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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

unseren Berechnungen also nicht ausgesetzt sein. Was dem Posener Lande aber
noch verborgen ist, das ist -- der Standpunkt unserer Regierung. Geht sie mit
dem Entschluß nach Versailles, die Deutscherhaltung der gesamten Provinz Posen
zu erkämpfen, oder nicht? Das ist die Frage, auf die die Posener Deutschen
noch keine eindeutige Antwort erhalten haben. Auch hier muß man versuchen,
sich aus mehr oder minder amtlichen Auslassungen ein annäherndes Bild zu
verschaffen."

Der "Vorwärts schreibt in seiner Ur. 203 vom 22. April, daß Deutsch¬
land bereit ist, "Gebiete aufzugeben, deren Bevölkerung ein Verbleiben im politischen
Machtbereich des alten Reiches nicht wünscht." Sollte sich diese Fassung auf
Elsaß Lothringen beziehen, so wäre sie unglücklich gewählt, wahrscheinlicher bleibt,
daß dabei auf den Osten angespielt wird. Gleich darauf wird weiter ausgeführt,
daß jedoch nur dann ein Friede annehmbar wäre, wenn nicht deutsches Gebiet
Wider seinen Willen unter fremde Herrschaft gebracht wird. Dem Positiven des
ersten Zugeständnisses wird dabei nur in dem anderen Satze das gleiche in
negativer Form hinzugefügt: Gebietsteile sollen abgetreten werden, wenn die
Bevölkerung es wünscht, aber nicht gegen ihren Willen. Eine Lösung des Problems
bietet diese Auslassung demnach keineswegs, da weiter im Unklaren bleibt, ob
bezüglich des Posener Landes, das doch als untrennbares Ganzes zu behandeln
ist, dem deutschen oder dem polnischen Willen Rechnung getragen werden soll.

Bleibt demnach die Äußerung des amtlich inspirierten "Vorwärts" für den
Versuch völlig untauglich, den Regierungsstandpunkt herauszukonstruieren, so wird
die Sachlage etwas klarer, wenn das Telegramm des preußischen Ministers des
Innern an den Volksrat in Berthchen herangezogen wird, in dem es heißt: "Die
preußische Regierung wird auch hinsichtlich der Provinz Posen sich mit allen
Mitteln dafür einsetzen, daß der Bestand des Staates erhalten bleibt, und daß
ledenfalls kein Gebiet unzweifelhaft deutschen Volkstums unter die Gewalt eines
anderen Staates fällt!"

Der Standpunkt der -- wohlgemerkt preußischen, nicht deutschen -- Regierung
würde völlig befriedigend wirken, wenn nicht der Vordersatz durch den Nachsatz
eingeschränkt worden wäre. Unbedingte Festigkeit spricht auch aus dieser Erklärung
ducht, da sie die minder günstige Möglichkeit offen läßt, daß auf einen Teil Posens
verzichtet werden könnte oder müßte.

Unzweideutig dagegen spricht sich der Reichsschatzminister Gothein in dem
Leitartikel des "Berliner Tageblattes" -- Ur. 180 vom 23. April -- aus:

"Nirgends im Osten Deutschlands gibt es Gebiete, die von einer unzweifel¬
haft polnischen Bevölkerung bewohnt sind, auch die jetzt außerhalb der Demarkations¬
linie liegenden Teile Posens sind zum guten Teil überwiegend deutsch. Aus
d^n Zusammenhang mit Deutschland gerissen, würden sie aufs schwerste leiden,
würden sie in jenen Zustand der Unkultur zurücksinken, in demi sich die weitesten
Teile Polens und Galiziens befinden."

^ , Dies ist die Äußerung einer amtlichen Persönlichkeit, eines Angehörigen der
.eichsregierung, aber immer noch keine amtliche Erklärung der Negierung im
eigentlichen Sinne. Erfreulich bleibt sie aber in zweifacher Hinsicht: Sie vertritt
'e Interessen der gesamten Provinz Posen und begründet den eingenommenen
^tcnrdpunkt. Darauf kommt es aber an. Bei der Programmlosigkeit, die sonst
Regierungspolitik hinsichtlich der Ausführbarkeit der uns verpflichtenden
AUwnpunkte kennzeichnet, ist dies ein bedeutsamer Fortschritt. Die Äußerung
otheins gibt auch den Fingerzeig dafür, wie die Sache hier im Osten eigentlich
Zufassen ist. Gothein geht von der gesamten Ostmark aus, vom Ganzen, nicht
svtteinzelnen Teilen. In ersteren Fehler ist jede der bezüglich Posen so
bat " Regierungserklärungen gefallen; diese klammern sich an die Tatsache,
dem ^ innerhalb Posens einige überwiegend polnische Kreise gibt, die nun nach
angenommenen Wilsonprogramm wohl oder übel abgetreten werden müßten,


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Materialien zur ostdeutschen Frage

unseren Berechnungen also nicht ausgesetzt sein. Was dem Posener Lande aber
noch verborgen ist, das ist — der Standpunkt unserer Regierung. Geht sie mit
dem Entschluß nach Versailles, die Deutscherhaltung der gesamten Provinz Posen
zu erkämpfen, oder nicht? Das ist die Frage, auf die die Posener Deutschen
noch keine eindeutige Antwort erhalten haben. Auch hier muß man versuchen,
sich aus mehr oder minder amtlichen Auslassungen ein annäherndes Bild zu
verschaffen."

