Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden?
Dr. Karl Roller von

er Verlust des Krieges und die Revolution Hot zu einer Um¬
wertung oller Werte geführt. Auch Bismarcks Heldengestalt ist
hiervon nicht verschont geblieben. Er, der bisher als einer der
größten Staatenbrldner oller Zeiten galt, wird jetzt in Minister¬
reden und amtlichen Denkschriften als politischer Stümper geschil¬
dert, der Pfuschwerk geliefert habe. Es wird ihm zum Vorwurf
gemacht, daß er das Teutsche Reich unter Ausschluß von Osterreich als einen
Bund der Fürsten und freien Städte uuter preußischer Hegemonie, nicht als
Bolksstcmt, gegründet auf die freie Selbstbestimmung der ganzen Nation, errichtet
habe. Seine Behandlung der elsaß-lothringischen und noÄdschleswigschen Frage
-wird als verfehlt "bezeichnet. Es iwird vollständige Abwendung von der Bismarck-
schen Machtpolitik gefordert. Diese neue Bewertung Bismarcks kommt zum Bei¬
spiel, in einer Unterredung zum Ausdruck, die Ministerpräsident Scheidemann
kürzlich einem Mitarbeiter der "B. Z. am Mittag" (Nummer vom 12. Februar)
gewährt hat. Ferner findet sie sich in der Denkschrift des Neichsministers Preuß
zum vorläufigen Entwurf der Reichsverfassung. Auch die Rede von Professor
Herrner in ver Hochschule für Musik in Berlin am 17. November v. Is. (ab¬
gedruckt in der Flugschrift "Großdeutschland oder Kleindeutschland?") ist hier zu
erwähnen. Wesentlich höher als diese Ausführungen steht die bereits vor der
Revolution veröffentlichte Studie des konservativen Politikers Dr. Grcibowsky
"Geist und Politik" im "Neuen Deutschland" vom 1. August 1918.

Wenn Scheidemann behauptet, die besten Geister der klassischen Periode
unserer Politik seien für ein Großdeutschland auf breiter demokratischer Basis ge¬
wesen, so übersieht er, daß die Frankfurter Nationalversammlung, indem sie am
^8. März 1849 mit 299 Stimmen bei 248 Stimmenthaltungen den König
Friedrich Wilhelm den Vierten von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen
vählie, sich für ein Kleindeutschland mit monarchischer Spitze und unter preußi-
cher Hegemonie entschied, das mit Osterveich ein enges völkerrechtliches Bündnis
schließen sollte. Also genau das, was Bismarck 1866, 1870/71 und 1879 ge¬
schaffen hat. Bismarck steht also gar nicht in schroffem Gegensatz zu den Ge¬
danken von 1848, wie Scheidemann glauben machen will; er hat vielmehr voll¬
endet, was im Jahre 1848 die Mehrheit des deutschen Volkes erstrebt hat. So
"npfanden es auch die alten Demokraten der Revolutionszeit, wie der Brief
Milz Reuters vom 4. September 1866 beweist, in dem er Bismarck dafür dankt,
M er die Träume seiner Jugend und die Hoffnungen des gereiften Alters zur
Eßbaren und im Sonnenschein glänzenden Wahrheit verwirklicht habe. Ein
'Gegensatz besteht nur insofern, als die Demokraten von 1848 glaubten, auf fried-
Uche Weise erreichen zu können, was, wie Bismarcks Scharfsinn erkannte, nur
°urch "Blut und Eisen" zu gewinnen -war. Im Hauptpunkte, dem Ausschluß


G"nzboten II 1919 8


Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden?
Dr. Karl Roller von

er Verlust des Krieges und die Revolution Hot zu einer Um¬
wertung oller Werte geführt. Auch Bismarcks Heldengestalt ist
hiervon nicht verschont geblieben. Er, der bisher als einer der
größten Staatenbrldner oller Zeiten galt, wird jetzt in Minister¬
reden und amtlichen Denkschriften als politischer Stümper geschil¬
dert, der Pfuschwerk geliefert habe. Es wird ihm zum Vorwurf
gemacht, daß er das Teutsche Reich unter Ausschluß von Osterreich als einen
Bund der Fürsten und freien Städte uuter preußischer Hegemonie, nicht als
Bolksstcmt, gegründet auf die freie Selbstbestimmung der ganzen Nation, errichtet
habe. Seine Behandlung der elsaß-lothringischen und noÄdschleswigschen Frage
-wird als verfehlt «bezeichnet. Es iwird vollständige Abwendung von der Bismarck-
schen Machtpolitik gefordert. Diese neue Bewertung Bismarcks kommt zum Bei¬
spiel, in einer Unterredung zum Ausdruck, die Ministerpräsident Scheidemann
kürzlich einem Mitarbeiter der „B. Z. am Mittag" (Nummer vom 12. Februar)
gewährt hat. Ferner findet sie sich in der Denkschrift des Neichsministers Preuß
zum vorläufigen Entwurf der Reichsverfassung. Auch die Rede von Professor
Herrner in ver Hochschule für Musik in Berlin am 17. November v. Is. (ab¬
gedruckt in der Flugschrift „Großdeutschland oder Kleindeutschland?") ist hier zu
erwähnen. Wesentlich höher als diese Ausführungen steht die bereits vor der
Revolution veröffentlichte Studie des konservativen Politikers Dr. Grcibowsky
„Geist und Politik" im „Neuen Deutschland" vom 1. August 1918.

