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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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beide Nationalitäten kulturell für dieses Gebiet
geleistet? Ein sittliches Recht kann sich auch
ein Volk erst durch seine Arbeit gewinnen. Wie
fanden nun die Deutschen den Netzedistrikt vor
und was haben sie aus ihm gemacht? Vom
dreizehnten bis achtzehnten Jahrhundert
wurden deutsche Bürger und Bauern von
den polnischen Königen in diese Gegenden
geholt, um ihnen ihre höhere Kultur
zu bringen, um sie durch diese höhere
Kultur ertragfähiger zu machen. Es war ja
keine nationale Vorliebe, die die polnischen
Könige und Herren die Deutschen rufen ließ;
es war ganz nüchterne wirtschaftliche Berech¬
nung. Und die Rechnung trog nicht. Der
deutsche Bauer brachte den Boden in weit
höhere Kultur und steigerte seine Rente um
das Mehrfache, der deutsche Handwerker er¬
möglichte eine Erhöhung der Lebenshaltung,
der deutsche Kaufmann belebte Handel und
Wandel. Die wirtschaftliche und kulturelle
Blüte Polens fällt zusammen mit der Blüte
der deutschen Siedelungen. In den inneren
Wirren Polens, in den Schwedenkriegen ist
diese Blüte zugrunde gegangen, und mit ihr
geht auch vieles von der deutschen Kultur zu"
gründe. Nur einige alte Baudenkmäler zeugen
noch davon. Was aber an alten Baudenk¬
mälern vorhanden ist, das zeigt durchweg
deutschen Charakter. Man darf ruhig be¬
haupten, daß es in Preußisch-Polen Denk¬
mäler spezifisch polnischen Charakters über¬
haupt nicht gibt. Selbst in Gnesen habe ich
wich vergeblich bemüht, solche zu finden. Es
kommt dann die Preußische Besitzergreifung
von 1772, und mit ihr setzt eine neue deutsche
Kulturarbeit ein, eine Kulturarbeit größten
Stils. Das ganze Gebiet des NetzcdistriktS
^findet sich damals in einer Verwahrlosung,
bon der wir uns heute kaum eine Vorstellung
wachen können. Selbst eine einst so bedeu¬
tende Stadt wie Bromberg liegt fast völlig
"de, in den kleineren Städten übersteigt die
^"si der "wüsten Stätten" vielfach die der
stehenden Häuser. Eine völlig verarmte Be¬
völkerung führt ein kümmerliches Dnsein.
Auf dein Lande ist der Boden durchweg in
schlechter Kultur, in den Niederungen vielfach
""Sumpfe, weil die Regelung der Wasserläufe
gänzlich vernachlässigt war. Schulen gibt eS
""f dem Lande überhaupt nicht. Die Rechts¬

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verhältnisse sind allenthalben unsicher, ihre
Regelung mannigfacher Willkür ausgesetzt.
