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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

Man hat berechnet, wieviel Feldfrüchte mehr die Polen schaffen könnten,
wenn ihre Landwirtschaft mit der deutschen (zum Beispiel in der Provinz Posen)
gleichen Schritt hielte. Da fehlt den Polen sehr viel. In dem Land von der
Größe unsrer vier Ostprovinzen bleiben die Ackererträgnisse so weit zurück, daß
die volle Jahresernte 1912 von dreien, nämlich Posen. West- und Ostpreußen,
an Weizen (585 000 Tonnen), Gerste (583 000 Tonnen), Hafer (1395 000 Tonnen)
und Kartoffeln (9 663 000 Tonnen) nötig wäre, um den Ausfall zu decken. Für
Roggen (1843 000 Tonnen) und Zuckerrüben (1114 000 Tonnen) genügten als
Ersatz noch nicht die Ernten von Ost> und Westpreußen.

Wie der Ackerbau gegen Deutschland einen außerordentlichen Tiefstand
ausweist, so auch die Viehzucht. Mit der Bewohnerzahl verglichen hat Westpreußen
Polen gegenüber den doppelten Bestand an Pferden (157 zu 88 auf 1000 Ein¬
wohner), den dreifachen an Rindern (413 zu 150), den vierfachen an Schafen und
Ziegen (288 zu 67) und den dreizehnfachen an Schweinen (540 zu 39).

Die Löhne in der Landwwschast sind etwa halb so hoch wie für polnische
Saisonarbeiter in Preußen.

Der Grund für diesen Tiefstand bei so zahlreicher Bevölkerung ist darin zu
suchen, daß die polnische Bevölkerung nicht zur Arbeit erzogen ist. Sie besitzt in
ihrer erdrückenden Mehrheit nicht den Trieb, mehr zu schaffen, als für ihr eigenes,
notdürftiges Durchkommen erforderlich ist. Sie lebt in Armut und Bedürfnis¬
losigkeit dahin. Was an Werten geschaffen wird, geschieht überwiegend durch
Ausländer (besonders Deutsche) und Juden.

Daß die Bevölkerung den Wert der Arbeit nicht erkannt hat, nimmt nicht
wunder. Wie einst das deutsche Volksschulwesen einen starken Antrieb seitens der
Landwirte erhielt, weil nur ein gebildeter Bauer, Arbeiter und Tagelöhner dos
Verständnis dafür haben kann, durch Neuerungen seine Arbeit fruchtbringender
zu gestalten, so erklärt sich der Tiefstand Polens aus der Unbildung des polnischen
Volkes. Während in Westpreußen von 1000 Einwohnern nur 5 weder lesen noch
schreiben konnten, und das waren zumeist zugewanderte Polen, sind es in Russisch-
Polen mehr als die Hälfte, nämlich 590. Von 1000 Einwohnern besuchten in
Westpreußen 186 die Volksschule, in Polen nur 28. Eine Fachschule entfällt bei
nun auf 5000 Einwohner oder 76 Quadratkilometer Landes, in Polen auf das
fünfzehnfache, nämlich 75 500 Einwohner oder 775 Quadratkilometer.

Ein Land mit so wenig schaffender Bevölkerung wie Polen kann natürlich
nur geringe Krttturaufgaben erfüllen. Die Sozialversicherungen sind in Polen erst
in der Einführung. Die Unfallversicherung gilt nur für gewerbliche Betriebe mit
wehr als dreißig Arbeitern ohne Triebkraft oder mehr als zwanzig Arbeitern mit
Triebkraft. Landwirtschaftliche und Bauarbeiter sind ganz ausgeschlossen. Es
besteht indes kein Zwang, der Unternehmer kann selbst entschädigen. Doch muß
bei Ansprüchen erst die Schuld des Besitzers nachgewiesen werden, außer der
Beschädigte gehörte zu Fabriken, Bergbau- und Hüttenwerken mit mehr als
sechzehn 'Personen.

Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung besteht nur bei Staatsbahneu,
Bergwerken und einigen öffentlichen Verwaltungen.

Krankenversicherung fehlt ganz. Jetzt liegt erst ein Entwurf vor.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Einverleibung Westpreußens
w Polen der Tiefstand Russisch-Polens im Wettbewerb nachteilig wirkt. Die
Bvdenpreise werden gedrückt, damit viele Hypotheken gefährdet- die Löhne sinken,
ebenso der Gelreidewert, die Sozialversicherung läßt sich nicht aufrecht erhalten.
Es verlohnt sich nicht mehr, die Landwirtschaft auf deutscher Höhe zu halten, oder
^ ist überhaupt nicht möglich, da das versetzte polnische Volk sich bestrebt, überall
dle Deutschen durch die minderwerteu Polen zu verdrängen. Als Handlanger sind
"le Deutschen willkommen, aber die Früchte wollen die Polen.