Der „Vorwärts schreibt in seiner Ur. 203 vom 22. April, daß Deutsch¬
land bereit ist, „Gebiete aufzugeben, deren Bevölkerung ein Verbleiben im politischen
Machtbereich des alten Reiches nicht wünscht." Sollte sich diese Fassung auf
Elsaß Lothringen beziehen, so wäre sie unglücklich gewählt, wahrscheinlicher bleibt,
daß dabei auf den Osten angespielt wird. Gleich darauf wird weiter ausgeführt,
daß jedoch nur dann ein Friede annehmbar wäre, wenn nicht deutsches Gebiet
Wider seinen Willen unter fremde Herrschaft gebracht wird. Dem Positiven des
ersten Zugeständnisses wird dabei nur in dem anderen Satze das gleiche in
negativer Form hinzugefügt: Gebietsteile sollen abgetreten werden, wenn die
Bevölkerung es wünscht, aber nicht gegen ihren Willen. Eine Lösung des Problems
bietet diese Auslassung demnach keineswegs, da weiter im Unklaren bleibt, ob
bezüglich des Posener Landes, das doch als untrennbares Ganzes zu behandeln
ist, dem deutschen oder dem polnischen Willen Rechnung getragen werden soll.

Bleibt demnach die Äußerung des amtlich inspirierten „Vorwärts" für den
Versuch völlig untauglich, den Regierungsstandpunkt herauszukonstruieren, so wird
die Sachlage etwas klarer, wenn das Telegramm des preußischen Ministers des
Innern an den Volksrat in Berthchen herangezogen wird, in dem es heißt: „Die
preußische Regierung wird auch hinsichtlich der Provinz Posen sich mit allen
Mitteln dafür einsetzen, daß der Bestand des Staates erhalten bleibt, und daß
ledenfalls kein Gebiet unzweifelhaft deutschen Volkstums unter die Gewalt eines
anderen Staates fällt!"

Der Standpunkt der — wohlgemerkt preußischen, nicht deutschen — Regierung
würde völlig befriedigend wirken, wenn nicht der Vordersatz durch den Nachsatz
eingeschränkt worden wäre. Unbedingte Festigkeit spricht auch aus dieser Erklärung
ducht, da sie die minder günstige Möglichkeit offen läßt, daß auf einen Teil Posens
verzichtet werden könnte oder müßte.

Unzweideutig dagegen spricht sich der Reichsschatzminister Gothein in dem
Leitartikel des „Berliner Tageblattes" — Ur. 180 vom 23. April — aus:

„Nirgends im Osten Deutschlands gibt es Gebiete, die von einer unzweifel¬
haft polnischen Bevölkerung bewohnt sind, auch die jetzt außerhalb der Demarkations¬
linie liegenden Teile Posens sind zum guten Teil überwiegend deutsch. Aus
d^n Zusammenhang mit Deutschland gerissen, würden sie aufs schwerste leiden,
würden sie in jenen Zustand der Unkultur zurücksinken, in demi sich die weitesten
Teile Polens und Galiziens befinden."

^ , Dies ist die Äußerung einer amtlichen Persönlichkeit, eines Angehörigen der
.eichsregierung, aber immer noch keine amtliche Erklärung der Negierung im
eigentlichen Sinne. Erfreulich bleibt sie aber in zweifacher Hinsicht: Sie vertritt
'e Interessen der gesamten Provinz Posen und begründet den eingenommenen
^tcnrdpunkt. Darauf kommt es aber an. Bei der Programmlosigkeit, die sonst
Regierungspolitik hinsichtlich der Ausführbarkeit der uns verpflichtenden
AUwnpunkte kennzeichnet, ist dies ein bedeutsamer Fortschritt. Die Äußerung
otheins gibt auch den Fingerzeig dafür, wie die Sache hier im Osten eigentlich
Zufassen ist. Gothein geht von der gesamten Ostmark aus, vom Ganzen, nicht
svtteinzelnen Teilen. In ersteren Fehler ist jede der bezüglich Posen so
bat " Regierungserklärungen gefallen; diese klammern sich an die Tatsache,
dem ^ innerhalb Posens einige überwiegend polnische Kreise gibt, die nun nach
angenommenen Wilsonprogramm wohl oder übel abgetreten werden müßten,


