Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Gewalt und Recht neutralisierte den natürlichen und notwendigen Trieb der Donaumonarchie -- sie Wie nun die günstige europäische Konjunktur notwendige Voraussetzung Bicmarcks Kenntnis des französischen Nationalcharakiers, des empirisch Gewalt und Recht neutralisierte den natürlichen und notwendigen Trieb der Donaumonarchie — sie Wie nun die günstige europäische Konjunktur notwendige Voraussetzung Bicmarcks Kenntnis des französischen Nationalcharakiers, des empirisch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336429"/> <fw type="header" place="top"> Gewalt und Recht</fw><lb/> <p xml:id="ID_469" prev="#ID_468"> neutralisierte den natürlichen und notwendigen Trieb der Donaumonarchie — sie<lb/> war damals ja noch leidlich gesund — ihre Machtcinbuße von 1866 bei der<lb/> ersten günstigen Gelegenheit wieder einzubringen. Und in England war ein<lb/> ehelich Mierales Kabinett am Ruder; es trieb also notwendig eine schwächliche<lb/> Außenpolitik und konnte als quantitö ne-ZIiMadle behandelt werden, wie es schon<lb/> durch seine ruhige Hinnahme der Annexion Hannovers bewiesen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_470"> Wie nun die günstige europäische Konjunktur notwendige Voraussetzung<lb/> für die volle Auswirkung der physischen Gewalt Preußens war, wie sie schon in<lb/> seinen Kriegseriolgen beständig unrealisiert wurde — denn Hütte Preußen eine<lb/> Armee gegen Österreich Ungarn bereitstellen müssen, dann wären aber im Westen<lb/> der überlegensten Strategie nicht diese raschen und entscheidenden Siege geglückt<lb/> - so war sie auch Voraussetzung des Frankfurter Friedens, ist >n ihm unrealisiert<lb/> worden. Ein entschieden übelwollendes Europa hätte Preußen die völkerrechtliche<lb/> Verewigung seines Kriegsgewinnes, die Einverleibung Elsaß Lothringens, nicht<lb/> zugestanden. Sollte also der Frankfurier Frieden Bestand haben, so mußte auch<lb/> die Preußen günstige europäische Konjunktur stabilisiert werden, die sein Zustande¬<lb/> kommen erst ermöglicht hatte. Das Hütte durch völkerrechtliche Fixierung des<lb/> damaligen Kräfteverhältnisses der Großmächte geschehen können; der Friede wäre<lb/> zu einer europäischen Angelegenheit geworden, ein Kongreß der Großmächte hätte<lb/> seine Bestimmungen festgesetzt und die völkerrechtliche Gewährleistung ihrer ewigen<lb/> Dauer übernommen. Nun hatten die Erfahrungen, die Preußen auf dem Wiener<lb/> Kongreß gewacht, und das Schicksal der Kongreßakte eindringlich bewiesen, daß<lb/> der Wert solcher Gesamtbürgschaften im unigekehrten Verhältnis steht zu dem<lb/> Preise, u.n den sie erkauft werden. Bismarck wählte einen andern Weg, mußte<lb/> ihn wählen auf Grund seiner klaren Erkenntnis vom Wesen der Macht und<lb/> seiner Meisterschaft in ihrer Handhabung: er zog es vor, dem deutschen Reiche<lb/> den europäischen Kredit, den er ihm geschaffen, von Fall zu Fall zu erneuern und<lb/> Verzichtete