^. Dcmzigs Lage zu Polen läßt sich vergleichen mit der Rotterdams zu seinem
Anrierlande. Wie Rotterdam an der Rheinmündung, so liegt Danzig an der
^eichselmündung; wie Rotterdam politisch von seinem Hinterkante, dem deutschen


11*
Materialien zur ostdeutschen Frage

Man hat berechnet, wieviel Feldfrüchte mehr die Polen schaffen könnten,
wenn ihre Landwirtschaft mit der deutschen (zum Beispiel in der Provinz Posen)
gleichen Schritt hielte. Da fehlt den Polen sehr viel. In dem Land von der
Größe unsrer vier Ostprovinzen bleiben die Ackererträgnisse so weit zurück, daß
die volle Jahresernte 1912 von dreien, nämlich Posen. West- und Ostpreußen,
an Weizen (585 000 Tonnen), Gerste (583 000 Tonnen), Hafer (1395 000 Tonnen)
und Kartoffeln (9 663 000 Tonnen) nötig wäre, um den Ausfall zu decken. Für
Roggen (1843 000 Tonnen) und Zuckerrüben (1114 000 Tonnen) genügten als
Ersatz noch nicht die Ernten von Ost> und Westpreußen.

Wie der Ackerbau gegen Deutschland einen außerordentlichen Tiefstand
ausweist, so auch die Viehzucht. Mit der Bewohnerzahl verglichen hat Westpreußen
Polen gegenüber den doppelten Bestand an Pferden (157 zu 88 auf 1000 Ein¬
wohner), den dreifachen an Rindern (413 zu 150), den vierfachen an Schafen und
Ziegen (288 zu 67) und den dreizehnfachen an Schweinen (540 zu 39).

Die Löhne in der Landwwschast sind etwa halb so hoch wie für polnische
Saisonarbeiter in Preußen.

Der Grund für diesen Tiefstand bei so zahlreicher Bevölkerung ist darin zu
suchen, daß die polnische Bevölkerung nicht zur Arbeit erzogen ist. Sie besitzt in
ihrer erdrückenden Mehrheit nicht den Trieb, mehr zu schaffen, als für ihr eigenes,
notdürftiges Durchkommen erforderlich ist. Sie lebt in Armut und Bedürfnis¬
losigkeit dahin. Was an Werten geschaffen wird, geschieht überwiegend durch
Ausländer (besonders Deutsche) und Juden.

Daß die Bevölkerung den Wert der Arbeit nicht erkannt hat, nimmt nicht
wunder. Wie einst das deutsche Volksschulwesen einen starken Antrieb seitens der
Landwirte erhielt, weil nur ein gebildeter Bauer, Arbeiter und Tagelöhner dos
Verständnis dafür haben kann, durch Neuerungen seine Arbeit fruchtbringender
zu gestalten, so erklärt sich der Tiefstand Polens aus der Unbildung des polnischen
Volkes. Während in Westpreußen von 1000 Einwohnern nur 5 weder lesen noch
schreiben konnten, und das waren zumeist zugewanderte Polen, sind es in Russisch-
Polen mehr als die Hälfte, nämlich 590. Von 1000 Einwohnern besuchten in
Westpreußen 186 die Volksschule, in Polen nur 28. Eine Fachschule entfällt bei
nun auf 5000 Einwohner oder 76 Quadratkilometer Landes, in Polen auf das
fünfzehnfache, nämlich 75 500 Einwohner oder 775 Quadratkilometer.

Ein Land mit so wenig schaffender Bevölkerung wie Polen kann natürlich
nur geringe Krttturaufgaben erfüllen. Die Sozialversicherungen sind in Polen erst
in der Einführung. Die Unfallversicherung gilt nur für gewerbliche Betriebe mit
wehr als dreißig Arbeitern ohne Triebkraft oder mehr als zwanzig Arbeitern mit
Triebkraft. Landwirtschaftliche und Bauarbeiter sind ganz ausgeschlossen. Es
besteht indes kein Zwang, der Unternehmer kann selbst entschädigen. Doch muß
bei Ansprüchen erst die Schuld des Besitzers nachgewiesen werden, außer der
Beschädigte gehörte zu Fabriken, Bergbau- und Hüttenwerken mit mehr als
sechzehn 'Personen.

Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung besteht nur bei Staatsbahneu,
Bergwerken und einigen öffentlichen Verwaltungen.

Krankenversicherung fehlt ganz. Jetzt liegt erst ein Entwurf vor.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Einverleibung Westpreußens
w Polen der Tiefstand Russisch-Polens im Wettbewerb nachteilig wirkt. Die
Bvdenpreise werden gedrückt, damit viele Hypotheken gefährdet- die Löhne sinken,
ebenso der Gelreidewert, die Sozialversicherung läßt sich nicht aufrecht erhalten.
Es verlohnt sich nicht mehr, die Landwirtschaft auf deutscher Höhe zu halten, oder
^ ist überhaupt nicht möglich, da das versetzte polnische Volk sich bestrebt, überall
dle Deutschen durch die minderwerteu Polen zu verdrängen. Als Handlanger sind
"le Deutschen willkommen, aber die Früchte wollen die Polen.

