden: derjenige, der im höchsten<lb/> Maße Menschenkenntnis, Arbeitskraft, Geschäftsgewandtheit, rasche Auffassungsgabe<lb/> besitzt oder derjenige, der diese Eigenschaften vielleicht in geringerem Maße mitbringt;<lb/> dafür aber auch noch klares Wollen, politischen Blick, Zuverlässigkeit und Charakter¬<lb/> festigkeit besitzt? Das günstigste wäre offenbar, wenn letzterer "der Führer, ersterer<lb/> der Ausführende ist. Aber wird dieser nicht über Ungerechtigkeit murren? Oder:<lb/> von zwei gleich tüchtigen Offizieren hat der eine eine besonders ausgeprägte<lb/> Fähigkeit mit den Mannschaften umzugehen, sie anzufeuern, sie mitzureißen, für<lb/> sie zu sorgen, der andere dagegen vorzugsweise strategische Anlagen. Die Begabung<lb/> des zweiten wird offenbar besser ausgenützt, je rascher er in einflußreiche Stellung<lb/> aufsteigt, die des ersten, je länger er in möglichst engem Zusammenhang mit den<lb/> Leuten, also sagen wir Hauptmann bleibt. Steigen beide gleich rasch, wird die<lb/> Begabung des ersten nicht lange genug ausgenutzt, steigen beide gleich langsam,<lb/> die des zweiten zu lange nicht genug und steigt der zweite rascher, so wird der<lb/> erste das murrende Opfer seiner besonderen Begabung.</p><lb/> <p xml:id="ID_78"> Man sieht, hier fängt das Problem bereits an, ungeahnte Schwierigkeiten<lb/> aufzuweisen, die noch bedrohlicher werden, wenn man berücksichtigt, daß nicht alle<lb/> Fälle so einfach liegen, daß viele Begabungen etwas Komplexes sind und manche<lb/> sich erst unter dem Druck der Not als vorhanden erweisen. Es kommt aber noch<lb/> ein anderes hinzu: der Aufstieg des Begabten, namentlich, wenn es sich um den<lb/> Wechsel der Bevölkerungsschicht handelt, ist keineswegs immer ein Segen weder<lb/> für die Allgemeinheit noch für den Begabten selber. Am schönsten und tiefsten<lb/> hat dies in einer kleinen Dürerbundflugschrift Eduard Spranger (Der Aufstieg der<lb/> Begabten: München, Callwey) dargelegt. Er warnt eindringlich vor dem intellek¬<lb/> tuellen Parvenu, dem heute überall als überaus brauchbar angesehenen Menschen<lb/> mit Verstand ohne Seele, Kenntnissen ohne Geist, Betriebsamkeit ohne ethisches<lb/> Wollen. Der Aufstieg darf nicht nur aus der Züchtung einzelner nützlicher<lb/> Eigenschaften erfolgen, sondern muß den ganzen Menschen erfassen. „Nicht das<lb/> ist das Ziel, daß wir ein Volk von Dichtern und Denkern oder gar von Ästheten<lb/> und Hofleuten werden; sondern daß jeder einzelne dem Rahmen seines Wirkungs¬<lb/> kreises mit seinem ganzen Wesen organisch angepaßt sei und ihn mit seiner Seele<lb/> ausfülle." Aber es fragt sich auch, ob der schnelle Aufstieg überhaupt wünschens¬<lb/> wert ist. Wer sich über die Sphäre seiner Jugend erhoben hat, ist nirgends<lb/> mehr zu Hause. Man muß sehr vorsichtig sein, einen Menschen in eine andere<lb/> Klasse hineinzutreiben. „Für die große Mehrzahl kommt nur die Hebung inner¬<lb/> halb der eigenen Klasse in Betracht." Und manche Formen des Aufstieges voll¬<lb/> ziehen sich zudem in bedenklicher Weise. Es sei nur an die zunehmende Landflucht,<lb/> das Anwachsen der Großstädte, das glänzende Elend mancher Beamtenklassen<lb/> erinnert. Deshalb muß auch der Aufstieg in besonnener Weise individualisiert<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_79" next="#ID_80"> Aus diesen Gründen find die Bedenken, die Professor Becker an dieser.<lb/> Stelle (Grenzboten 1918 Ur. 4b) gegen die Begabtenschulen vorgebracht hat, nur<lb/> allzu berechtigt. Was wir tun können (und müssen) ist folgendes: Zunächst jeder<lb/> zu seinem Teile auf eine wirklich demokratische Wertung der Berufe und Stände<lb/> hinzuwirken, jeden Stand, ob einträglich, ob geistig, ob sauber oder ob karg</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Der Aufstieg der Begabten
Vom Gesichtspunkt staatlicher Nützlichkeit kommt es also nicht auf den Auf¬
stieg an, sondern auf die möglichst restlose Erfassung und Nutzbarmachung (auch
im kulturellen, nickt bloß materialistischen Sinne) aller Begabungen. Dann über
erhebt sich gleich die Hauptfrage: Was ist Begabung? Was ist Tüchtigkeit?
