Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Gelegenheit durch Annexion albanischer Gebietsteile den "ststug quo" auf dem
Balkan zu ändern gewillt war. Die Vorherrschaft in der Adria, die Österreichs
Großmachtinteressen beschneiden mußte, wurde immer lauter und ohne ans Wider¬
spruch zu stoßen verkündet. Die Regierung spielte mit verdeckten Karten, sie hatte
nicht die Stärke, sich zu ihren wahren Absichten offen zu bekennen, so daß man
mit Charles Loiseau°) sagen kann, sie habe es verstanden, die Zustimmung der
meisten europäischen Kabinette zu ihrer Balkanpolitik zu erzielen. Die Verein¬
barung von San Rossore (Oktober 1912), die den Süden Albaniens in eine
iialienische Interessensphäre umwandelte, erweist jedoch zur Evidenz, daß man
sich auch im Lager der dreibnndfrcundlichen Regierung veranlaßt fühlte, an den
Gedanken des größeren Italien weitgehendste Konzessionen zu machen.

Das größere Italien war eben eine Utopie, da der italienische Nationalstaat
>n machtpolitischer Hinsicht zu hilflos war. Schon die ganze irredentistische
Bewegung hatte nur äußerliches Gepräge getragen, daß das nationale Band, das
die Welschtirolische Geschichte mit Habs'burg verknüpfte, noch dadurch an Inner¬
lichkeit gewonnen hatte, daß gerade die italienische Kultur in Osterreich eine
außerordentlich günstige Aufnahme gefunden hat.'

Das Mißverhältnis der imperialistisch-italienischen Forderungen zu ihrer
tatsächlichen inneren Berechtigung hat nun um die Wende des Jahrhunderts stündig
an Ausdehnung gewonnen, die schließlich so weit um sich griff, daß die Ansprüche
der an sich getrennten Bewegungen der Jrredenta und des großitalienischen Jm-
Perialismns zusammenwuchsen. Die Tätigkeit der neugegründeten irredentistischen
Schul- und Turnvereine und die unerhörte Wirksamkeit der nationalistischen Presse,
Literatur und Kunst trugen wesentlich dazu bei, den neuen Gedanken des größeren
Italien mit der alten irredentistischen Strömung zu verschmelzen, und die Geistesver¬
fassung des italienischenVolkes im Sinne derEinheit beider Bewegungen zu beinflussen.

Als die praktisch-politische Forderung dieser Strömung entwickelte sich der
einheitliche Anspruch der Italiener auf die Herrschaft in der Adria und Albanien
einerseits und der Eroberungsplan von Tunesien und Abessynien andererseits.
Dieser italienische Imperialismus, der sich nicht einmal auf die Bedürfnisse einer
hochentwickelten kapitalistischen Wirtschaft berufen kann, ist rein ideologisches Macht¬
streben. Er steht in schärfsten Widerspruch zu dem alten Ideal der italienischen
Demokratie: dem Recht der Selbstbestimmung der Nationalitäten, dadurch daß er
Anspruch auf Jstrien und Dcilmatien erstrebt, Gebiete mit überwiegender slawischer
Mehrheit. Das nationale Prinzip wird mit Haut und Haar preisgegeben und
es ist bitterste Ironie, wenn der Russe Rnssanoff glauben möchte, "Italien
habe aus dem Grunde Österreich den Krieg erklärt, weil Osterreich nicht gestatten
wollte, daß Italien um seiner nationalen Interessen willen die erheblich zahl¬
reichere slawische Bevölkerung des Landes unterdrücke.""

