Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Die Arbeiterbewegung in Amerika wurde. Auch ist der linke Flügel der Sozialisten bekanntlich aus der Partei Zunächst erschienen im Juli die Eisenbahnerverbände mit Lohnforderungen, Objektiv erscheinen die Aussichten der Eisenbahner auf Durchsetzung dieser Von Mitte September an wurde, namentlich mit dem Ausbruch des Stahl¬ Die Arbeiterbewegung in Amerika wurde. Auch ist der linke Flügel der Sozialisten bekanntlich aus der Partei Zunächst erschienen im Juli die Eisenbahnerverbände mit Lohnforderungen, Objektiv erscheinen die Aussichten der Eisenbahner auf Durchsetzung dieser Von Mitte September an wurde, namentlich mit dem Ausbruch des Stahl¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336488"/> <fw type="header" place="top"> Die Arbeiterbewegung in Amerika</fw><lb/> <p xml:id="ID_726" prev="#ID_725"> wurde. Auch ist der linke Flügel der Sozialisten bekanntlich aus der Partei<lb/> ausgetreten und hat die „Kommunistische Arbeiterpartei Amerikas" gegründet.<lb/> Diese Radikalisierung nun hat auch auf die besonders an der Pocificküste und<lb/> unter den Seeleuten vertretenen radikalgesinnten innerhalb des Arbeitsbundes<lb/> eingewirkt, wodurch dessen Aktionskraft geschwächt erscheint. Äußerlich zeigt sich<lb/> das in einer bedrohlichen Einbuße an Autorität, von den Streiks sind etwa sieben<lb/> Achtel vom Arbeitsbund nicht genehmigt. Angesichts dieser Entwicklung und der<lb/> energischen Haltung des Kapitals, das sich trotz der Nachgiebigkeitstendenz einer<lb/> von Bernard Baruch und Rockefeller junior geführten liberalen Gruppe unter<lb/> der Führung Garys bis jetzt unnachgiebig gezeigt hat, erscheint die Stellung<lb/> Gompers sehr gefährdet.</p><lb/> <p xml:id="ID_727"> Zunächst erschienen im Juli die Eisenbahnerverbände mit Lohnforderungen,<lb/> die die Bahnen um 800 Millionen Dollars jährlich mehr belasten würden. Hand<lb/> in Hand damit ging die Forderung auf Nationalisierung der Bahnen, zu der die<lb/> Kriegswirtschaft den Anstoß gegeben hatte. Die Bahnen sollen der Regierung ge¬<lb/> hören und und unter Kontrolle des Kongresses gestellt werden. Der Betrieb soll<lb/> in die Hände einer nationalen Betriebskörperschaft übergehen, deren Direktoren<lb/> zu einem Drittel durch die von der Körperschaft angestellien Lohnarbeiter, zum<lb/> andern Drittel durch die Eisenbahnbeamten, zum letzten durch die Regierung ge¬<lb/> wählt werden sollen. Eine zwischenstaatliche Handelskommission soll sodann als<lb/> offizielle Aufsichtsbehörde Frachten. Buchhaltung, Sicherheitsmaßnahmen und<lb/> Leistungen der Betriebe, sowie die Ausgaben, von denen die Arbeitsleistung des<lb/> Betriebes abhängt, kontrollieren, liber Neuanlagen soll eine Ausdehnungs¬<lb/> kommission wachen, in der drei Betriebsdirektoren und Mitglieder der Handels¬<lb/> kommission sitzen. Die unmittelbare Verwaltung der Lohn-- und Gehaltsfragen<lb/> liegt in der Hand der Direktoren, daneben aber steht eine je zur Hälfte aus<lb/> Arbeitern und aus Beamten zusammengesetzte Zentralbehörde für Löhne und<lb/> Arbeitsbedingungen, die bei allen allgemeinen Fragen endgültig entscheidet. Der<lb/> Gewinnanteil für die Angestellten, der zu den gewöhnlichen Löhnen