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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

Wohl will uns die Größe der Verantwortung für die Entscheidungen, die
sich aus diesem "Nein" ergeben, zu Boden drücken. Und doch! Fast kommt es
uns an wie ein leises Aufatmen nach dem Druck der vergangenen Wochen.
Wir waren bereit, bis zum äußersten entgegenzukommen. Die Ostmarken blieben
fest hinter der Regierung stehen, obwohl es uns allen wie ein Verrat an uns
selbst und unseren Brüdern in den Ostmarken vorgekommen ist, daß wir einwilligen
sollten in die Abtretung auch nur eines Zolls deutschen Bodens. Wir haben nie
zugeben können, daß es innerhalb der deutschen Reichsgrenzen Gebiete gäbe, die
einen unzweifelhaft polnischen Charakter tragen. Wir haben stets auf dem Stand-.
Punkt gestanden, daß die Ostmarken als Ganzes genommen ihrer geographischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Siruktur nach zum deutschen Reich gehören, und
daß sie im übrigen weder rein deutsch noch rein polnisch sind. Aber wir waren
uns der Verantwortung gegen untere Volksgenossen bewußt. Wir waren bereit,
wenn auch mit blutendem Herzen, Opfer zu bringen, wenn ohne sie es nicht
möglich war, das deutsche Reich vor schwerer Not zu bewahren. Aber wir taten
das nicht freien Herzens. Es blieb der bohrende Gedanke: Hoden wir denn ein
Recht, Treue zu verlangen vom deutschen Volke zur deutschen Ostmark, wenn die
deutsche Ostmark sich selbst nicht die letz-e Treue hält?

Dieser inneren Qual sind wir jetzt enthoben. Wir wissen wieder, und wir
wollen dieses Wissen nie vertieren, daß die deutschen Ostmarken zusammengehören.
Und dafür sind wir dankbar, daß es uns erspart geblieben ist, denischcs Volkstum
zu verraten. Denn eS wäre Verrat gewesen, wenn er auch begangen wäre unter
dein schweren Druck der Not, unter dem tiefen Gefühl der Verantwortung gegen¬
über dem gesamten deutschen Volke.

Was wird nun werden? Seien wir nicht leichtfertig, sagen wir nicht, daß
wir froh sind, nun herauszukommen aus der Ungewißheit in die Zeit der frischen
Entschlüsse. Nein, seien wir nüchtern und ehrlich, und gestehen wir es uns
zu, daß wir vor einer Zukunft stehen, deren Dunkel kein menschliches Auge zu
durchgingen vermag. Aber diese Einsicht wird uns nicht trostlos machen.
Tausendmal haben wir es uns geschworen, das letzte einzusetzen für unser deutsches
Volkstum Vor uns und der ganzen Welt wären wir ehrlos, wenn wir jetzt,
wo die Schicksalsfrage in ihrer ganzen nackten Wirklichkeit an uns herantritt, feige
es nicht wagen würden, die Folgerungen aus unseren Schwüren zu ziehen. Wir
wissen es nicht, was kommen wird. Aber eins wissen wir: daß nnr das Volk
untergeht, das sich selber aufgibt. Und es kann keine schlimmere Form des Sich-
selberaufgebenS gedacht werden, als die Untreue gegen sich selbst. Sieben Wochen
lang haben wir erklärt: nein niemals. Und oll das soll Lüge, hohle Geste, Worte,
geboren aus Furcht, die eigene Schwäche und den eigenen fehlenden Willen zum
Leben zu verdecken, gewesen sein?

Wohl "tag auch unter uns Ostmarldentschen manch einer gewesen sein, der sich
gefragt hat, ob es nicht richtiger sei, weichend vor der Not den Vertrag zu unter¬
zeichnen und mit der Unterzeichnung das Gelübde zu tun, nur ein Ziel zu kennen;
diesen Veitrag zu zerreißen, sobald es möglich sei. Ader in unserer überwiegenden
Mehrheit haben wir den Mut zu diesem Spiel nicht finden können. Wir'haben
es mit deutscher Ehre und deutscher Sittlichkeit für unvereinbar geholten, zum-
,geben, was mir innerlich nie hätten zugeben können. Und aus dieser Überzeugung
heraus sind wir im vollen Gefühl seiner Bedeutung zu dem Entschluß gekommen,
nie in die Preisgabe der deutschen Ostmarken, und sei es auch nur durch eine
Unterschrift, einzuwilligen. Es wäre etwas, von dem unsere deutsche Seele sich
schwer würde erholen können, einsehen zu müssen, daß diese Wochen, in denen
wir uns in dem Willen zur Erhaltung unseres Deutschtums wiedergefunden haben
zu deutscher Einheit und deutschem Gemeinschaftsgefühl, nichts anderes gewesen
waren, vis der Rausch eines Mannes, der es nicht wagt, nach -dem Zusammen-
bruch seiner alten Existenz mit neuem Entschluß ein neues Dasein anzufangen,
sondern der sich im Trunko über seine wahre Lage hinwegtäuscht, um dann
schließlich eines Tages, wenn das kalte Elend ihn angrinst, doch zar Pistole zu