Mit dem Literatengeschrei nach dem "Größeren Italien wurde das italienische
Boll unaufhörlich gespeist, und es hat herzlich wenig getan, den scharfen Geschmack
dieser. Kost auf seine ursächlichen Bestandteile hin zu prüfen. Wohl wurde gerade
letzt wieder in einigen bemerkenswerten Publikationen der Nachweis zu führen
versucht, daß die große Masse der Italiener den imperialistischen Gedanken der
italienischen Weltmacht, der nicht wie der anderer europäischer Staaten aus
ewem wirtschaftlichen Erpansivgeist heraus geboren ist, alle Zeit negiert hätte, daß
vielmehr bis zum Eintritt in den Weltkrieg der kleinen imperialistischen Minderheit
"ne starke nichtimperialistische Mehrheit von Italienern gegenübergestanden hätte
und daß es den ersteren erst im Verlaufe des österreichisch-italienischen
Sieges gelungen sei, mit der Kriegserklärung an Deutschland den Gedanken der
italienischen Weltmacht zum beherrschenden Postulat des amtlichen Italiens und
der überwiegenden Mehrheit des Volkes zu erheben. Mir scheint diese Hypothese
nur bedingt'Geltung zu haben. Richtig an ihr ist wohl, daß das offizielle Italien
i" stark isolierter Lage erst zögernd und dann schrittweise, den theatralischen
Heroismus der alten und jungen imperialistischen Ästheten nicht verleugnend, in



°) Ch. Loisecm: .l.'öauilibi-iz "cliiatique", Paris 190t.
0"

Gelegenheit durch Annexion albanischer Gebietsteile den „ststug quo" auf dem
Balkan zu ändern gewillt war. Die Vorherrschaft in der Adria, die Österreichs
Großmachtinteressen beschneiden mußte, wurde immer lauter und ohne ans Wider¬
spruch zu stoßen verkündet. Die Regierung spielte mit verdeckten Karten, sie hatte
nicht die Stärke, sich zu ihren wahren Absichten offen zu bekennen, so daß man
mit Charles Loiseau°) sagen kann, sie habe es verstanden, die Zustimmung der
meisten europäischen Kabinette zu ihrer Balkanpolitik zu erzielen. Die Verein¬
barung von San Rossore (Oktober 1912), die den Süden Albaniens in eine
iialienische Interessensphäre umwandelte, erweist jedoch zur Evidenz, daß man
sich auch im Lager der dreibnndfrcundlichen Regierung veranlaßt fühlte, an den
Gedanken des größeren Italien weitgehendste Konzessionen zu machen.

Das größere Italien war eben eine Utopie, da der italienische Nationalstaat
>n machtpolitischer Hinsicht zu hilflos war. Schon die ganze irredentistische
Bewegung hatte nur äußerliches Gepräge getragen, daß das nationale Band, das
die Welschtirolische Geschichte mit Habs'burg verknüpfte, noch dadurch an Inner¬
lichkeit gewonnen hatte, daß gerade die italienische Kultur in Osterreich eine
außerordentlich günstige Aufnahme gefunden hat.'

Das Mißverhältnis der imperialistisch-italienischen Forderungen zu ihrer
tatsächlichen inneren Berechtigung hat nun um die Wende des Jahrhunderts stündig
an Ausdehnung gewonnen, die schließlich so weit um sich griff, daß die Ansprüche
der an sich getrennten Bewegungen der Jrredenta und des großitalienischen Jm-
Perialismns zusammenwuchsen. Die Tätigkeit der neugegründeten irredentistischen
Schul- und Turnvereine und die unerhörte Wirksamkeit der nationalistischen Presse,
Literatur und Kunst trugen wesentlich dazu bei, den neuen Gedanken des größeren
Italien mit der alten irredentistischen Strömung zu verschmelzen, und die Geistesver¬
fassung des italienischenVolkes im Sinne derEinheit beider Bewegungen zu beinflussen.

Als die praktisch-politische Forderung dieser Strömung entwickelte sich der
einheitliche Anspruch der Italiener auf die Herrschaft in der Adria und Albanien
einerseits und der Eroberungsplan von Tunesien und Abessynien andererseits.
Dieser italienische Imperialismus, der sich nicht einmal auf die Bedürfnisse einer
hochentwickelten kapitalistischen Wirtschaft berufen kann, ist rein ideologisches Macht¬
streben. Er steht in schärfsten Widerspruch zu dem alten Ideal der italienischen
Demokratie: dem Recht der Selbstbestimmung der Nationalitäten, dadurch daß er
Anspruch auf Jstrien und Dcilmatien erstrebt, Gebiete mit überwiegender slawischer
Mehrheit. Das nationale Prinzip wird mit Haut und Haar preisgegeben und
es ist bitterste Ironie, wenn der Russe Rnssanoff glauben möchte, „Italien
habe aus dem Grunde Österreich den Krieg erklärt, weil Osterreich nicht gestatten
wollte, daß Italien um seiner nationalen Interessen willen die erheblich zahl¬
reichere slawische Bevölkerung des Landes unterdrücke.""