zugeschlagen<lb/> wird, beträgt die Hälfte der Gewinne, die sich nach Abzug der Betriebskosten und<lb/> der regelmäßigen Lasten (Verzinsung usw.) ergibt. Die andere Hälfte geht an die<lb/> Bundesregierung. Beträgt der Anteil der Angestellten mehr als fünf Prozent<lb/> der Bruttogewinne, so sind die Frachtsätze sofort entsprechend herabzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_728"> Objektiv erscheinen die Aussichten der Eisenbahner auf Durchsetzung dieser<lb/> Forderungen gering. Einmal haben sich die Arbeiter z. B. in Brooklyn durch<lb/> einsetzende wilde Streiks die Sympathien des Publikums verscherzt. Sodann sind<lb/> Eisenbahnaktien nicht nur im Besitz des Großkapitals, sondern auch vieler kleiner<lb/> Leute. Ferner sind die während des Krieges mit der Verstaatlichung gemachten<lb/> Erfahrungen nicht gerade ermutigend. Die während des Krieges erfolgte Über¬<lb/> nahme der Verwaltung durch die Regierung hat die Bahnen an den Rand des<lb/> Bankerotts gebracht, ganz das gleiche gilt für die Telephon- und Telegraphen¬<lb/> betriebe und ein fünfprozentiger Überschuß scheint für lange Zeit in Frage gestellt.<lb/> Endlich würde sich die jetzt verlangte Lohnerhöhung nur durch eine 25 prozentige<lb/> Erhöhung aller Tarifs ermöglichen lassen, die wiederum die Lebenshaltung der¬<lb/> artig in die Höhe gehen ließe, daß die Lohnerhöhung wirkungslos bleiben würde.<lb/> Vor allem aber befürchtet man, daß die Nationalisierung der Bahnen die Natio¬<lb/> nalisierung auch anderer Betriebe, besonders der Bergwerke, nach sich ziehen und<lb/> dadurch das gesamte Wirtschaftsleben erschüttern würde. Aus all diesen Gründen<lb/> ist es nicht wahrscheinlich, daß man den Forderungen der Eisenbahner, ohne ihnen<lb/> zuvor den äußersten Widerstand entgegenzusetzen, nachgeben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_729" next="#ID_730"> Von Mitte September an wurde, namentlich mit dem Ausbruch des Stahl¬<lb/> arbeiterstreiks, der wegen Nichtanerkennung der Vermittlertätigkeit der allgemeinen<lb/> gewerkschaftlichen Verbände von feiten der Arbeitgeber ausbrach, die Lage in bis¬<lb/> her nicht erlebter Weise gespannt. Ähnlich wie zu Anfang des Jahres in Eng¬<lb/> land wurde eine zunehmende Nervosität der gesamten Öffentlichkeit bemerkbar.<lb/> Im Oktober wurden die Streiks geradezu epidemisch, besonders der New Aorter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Die Arbeiterbewegung in Amerika
wurde. Auch ist der linke Flügel der Sozialisten bekanntlich aus der Partei
ausgetreten und hat die „Kommunistische Arbeiterpartei Amerikas" gegründet.
Diese Radikalisierung nun hat auch auf die besonders an der Pocificküste und
unter den Seeleuten vertretenen radikalgesinnten innerhalb des Arbeitsbundes
eingewirkt, wodurch dessen Aktionskraft geschwächt erscheint. Äußerlich zeigt sich
das in einer bedrohlichen Einbuße an Autorität, von den Streiks sind etwa sieben
Achtel vom Arbeitsbund nicht genehmigt. Angesichts dieser Entwicklung und der
energischen Haltung des Kapitals, das sich trotz der Nachgiebigkeitstendenz einer
von Bernard Baruch und Rockefeller junior geführten liberalen Gruppe unter
der Führung Garys bis jetzt unnachgiebig gezeigt hat, erscheint die Stellung
Gompers sehr gefährdet.