^. Dcmzigs Lage zu Polen läßt sich vergleichen mit der Rotterdams zu seinem
Anrierlande. Wie Rotterdam an der Rheinmündung, so liegt Danzig an der
^eichselmündung; wie Rotterdam politisch von seinem Hinterkante, dem deutschen


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[0483] Materialien zur ostdeutschen Frage Man hat berechnet, wieviel Feldfrüchte mehr die Polen schaffen könnten, wenn ihre Landwirtschaft mit der deutschen (zum Beispiel in der Provinz Posen) gleichen Schritt hielte. Da fehlt den Polen sehr viel. In dem Land von der Größe unsrer vier Ostprovinzen bleiben die Ackererträgnisse so weit zurück, daß die volle Jahresernte 1912 von dreien, nämlich Posen. West- und Ostpreußen, an Weizen (585 000 Tonnen), Gerste (583 000 Tonnen), Hafer (1395 000 Tonnen) und Kartoffeln (9 663 000 Tonnen) nötig wäre, um den Ausfall zu decken. Für Roggen (1843 000 Tonnen) und Zuckerrüben (1114 000 Tonnen) genügten als Ersatz noch nicht die Ernten von Ost> und Westpreußen. Wie der Ackerbau gegen Deutschland einen außerordentlichen Tiefstand ausweist, so auch die Viehzucht. Mit der Bewohnerzahl verglichen hat Westpreußen Polen gegenüber den doppelten Bestand an Pferden (157 zu 88 auf 1000 Ein¬ wohner), den dreifachen an Rindern (413 zu 150), den vierfachen an Schafen und Ziegen (288 zu 67) und den dreizehnfachen an Schweinen (540 zu 39). Die Löhne in der Landwwschast sind etwa halb so hoch wie für polnische Saisonarbeiter in Preußen. Der Grund für diesen Tiefstand bei so zahlreicher Bevölkerung ist darin zu suchen, daß die polnische Bevölkerung nicht zur Arbeit erzogen ist. Sie besitzt in ihrer erdrückenden Mehrheit nicht den Trieb, mehr zu schaffen, als für ihr eigenes, notdürftiges Durchkommen erforderlich ist. Sie lebt in Armut und Bedürfnis¬ losigkeit dahin. Was an Werten geschaffen wird, geschieht überwiegend durch Ausländer (besonders Deutsche) und Juden. Daß die Bevölkerung den Wert der Arbeit nicht erkannt hat, nimmt nicht wunder. Wie einst das deutsche Volksschulwesen einen starken Antrieb seitens der Landwirte erhielt, weil nur ein gebildeter Bauer, Arbeiter und Tagelöhner dos Verständnis dafür haben kann, durch Neuerungen seine Arbeit fruchtbringender zu gestalten, so erklärt sich der Tiefstand Polens aus der Unbildung des polnischen Volkes. Während in Westpreußen von 1000 Einwohnern nur 5 weder lesen noch schreiben konnten, und das waren zumeist zugewanderte Polen, sind es in Russisch- Polen mehr als die Hälfte, nämlich 590. Von 1000 Einwohnern besuchten in Westpreußen 186 die Volksschule, in Polen nur 28. Eine Fachschule entfällt bei nun auf 5000 Einwohner oder 76 Quadratkilometer Landes, in Polen auf das fünfzehnfache, nämlich 75 500 Einwohner oder 775 Quadratkilometer. Ein Land mit so wenig schaffender Bevölkerung wie Polen kann natürlich nur geringe Krttturaufgaben erfüllen. Die Sozialversicherungen sind in Polen erst in der Einführung. Die Unfallversicherung gilt nur für gewerbliche Betriebe mit wehr als dreißig Arbeitern ohne Triebkraft oder mehr als zwanzig Arbeitern mit Triebkraft. Landwirtschaftliche und Bauarbeiter sind ganz ausgeschlossen. Es besteht indes kein Zwang, der Unternehmer kann selbst entschädigen. Doch muß bei Ansprüchen erst die Schuld des Besitzers nachgewiesen werden, außer der Beschädigte gehörte zu Fabriken, Bergbau- und Hüttenwerken mit mehr als sechzehn 'Personen. Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung besteht nur bei Staatsbahneu, Bergwerken und einigen öffentlichen Verwaltungen. Krankenversicherung fehlt ganz. Jetzt liegt erst ein Entwurf vor. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Einverleibung Westpreußens w Polen der Tiefstand Russisch-Polens im Wettbewerb nachteilig wirkt. Die Bvdenpreise werden gedrückt, damit viele Hypotheken gefährdet- die Löhne sinken, ebenso der Gelreidewert, die Sozialversicherung läßt sich nicht aufrecht erhalten. Es verlohnt sich nicht mehr, die Landwirtschaft auf deutscher Höhe zu halten, oder ^ ist überhaupt nicht möglich, da das versetzte polnische Volk sich bestrebt, überall dle Deutschen durch die minderwerteu Polen zu verdrängen. Als Handlanger sind "le Deutschen willkommen, aber die Früchte wollen die Polen. ^. Dcmzigs Lage zu Polen läßt sich vergleichen mit der Rotterdams zu seinem Anrierlande. Wie Rotterdam an der Rheinmündung, so liegt Danzig an der ^eichselmündung; wie Rotterdam politisch von seinem Hinterkante, dem deutschen 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/483>, abgerufen am 01.09.2024.