Mit dem Literatengeschrei nach dem „Größeren Italien wurde das italienische
Boll unaufhörlich gespeist, und es hat herzlich wenig getan, den scharfen Geschmack
dieser. Kost auf seine ursächlichen Bestandteile hin zu prüfen. Wohl wurde gerade
letzt wieder in einigen bemerkenswerten Publikationen der Nachweis zu führen
versucht, daß die große Masse der Italiener den imperialistischen Gedanken der
italienischen Weltmacht, der nicht wie der anderer europäischer Staaten aus
ewem wirtschaftlichen Erpansivgeist heraus geboren ist, alle Zeit negiert hätte, daß
vielmehr bis zum Eintritt in den Weltkrieg der kleinen imperialistischen Minderheit
«ne starke nichtimperialistische Mehrheit von Italienern gegenübergestanden hätte
und daß es den ersteren erst im Verlaufe des österreichisch-italienischen
Sieges gelungen sei, mit der Kriegserklärung an Deutschland den Gedanken der
italienischen Weltmacht zum beherrschenden Postulat des amtlichen Italiens und
der überwiegenden Mehrheit des Volkes zu erheben. Mir scheint diese Hypothese
nur bedingt'Geltung zu haben. Richtig an ihr ist wohl, daß das offizielle Italien
i" stark isolierter Lage erst zögernd und dann schrittweise, den theatralischen
Heroismus der alten und jungen imperialistischen Ästheten nicht verleugnend, in