Materialien zur ostdeutschen Frage

Wohl will uns die Größe der Verantwortung für die Entscheidungen, die
sich aus diesem „Nein" ergeben, zu Boden drücken. Und doch! Fast kommt es
uns an wie ein leises Aufatmen nach dem Druck der vergangenen Wochen.
Wir waren bereit, bis zum äußersten entgegenzukommen. Die Ostmarken blieben
fest hinter der Regierung stehen, obwohl es uns allen wie ein Verrat an uns
selbst und unseren Brüdern in den Ostmarken vorgekommen ist, daß wir einwilligen
sollten in die Abtretung auch nur eines Zolls deutschen Bodens. Wir haben nie
zugeben können, daß es innerhalb der deutschen Reichsgrenzen Gebiete gäbe, die
einen unzweifelhaft polnischen Charakter tragen. Wir haben stets auf dem Stand-.
Punkt gestanden, daß die Ostmarken als Ganzes genommen ihrer geographischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Siruktur nach zum deutschen Reich gehören, und
daß sie im übrigen weder rein deutsch noch rein polnisch sind. Aber wir waren
uns der Verantwortung gegen untere Volksgenossen bewußt. Wir waren bereit,
wenn auch mit blutendem Herzen, Opfer zu bringen, wenn ohne sie es nicht
möglich war, das deutsche Reich vor schwerer Not zu bewahren. Aber wir taten
das nicht freien Herzens. Es blieb der bohrende Gedanke: Hoden wir denn ein
Recht, Treue zu verlangen vom deutschen Volke zur deutschen Ostmark, wenn die
deutsche Ostmark sich selbst nicht die letz-e Treue hält?

Dieser inneren Qual sind wir jetzt enthoben. Wir wissen wieder, und wir
wollen dieses Wissen nie vertieren, daß die deutschen Ostmarken zusammengehören.
Und dafür sind wir dankbar, daß es uns erspart geblieben ist, denischcs Volkstum
zu verraten. Denn eS wäre Verrat gewesen, wenn er auch begangen wäre unter
dein schweren Druck der Not, unter dem tiefen Gefühl der Verantwortung gegen¬
über dem gesamten deutschen Volke.

Was wird nun werden? Seien wir nicht leichtfertig, sagen wir nicht, daß
wir froh sind, nun herauszukommen aus der Ungewißheit in die Zeit der frischen
Entschlüsse. Nein, seien wir nüchtern und ehrlich, und gestehen wir es uns
zu, daß wir vor einer Zukunft stehen, deren Dunkel kein menschliches Auge zu
durchgingen vermag. Aber diese Einsicht wird uns nicht trostlos machen.
Tausendmal haben wir es uns geschworen, das letzte einzusetzen für unser deutsches
Volkstum Vor uns und der ganzen Welt wären wir ehrlos, wenn wir jetzt,
wo die Schicksalsfrage in ihrer ganzen nackten Wirklichkeit an uns herantritt, feige
es nicht wagen würden, die Folgerungen aus unseren Schwüren zu ziehen. Wir
wissen es nicht, was kommen wird. Aber eins wissen wir: daß nnr das Volk
untergeht, das sich selber aufgibt. Und es kann keine schlimmere Form des Sich-
selberaufgebenS gedacht werden, als die Untreue gegen sich selbst. Sieben Wochen
lang haben wir erklärt: nein niemals. Und oll das soll Lüge, hohle Geste, Worte,
geboren aus Furcht, die eigene Schwäche und den eigenen fehlenden Willen zum
Leben zu verdecken, gewesen sein?

Wohl »tag auch unter uns Ostmarldentschen manch einer gewesen sein, der sich
gefragt hat, ob es nicht richtiger sei, weichend vor der Not den Vertrag zu unter¬
zeichnen und mit der Unterzeichnung das Gelübde zu tun, nur ein Ziel zu kennen;
diesen Veitrag zu zerreißen, sobald es möglich sei. Ader in unserer überwiegenden
Mehrheit haben wir den Mut zu diesem Spiel nicht finden können. Wir'haben
es mit deutscher Ehre und deutscher Sittlichkeit für unvereinbar geholten, zum-
,geben, was mir innerlich nie hätten zugeben können. Und aus dieser Überzeugung
heraus sind wir im vollen Gefühl seiner Bedeutung zu dem Entschluß gekommen,
nie in die Preisgabe der deutschen Ostmarken, und sei es auch nur durch eine
Unterschrift, einzuwilligen. Es wäre etwas, von dem unsere deutsche Seele sich
schwer würde erholen können, einsehen zu müssen, daß diese Wochen, in denen
wir uns in dem Willen zur Erhaltung unseres Deutschtums wiedergefunden haben
zu deutscher Einheit und deutschem Gemeinschaftsgefühl, nichts anderes gewesen
waren, vis der Rausch eines Mannes, der es nicht wagt, nach -dem Zusammen-
bruch seiner alten Existenz mit neuem Entschluß ein neues Dasein anzufangen,
sondern der sich im Trunko über seine wahre Lage hinwegtäuscht, um dann
schließlich eines Tages, wenn das kalte Elend ihn angrinst, doch zar Pistole zu


