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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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neueren Jahrzehnten nach 1871 die Deutschradikalen in Osterreich, diese ein¬
seitigsten Fortsetzer der großdeutschen Idee, ihre Wünsche, stets in die Form einer
etwas geräuschvollen Sehnsucht nach einer Versetzung und weiter ausgreifenden
Absteckung der "schwarz-weiß-roten Grenzpfähle", ausdrücklich der schwarz-weiß-
roten, gekleidet. Nach rein nationalen Gesichtspunkten, für die Kleindentsch und
Großdeutsch zuletzt nur geschichtlich bedingte Spielarten eines und desselben
politischen Entwicklungswillens sind, gibt es überhaupt keinen Unterschied oder
Gegensatz zwischen schwarz-rot-gold und schwarz-weiß°rot.

Wenn es aber so ist und es keinen solchen Unterschied gibt, dann muß man
sich um so mehr fragen, was für einen Sinn und Verstand nun heute ein Wechsel
der Neichsfarben haben könnte. Er hat unter nationalen Gesichtspunkten eben
gar keinen Sinn und Verstand. Man kann freilich darüber hinweggehen und
meinen, daß die Farben der Neichsrepublik etwas rein äußerliches und somit be¬
langlos seien und dasz es darauf nicht ankomme. Bekanntlich hatte Bismarck
selber, sozusagen als Mensch, im Herbst 1870 diese Frage mit einer leicht amü¬
sierten Gleichgültigkeit angesehen. Er sagte damals, ihm sei das Farbenspiel ganz
einerlei: "Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne
von Mecklenburg-Strelitz".-) Und weiterhin könnte man nochmals die volkstümlich-
nationalen Gefühlstraditionen im schwarz-rot-goldenen Banner gegen das Un¬
geschichtliche der frei erfundenen schwarz-weiß.roten Farben vorbringen.'') Aber
so verständlich oder berechtigt eine derartige Betonung in den Jahren von 1870/71
gewesen sein mag, genau so lächerlich wäre sie in heutiger Zeit. Denn das
Schwarz weiß-rot ist seitdem zur Geschichte geworden und hat Geschichte gemacht,
und diese Geschichte ist durchaus eine solche der wirklichen Handlungen und
Leistungen und voll von politischer Tatsächlichkeit. während der Geschichtsweri der
scluoarz-rot-goldenen Fahne nur ein Streben blieb, Gefühl, Sehnsucht und Wunsch.
Man hat wegen der international eingeführten Geltung der Handelsflagge schon
wiederholt darauf hingewiesen, wie es in nationaler Hinsicht unpraktisch sein würde,
das äußere Wahrzeichen des bisherigen Reiches gesetzmäßig auszulöschen, weil
damit gleichzeitig der Zusammenhang mit dessen fortdauernden mittelbaren Außen¬
wirkungen zertrennt wird. Obwohl ein Wechsel der Reichsfarben dem Grundsatze
nach nativnalpvlitisch bedeutungslos wäre, müßte er trotzdem praktischen Schaden
anrichten.

Am Ende handelt es sich aber bei diesem ganzen Wechsel darum, daß die
neue Reichsrepublik gerade eben die bisherige Neichsgeschichte mit Absicht verleugnet.
Es kommt ihr überhaupt nicht auf die altnationale Vedeutuug der schwarz-rot-
goldcnen Fahne an, sondern auf ihre andere, ihre demokratisch-revolutionäre Be¬
deutung. Worauf es nämlich ankommt, ist dies: die Wiederaufnahme dieser
Fahne drückt das Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Regierungs- und Ver¬
fassungsform aus, zu einer Regierungsform in republikanisch-demokratischen, also
parteipolitischer Sinne.

In der Wirkung dieser Farben auf die weiteren Schichten des Volkes
findet psychologisch ein ständiges Vertauschen ihrer zwei verschiedenen sinn¬
bildlichen Bedeutungen statt, und als Folge davon tritt ein, daß die unwill¬
kürliche Übereinstimmung mit einem althergebrachten und volkstümlich-nationalen
Empfinden, gegen das in der Gegenwart niemand mehr etwas Rechtes einwenden




2) Vgl. Tagebuchblätter von Moritz Busch, I. Bd., S. 227.
^
> Nach Mitteilungen des Generalsekretärs des Deutschen Industrie- und Handels¬
tages Dr. Soeetber in Ur. 160 der "Täglichen Rundschau" vom "!, März 10 l" hat Bismarck
in einem an Dr. Soeetber gerichteten Briefe vom 9. Februar 1893 die Konstruktion der
schwarz-weiß-roten Flagge des Norddeutschen Bundes, der Vorgängerin der späteren Reichs-
fnrben, folgendermaßen erläutert. Für den Kanzler persönlich ist der Einfall einer Aneinander¬
fügung der schwarz-weißen Preußenfahne und der alten kurbrandenburgischen Farben Weiß-
rot der wirkliche Anlaß gewesen. Daneben hat aber, besonders für die öffentliche Meinung,
d.,s Not und Weiß in den hansischen und anderen deutschen Stadtflaggeu eine mitent¬
scheidende Bedeutung gehabt.
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neueren Jahrzehnten nach 1871 die Deutschradikalen in Osterreich, diese ein¬
seitigsten Fortsetzer der großdeutschen Idee, ihre Wünsche, stets in die Form einer
etwas geräuschvollen Sehnsucht nach einer Versetzung und weiter ausgreifenden
Absteckung der „schwarz-weiß-roten Grenzpfähle", ausdrücklich der schwarz-weiß-
roten, gekleidet. Nach rein nationalen Gesichtspunkten, für die Kleindentsch und
Großdeutsch zuletzt nur geschichtlich bedingte Spielarten eines und desselben
politischen Entwicklungswillens sind, gibt es überhaupt keinen Unterschied oder
Gegensatz zwischen schwarz-rot-gold und schwarz-weiß°rot.

