Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Neupolens wirtschaftliche Aräfte deutschen Gewerbefleißes und eine geschäftliche Überflügelung unserer Volks¬ An größeren Städten verlieren wir in der Provinz Graudenz mit 40 000 In der Ertragfähigkeit der Ländereien sind die Niederung, die llbergangs- Neupolens wirtschaftliche Aräfte deutschen Gewerbefleißes und eine geschäftliche Überflügelung unserer Volks¬ An größeren Städten verlieren wir in der Provinz Graudenz mit 40 000 In der Ertragfähigkeit der Ländereien sind die Niederung, die llbergangs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336558"/> <fw type="header" place="top"> Neupolens wirtschaftliche Aräfte</fw><lb/> <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> deutschen Gewerbefleißes und eine geschäftliche Überflügelung unserer Volks¬<lb/> genossen im Gefolge gehabt, denen vielfach sogar die deutsche Kundschaft sich ab¬<lb/> wandte, weil sie von den beide Sprachen beherrschenden Polen billiger und besser<lb/> bedient wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_985"> An größeren Städten verlieren wir in der Provinz Graudenz mit 40 000<lb/> und Thorn mit 46 000 Einwohnern; die anderen Städte haben wesentlich ge¬<lb/> ringere Einwohnerzahlen, indem selbst der Sitz der Bezirksregierung Marienwerder<lb/> noch bei der letzten Volkszählung nur 13 000 aufwies. Die Zahl von 10 000<lb/> Einwohnern überschreiten noch Kulm und Konitz; im allgemeinen handelt es sich<lb/> bei den Bewohnern dieser kleinen westpreußischen Städte um armselige Verhält¬<lb/> nisse, so daß diese auch schon unter deutscher Herrschaft unter der Steuerlast,<lb/> insbesondere auch für Kreislasten und für Schnlzwecke schwer zu tragen hatten.<lb/> An ländlichen Gemeinden waren in der Provinz 3190 mit einer Bewohnerschaft<lb/> von etwas mehr als einer Million Köpfen anzutreffen, da Danzig 170 000, die<lb/> anderen genannten Städte rund 110 000 Einwohner in Anspruch nehmen, so<lb/> verblieben für die rund 170 sonstigen kleinen Städte etwa 400 000 Insassen<lb/> übrig, von denen die meisten die Zahl von 4000 nicht wesentlich überschreiten.<lb/> Unter den ländlichen Gemeinden entfallen 39 Prozent auf Gutsbezirke, 61 Prozent<lb/> auf eigentliche Landgemeinden, die 54 Prozent der vorhandenen Bodenfläche für<lb/> sich in Anspruch nehmen; die Prozentzahl der Gutsländereien vermindert sich nicht<lb/> unerheblich, wenn man den vorhandenen Waldbestand außer Ansatz läßt.<lb/> 11 Prozent des Gutsareals befanden sich in den Händen des Domänenfiskus.</p><lb/> <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> In der Ertragfähigkeit der Ländereien sind die Niederung, die llbergangs-<lb/> und die Höhenkreise zu unterscheiden; die verschiedene Leistung kommt im Grund¬<lb/> steuerreinertrag zum Ausdruck, der sich in der Niederung im Durchschnitt auf<lb/> 23 Mark für den Hektar, in. den llbergangskreisen aus 14 Mark, auf der Höhe<lb/> aber nur auf 4,4 Mark stellte. In der Niederung liegen Danzig und Marien¬<lb/> burg, im Übergang unter anderem Kulm, Graudenz, Dirschau und Marienwerder,<lb/> auf der Höhe die Kreise Konitz, Tuchel mit der bekannten Heide, Karthaus,<lb/> Berent und Deutsch Krone. In den Niederungskrsissn werden Roggen und Kar¬<lb/> toffeln nur in verschwindenden Mengen angebaut, es überwiegen neben aus¬<lb/> gedehnten Wiesen und Weideflächen