Wenn Scheidemann behauptet, die besten Geister der klassischen Periode
unserer Politik seien für ein Großdeutschland auf breiter demokratischer Basis ge¬
wesen, so übersieht er, daß die Frankfurter Nationalversammlung, indem sie am
^8. März 1849 mit 299 Stimmen bei 248 Stimmenthaltungen den König
Friedrich Wilhelm den Vierten von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen
vählie, sich für ein Kleindeutschland mit monarchischer Spitze und unter preußi-
cher Hegemonie entschied, das mit Osterveich ein enges völkerrechtliches Bündnis
schließen sollte. Also genau das, was Bismarck 1866, 1870/71 und 1879 ge¬
schaffen hat. Bismarck steht also gar nicht in schroffem Gegensatz zu den Ge¬
danken von 1848, wie Scheidemann glauben machen will; er hat vielmehr voll¬
endet, was im Jahre 1848 die Mehrheit des deutschen Volkes erstrebt hat. So
"npfanden es auch die alten Demokraten der Revolutionszeit, wie der Brief
Milz Reuters vom 4. September 1866 beweist, in dem er Bismarck dafür dankt,
M er die Träume seiner Jugend und die Hoffnungen des gereiften Alters zur
Eßbaren und im Sonnenschein glänzenden Wahrheit verwirklicht habe. Ein
'Gegensatz besteht nur insofern, als die Demokraten von 1848 glaubten, auf fried-
Uche Weise erreichen zu können, was, wie Bismarcks Scharfsinn erkannte, nur
°urch „Blut und Eisen" zu gewinnen -war. Im Hauptpunkte, dem Ausschluß