°) Ch. Loisecm: .l.'öauilibi-iz »cliiatique", Paris 190t.
0"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335489"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317"> Gelegenheit durch Annexion albanischer Gebietsteile den &#x201E;ststug quo" auf dem<lb/>
Balkan zu ändern gewillt war. Die Vorherrschaft in der Adria, die Österreichs<lb/>
Großmachtinteressen beschneiden mußte, wurde immer lauter und ohne ans Wider¬<lb/>
spruch zu stoßen verkündet. Die Regierung spielte mit verdeckten Karten, sie hatte<lb/>
nicht die Stärke, sich zu ihren wahren Absichten offen zu bekennen, so daß man<lb/>
mit Charles Loiseau°) sagen kann, sie habe es verstanden, die Zustimmung der<lb/>
meisten europäischen Kabinette zu ihrer Balkanpolitik zu erzielen. Die Verein¬<lb/>
barung von San Rossore (Oktober 1912), die den Süden Albaniens in eine<lb/>
iialienische Interessensphäre umwandelte, erweist jedoch zur Evidenz, daß man<lb/>
sich auch im Lager der dreibnndfrcundlichen Regierung veranlaßt fühlte, an den<lb/>
Gedanken des größeren Italien weitgehendste Konzessionen zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319"> Das größere Italien war eben eine Utopie, da der italienische Nationalstaat<lb/>
&gt;n machtpolitischer Hinsicht zu hilflos war. Schon die ganze irredentistische<lb/>
Bewegung hatte nur äußerliches Gepräge getragen, daß das nationale Band, das<lb/>
die Welschtirolische Geschichte mit Habs'burg verknüpfte, noch dadurch an Inner¬<lb/>
lichkeit gewonnen hatte, daß gerade die italienische Kultur in Osterreich eine<lb/>
außerordentlich günstige Aufnahme gefunden hat.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Das Mißverhältnis der imperialistisch-italienischen Forderungen zu ihrer<lb/>
tatsächlichen inneren Berechtigung hat nun um die Wende des Jahrhunderts stündig<lb/>
an Ausdehnung gewonnen, die schließlich so weit um sich griff, daß die Ansprüche<lb/>
der an sich getrennten Bewegungen der Jrredenta und des großitalienischen Jm-<lb/>
Perialismns zusammenwuchsen. Die Tätigkeit der neugegründeten irredentistischen<lb/>
Schul- und Turnvereine und die unerhörte Wirksamkeit der nationalistischen Presse,<lb/>
Literatur und Kunst trugen wesentlich dazu bei, den neuen Gedanken des größeren<lb/>
Italien mit der alten irredentistischen Strömung zu verschmelzen, und die Geistesver¬<lb/>
fassung des italienischenVolkes im Sinne derEinheit beider Bewegungen zu beinflussen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321"> Als die praktisch-politische Forderung dieser Strömung entwickelte sich der<lb/>
einheitliche Anspruch der Italiener auf die Herrschaft in der Adria und Albanien<lb/>
einerseits und der Eroberungsplan von Tunesien und Abessynien andererseits.<lb/>
Dieser italienische Imperialismus, der sich nicht einmal auf die Bedürfnisse einer<lb/>
hochentwickelten kapitalistischen Wirtschaft berufen kann, ist rein ideologisches Macht¬<lb/>
streben. Er steht in schärfsten Widerspruch zu dem alten Ideal der italienischen<lb/>
Demokratie: dem Recht der Selbstbestimmung der Nationalitäten, dadurch daß er<lb/>
Anspruch auf Jstrien und Dcilmatien erstrebt, Gebiete mit überwiegender slawischer<lb/>
Mehrheit. Das nationale Prinzip wird mit Haut und Haar preisgegeben und<lb/>
es ist bitterste Ironie, wenn der Russe Rnssanoff glauben möchte, &#x201E;Italien<lb/>
habe aus dem Grunde Österreich den Krieg erklärt, weil Osterreich nicht gestatten<lb/>
wollte, daß Italien um seiner nationalen Interessen willen die erheblich zahl¬<lb/>
reichere slawische Bevölkerung des Landes unterdrücke.""</p><lb/>
          <p xml:id="ID_322" next="#ID_323"> Mit dem Literatengeschrei nach dem &#x201E;Größeren Italien wurde das italienische<lb/>
Boll unaufhörlich gespeist, und es hat herzlich wenig getan, den scharfen Geschmack<lb/>
dieser. Kost auf seine ursächlichen Bestandteile hin zu prüfen. Wohl wurde gerade<lb/>
letzt wieder in einigen bemerkenswerten Publikationen der Nachweis zu führen<lb/>
versucht, daß die große Masse der Italiener den imperialistischen Gedanken der<lb/>
italienischen Weltmacht, der nicht wie der anderer europäischer Staaten aus<lb/>
ewem wirtschaftlichen Erpansivgeist heraus geboren ist, alle Zeit negiert hätte, daß<lb/>
vielmehr bis zum Eintritt in den Weltkrieg der kleinen imperialistischen Minderheit<lb/>
«ne starke nichtimperialistische Mehrheit von Italienern gegenübergestanden hätte<lb/>
und daß es den ersteren erst im Verlaufe des österreichisch-italienischen<lb/>
Sieges gelungen sei, mit der Kriegserklärung an Deutschland den Gedanken der<lb/>
italienischen Weltmacht zum beherrschenden Postulat des amtlichen Italiens und<lb/>
der überwiegenden Mehrheit des Volkes zu erheben. Mir scheint diese Hypothese<lb/>
nur bedingt'Geltung zu haben. Richtig an ihr ist wohl, daß das offizielle Italien<lb/>