Zuckerrüben, Weizen und Sommerung, dem<lb/> entsprochend ist auch die Viehhaltung hier in sehr viel höherem Maße entwickelt<lb/> als in den ärmeren Höhenkreisen, wo der Bestand an Rindvieh gegen die Nie¬<lb/> derung fast um die Hälfte zurückbleibt. In den landwirtschaftlichen Betrieben ist<lb/> die intensive Wirtschaftsweise mehr und mehr zur Anwendung gekommen, so daß<lb/> in den letzten Jahrzehnten bei gänzlichem Verschwinden der Bräche die Erträge<lb/> an Weizen um 37 Prozent, an Gerste um 85 Prozent und an Kartoffeln<lb/> sogar um mehr als 100 Prozent gesteigert würden. Das Verschwinden der<lb/> Bräche kam hauptsächlich dem Anbau von Rüben und Futterkräutern zugute,<lb/> ebenso hat eine sehr beträchtliche Steigerung der Viehhaltung stattgefunden. Auch<lb/> Westpreußen würde für die Abgabe von Roggen und Kartoffeln mit erheblichen<lb/> Mengen in Betracht kommen, und ginge uns verloren, wenn die Polen die Aus¬<lb/> fuhr in ihre östlichen Gebiete unter seither russischer Herrschaft lenken sollten, doch<lb/> dürfte auch hier das Interesse der Handelsbilanz ein scharfes und insbesondere<lb/> ein feindseliges Vorgehen verhindern. Interessant in dieser Richtung ist jedenfalls<lb/> die neuerliche Pressemeldung, daß uns die polnische Regierung drei Millionen<lb/> Zentner Kartoffeln im Austausch gegen entsprechende Kohlemnengen zugesichert<lb/> hat. Mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen die Nebengewerbe der Zucker¬<lb/> rübenverarbeitung, der Molkerei, Brennerei und Stärkefabrikation. Die Zucker¬<lb/> fabrik in Kulmsee kann beispielsweise als die größte ihrer Art in Deutschland<lb/> bezeichnet werden. In gewerblichen Betrieben sind in Westpreußen nur rund<lb/> 146 000 Personen tätig, 50 000 entfallen auf Verkehr und Handel. In Thorn<lb/> blühte neben dem Holzhandel und einigen Maschinenfabriken vor allem die alt¬<lb/> berühmte Honigkuchenfabrikation, die allerdings wohl in ihren Avsatzverhältnisse«<lb/> auch unter polnischer Herrschaft keine wesentlichen Änderungen erfahren wird. Aus</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0268]
Neupolens wirtschaftliche Aräfte
deutschen Gewerbefleißes und eine geschäftliche Überflügelung unserer Volks¬
genossen im Gefolge gehabt, denen vielfach sogar die deutsche Kundschaft sich ab¬
wandte, weil sie von den beide Sprachen beherrschenden Polen billiger und besser
bedient wurde.
An größeren Städten verlieren wir in der Provinz Graudenz mit 40 000
und Thorn mit 46 000 Einwohnern; die anderen Städte haben wesentlich ge¬
ringere Einwohnerzahlen, indem selbst der Sitz der Bezirksregierung Marienwerder
noch bei der letzten Volkszählung nur 13 000 aufwies. Die Zahl von 10 000
Einwohnern überschreiten noch Kulm und Konitz; im allgemeinen handelt es sich
bei den Bewohnern dieser kleinen westpreußischen Städte um armselige Verhält¬
nisse, so daß diese auch schon unter deutscher Herrschaft unter der Steuerlast,
insbesondere auch für Kreislasten und für Schnlzwecke schwer zu tragen hatten.
An ländlichen Gemeinden waren in der Provinz 3190 mit einer Bewohnerschaft
von etwas mehr als einer Million Köpfen anzutreffen, da Danzig 170 000, die
anderen genannten Städte rund 110 000 Einwohner in Anspruch nehmen, so
verblieben für die rund 170 sonstigen kleinen Städte etwa 400 000 Insassen
übrig, von denen die meisten die Zahl von 4000 nicht wesentlich überschreiten.