auf den Versuch, ihn in ewiges Völkerrecht umzuwechseln. Er wußte<lb/> ?,u gut, daß er damit gegen seine gute 'Ware, die mit Festigkeit und Mäßigung<lb/> vertrauenswürdig gehandhabte reale Macht Preußens ein Papier einhandeln<lb/> würde, dessen Kurs zu kontrollieren nicht in seiner Macht gestanden hätte. Als<lb/> er später im Dreibundtverirage die völkerrechtliche Fixierung einer vorhandenen<lb/> Mächtegruppierung bewirkte, da bewies er durch die Festsetzung einer relativ<lb/> kurzen Kündigungsfrist, daß er weit entfernt war, die Haltbarkeit dieser Fixierung<lb/> SU überschätzen; und ganz gewiß hätte er auf sie verzichtet in dem Augenblicke,<lb/> wo zutage trat, daß einer der Kontrahenten nicht mehr bereit war, seine gesamte<lb/> physische Gewalt für die Erfüllung des Vertragsinhaltes einzusetzen, wo also das<lb/> Dreidundinstrument nicht mehr An?druck einer wirklichen Machlrelation war.</p><lb/> <p xml:id="ID_471" next="#ID_472"> Bicmarcks Kenntnis des französischen Nationalcharakiers, des empirisch<lb/> festgestellten Verhältnis des französischen Volkes in nationalen Machtfragen,<lb/> wachte es ihm zu einem politischen Naturgesetze, daß Frankreich um jeden Preis<lb/> eine Revision des Fnedensurteiles erstreben würde und daß, da seine eigene<lb/> physische Gewalt nicht hinreichte, um diese Revision zu erzwingen, es notwendig<lb/> Zum Krislllllisationspnnkt eines jeden gegen das Deutsche Reich gerichteten Mi߬<lb/> vergnügens in Europa werden mußte. Er hatte nicht umsonst den cauLneiriÄr<lb/> och cvcllitions. Seine äußere Politik nach dem Kriege konnte nicht mehr schöpferisch<lb/> »ein, sie ging mit gebundener Marschroute; sie war die Sklavin des Frankfurter<lb/> Friedens, mußte den in ihm milrealisierten europäischen Kredit des Reiches zu<lb/> "hallen und Frankreich weiterhin zu isolieren suchen. Ihm gelang es; seinen<lb/> Nachfolgern nicht — letzten Endes wohl deshalb, weil ihnen das abging, was<lb/> jedes wahren Staatsmannes Größe ausmacht: die Weisheit in der Erkenntnis<lb/> und in der Handhabung der Macht. In dem Maße nun, wie in den beiden<lb/> Machtstellungen, zu denen sich die Großmächte in den Jahren vor dem großen<lb/> Krieoe zusammenschlossen, das Verhältnis der physischen Gewalten sich zugunsten<lb/> «es Deutschland feindlichen Systemes verschob, in demselben Maße mußte notwendig,<lb/> automatisch in Frankreich die auf den Bruch des Frankfurter Friedens gerichtete</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0139]
Gewalt und Recht
neutralisierte den natürlichen und notwendigen Trieb der Donaumonarchie — sie
war damals ja noch leidlich gesund — ihre Machtcinbuße von 1866 bei der
ersten günstigen Gelegenheit wieder einzubringen. Und in England war ein
ehelich Mierales Kabinett am Ruder; es trieb also notwendig eine schwächliche
Außenpolitik und konnte als quantitö ne-ZIiMadle behandelt werden, wie es schon
durch seine ruhige Hinnahme der Annexion Hannovers bewiesen hatte.