Auch ohne feste Definition ist soviel klar, daß begabr und tüchtig nicht
dasselbe bedeuten. Der Begabte ist nicht immer tüchtig. Tüchtig ist der um¬
fassendere Begriff, seine Bedeutung erstreckt sich auch auf Eigenschaften des Charakters.
Wer aber soll nun z. B. führender Staatsmann werden: derjenige, der im höchsten
Maße Menschenkenntnis, Arbeitskraft, Geschäftsgewandtheit, rasche Auffassungsgabe
besitzt oder derjenige, der diese Eigenschaften vielleicht in geringerem Maße mitbringt;
dafür aber auch noch klares Wollen, politischen Blick, Zuverlässigkeit und Charakter¬
festigkeit besitzt? Das günstigste wäre offenbar, wenn letzterer "der Führer, ersterer
der Ausführende ist. Aber wird dieser nicht über Ungerechtigkeit murren? Oder:
von zwei gleich tüchtigen Offizieren hat der eine eine besonders ausgeprägte
Fähigkeit mit den Mannschaften umzugehen, sie anzufeuern, sie mitzureißen, für
sie zu sorgen, der andere dagegen vorzugsweise strategische Anlagen. Die Begabung
des zweiten wird offenbar besser ausgenützt, je rascher er in einflußreiche Stellung
aufsteigt, die des ersten, je länger er in möglichst engem Zusammenhang mit den
Leuten, also sagen wir Hauptmann bleibt. Steigen beide gleich rasch, wird die
Begabung des ersten nicht lange genug ausgenutzt, steigen beide gleich langsam,
die des zweiten zu lange nicht genug und steigt der zweite rascher, so wird der
erste das murrende Opfer seiner besonderen Begabung.
Man sieht, hier fängt das Problem bereits an, ungeahnte Schwierigkeiten
aufzuweisen, die noch bedrohlicher werden, wenn man berücksichtigt, daß nicht alle
Fälle so einfach liegen, daß viele Begabungen etwas Komplexes sind und manche
sich erst unter dem Druck der Not als vorhanden erweisen. Es kommt aber noch
ein anderes hinzu: der Aufstieg des Begabten, namentlich, wenn es sich um den
Wechsel der Bevölkerungsschicht handelt, ist keineswegs immer ein Segen weder
für die Allgemeinheit noch für den Begabten selber. Am schönsten und tiefsten
hat dies in einer kleinen Dürerbundflugschrift Eduard Spranger (Der Aufstieg der
Begabten: München, Callwey) dargelegt. Er warnt eindringlich vor dem intellek¬
tuellen Parvenu, dem heute überall als überaus brauchbar angesehenen Menschen
mit Verstand ohne Seele, Kenntnissen ohne Geist, Betriebsamkeit ohne ethisches
Wollen. Der Aufstieg darf nicht nur aus der Züchtung einzelner nützlicher
Eigenschaften erfolgen, sondern muß den ganzen Menschen erfassen. „Nicht das
ist das Ziel, daß wir ein Volk von Dichtern und Denkern oder gar von Ästheten
und Hofleuten werden; sondern daß jeder einzelne dem Rahmen seines Wirkungs¬
kreises mit seinem ganzen Wesen organisch angepaßt sei und ihn mit seiner Seele
ausfülle." Aber es fragt sich auch, ob der schnelle Aufstieg überhaupt wünschens¬
wert ist. Wer sich über die Sphäre seiner Jugend erhoben hat, ist nirgends
mehr zu Hause. Man muß sehr vorsichtig sein, einen Menschen in eine andere
Klasse hineinzutreiben. „Für die große Mehrzahl kommt nur die Hebung inner¬
halb der eigenen Klasse in Betracht." Und manche Formen des Aufstieges voll¬
ziehen sich zudem in bedenklicher Weise. Es sei nur an die zunehmende Landflucht,
das Anwachsen der Großstädte, das glänzende Elend mancher Beamtenklassen
erinnert. Deshalb muß auch der Aufstieg in besonnener Weise individualisiert
werden.
Aus diesen Gründen find die Bedenken, die Professor Becker an dieser.
Stelle (Grenzboten 1918 Ur. 4b) gegen die Begabtenschulen vorgebracht hat, nur
allzu berechtigt. Was wir tun können (und müssen) ist folgendes: Zunächst jeder
zu seinem Teile auf eine wirklich demokratische Wertung der Berufe und Stände
hinzuwirken, jeden Stand, ob einträglich, ob geistig, ob sauber oder ob karg
Fähigkeit des Lernens, die auf der Schule vielfach abhanden kommt. Ich habe
Leute gekannt, die nie ein Buch lasen und Menschen und Begebenheiten anschau¬
licher und lebendiger schilderten als der kultivierteste Literat. Was heißt da
Aufstieg?
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