Zunächst erschienen im Juli die Eisenbahnerverbände mit Lohnforderungen,
die die Bahnen um 800 Millionen Dollars jährlich mehr belasten würden. Hand
in Hand damit ging die Forderung auf Nationalisierung der Bahnen, zu der die
Kriegswirtschaft den Anstoß gegeben hatte. Die Bahnen sollen der Regierung ge¬
hören und und unter Kontrolle des Kongresses gestellt werden. Der Betrieb soll
in die Hände einer nationalen Betriebskörperschaft übergehen, deren Direktoren
zu einem Drittel durch die von der Körperschaft angestellien Lohnarbeiter, zum
andern Drittel durch die Eisenbahnbeamten, zum letzten durch die Regierung ge¬
wählt werden sollen. Eine zwischenstaatliche Handelskommission soll sodann als
offizielle Aufsichtsbehörde Frachten. Buchhaltung, Sicherheitsmaßnahmen und
Leistungen der Betriebe, sowie die Ausgaben, von denen die Arbeitsleistung des
Betriebes abhängt, kontrollieren, liber Neuanlagen soll eine Ausdehnungs¬
kommission wachen, in der drei Betriebsdirektoren und Mitglieder der Handels¬
kommission sitzen. Die unmittelbare Verwaltung der Lohn-- und Gehaltsfragen
liegt in der Hand der Direktoren, daneben aber steht eine je zur Hälfte aus
Arbeitern und aus Beamten zusammengesetzte Zentralbehörde für Löhne und
Arbeitsbedingungen, die bei allen allgemeinen Fragen endgültig entscheidet. Der
Gewinnanteil für die Angestellten, der zu den gewöhnlichen Löhnen zugeschlagen
wird, beträgt die Hälfte der Gewinne, die sich nach Abzug der Betriebskosten und
der regelmäßigen Lasten (Verzinsung usw.) ergibt. Die andere Hälfte geht an die
Bundesregierung. Beträgt der Anteil der Angestellten mehr als fünf Prozent
der Bruttogewinne, so sind die Frachtsätze sofort entsprechend herabzusetzen.
Objektiv erscheinen die Aussichten der Eisenbahner auf Durchsetzung dieser
Forderungen gering. Einmal haben sich die Arbeiter z. B. in Brooklyn durch
einsetzende wilde Streiks die Sympathien des Publikums verscherzt. Sodann sind
Eisenbahnaktien nicht nur im Besitz des Großkapitals, sondern auch vieler kleiner
Leute. Ferner sind die während des Krieges mit der Verstaatlichung gemachten
Erfahrungen nicht gerade ermutigend. Die während des Krieges erfolgte Über¬
nahme der Verwaltung durch die Regierung hat die Bahnen an den Rand des
Bankerotts gebracht, ganz das gleiche gilt für die Telephon- und Telegraphen¬
betriebe und ein fünfprozentiger Überschuß scheint für lange Zeit in Frage gestellt.
Endlich würde sich die jetzt verlangte Lohnerhöhung nur durch eine 25 prozentige
Erhöhung aller Tarifs ermöglichen lassen, die wiederum die Lebenshaltung der¬
artig in die Höhe gehen ließe, daß die Lohnerhöhung wirkungslos bleiben würde.
Vor allem aber befürchtet man, daß die Nationalisierung der Bahnen die Natio¬
nalisierung auch anderer Betriebe, besonders der Bergwerke, nach sich ziehen und
dadurch das gesamte Wirtschaftsleben erschüttern würde. Aus all diesen Gründen
ist es nicht wahrscheinlich, daß man den Forderungen der Eisenbahner, ohne ihnen
zuvor den äußersten Widerstand entgegenzusetzen, nachgeben wird.
Von Mitte September an wurde, namentlich mit dem Ausbruch des Stahl¬
arbeiterstreiks, der wegen Nichtanerkennung der Vermittlertätigkeit der allgemeinen
gewerkschaftlichen Verbände von feiten der Arbeitgeber ausbrach, die Lage in bis¬
her nicht erlebter Weise gespannt. Ähnlich wie zu Anfang des Jahres in Eng¬
land wurde eine zunehmende Nervosität der gesamten Öffentlichkeit bemerkbar.
Im Oktober wurden die Streiks geradezu epidemisch, besonders der New Aorter
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