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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

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bei einer Bevölkerung, die sich aus germani¬
sierten Polen zusammensetzt. Diese Städte
müssen aber das Los der Nachbargebiete
teilen und auch wieder Polnisch werden.
In Wahrheit ist die ganze Bevölkerung
der drei Schlesien polnischen Stammes, aber
die Germanisierung in Nieder- und Mittel¬
schlesien ist so durchgreifend, das; es sehr
schwierig sein würde, die streng-ethno¬
graphischen Gesichtspunkte für die Rückgabe

ein Polen geltend zu machen.


Dazu schreibt die "Deutsche Allgemeine
Zeitung":

Oberflächlicher, als es in dieser Denk¬
schrift geschieht, kann man mit den Tatsachen
kaum umspringen. Sie behauptet, die Provinz
Posen gäbe ein besonders klares Bild eines
geschlossenen polnischen Gebietes. Eine be¬
wußt falsche Behauptung. Wie ein geschlossenes
Sprachgebiet aussieht, geht etwa aus einer
Sprachenkarte Böhmens hervor, wo fast alle
Gerichtsbezirke des Nordrandes mehr als
"S Prozent Deutsche haben. Würde man
den gleichen Maßstab an Posen anlegen
(d. h. auch nur Bezirke von 95 Prozent als
rein polnisch betrachten und dabei ohne Rück¬
sicht auf die Kreisgrenzen sprachliche Bezirke
bilden), so wird sich ergeben, daß es ein
derartiges geschlossenes polnisches Sprach¬
gebiet in Posen, wie es das deutsche in
Böhmen ist, nicht gibt; es sind nur im Süd¬
westen von Posen aus Ostrowo zu vereinzelte
polnische Inseln mit über 96 Prozent Polen
vorhanden. Sie haben untereinander zum
Teil keinen Zusammenhang. Es ist ein Jnsel-
"ewirr, das auf der Karte alles andere als
den Eindruck der Geschlossenheit macht.

Richtig ist, daß das Deutschtum im
Regierungsbezirk Posen, von dem die Denk¬
schrift nur spricht, in der Minderheit ist.
Eine Minderheit allerdings, die über 400000
Köpfe umfaßt. Aber diese Minderheit ist dem
Polentum kulturell überlegen; ihr gehört
64.06 Prozent des Grund und Bodens (auf
Grund des Gesetzes von 1909 sind nur
1200 Hektar enteignet) und an Einkommen-
neuer zahlt sie 11,09 Mark, die Polen aber
"ur 3,02 Mark auf den Kopf der Bevölkerung.
Kann man bei einer solchen Minderheit, wie
^ die französische Denkschrift tut, von "einigen

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einzelnen deutschen Enklaven und vereinzelten
bedeutungslosen deutschen Gruppen" sprechen?

Und was soll man bum sagen, wenn die
Denkschrift Kreise wie Bomst, Birnbaum,
Neutomischel und Rawitsch den Polen zu¬
spricht, meer weil die Polnische Bevölkerung
hier wenig über 60 Prozent ausmacht? In
Birnbaum z, B. sind 81 Prozent des Grund
und Bodens deutsch, in Neutomischel und
Bomst je 64,05 Prozent; von dem Einkommen-
stoueraufkommen zahlen die Polen in Bomst
nur 86,77 Prozent, in Neutomischel 23,8L
Prozent und in Birnbaum gar nur 16,06
ProzentI Kann man solche Kreise unbestreit¬
bar Polnisch nennen, nur weil in den letzten
Jahren -- Neutomischel, Bomst und Birnbaum
hatten noch 1890 eine deutsche Majorität --
eine kleine Verschiebung zugunsten des Polen-
tums eingetreten ist?