G«nzboten II 1919 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335445"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341909_335407/figures/grenzboten_341909_335407_335445_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden?<lb/><note type="byline"> Dr. Karl Roller</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_95"> er Verlust des Krieges und die Revolution Hot zu einer Um¬<lb/>
wertung oller Werte geführt. Auch Bismarcks Heldengestalt ist<lb/>
hiervon nicht verschont geblieben. Er, der bisher als einer der<lb/>
größten Staatenbrldner oller Zeiten galt, wird jetzt in Minister¬<lb/>
reden und amtlichen Denkschriften als politischer Stümper geschil¬<lb/>
dert, der Pfuschwerk geliefert habe. Es wird ihm zum Vorwurf<lb/>
gemacht, daß er das Teutsche Reich unter Ausschluß von Osterreich als einen<lb/>
Bund der Fürsten und freien Städte uuter preußischer Hegemonie, nicht als<lb/>
Bolksstcmt, gegründet auf die freie Selbstbestimmung der ganzen Nation, errichtet<lb/>
habe. Seine Behandlung der elsaß-lothringischen und noÄdschleswigschen Frage<lb/>
-wird als verfehlt «bezeichnet. Es iwird vollständige Abwendung von der Bismarck-<lb/>
schen Machtpolitik gefordert. Diese neue Bewertung Bismarcks kommt zum Bei¬<lb/>
spiel, in einer Unterredung zum Ausdruck, die Ministerpräsident Scheidemann<lb/>
kürzlich einem Mitarbeiter der &#x201E;B. Z. am Mittag" (Nummer vom 12. Februar)<lb/>
gewährt hat. Ferner findet sie sich in der Denkschrift des Neichsministers Preuß<lb/>
zum vorläufigen Entwurf der Reichsverfassung. Auch die Rede von Professor<lb/>
Herrner in ver Hochschule für Musik in Berlin am 17. November v. Is. (ab¬<lb/>
gedruckt in der Flugschrift &#x201E;Großdeutschland oder Kleindeutschland?") ist hier zu<lb/>
erwähnen. Wesentlich höher als diese Ausführungen steht die bereits vor der<lb/>
Revolution veröffentlichte Studie des konservativen Politikers Dr. Grcibowsky<lb/>
&#x201E;Geist und Politik" im &#x201E;Neuen Deutschland" vom 1. August 1918.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> Wenn Scheidemann behauptet, die besten Geister der klassischen Periode<lb/>
unserer Politik seien für ein Großdeutschland auf breiter demokratischer Basis ge¬<lb/>
wesen, so übersieht er, daß die Frankfurter Nationalversammlung, indem sie am<lb/>
^8. März 1849 mit 299 Stimmen bei 248 Stimmenthaltungen den König<lb/>
Friedrich Wilhelm den Vierten von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen<lb/>
vählie, sich für ein Kleindeutschland mit monarchischer Spitze und unter preußi-<lb/>
cher Hegemonie entschied, das mit Osterveich ein enges völkerrechtliches Bündnis<lb/>
schließen sollte. Also genau das, was Bismarck 1866, 1870/71 und 1879 ge¬<lb/>
schaffen hat. Bismarck steht also gar nicht in schroffem Gegensatz zu den Ge¬<lb/>
danken von 1848, wie Scheidemann glauben machen will; er hat vielmehr voll¬<lb/>
endet, was im Jahre 1848 die Mehrheit des deutschen Volkes erstrebt hat. So<lb/>
"npfanden es auch die alten Demokraten der Revolutionszeit, wie der Brief<lb/>
Milz Reuters vom 4. September 1866 beweist, in dem er Bismarck dafür dankt,<lb/>
M er die Träume seiner Jugend und die Hoffnungen des gereiften Alters zur<lb/>
Eßbaren und im Sonnenschein glänzenden Wahrheit verwirklicht habe. Ein<lb/>
'Gegensatz besteht nur insofern, als die Demokraten von 1848 glaubten, auf fried-<lb/>
Uche Weise erreichen zu können, was, wie Bismarcks Scharfsinn erkannte, nur<lb/>
°urch &#x201E;Blut und Eisen" zu gewinnen -war. Im Hauptpunkte, dem Ausschluß</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> G«nzboten II 1919 8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] [Abbildung] Ist Bismarck durch den Weltkrieg widerlegt worden? Dr. Karl Roller von er Verlust des Krieges und die Revolution Hot zu einer Um¬ wertung oller Werte geführt. Auch Bismarcks Heldengestalt ist hiervon nicht verschont geblieben. Er, der bisher als einer der größten Staatenbrldner oller Zeiten galt, wird jetzt in Minister¬ reden und amtlichen Denkschriften als politischer Stümper geschil¬ dert, der Pfuschwerk geliefert habe. Es wird ihm zum Vorwurf gemacht, daß er das Teutsche Reich unter Ausschluß von Osterreich als einen Bund der Fürsten und freien Städte uuter preußischer Hegemonie, nicht als Bolksstcmt, gegründet auf die freie Selbstbestimmung der ganzen Nation, errichtet habe. Seine Behandlung der elsaß-lothringischen und noÄdschleswigschen Frage -wird als verfehlt «bezeichnet. Es iwird vollständige Abwendung von der Bismarck- schen Machtpolitik gefordert. Diese neue Bewertung Bismarcks kommt zum Bei¬ spiel, in einer Unterredung zum Ausdruck, die Ministerpräsident Scheidemann kürzlich einem Mitarbeiter der „B. Z. am Mittag" (Nummer vom 12. Februar) gewährt hat. Ferner findet sie sich in der Denkschrift des Neichsministers Preuß zum vorläufigen Entwurf der Reichsverfassung. Auch die Rede von Professor Herrner in ver Hochschule für Musik in Berlin am 17. November v. Is. (ab¬ gedruckt in der Flugschrift „Großdeutschland oder Kleindeutschland?") ist hier zu erwähnen. Wesentlich höher als diese Ausführungen steht die bereits vor der Revolution veröffentlichte Studie des konservativen Politikers Dr. Grcibowsky „Geist und Politik" im „Neuen Deutschland" vom 1. August 1918. Wenn Scheidemann behauptet, die besten Geister der klassischen Periode unserer Politik seien für ein Großdeutschland auf breiter demokratischer Basis ge¬ wesen, so übersieht er, daß die Frankfurter Nationalversammlung, indem sie am ^8. März 1849 mit 299 Stimmen bei 248 Stimmenthaltungen den König Friedrich Wilhelm den Vierten von Preußen zum erblichen Kaiser der Deutschen vählie, sich für ein Kleindeutschland mit monarchischer Spitze und unter preußi- cher Hegemonie entschied, das mit Osterveich ein enges völkerrechtliches Bündnis schließen sollte. Also genau das, was Bismarck 1866, 1870/71 und 1879 ge¬ schaffen hat. Bismarck steht also gar nicht in schroffem Gegensatz zu den Ge¬ danken von 1848, wie Scheidemann glauben machen will; er hat vielmehr voll¬ endet, was im Jahre 1848 die Mehrheit des deutschen Volkes erstrebt hat. So "npfanden es auch die alten Demokraten der Revolutionszeit, wie der Brief Milz Reuters vom 4. September 1866 beweist, in dem er Bismarck dafür dankt, M er die Träume seiner Jugend und die Hoffnungen des gereiften Alters zur Eßbaren und im Sonnenschein glänzenden Wahrheit verwirklicht habe. Ein 'Gegensatz besteht nur insofern, als die Demokraten von 1848 glaubten, auf fried- Uche Weise erreichen zu können, was, wie Bismarcks Scharfsinn erkannte, nur °urch „Blut und Eisen" zu gewinnen -war. Im Hauptpunkte, dem Ausschluß G«nzboten II 1919 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/37>, abgerufen am 09.11.2024.