i" stark isolierter Lage erst zögernd und dann schrittweise, den theatralischen<lb/>
Heroismus der alten und jungen imperialistischen Ästheten nicht verleugnend, in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_28" place="foot"> °) Ch. Loisecm: .l.'öauilibi-iz »cliiatique", Paris 190t.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 0"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Gelegenheit durch Annexion albanischer Gebietsteile den „ststug quo" auf dem Balkan zu ändern gewillt war. Die Vorherrschaft in der Adria, die Österreichs Großmachtinteressen beschneiden mußte, wurde immer lauter und ohne ans Wider¬ spruch zu stoßen verkündet. Die Regierung spielte mit verdeckten Karten, sie hatte nicht die Stärke, sich zu ihren wahren Absichten offen zu bekennen, so daß man mit Charles Loiseau°) sagen kann, sie habe es verstanden, die Zustimmung der meisten europäischen Kabinette zu ihrer Balkanpolitik zu erzielen. Die Verein¬ barung von San Rossore (Oktober 1912), die den Süden Albaniens in eine iialienische Interessensphäre umwandelte, erweist jedoch zur Evidenz, daß man sich auch im Lager der dreibnndfrcundlichen Regierung veranlaßt fühlte, an den Gedanken des größeren Italien weitgehendste Konzessionen zu machen. Das größere Italien war eben eine Utopie, da der italienische Nationalstaat >n machtpolitischer Hinsicht zu hilflos war. Schon die ganze irredentistische Bewegung hatte nur äußerliches Gepräge getragen, daß das nationale Band, das die Welschtirolische Geschichte mit Habs'burg verknüpfte, noch dadurch an Inner¬ lichkeit gewonnen hatte, daß gerade die italienische Kultur in Osterreich eine außerordentlich günstige Aufnahme gefunden hat.' Das Mißverhältnis der imperialistisch-italienischen Forderungen zu ihrer tatsächlichen inneren Berechtigung hat nun um die Wende des Jahrhunderts stündig an Ausdehnung gewonnen, die schließlich so weit um sich griff, daß die Ansprüche der an sich getrennten Bewegungen der Jrredenta und des großitalienischen Jm- Perialismns zusammenwuchsen. Die Tätigkeit der neugegründeten irredentistischen Schul- und Turnvereine und die unerhörte Wirksamkeit der nationalistischen Presse, Literatur und Kunst trugen wesentlich dazu bei, den neuen Gedanken des größeren Italien mit der alten irredentistischen Strömung zu verschmelzen, und die Geistesver¬ fassung des italienischenVolkes im Sinne derEinheit beider Bewegungen zu beinflussen. Als die praktisch-politische Forderung dieser Strömung entwickelte sich der einheitliche Anspruch der Italiener auf die Herrschaft in der Adria und Albanien einerseits und der Eroberungsplan von Tunesien und Abessynien andererseits. Dieser italienische Imperialismus, der sich nicht einmal auf die Bedürfnisse einer hochentwickelten kapitalistischen Wirtschaft berufen kann, ist rein ideologisches Macht¬ streben. Er steht in schärfsten Widerspruch zu dem alten Ideal der italienischen Demokratie: dem Recht der Selbstbestimmung der Nationalitäten, dadurch daß er Anspruch auf Jstrien und Dcilmatien erstrebt, Gebiete mit überwiegender slawischer Mehrheit. Das nationale Prinzip wird mit Haut und Haar preisgegeben und es ist bitterste Ironie, wenn der Russe Rnssanoff glauben möchte, „Italien habe aus dem Grunde Österreich den Krieg erklärt, weil Osterreich nicht gestatten wollte, daß Italien um seiner nationalen Interessen willen die erheblich zahl¬ reichere slawische Bevölkerung des Landes unterdrücke."" Mit dem Literatengeschrei nach dem „Größeren Italien wurde das italienische Boll unaufhörlich gespeist, und es hat herzlich wenig getan, den scharfen Geschmack dieser. Kost auf seine ursächlichen Bestandteile hin zu prüfen. Wohl wurde gerade letzt wieder in einigen bemerkenswerten Publikationen der Nachweis zu führen versucht, daß die große Masse der Italiener den imperialistischen Gedanken der italienischen Weltmacht, der nicht wie der anderer europäischer Staaten aus ewem wirtschaftlichen Erpansivgeist heraus geboren ist, alle Zeit negiert hätte, daß vielmehr bis zum Eintritt in den Weltkrieg der kleinen imperialistischen Minderheit «ne starke nichtimperialistische Mehrheit von Italienern gegenübergestanden hätte und daß es den ersteren erst im Verlaufe des österreichisch-italienischen Sieges gelungen sei, mit der Kriegserklärung an Deutschland den Gedanken der italienischen Weltmacht zum beherrschenden Postulat des amtlichen Italiens und der überwiegenden Mehrheit des Volkes zu erheben. Mir scheint diese Hypothese nur bedingt'Geltung zu haben. Richtig an ihr ist wohl, daß das offizielle Italien i" stark isolierter Lage erst zögernd und dann schrittweise, den theatralischen Heroismus der alten und jungen imperialistischen Ästheten nicht verleugnend, in °) Ch. Loisecm: .l.'öauilibi-iz »cliiatique", Paris 190t. 0"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/79>, abgerufen am 09.11.2024.