Wie nun die günstige europäische Konjunktur notwendige Voraussetzung
für die volle Auswirkung der physischen Gewalt Preußens war, wie sie schon in
seinen Kriegseriolgen beständig unrealisiert wurde — denn Hütte Preußen eine
Armee gegen Österreich Ungarn bereitstellen müssen, dann wären aber im Westen
der überlegensten Strategie nicht diese raschen und entscheidenden Siege geglückt
- so war sie auch Voraussetzung des Frankfurter Friedens, ist >n ihm unrealisiert
worden. Ein entschieden übelwollendes Europa hätte Preußen die völkerrechtliche
Verewigung seines Kriegsgewinnes, die Einverleibung Elsaß Lothringens, nicht
zugestanden. Sollte also der Frankfurier Frieden Bestand haben, so mußte auch
die Preußen günstige europäische Konjunktur stabilisiert werden, die sein Zustande¬
kommen erst ermöglicht hatte. Das Hütte durch völkerrechtliche Fixierung des
damaligen Kräfteverhältnisses der Großmächte geschehen können; der Friede wäre
zu einer europäischen Angelegenheit geworden, ein Kongreß der Großmächte hätte
seine Bestimmungen festgesetzt und die völkerrechtliche Gewährleistung ihrer ewigen
Dauer übernommen. Nun hatten die Erfahrungen, die Preußen auf dem Wiener
Kongreß gewacht, und das Schicksal der Kongreßakte eindringlich bewiesen, daß
der Wert solcher Gesamtbürgschaften im unigekehrten Verhältnis steht zu dem
Preise, u.n den sie erkauft werden. Bismarck wählte einen andern Weg, mußte
ihn wählen auf Grund seiner klaren Erkenntnis vom Wesen der Macht und
seiner Meisterschaft in ihrer Handhabung: er zog es vor, dem deutschen Reiche
den europäischen Kredit, den er ihm geschaffen, von Fall zu Fall zu erneuern und
Verzichtete auf den Versuch, ihn in ewiges Völkerrecht umzuwechseln. Er wußte
?,u gut, daß er damit gegen seine gute 'Ware, die mit Festigkeit und Mäßigung
vertrauenswürdig gehandhabte reale Macht Preußens ein Papier einhandeln
würde, dessen Kurs zu kontrollieren nicht in seiner Macht gestanden hätte. Als
er später im Dreibundtverirage die völkerrechtliche Fixierung einer vorhandenen
Mächtegruppierung bewirkte, da bewies er durch die Festsetzung einer relativ
kurzen Kündigungsfrist, daß er weit entfernt war, die Haltbarkeit dieser Fixierung
SU überschätzen; und ganz gewiß hätte er auf sie verzichtet in dem Augenblicke,
wo zutage trat, daß einer der Kontrahenten nicht mehr bereit war, seine gesamte
physische Gewalt für die Erfüllung des Vertragsinhaltes einzusetzen, wo also das
Dreidundinstrument nicht mehr An?druck einer wirklichen Machlrelation war.
Bicmarcks Kenntnis des französischen Nationalcharakiers, des empirisch
festgestellten Verhältnis des französischen Volkes in nationalen Machtfragen,
wachte es ihm zu einem politischen Naturgesetze, daß Frankreich um jeden Preis
eine Revision des Fnedensurteiles erstreben würde und daß, da seine eigene
physische Gewalt nicht hinreichte, um diese Revision zu erzwingen, es notwendig
Zum Krislllllisationspnnkt eines jeden gegen das Deutsche Reich gerichteten Mi߬
vergnügens in Europa werden mußte. Er hatte nicht umsonst den cauLneiriÄr
och cvcllitions. Seine äußere Politik nach dem Kriege konnte nicht mehr schöpferisch
»ein, sie ging mit gebundener Marschroute; sie war die Sklavin des Frankfurter
Friedens, mußte den in ihm milrealisierten europäischen Kredit des Reiches zu
"hallen und Frankreich weiterhin zu isolieren suchen. Ihm gelang es; seinen
Nachfolgern nicht — letzten Endes wohl deshalb, weil ihnen das abging, was
jedes wahren Staatsmannes Größe ausmacht: die Weisheit in der Erkenntnis
und in der Handhabung der Macht. In dem Maße nun, wie in den beiden
Machtstellungen, zu denen sich die Großmächte in den Jahren vor dem großen
Krieoe zusammenschlossen, das Verhältnis der physischen Gewalten sich zugunsten
«es Deutschland feindlichen Systemes verschob, in demselben Maße mußte notwendig,
automatisch in Frankreich die auf den Bruch des Frankfurter Friedens gerichtete
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