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[0546] Materialien zur ostdeutschen Frage Wohl will uns die Größe der Verantwortung für die Entscheidungen, die sich aus diesem „Nein" ergeben, zu Boden drücken. Und doch! Fast kommt es uns an wie ein leises Aufatmen nach dem Druck der vergangenen Wochen. Wir waren bereit, bis zum äußersten entgegenzukommen. Die Ostmarken blieben fest hinter der Regierung stehen, obwohl es uns allen wie ein Verrat an uns selbst und unseren Brüdern in den Ostmarken vorgekommen ist, daß wir einwilligen sollten in die Abtretung auch nur eines Zolls deutschen Bodens. Wir haben nie zugeben können, daß es innerhalb der deutschen Reichsgrenzen Gebiete gäbe, die einen unzweifelhaft polnischen Charakter tragen. Wir haben stets auf dem Stand-. Punkt gestanden, daß die Ostmarken als Ganzes genommen ihrer geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Siruktur nach zum deutschen Reich gehören, und daß sie im übrigen weder rein deutsch noch rein polnisch sind. Aber wir waren uns der Verantwortung gegen untere Volksgenossen bewußt. Wir waren bereit, wenn auch mit blutendem Herzen, Opfer zu bringen, wenn ohne sie es nicht möglich war, das deutsche Reich vor schwerer Not zu bewahren. Aber wir taten das nicht freien Herzens. Es blieb der bohrende Gedanke: Hoden wir denn ein Recht, Treue zu verlangen vom deutschen Volke zur deutschen Ostmark, wenn die deutsche Ostmark sich selbst nicht die letz-e Treue hält? Dieser inneren Qual sind wir jetzt enthoben. Wir wissen wieder, und wir wollen dieses Wissen nie vertieren, daß die deutschen Ostmarken zusammengehören. Und dafür sind wir dankbar, daß es uns erspart geblieben ist, denischcs Volkstum zu verraten. Denn eS wäre Verrat gewesen, wenn er auch begangen wäre unter dein schweren Druck der Not, unter dem tiefen Gefühl der Verantwortung gegen¬ über dem gesamten deutschen Volke. Was wird nun werden? Seien wir nicht leichtfertig, sagen wir nicht, daß wir froh sind, nun herauszukommen aus der Ungewißheit in die Zeit der frischen Entschlüsse. Nein, seien wir nüchtern und ehrlich, und gestehen wir es uns zu, daß wir vor einer Zukunft stehen, deren Dunkel kein menschliches Auge zu durchgingen vermag. Aber diese Einsicht wird uns nicht trostlos machen. Tausendmal haben wir es uns geschworen, das letzte einzusetzen für unser deutsches Volkstum Vor uns und der ganzen Welt wären wir ehrlos, wenn wir jetzt, wo die Schicksalsfrage in ihrer ganzen nackten Wirklichkeit an uns herantritt, feige es nicht wagen würden, die Folgerungen aus unseren Schwüren zu ziehen. Wir wissen es nicht, was kommen wird. Aber eins wissen wir: daß nnr das Volk untergeht, das sich selber aufgibt. Und es kann keine schlimmere Form des Sich- selberaufgebenS gedacht werden, als die Untreue gegen sich selbst. Sieben Wochen lang haben wir erklärt: nein niemals. Und oll das soll Lüge, hohle Geste, Worte, geboren aus Furcht, die eigene Schwäche und den eigenen fehlenden Willen zum Leben zu verdecken, gewesen sein? Wohl »tag auch unter uns Ostmarldentschen manch einer gewesen sein, der sich gefragt hat, ob es nicht richtiger sei, weichend vor der Not den Vertrag zu unter¬ zeichnen und mit der Unterzeichnung das Gelübde zu tun, nur ein Ziel zu kennen; diesen Veitrag zu zerreißen, sobald es möglich sei. Ader in unserer überwiegenden Mehrheit haben wir den Mut zu diesem Spiel nicht finden können. Wir'haben es mit deutscher Ehre und deutscher Sittlichkeit für unvereinbar geholten, zum- ,geben, was mir innerlich nie hätten zugeben können. Und aus dieser Überzeugung heraus sind wir im vollen Gefühl seiner Bedeutung zu dem Entschluß gekommen, nie in die Preisgabe der deutschen Ostmarken, und sei es auch nur durch eine Unterschrift, einzuwilligen. Es wäre etwas, von dem unsere deutsche Seele sich schwer würde erholen können, einsehen zu müssen, daß diese Wochen, in denen wir uns in dem Willen zur Erhaltung unseres Deutschtums wiedergefunden haben zu deutscher Einheit und deutschem Gemeinschaftsgefühl, nichts anderes gewesen waren, vis der Rausch eines Mannes, der es nicht wagt, nach -dem Zusammen- bruch seiner alten Existenz mit neuem Entschluß ein neues Dasein anzufangen, sondern der sich im Trunko über seine wahre Lage hinwegtäuscht, um dann schließlich eines Tages, wenn das kalte Elend ihn angrinst, doch zar Pistole zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/546>, abgerufen am 06.10.2024.