Die Abtretung Westpreußens mit ethno¬
graphischen Gründen zu rechtfertigen, wagt
der Verfasser gar nicht. Er spricht ganz
offen aus, daß abgesehen vom Kreise Putzig
(auch dort sind die Anwohner der Küste
übrigens kaschubisierte Deutsche) kein Kreis,
der an die See stößt, eine Polnische Mehr¬
heit hat, daß aber die wirtschaftlichen Inter¬
essen Frankreichs (sie!) die Abgabe der Küsten¬
kreise an Polen erforderlich mache. Die
wirtschaftlichen Interessen, welche die Denk¬
schrift für die Entscheidung der Zukunft
Posens gänzlich ignoriert, sind also hier mit
einem Male ausschlaggebend und die ethno¬
graphischen Verhältnisse, die für Posen allein
entscheidend sein sollen, gelten hier gar nichts!
Wahrlich eine gerechte Art und Weise, die
Lösung des Problems nach Wunsch zu ge¬
stalten. Zu diesem Plan paßt es auch vor
züglich, daß man Westpreußen durch die
Polen besetzen will, um unterdessen "günstiger"
Bedingungen für eine endgültige Einver¬
leibung dieser gemischtsprachlichen Kreise in
ihr Mutterland zu schaffen", d. h. das Land
in der Zwischenzeit kräftig mit brutaler Ge¬
walt zu polonifleren.

Danach überrascht es auch nicht, wenn
die Denkschrift die wirtschaftlichen Verhältnisse
Oberschlesiens, den rein deutschen Ursprung
und den deutschen Charakter der dortigen
Industrie, mit Stillschweigen übergeht. Aber
auch die Zahlen, die die Denkschrift für

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bei einer Bevölkerung, die sich aus germani¬
sierten Polen zusammensetzt. Diese Städte
müssen aber das Los der Nachbargebiete
teilen und auch wieder Polnisch werden.
In Wahrheit ist die ganze Bevölkerung
der drei Schlesien polnischen Stammes, aber
die Germanisierung in Nieder- und Mittel¬
schlesien ist so durchgreifend, das; es sehr
schwierig sein würde, die streng-ethno¬
graphischen Gesichtspunkte für die Rückgabe

ein Polen geltend zu machen.


Dazu schreibt die „Deutsche Allgemeine
Zeitung":

Oberflächlicher, als es in dieser Denk¬
schrift geschieht, kann man mit den Tatsachen
kaum umspringen. Sie behauptet, die Provinz
Posen gäbe ein besonders klares Bild eines
geschlossenen polnischen Gebietes. Eine be¬
wußt falsche Behauptung. Wie ein geschlossenes
Sprachgebiet aussieht, geht etwa aus einer
Sprachenkarte Böhmens hervor, wo fast alle
Gerichtsbezirke des Nordrandes mehr als
»S Prozent Deutsche haben. Würde man
den gleichen Maßstab an Posen anlegen
(d. h. auch nur Bezirke von 95 Prozent als
rein polnisch betrachten und dabei ohne Rück¬
sicht auf die Kreisgrenzen sprachliche Bezirke
bilden), so wird sich ergeben, daß es ein
derartiges geschlossenes polnisches Sprach¬
gebiet in Posen, wie es das deutsche in
Böhmen ist, nicht gibt; es sind nur im Süd¬
westen von Posen aus Ostrowo zu vereinzelte
polnische Inseln mit über 96 Prozent Polen
vorhanden. Sie haben untereinander zum
Teil keinen Zusammenhang. Es ist ein Jnsel-
»ewirr, das auf der Karte alles andere als
den Eindruck der Geschlossenheit macht.

Richtig ist, daß das Deutschtum im
Regierungsbezirk Posen, von dem die Denk¬
schrift nur spricht, in der Minderheit ist.
Eine Minderheit allerdings, die über 400000
Köpfe umfaßt. Aber diese Minderheit ist dem
Polentum kulturell überlegen; ihr gehört
64.06 Prozent des Grund und Bodens (auf
Grund des Gesetzes von 1909 sind nur
1200 Hektar enteignet) und an Einkommen-
neuer zahlt sie 11,09 Mark, die Polen aber
"ur 3,02 Mark auf den Kopf der Bevölkerung.
Kann man bei einer solchen Minderheit, wie
^ die französische Denkschrift tut, von „einigen

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einzelnen deutschen Enklaven und vereinzelten
bedeutungslosen deutschen Gruppen" sprechen?

