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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung

Ursachen ihres Erfolges, die Methoden ihrer Wirtschaft. (S. 33.) Die hervor"
ragenden Kommunen find zu belohnen durch "Verkürzung einer bestimmten Zeit
des Arbeitstages, durch Erhöhung des Verdienstes, durch Überlassung einer
größeren Quantität an kulturellen oder ästhetischen Gütern und Werten usw."
(S. 33.) Hier .also noch einmal eine Durchbrechung des gleichmäßigen Ein¬
kommens. (Die Schwächen dieses Systems, das anscheinend das Patentrecht und
den Schutz des Urhebers von Gebrauchsmustern abschaffen -will und damit
lähmend auf die Erfindungsfreudigkeit einwirken muß, feien hier nur angedeutet.)

Die Organisation der Arbeit soll vervollkommnet werden, durch An¬
wendung dessen, "-was an Wissenschaftlichem, und Fortschrittlichem im Taylor-
System "vorhanden ist". (S. 29.) Der Kommunismus, eine Lehre, die sich rühmt,
vor allen anderen bestrebt zu fein, die Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit
zu Pflegen und in die Tat umzusetzen, stellt in ihren Dienst ein System, das das
gerade Gegenteil dieser Achtung zu seiner Grundlage hat. Das Taylor-System,
die letzte, verfeinertste und für den Arbeiter verderblichste Blüte des amerika¬
nischen Kapitalismus, macht den Menschen zu einem fast leblosen, beliebig ersetz¬
baren Rad im Getriebe eines Niesenuhrwerks, zehrt in nie geahnter Weise an
seinem Lebensmark und macht ihn zu verbrauchten Altmaterial in einer Lebens¬
epoche, in der der Mann nach Naturgesetz in der Blüte seiner Jahre stehen sollte.
Aber der Kommunist scheut nicht vor diesem Mittel zurück, indem er wähnt, der
Werktätige würde sich auch in diese Knochenmühle einspannen lassen zum Ruhme
des Kommunismus. Ahnen denn diese weltfernen Ideologen nicht, daß Zwang
stets Zwang bleibt und als solcher empfunden werden muß, ganz gleich, in wessen
Namen er ausgeübt wird? Glauben sie .wirklich, die Idee des Kommunismus
könne es rechtfertigen, daß die Grundlage alles menschlichen Glückes, die rein-
körperliche Gesundheit, zerschmettert wird? Steigerung der Produktivkraft hat
nur Sinn, wenn die Produkte eine kaufkräftige und kaüffreudige Abnehmcrschaft
finden, ist laber das Proletariat -- und unter seiner Diktatur und zu seinem
Vorteil geschieht doch das alles ---.ist aber das Proletariat gesundheitlich ver¬
nichtet, dann hat eine Steigerung der Produktion gar keinen Sinn.

Es ist bereits erwähnt worden, daß neben der Erhöhung der Intensität der
Arbeit und der Verbesserung ihrer Organisation auch die Disziplin der Werk¬
tätigen einer Förderung bedarf. "Jede maschinelle Großindustrie . . . (erfordert)
die bedingungslose und strengste Einheit des Willens" (S. 43) und diese Einheit
des Willens kann gesichert werden" durch "Unterordnung des Willens von
Tausenden unter dem Willen eines einzigen", durch "widerspruchslose Unter¬
ordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeits¬
prozesses." (S. 44.) Der "Meetingdemokratismus der arbeitenden Massen" darf
sich nur außerhalb der Arbeitszeit betätigen, nicht während derselben. (S. 47/48.)
Die Aufgabe der kommunistischen Partei besteht jetzt darin, die Masse auf den
sicheren Weg, "auf dem Weg der Arbeitsdisziplin, auf den Weg der Über¬
einstimmung von Meetings-Beschlüssen über die Arbeitsbedingungen mit den
Aufgaben der unweigerlichen Unterordnung unter den Willen des Sowjet-
Leiters, eines Diktators, während der Arbeit zu'führen". (S. 46.)

Auf diese Stelle kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Es soll
und muß nach Lenins Worten "Übereinstimmung" erzielt werden zwischen den
Beschlüssen der Arbeiterversammlungen und den Aufgaben der Unterordnung
unter den Betriebsleiter. Da der Betriebsleiter aber nur ein Sachverständiger
sein wird, wie man auf Grund dies an anderer Stelle bereits Ausgeführten
vermuten darf, der Sachverständige aber in Fragen des Betriebes ausschlaggebend
sein muß und soll, so ist ohne weiteres einzusehen, welch klägliche Rolle die
Arbeiterversammlungen noch zu spielen haben. Sie haben ihre Beschlüsse in
"Übereinstimmung" 'mit den Anordnungen des Produktionsleiters zu bringen,
das heißt, sie haben zu parileren. Besonders interessant wird dies alles durch die
bereits berührte Notwendigkeit, zu Leitern des Arbeitsprozesses bürgerliche Fach¬
leute zu machen, praktisch also doch Wohl die früheren Unternehmer.


Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung

Ursachen ihres Erfolges, die Methoden ihrer Wirtschaft. (S. 33.) Die hervor»
ragenden Kommunen find zu belohnen durch „Verkürzung einer bestimmten Zeit
des Arbeitstages, durch Erhöhung des Verdienstes, durch Überlassung einer
größeren Quantität an kulturellen oder ästhetischen Gütern und Werten usw."
(S. 33.) Hier .also noch einmal eine Durchbrechung des gleichmäßigen Ein¬
kommens. (Die Schwächen dieses Systems, das anscheinend das Patentrecht und
den Schutz des Urhebers von Gebrauchsmustern abschaffen -will und damit
lähmend auf die Erfindungsfreudigkeit einwirken muß, feien hier nur angedeutet.)

Die Organisation der Arbeit soll vervollkommnet werden, durch An¬
wendung dessen, „-was an Wissenschaftlichem, und Fortschrittlichem im Taylor-
System "vorhanden ist". (S. 29.) Der Kommunismus, eine Lehre, die sich rühmt,
vor allen anderen bestrebt zu fein, die Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit
zu Pflegen und in die Tat umzusetzen, stellt in ihren Dienst ein System, das das
gerade Gegenteil dieser Achtung zu seiner Grundlage hat. Das Taylor-System,
die letzte, verfeinertste und für den Arbeiter verderblichste Blüte des amerika¬
nischen Kapitalismus, macht den Menschen zu einem fast leblosen, beliebig ersetz¬
baren Rad im Getriebe eines Niesenuhrwerks, zehrt in nie geahnter Weise an
seinem Lebensmark und macht ihn zu verbrauchten Altmaterial in einer Lebens¬
epoche, in der der Mann nach Naturgesetz in der Blüte seiner Jahre stehen sollte.
Aber der Kommunist scheut nicht vor diesem Mittel zurück, indem er wähnt, der
Werktätige würde sich auch in diese Knochenmühle einspannen lassen zum Ruhme
des Kommunismus. Ahnen denn diese weltfernen Ideologen nicht, daß Zwang
stets Zwang bleibt und als solcher empfunden werden muß, ganz gleich, in wessen
Namen er ausgeübt wird? Glauben sie .wirklich, die Idee des Kommunismus
könne es rechtfertigen, daß die Grundlage alles menschlichen Glückes, die rein-
körperliche Gesundheit, zerschmettert wird? Steigerung der Produktivkraft hat
nur Sinn, wenn die Produkte eine kaufkräftige und kaüffreudige Abnehmcrschaft
finden, ist laber das Proletariat — und unter seiner Diktatur und zu seinem
Vorteil geschieht doch das alles —-.ist aber das Proletariat gesundheitlich ver¬
nichtet, dann hat eine Steigerung der Produktion gar keinen Sinn.

Es ist bereits erwähnt worden, daß neben der Erhöhung der Intensität der
Arbeit und der Verbesserung ihrer Organisation auch die Disziplin der Werk¬
tätigen einer Förderung bedarf. „Jede maschinelle Großindustrie . . . (erfordert)
die bedingungslose und strengste Einheit des Willens" (S. 43) und diese Einheit
des Willens kann gesichert werden" durch „Unterordnung des Willens von
Tausenden unter dem Willen eines einzigen", durch „widerspruchslose Unter¬
ordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeits¬
prozesses." (S. 44.) Der „Meetingdemokratismus der arbeitenden Massen" darf
sich nur außerhalb der Arbeitszeit betätigen, nicht während derselben. (S. 47/48.)
Die Aufgabe der kommunistischen Partei besteht jetzt darin, die Masse auf den
sicheren Weg, „auf dem Weg der Arbeitsdisziplin, auf den Weg der Über¬
einstimmung von Meetings-Beschlüssen über die Arbeitsbedingungen mit den
Aufgaben der unweigerlichen Unterordnung unter den Willen des Sowjet-
Leiters, eines Diktators, während der Arbeit zu'führen". (S. 46.)

Auf diese Stelle kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Es soll
und muß nach Lenins Worten „Übereinstimmung" erzielt werden zwischen den
Beschlüssen der Arbeiterversammlungen und den Aufgaben der Unterordnung
unter den Betriebsleiter. Da der Betriebsleiter aber nur ein Sachverständiger
sein wird, wie man auf Grund dies an anderer Stelle bereits Ausgeführten
vermuten darf, der Sachverständige aber in Fragen des Betriebes ausschlaggebend
sein muß und soll, so ist ohne weiteres einzusehen, welch klägliche Rolle die
Arbeiterversammlungen noch zu spielen haben. Sie haben ihre Beschlüsse in
„Übereinstimmung" 'mit den Anordnungen des Produktionsleiters zu bringen,
das heißt, sie haben zu parileren. Besonders interessant wird dies alles durch die
bereits berührte Notwendigkeit, zu Leitern des Arbeitsprozesses bürgerliche Fach¬
leute zu machen, praktisch also doch Wohl die früheren Unternehmer.