Da setzt die deutsche Arbeit ein, und in kurzer
Zeit schafft sie Ordnung im Lande. Ein
Strom deutscher Beamten, Bürger und
Bauern wird hierher geleitet und wirkt allent¬
halben befruchtend. Die Städte werden auf¬
gebaut, die Wasserläufe reguliert, der Goplo-
see gesenkt, und wo bisher wüstes Sumpfland
war, da wird ertragreicher Ackerboden ge¬
schaffen. Gewerbe und Handel beleben sich,
der Bromberger Kanal wird gebaut, und
schon nach ganz wenig Jahren zeigt das Land
ein völlig verändertes Aussehen, ist es ans
einer Wüstenei Kulturland geworden. Die
Bevölkerungszahl hebt sich von Jahr zu Jahr
überraschend schnell, Schulen werden allent¬
halben gegründet und wenigstens einiger¬
maßen ausreichend dotiert, die Rechtsverhält¬
nisse geordnet. Und alles, was geleistet wird,
wird durch Deutsche und nur durch Deutsche
geleistet. So wird der Netzedistrikt aufs
neue kulturell deutsches Gebiet. Es wäre ja
unverständig, wollte man dem Polentum
einen Vorwurf daraus machen, daß eS sich
an dieser Kulturarbeit nicht beteiligte. Man
darf nicht übersehen, daß das polnische Volk
unter den Schmedenkriegen und unter seinen
inneren Wirren länger zu leiden hatte als
das deutsche unter dem dreißigjährigen Kriege
und daß es in dieser Zeit seine Kräfte zur
Kulturarbeit weder verwenden noch entwickeln
konnte. Das ändert aber nichts an der Tat¬
sache, daß die ganze Kulturarbeit im Netze-
distrikt in jener Zeit von Deutschen allein
geleistet wurde. Erst gegen die Mitte deS
vorigen Jahrhunderts haben die Polen be¬
gonnen, sich an dieser Kulturarbeit überhaupt
zu beteiligen, erst da fangen sie an, den
Stand zu bilden, der bei den Nachbarvölkern
schon Jahrhunderte vorher der eigentliche
Träger' der Kultur geworden war, den
bürgerliche" Mittelstand. Es ist aller Achtung
wert, was sie in der kurzen Zeit auf diesem
Gebiete in zielbewußter Arbeit geleistet haben;
aber die Zeit ist eben doch viel zu kurz, als
daß sie den Vorsprung des deutschen Nach¬
barvolkes auch nur entfernt hätten einholen
können. So haben sie ganz naturgemäß auf
kulturellen Gebiet bis heute im Verhältnis
zu den übrigen europäischen Kulturvölkern

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beide Nationalitäten kulturell für dieses Gebiet
geleistet? Ein sittliches Recht kann sich auch
ein Volk erst durch seine Arbeit gewinnen. Wie
fanden nun die Deutschen den Netzedistrikt vor
und was haben sie aus ihm gemacht? Vom
dreizehnten bis achtzehnten Jahrhundert
wurden deutsche Bürger und Bauern von
den polnischen Königen in diese Gegenden
geholt, um ihnen ihre höhere Kultur
zu bringen, um sie durch diese höhere
Kultur ertragfähiger zu machen. Es war ja
keine nationale Vorliebe, die die polnischen
Könige und Herren die Deutschen rufen ließ;
es war ganz nüchterne wirtschaftliche Berech¬
nung. Und die Rechnung trog nicht. Der
deutsche Bauer brachte den Boden in weit
höhere Kultur und steigerte seine Rente um
das Mehrfache, der deutsche Handwerker er¬
möglichte eine Erhöhung der Lebenshaltung,
der deutsche Kaufmann belebte Handel und
Wandel. Die wirtschaftliche und kulturelle
Blüte Polens fällt zusammen mit der Blüte
der deutschen Siedelungen. In den inneren
Wirren Polens, in den Schwedenkriegen ist
diese Blüte zugrunde gegangen, und mit ihr
geht auch vieles von der deutschen Kultur zu»
gründe. Nur einige alte Baudenkmäler zeugen
noch davon. Was aber an alten Baudenk¬
mälern vorhanden ist, das zeigt durchweg
deutschen Charakter. Man darf ruhig be¬
haupten, daß es in Preußisch-Polen Denk¬
mäler spezifisch polnischen Charakters über¬
haupt nicht gibt. Selbst in Gnesen habe ich
wich vergeblich bemüht, solche zu finden. Es
kommt dann die Preußische Besitzergreifung
von 1772, und mit ihr setzt eine neue deutsche
Kulturarbeit ein, eine Kulturarbeit größten
Stils. Das ganze Gebiet des NetzcdistriktS
^findet sich damals in einer Verwahrlosung,
bon der wir uns heute kaum eine Vorstellung
wachen können. Selbst eine einst so bedeu¬
tende Stadt wie Bromberg liegt fast völlig
"de, in den kleineren Städten übersteigt die
^»si der „wüsten Stätten" vielfach die der
stehenden Häuser. Eine völlig verarmte Be¬
völkerung führt ein kümmerliches Dnsein.
Auf dein Lande ist der Boden durchweg in
schlechter Kultur, in den Niederungen vielfach
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gänzlich vernachlässigt war. Schulen gibt eS
«"f dem Lande überhaupt nicht. Die Rechts¬

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verhältnisse sind allenthalben unsicher, ihre
Regelung mannigfacher Willkür ausgesetzt.