Wenn es aber so ist und es keinen solchen Unterschied gibt, dann muß man
sich um so mehr fragen, was für einen Sinn und Verstand nun heute ein Wechsel
der Neichsfarben haben könnte. Er hat unter nationalen Gesichtspunkten eben
gar keinen Sinn und Verstand. Man kann freilich darüber hinweggehen und
meinen, daß die Farben der Neichsrepublik etwas rein äußerliches und somit be¬
langlos seien und dasz es darauf nicht ankomme. Bekanntlich hatte Bismarck
selber, sozusagen als Mensch, im Herbst 1870 diese Frage mit einer leicht amü¬
sierten Gleichgültigkeit angesehen. Er sagte damals, ihm sei das Farbenspiel ganz
einerlei: „Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne
von Mecklenburg-Strelitz".-) Und weiterhin könnte man nochmals die volkstümlich-
nationalen Gefühlstraditionen im schwarz-rot-goldenen Banner gegen das Un¬
geschichtliche der frei erfundenen schwarz-weiß.roten Farben vorbringen.'') Aber
so verständlich oder berechtigt eine derartige Betonung in den Jahren von 1870/71
gewesen sein mag, genau so lächerlich wäre sie in heutiger Zeit. Denn das
Schwarz weiß-rot ist seitdem zur Geschichte geworden und hat Geschichte gemacht,
und diese Geschichte ist durchaus eine solche der wirklichen Handlungen und
Leistungen und voll von politischer Tatsächlichkeit. während der Geschichtsweri der
scluoarz-rot-goldenen Fahne nur ein Streben blieb, Gefühl, Sehnsucht und Wunsch.
Man hat wegen der international eingeführten Geltung der Handelsflagge schon
wiederholt darauf hingewiesen, wie es in nationaler Hinsicht unpraktisch sein würde,
das äußere Wahrzeichen des bisherigen Reiches gesetzmäßig auszulöschen, weil
damit gleichzeitig der Zusammenhang mit dessen fortdauernden mittelbaren Außen¬
wirkungen zertrennt wird. Obwohl ein Wechsel der Reichsfarben dem Grundsatze
nach nativnalpvlitisch bedeutungslos wäre, müßte er trotzdem praktischen Schaden
anrichten.

Am Ende handelt es sich aber bei diesem ganzen Wechsel darum, daß die
neue Reichsrepublik gerade eben die bisherige Neichsgeschichte mit Absicht verleugnet.
Es kommt ihr überhaupt nicht auf die altnationale Vedeutuug der schwarz-rot-
goldcnen Fahne an, sondern auf ihre andere, ihre demokratisch-revolutionäre Be¬
deutung. Worauf es nämlich ankommt, ist dies: die Wiederaufnahme dieser
Fahne drückt das Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Regierungs- und Ver¬
fassungsform aus, zu einer Regierungsform in republikanisch-demokratischen, also
parteipolitischer Sinne.

In der Wirkung dieser Farben auf die weiteren Schichten des Volkes
findet psychologisch ein ständiges Vertauschen ihrer zwei verschiedenen sinn¬
bildlichen Bedeutungen statt, und als Folge davon tritt ein, daß die unwill¬
kürliche Übereinstimmung mit einem althergebrachten und volkstümlich-nationalen
Empfinden, gegen das in der Gegenwart niemand mehr etwas Rechtes einwenden




2) Vgl. Tagebuchblätter von Moritz Busch, I. Bd., S. 227.
^
> Nach Mitteilungen des Generalsekretärs des Deutschen Industrie- und Handels¬
tages Dr. Soeetber in Ur. 160 der „Täglichen Rundschau" vom »!, März 10 l» hat Bismarck
in einem an Dr. Soeetber gerichteten Briefe vom 9. Februar 1893 die Konstruktion der
schwarz-weiß-roten Flagge des Norddeutschen Bundes, der Vorgängerin der späteren Reichs-
fnrben, folgendermaßen erläutert. Für den Kanzler persönlich ist der Einfall einer Aneinander¬
fügung der schwarz-weißen Preußenfahne und der alten kurbrandenburgischen Farben Weiß-
rot der wirkliche Anlaß gewesen. Daneben hat aber, besonders für die öffentliche Meinung,
d.,s Not und Weiß in den hansischen und anderen deutschen Stadtflaggeu eine mitent¬
scheidende Bedeutung gehabt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/290>, abgerufen am 18.12.2024.