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[0451] Materialien zur ostdeutschen Frage unseren Berechnungen also nicht ausgesetzt sein. Was dem Posener Lande aber noch verborgen ist, das ist — der Standpunkt unserer Regierung. Geht sie mit dem Entschluß nach Versailles, die Deutscherhaltung der gesamten Provinz Posen zu erkämpfen, oder nicht? Das ist die Frage, auf die die Posener Deutschen noch keine eindeutige Antwort erhalten haben. Auch hier muß man versuchen, sich aus mehr oder minder amtlichen Auslassungen ein annäherndes Bild zu verschaffen." Der „Vorwärts schreibt in seiner Ur. 203 vom 22. April, daß Deutsch¬ land bereit ist, „Gebiete aufzugeben, deren Bevölkerung ein Verbleiben im politischen Machtbereich des alten Reiches nicht wünscht." Sollte sich diese Fassung auf Elsaß Lothringen beziehen, so wäre sie unglücklich gewählt, wahrscheinlicher bleibt, daß dabei auf den Osten angespielt wird. Gleich darauf wird weiter ausgeführt, daß jedoch nur dann ein Friede annehmbar wäre, wenn nicht deutsches Gebiet Wider seinen Willen unter fremde Herrschaft gebracht wird. Dem Positiven des ersten Zugeständnisses wird dabei nur in dem anderen Satze das gleiche in negativer Form hinzugefügt: Gebietsteile sollen abgetreten werden, wenn die Bevölkerung es wünscht, aber nicht gegen ihren Willen. Eine Lösung des Problems bietet diese Auslassung demnach keineswegs, da weiter im Unklaren bleibt, ob bezüglich des Posener Landes, das doch als untrennbares Ganzes zu behandeln ist, dem deutschen oder dem polnischen Willen Rechnung getragen werden soll. Bleibt demnach die Äußerung des amtlich inspirierten „Vorwärts" für den Versuch völlig untauglich, den Regierungsstandpunkt herauszukonstruieren, so wird die Sachlage etwas klarer, wenn das Telegramm des preußischen Ministers des Innern an den Volksrat in Berthchen herangezogen wird, in dem es heißt: „Die preußische Regierung wird auch hinsichtlich der Provinz Posen sich mit allen Mitteln dafür einsetzen, daß der Bestand des Staates erhalten bleibt, und daß ledenfalls kein Gebiet unzweifelhaft deutschen Volkstums unter die Gewalt eines anderen Staates fällt!" Der Standpunkt der — wohlgemerkt preußischen, nicht deutschen — Regierung würde völlig befriedigend wirken, wenn nicht der Vordersatz durch den Nachsatz eingeschränkt worden wäre. Unbedingte Festigkeit spricht auch aus dieser Erklärung ducht, da sie die minder günstige Möglichkeit offen läßt, daß auf einen Teil Posens verzichtet werden könnte oder müßte. Unzweideutig dagegen spricht sich der Reichsschatzminister Gothein in dem Leitartikel des „Berliner Tageblattes" — Ur. 180 vom 23. April — aus: „Nirgends im Osten Deutschlands gibt es Gebiete, die von einer unzweifel¬ haft polnischen Bevölkerung bewohnt sind, auch die jetzt außerhalb der Demarkations¬ linie liegenden Teile Posens sind zum guten Teil überwiegend deutsch. Aus d^n Zusammenhang mit Deutschland gerissen, würden sie aufs schwerste leiden, würden sie in jenen Zustand der Unkultur zurücksinken, in demi sich die weitesten Teile Polens und Galiziens befinden." ^ , Dies ist die Äußerung einer amtlichen Persönlichkeit, eines Angehörigen der .eichsregierung, aber immer noch keine amtliche Erklärung der Negierung im eigentlichen Sinne. Erfreulich bleibt sie aber in zweifacher Hinsicht: Sie vertritt 'e Interessen der gesamten Provinz Posen und begründet den eingenommenen ^tcnrdpunkt. Darauf kommt es aber an. Bei der Programmlosigkeit, die sonst Regierungspolitik hinsichtlich der Ausführbarkeit der uns verpflichtenden AUwnpunkte kennzeichnet, ist dies ein bedeutsamer Fortschritt. Die Äußerung otheins gibt auch den Fingerzeig dafür, wie die Sache hier im Osten eigentlich Zufassen ist. Gothein geht von der gesamten Ostmark aus, vom Ganzen, nicht svtteinzelnen Teilen. In ersteren Fehler ist jede der bezüglich Posen so bat " Regierungserklärungen gefallen; diese klammern sich an die Tatsache, dem ^ innerhalb Posens einige überwiegend polnische Kreise gibt, die nun nach angenommenen Wilsonprogramm wohl oder übel abgetreten werden müßten, 9»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/451>, abgerufen am 18.12.2024.