Da setzt die deutsche Arbeit ein, und in kurzer
Zeit schafft sie Ordnung im Lande. Ein
Strom deutscher Beamten, Bürger und
Bauern wird hierher geleitet und wirkt allent¬
halben befruchtend. Die Städte werden auf¬
gebaut, die Wasserläufe reguliert, der Goplo-
see gesenkt, und wo bisher wüstes Sumpfland
war, da wird ertragreicher Ackerboden ge¬
schaffen. Gewerbe und Handel beleben sich,
der Bromberger Kanal wird gebaut, und
schon nach ganz wenig Jahren zeigt das Land
ein völlig verändertes Aussehen, ist es ans
einer Wüstenei Kulturland geworden. Die
Bevölkerungszahl hebt sich von Jahr zu Jahr
überraschend schnell, Schulen werden allent¬
halben gegründet und wenigstens einiger¬
maßen ausreichend dotiert, die Rechtsverhält¬
nisse geordnet. Und alles, was geleistet wird,
wird durch Deutsche und nur durch Deutsche
geleistet. So wird der Netzedistrikt aufs
neue kulturell deutsches Gebiet. Es wäre ja
unverständig, wollte man dem Polentum
einen Vorwurf daraus machen, daß eS sich
an dieser Kulturarbeit nicht beteiligte. Man
darf nicht übersehen, daß das polnische Volk
unter den Schmedenkriegen und unter seinen
inneren Wirren länger zu leiden hatte als
das deutsche unter dem dreißigjährigen Kriege
und daß es in dieser Zeit seine Kräfte zur
Kulturarbeit weder verwenden noch entwickeln
konnte. Das ändert aber nichts an der Tat¬
sache, daß die ganze Kulturarbeit im Netze-
distrikt in jener Zeit von Deutschen allein
geleistet wurde. Erst gegen die Mitte deS
vorigen Jahrhunderts haben die Polen be¬
gonnen, sich an dieser Kulturarbeit überhaupt
zu beteiligen, erst da fangen sie an, den
Stand zu bilden, der bei den Nachbarvölkern
schon Jahrhunderte vorher der eigentliche
Träger' der Kultur geworden war, den
bürgerliche» Mittelstand. Es ist aller Achtung
wert, was sie in der kurzen Zeit auf diesem
Gebiete in zielbewußter Arbeit geleistet haben;
aber die Zeit ist eben doch viel zu kurz, als
daß sie den Vorsprung des deutschen Nach¬
barvolkes auch nur entfernt hätten einholen
können. So haben sie ganz naturgemäß auf
kulturellen Gebiet bis heute im Verhältnis
zu den übrigen europäischen Kulturvölkern

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[0487] Materialien zur ostdeutschen Frage beide Nationalitäten kulturell für dieses Gebiet geleistet? Ein sittliches Recht kann sich auch ein Volk erst durch seine Arbeit gewinnen. Wie fanden nun die Deutschen den Netzedistrikt vor und was haben sie aus ihm gemacht? Vom dreizehnten bis achtzehnten Jahrhundert wurden deutsche Bürger und Bauern von den polnischen Königen in diese Gegenden geholt, um ihnen ihre höhere Kultur zu bringen, um sie durch diese höhere Kultur ertragfähiger zu machen. Es war ja keine nationale Vorliebe, die die polnischen Könige und Herren die Deutschen rufen ließ; es war ganz nüchterne wirtschaftliche Berech¬ nung. Und die Rechnung trog nicht. Der deutsche Bauer brachte den Boden in weit höhere Kultur und steigerte seine Rente um das Mehrfache, der deutsche Handwerker er¬ möglichte eine Erhöhung der Lebenshaltung, der deutsche Kaufmann belebte Handel und Wandel. Die wirtschaftliche und kulturelle Blüte Polens fällt zusammen mit der Blüte der deutschen Siedelungen. In den inneren Wirren Polens, in den Schwedenkriegen ist diese Blüte zugrunde gegangen, und mit ihr geht auch vieles von der deutschen Kultur zu» gründe. Nur einige alte