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[0074] Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung Ursachen ihres Erfolges, die Methoden ihrer Wirtschaft. (S. 33.) Die hervor» ragenden Kommunen find zu belohnen durch „Verkürzung einer bestimmten Zeit des Arbeitstages, durch Erhöhung des Verdienstes, durch Überlassung einer größeren Quantität an kulturellen oder ästhetischen Gütern und Werten usw." (S. 33.) Hier .also noch einmal eine Durchbrechung des gleichmäßigen Ein¬ kommens. (Die Schwächen dieses Systems, das anscheinend das Patentrecht und den Schutz des Urhebers von Gebrauchsmustern abschaffen -will und damit lähmend auf die Erfindungsfreudigkeit einwirken muß, feien hier nur angedeutet.) Die Organisation der Arbeit soll vervollkommnet werden, durch An¬ wendung dessen, „-was an Wissenschaftlichem, und Fortschrittlichem im Taylor- System "vorhanden ist". (S. 29.) Der Kommunismus, eine Lehre, die sich rühmt, vor allen anderen bestrebt zu fein, die Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit zu Pflegen und in die Tat umzusetzen, stellt in ihren Dienst ein System, das das gerade Gegenteil dieser Achtung zu seiner Grundlage hat. Das Taylor-System, die letzte, verfeinertste und für den Arbeiter verderblichste Blüte des amerika¬ nischen Kapitalismus, macht den Menschen zu einem fast leblosen, beliebig ersetz¬ baren Rad im Getriebe eines Niesenuhrwerks, zehrt in nie geahnter Weise an seinem Lebensmark und macht ihn zu verbrauchten Altmaterial in einer Lebens¬ epoche, in der der Mann nach Naturgesetz in der Blüte seiner Jahre stehen sollte. Aber der Kommunist scheut nicht vor diesem Mittel zurück, indem er wähnt, der Werktätige würde sich auch in diese Knochenmühle einspannen lassen zum Ruhme des Kommunismus. Ahnen denn diese weltfernen Ideologen nicht, daß Zwang stets Zwang bleibt und als solcher empfunden werden muß, ganz gleich, in wessen Namen er ausgeübt wird? Glauben sie .wirklich, die Idee des Kommunismus könne es rechtfertigen, daß die Grundlage alles menschlichen Glückes, die rein- körperliche Gesundheit, zerschmettert wird? Steigerung der Produktivkraft hat nur Sinn, wenn die Produkte eine kaufkräftige und kaüffreudige Abnehmcrschaft finden, ist laber das Proletariat — und unter seiner Diktatur und zu seinem Vorteil geschieht doch das alles —-.ist aber das Proletariat gesundheitlich ver¬ nichtet, dann hat eine Steigerung der Produktion gar keinen Sinn. Es ist bereits erwähnt worden, daß neben der Erhöhung der Intensität der Arbeit und der Verbesserung ihrer Organisation auch die Disziplin der Werk¬ tätigen einer Förderung bedarf. „Jede maschinelle Großindustrie . . . (erfordert) die bedingungslose und strengste Einheit des Willens" (S. 43) und diese Einheit des Willens kann gesichert werden" durch „Unterordnung des Willens von Tausenden unter dem Willen eines einzigen", durch „widerspruchslose Unter¬ ordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeits¬ prozesses." (S. 44.) Der „Meetingdemokratismus der arbeitenden Massen" darf sich nur außerhalb der Arbeitszeit betätigen, nicht während derselben. (S. 47/48.) Die Aufgabe der kommunistischen Partei besteht jetzt darin, die Masse auf den sicheren Weg, „auf dem Weg der Arbeitsdisziplin, auf den Weg der Über¬ einstimmung von Meetings-Beschlüssen über die Arbeitsbedingungen mit den Aufgaben der unweigerlichen Unterordnung unter den Willen des Sowjet- Leiters, eines Diktators, während der Arbeit zu'führen". (S. 46.) Auf diese Stelle kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Es soll und muß nach Lenins Worten „Übereinstimmung" erzielt werden zwischen den Beschlüssen der Arbeiterversammlungen und den Aufgaben der Unterordnung unter den Betriebsleiter. Da der Betriebsleiter aber nur ein Sachverständiger sein wird, wie man auf Grund dies an anderer Stelle bereits Ausgeführten vermuten darf, der Sachverständige aber in Fragen des Betriebes ausschlaggebend sein muß und soll, so ist ohne weiteres einzusehen, welch klägliche Rolle die Arbeiterversammlungen noch zu spielen haben. Sie haben ihre Beschlüsse in „Übereinstimmung" 'mit den Anordnungen des Produktionsleiters zu bringen, das heißt, sie haben zu parileren. Besonders interessant wird dies alles durch die bereits berührte Notwendigkeit, zu Leitern des Arbeitsprozesses bürgerliche Fach¬ leute zu machen, praktisch also doch Wohl die früheren Unternehmer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/74>, abgerufen am 09.11.2024.