Und was soll man bum sagen, wenn die
Denkschrift Kreise wie Bomst, Birnbaum,
Neutomischel und Rawitsch den Polen zu¬
spricht, meer weil die Polnische Bevölkerung
hier wenig über 60 Prozent ausmacht? In
Birnbaum z, B. sind 81 Prozent des Grund
und Bodens deutsch, in Neutomischel und
Bomst je 64,05 Prozent; von dem Einkommen-
stoueraufkommen zahlen die Polen in Bomst
nur 86,77 Prozent, in Neutomischel 23,8L
Prozent und in Birnbaum gar nur 16,06
ProzentI Kann man solche Kreise unbestreit¬
bar Polnisch nennen, nur weil in den letzten
Jahren — Neutomischel, Bomst und Birnbaum
hatten noch 1890 eine deutsche Majorität —
eine kleine Verschiebung zugunsten des Polen-
tums eingetreten ist?

Die Abtretung Westpreußens mit ethno¬
graphischen Gründen zu rechtfertigen, wagt
der Verfasser gar nicht. Er spricht ganz
offen aus, daß abgesehen vom Kreise Putzig
(auch dort sind die Anwohner der Küste
übrigens kaschubisierte Deutsche) kein Kreis,
der an die See stößt, eine Polnische Mehr¬
heit hat, daß aber die wirtschaftlichen Inter¬
essen Frankreichs (sie!) die Abgabe der Küsten¬
kreise an Polen erforderlich mache. Die
wirtschaftlichen Interessen, welche die Denk¬
schrift für die Entscheidung der Zukunft
Posens gänzlich ignoriert, sind also hier mit
einem Male ausschlaggebend und die ethno¬
graphischen Verhältnisse, die für Posen allein
entscheidend sein sollen, gelten hier gar nichts!
Wahrlich eine gerechte Art und Weise, die
Lösung des Problems nach Wunsch zu ge¬
stalten. Zu diesem Plan paßt es auch vor
züglich, daß man Westpreußen durch die
Polen besetzen will, um unterdessen „günstiger«
Bedingungen für eine endgültige Einver¬
leibung dieser gemischtsprachlichen Kreise in
ihr Mutterland zu schaffen", d. h. das Land
in der Zwischenzeit kräftig mit brutaler Ge¬
walt zu polonifleren.

Danach überrascht es auch nicht, wenn
die Denkschrift die wirtschaftlichen Verhältnisse
Oberschlesiens, den rein deutschen Ursprung
und den deutschen Charakter der dortigen
Industrie, mit Stillschweigen übergeht. Aber
auch die Zahlen, die die Denkschrift für