Baudenkmäler zeugen noch davon. Was aber an alten Baudenk¬ mälern vorhanden ist, das zeigt durchweg deutschen Charakter. Man darf ruhig be¬ haupten, daß es in Preußisch-Polen Denk¬ mäler spezifisch polnischen Charakters über¬ haupt nicht gibt. Selbst in Gnesen habe ich wich vergeblich bemüht, solche zu finden. Es kommt dann die Preußische Besitzergreifung von 1772, und mit ihr setzt eine neue deutsche Kulturarbeit ein, eine Kulturarbeit größten Stils. Das ganze Gebiet des NetzcdistriktS ^findet sich damals in einer Verwahrlosung, bon der wir uns heute kaum eine Vorstellung wachen können. Selbst eine einst so bedeu¬ tende Stadt wie Bromberg liegt fast völlig "de, in den kleineren Städten übersteigt die ^»si der „wüsten Stätten" vielfach die der stehenden Häuser. Eine völlig verarmte Be¬ völkerung führt ein kümmerliches Dnsein. Auf dein Lande ist der Boden durchweg in schlechter Kultur, in den Niederungen vielfach "«Sumpfe, weil die Regelung der Wasserläufe gänzlich vernachlässigt war. Schulen gibt eS «"f dem Lande überhaupt nicht. Die Rechts¬ verhältnisse sind allenthalben unsicher, ihre Regelung mannigfacher Willkür ausgesetzt. Da setzt die deutsche Arbeit ein, und in kurzer Zeit schafft sie Ordnung im Lande. Ein Strom deutscher Beamten, Bürger und Bauern wird hierher geleitet und wirkt allent¬ halben befruchtend. Die Städte werden auf¬ gebaut, die Wasserläufe reguliert, der Goplo- see gesenkt, und wo bisher wüstes Sumpfland war, da wird ertragreicher Ackerboden ge¬ schaffen. Gewerbe und Handel beleben sich, der Bromberger Kanal wird gebaut, und schon nach ganz wenig Jahren zeigt das Land ein völlig verändertes Aussehen, ist es ans einer Wüstenei Kulturland geworden. Die Bevölkerungszahl hebt sich von Jahr zu Jahr überraschend schnell, Schulen werden allent¬ halben gegründet und wenigstens einiger¬ maßen ausreichend dotiert, die Rechtsverhält¬ nisse geordnet. Und alles, was geleistet wird, wird durch Deutsche und nur durch Deutsche geleistet. So wird der Netzedistrikt aufs neue kulturell deutsches Gebiet. Es wäre ja unverständig, wollte man dem Polentum einen Vorwurf daraus machen, daß eS sich an dieser Kulturarbeit nicht beteiligte. Man darf nicht übersehen, daß das polnische Volk unter den Schmedenkriegen und unter seinen inneren Wirren länger zu leiden hatte als das deutsche unter dem dreißigjährigen Kriege und daß es in dieser Zeit seine Kräfte zur Kulturarbeit weder verwenden noch entwickeln konnte. Das ändert aber nichts an der Tat¬ sache, daß die ganze Kulturarbeit im Netze- distrikt in jener Zeit von Deutschen allein geleistet wurde. Erst gegen die Mitte deS vorigen Jahrhunderts haben die Polen be¬ gonnen, sich an dieser Kulturarbeit überhaupt zu beteiligen, erst da fangen sie an, den Stand zu bilden, der bei den Nachbarvölkern schon Jahrhunderte vorher der eigentliche Träger' der Kultur geworden war, den bürgerliche» Mittelstand. Es ist aller Achtung wert, was sie in der kurzen Zeit auf diesem Gebiete in zielbewußter Arbeit geleistet haben; aber die Zeit ist eben doch viel zu kurz, als daß sie den Vorsprung des deutschen Nach¬ barvolkes auch nur entfernt hätten einholen können. So haben sie ganz naturgemäß auf kulturellen Gebiet bis heute im Verhältnis zu den übrigen europäischen Kulturvölkern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/487>, abgerufen am 27.07.2024.