Unter den ländlichen Gemeinden entfallen 39 Prozent auf Gutsbezirke, 61 Prozent
auf eigentliche Landgemeinden, die 54 Prozent der vorhandenen Bodenfläche für
sich in Anspruch nehmen; die Prozentzahl der Gutsländereien vermindert sich nicht
unerheblich, wenn man den vorhandenen Waldbestand außer Ansatz läßt.
11 Prozent des Gutsareals befanden sich in den Händen des Domänenfiskus.
In der Ertragfähigkeit der Ländereien sind die Niederung, die llbergangs-
und die Höhenkreise zu unterscheiden; die verschiedene Leistung kommt im Grund¬
steuerreinertrag zum Ausdruck, der sich in der Niederung im Durchschnitt auf
23 Mark für den Hektar, in. den llbergangskreisen aus 14 Mark, auf der Höhe
aber nur auf 4,4 Mark stellte. In der Niederung liegen Danzig und Marien¬
burg, im Übergang unter anderem Kulm, Graudenz, Dirschau und Marienwerder,
auf der Höhe die Kreise Konitz, Tuchel mit der bekannten Heide, Karthaus,
Berent und Deutsch Krone. In den Niederungskrsissn werden Roggen und Kar¬
toffeln nur in verschwindenden Mengen angebaut, es überwiegen neben aus¬
gedehnten Wiesen und Weideflächen Zuckerrüben, Weizen und Sommerung, dem
entsprochend ist auch die Viehhaltung hier in sehr viel höherem Maße entwickelt
als in den ärmeren Höhenkreisen, wo der Bestand an Rindvieh gegen die Nie¬
derung fast um die Hälfte zurückbleibt. In den landwirtschaftlichen Betrieben ist
die intensive Wirtschaftsweise mehr und mehr zur Anwendung gekommen, so daß
in den letzten Jahrzehnten bei gänzlichem Verschwinden der Bräche die Erträge
an Weizen um 37 Prozent, an Gerste um 85 Prozent und an Kartoffeln
sogar um mehr als 100 Prozent gesteigert würden. Das Verschwinden der
Bräche kam hauptsächlich dem Anbau von Rüben und Futterkräutern zugute,
ebenso hat eine sehr beträchtliche Steigerung der Viehhaltung stattgefunden. Auch
Westpreußen würde für die Abgabe von Roggen und Kartoffeln mit erheblichen
Mengen in Betracht kommen, und ginge uns verloren, wenn die Polen die Aus¬
fuhr in ihre östlichen Gebiete unter seither russischer Herrschaft lenken sollten, doch
dürfte auch hier das Interesse der Handelsbilanz ein scharfes und insbesondere
ein feindseliges Vorgehen verhindern. Interessant in dieser Richtung ist jedenfalls
die neuerliche Pressemeldung, daß uns die polnische Regierung drei Millionen
Zentner Kartoffeln im Austausch gegen entsprechende Kohlemnengen zugesichert
hat. Mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen die Nebengewerbe der Zucker¬
rübenverarbeitung, der Molkerei, Brennerei und Stärkefabrikation. Die Zucker¬
fabrik in Kulmsee kann beispielsweise als die größte ihrer Art in Deutschland
bezeichnet werden. In gewerblichen Betrieben sind in Westpreußen nur rund
146 000 Personen tätig, 50 000 entfallen auf Verkehr und Handel. In Thorn
blühte neben dem Holzhandel und einigen Maschinenfabriken vor allem die alt¬
berühmte Honigkuchenfabrikation, die allerdings wohl in ihren Avsatzverhältnisse«
auch unter polnischer Herrschaft keine wesentlichen Änderungen erfahren wird. Aus
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