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[0367] Materialien zur ostdeutschen Frage bei einer Bevölkerung, die sich aus germani¬ sierten Polen zusammensetzt. Diese Städte müssen aber das Los der Nachbargebiete teilen und auch wieder Polnisch werden. In Wahrheit ist die ganze Bevölkerung der drei Schlesien polnischen Stammes, aber die Germanisierung in Nieder- und Mittel¬ schlesien ist so durchgreifend, das; es sehr schwierig sein würde, die streng-ethno¬ graphischen Gesichtspunkte für die Rückgabe ein Polen geltend zu machen. Dazu schreibt die „Deutsche Allgemeine Zeitung": Oberflächlicher, als es in dieser Denk¬ schrift geschieht, kann man mit den Tatsachen kaum umspringen. Sie behauptet, die Provinz Posen gäbe ein besonders klares Bild eines geschlossenen polnischen Gebietes. Eine be¬ wußt falsche Behauptung. Wie ein geschlossenes Sprachgebiet aussieht, geht etwa aus einer Sprachenkarte Böhmens hervor, wo fast alle Gerichtsbezirke des Nordrandes mehr als »S Prozent Deutsche haben. Würde man den gleichen Maßstab an Posen anlegen (d. h. auch nur Bezirke von 95 Prozent als rein polnisch betrachten und dabei ohne Rück¬ sicht auf die Kreisgrenzen sprachliche Bezirke bilden), so wird sich ergeben, daß es ein derartiges geschlossenes polnisches Sprach¬ gebiet in Posen, wie es das deutsche in Böhmen ist, nicht gibt; es sind nur im Süd¬ westen von Posen aus Ostrowo zu vereinzelte polnische Inseln mit über 96 Prozent Polen vorhanden. Sie haben untereinander zum Teil keinen Zusammenhang. Es ist ein Jnsel- »ewirr, das auf der Karte alles andere als den Eindruck der Geschlossenheit macht. Richtig ist, daß das Deutschtum im Regierungsbezirk Posen, von dem die Denk¬ schrift nur spricht, in der Minderheit ist. Eine Minderheit allerdings, die über 400000 Köpfe umfaßt. Aber diese Minderheit ist dem Polentum kulturell überlegen; ihr gehört 64.06 Prozent des Grund und Bodens (auf Grund des Gesetzes von 1909 sind nur 1200 Hektar enteignet) und an Einkommen- neuer zahlt sie 11,09 Mark, die Polen aber "ur 3,02 Mark auf den Kopf der Bevölkerung. Kann man bei einer solchen Minderheit, wie ^ die französische Denkschrift tut, von „einigen einzelnen deutschen Enklaven und vereinzelten bedeutungslosen deutschen Gruppen" sprechen? Und was soll man bum sagen, wenn die Denkschrift Kreise wie Bomst, Birnbaum, Neutomischel und Rawitsch den Polen zu¬ spricht, meer weil die Polnische Bevölkerung hier wenig über 60 Prozent ausmacht? In Birnbaum z, B. sind 81 Prozent des Grund und Bodens deutsch, in Neutomischel und Bomst je 64,05 Prozent; von dem Einkommen- stoueraufkommen zahlen die Polen in Bomst nur 86,77 Prozent, in Neutomischel 23,8L Prozent und in Birnbaum gar nur 16,06 ProzentI Kann man solche Kreise unbestreit¬ bar Polnisch nennen, nur weil in den letzten Jahren — Neutomischel, Bomst und Birnbaum hatten noch 1890 eine deutsche Majorität — eine kleine Verschiebung zugunsten des Polen- tums eingetreten ist? Die Abtretung Westpreußens mit ethno¬ graphischen Gründen zu rechtfertigen, wagt der Verfasser gar nicht. Er spricht ganz offen aus, daß abgesehen vom Kreise Putzig (auch dort sind die Anwohner der Küste übrigens kaschubisierte Deutsche) kein Kreis, der an die See stößt, eine Polnische Mehr¬ heit hat, daß aber die wirtschaftlichen Inter¬ essen Frankreichs (sie!) die Abgabe der Küsten¬ kreise an Polen erforderlich mache. Die wirtschaftlichen Interessen, welche die Denk¬ schrift für die Entscheidung der Zukunft Posens gänzlich ignoriert, sind also hier mit einem Male ausschlaggebend und die ethno¬ graphischen Verhältnisse, die für Posen allein entscheidend sein sollen, gelten hier gar nichts! Wahrlich eine gerechte Art und Weise, die Lösung des Problems nach Wunsch zu ge¬ stalten. Zu diesem Plan paßt es auch vor züglich, daß man Westpreußen durch die Polen besetzen will, um unterdessen „günstiger« Bedingungen für eine endgültige Einver¬ leibung dieser gemischtsprachlichen Kreise in ihr Mutterland zu schaffen", d. h. das Land in der Zwischenzeit kräftig mit brutaler Ge¬ walt zu polonifleren. Danach überrascht es auch nicht, wenn die Denkschrift die wirtschaftlichen Verhältnisse Oberschlesiens, den rein deutschen Ursprung und den deutschen Charakter der dortigen Industrie, mit Stillschweigen übergeht. Aber auch die Zahlen, die die Denkschrift für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/367>, abgerufen am 18.12.2024.