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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Materialien zur ostdeutschen Frage

steht. Das vermittelnde Band, das Gemeinschaftsgefühl zwischen den deutschen
und den polnischen Arbeitern fehlt, denn der Bildungsunterschied ist zu kraß.
Während der deutsche Arbeiter dank der Schule, dank seineu Gewerkschaften,
wirtschaftspolitischen und parteipolitischer Organisationen ein hohes Verständnis
für die Allgemeinfrag?" besitzt, fehlt dies gänzlich auf der anderen Seite. Ehe
dieser Unterschied auch nur einigermaßen ausgeglichen ist, und dies ist nicht nur
eine Frage der Zeit, wird ein wirkliches Zusammengehen in wirtschaftlichen und
politischen Fragen aussichtslos erscheinen. Im Vergleich zu den deutscheu Arbeitern
ist der Pole ein wirklicher Proletarier im wahrsten Sinne des Wortes. Er muß
sich zunächst auf die Höhe des deutschen Arbeiters heraufarbeiten, und erst, wenn
er so weit ist, kann der deutsche Arbeiter daran denken, seine eigene Lage zu
verbessern. Bis dahin muß er warten. Rasten heißt rösten. Der deutsche Arbeiter
wird zurücksinken, anstatt aufzusteigen.

Der deutsche Arbeiter sieht sich einem bedürfnisloseren, daher billigeren
Arbeitskollegen gegenüber, der für die Solidarität der deutsch.polnisch-jüdischen
Arbeitsgemeinschaft kein Verständnis besitzt. Ein Vergleich mit der hiesigen
polnischen Arbeiterschaft wäre dabei unmaßgeblich, denn diese ist durch die deutsche
Schule gegangen und von deutschem Geist beeinflußt.

Dies wären aber nur die allgemeinen Bedingungen, die die Lage der
deutschen Arbeiterschaft im künftigen Polen verschlechtern müssen.

Deutschland ist das einzige Land, das eine wirkliche soziale Arbeitergesetz,
gebung besitzt, nämlich Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter.
In Polen fehlt in dieser Beziehung alles. Selbst wenn diese Gesetzgebung für
die abgetrennten Teile der Ostmark aufrecht erhalten werden sollte, wird es sich
in der Praxis schwer durchführen lassen. Sie mit einem Schlage in Polen ein¬
zuführen, wird ebenso unmöglich sein, als sie in den ehemalig deutschen Gebieten
allein aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel mag dies erläutern: Zieht der deutsche
Arbeiter nach Warschau, so verliert er den Schutz der sozialen Versicherungsgesetze,
der Pole dagegen, der sich aus Warschau in die Ostmark begibt, erwirbt den
Anspruch darauf. Der deutsche Arbeiter kann sich also dadurch nur verschlechtern,
der Pole dagegen verbessern. Derartige Zustände wären überdies so kompliziert,
daß sie einfach nicht bestehen könnten. Die Ostmark wird dem in sozialer Hinsicht
ungünstiger flehenden Polen gleichgestellt werden müssen, und zwar um so mehr,
als bei Polen bekannterweise keine Neigung besteht, den ehemals deutschen Gebiets¬
teilen Ausnahmestellungen zuzubilligen. Es sind trübe Aussichten, die die Zukunft
des deutschen Arbeiters erwarten.

Aber nicht nur wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch wird sich der deutsche
Arbeiter schlechter stehen, sondern vor allem auch in politischer Hinsicht. Der
deutsche Arbeiter hat schon vor der Revolution in seiner starken sozialdemokratischen
Neichslagsfraltion eine hervorragende Interessenvertretung besessen, die von
Ausschlag auf die Gesetzgebung war. Nach dem Umsturz hat die Sozialdemokratie
die Zügel der Regierung ergriffen und die deutsche Arbeiterschaft ist im Besitze
des Mitbestimmungsrechts in allen Fragen der inneren und äußeren Politik. Und
wie steht es in Polen? Der polnische Landtag zählt bis jetzt unier 333 Abgeordneten
1" Arbeiter, die Regierung schwimmt munter im imperialistisch-kapitalistischen
Fahrwasser. Die Arbeiterrüte wären die ersten Einrichtungen, die die Polen zum
Teufel jagten. Der deutsche Arbeiter verliert im künftigen Polen nicht allein
alle diejenigen Rechie, auf die er als Errungenschaften der Revolution stolz ist,
sondern er büßt auch noch zum großen Teil das ein, was er in Deutschland schon
vor der Revolution besessen hat. Selbst wenn das allgemeine Wahlrecht zum
Polnischen Landtage so durchgeführt werden sollte, wie es in Deutschland vor
dem Umsturz der Fall war, wobei von Wahlkorruption, Bestechung, ungleicher
Einteilung dör Wahlkreise und tgi. mehr noch abgesehen wird, hat der deutsche
Arbeiter im polnischen Landtage auch nicht annähernd die Vertretung wie im
Reichstage des früheren Deutschland. Auch wenn man den unwahrscheinlichen
Fall annimmt, das die polnische Sozialdemokratie mit allen ihren verschiedenen


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steht. Das vermittelnde Band, das Gemeinschaftsgefühl zwischen den deutschen
und den polnischen Arbeitern fehlt, denn der Bildungsunterschied ist zu kraß.
Während der deutsche Arbeiter dank der Schule, dank seineu Gewerkschaften,
wirtschaftspolitischen und parteipolitischer Organisationen ein hohes Verständnis
für die Allgemeinfrag?» besitzt, fehlt dies gänzlich auf der anderen Seite. Ehe
dieser Unterschied auch nur einigermaßen ausgeglichen ist, und dies ist nicht nur
eine Frage der Zeit, wird ein wirkliches Zusammengehen in wirtschaftlichen und
politischen Fragen aussichtslos erscheinen. Im Vergleich zu den deutscheu Arbeitern
ist der Pole ein wirklicher Proletarier im wahrsten Sinne des Wortes. Er muß
sich zunächst auf die Höhe des deutschen Arbeiters heraufarbeiten, und erst, wenn
er so weit ist, kann der deutsche Arbeiter daran denken, seine eigene Lage zu
verbessern. Bis dahin muß er warten. Rasten heißt rösten. Der deutsche Arbeiter
wird zurücksinken, anstatt aufzusteigen.

Der deutsche Arbeiter sieht sich einem bedürfnisloseren, daher billigeren
Arbeitskollegen gegenüber, der für die Solidarität der deutsch.polnisch-jüdischen
Arbeitsgemeinschaft kein Verständnis besitzt. Ein Vergleich mit der hiesigen
polnischen Arbeiterschaft wäre dabei unmaßgeblich, denn diese ist durch die deutsche
Schule gegangen und von deutschem Geist beeinflußt.

Dies wären aber nur die allgemeinen Bedingungen, die die Lage der
deutschen Arbeiterschaft im künftigen Polen verschlechtern müssen.

Deutschland ist das einzige Land, das eine wirkliche soziale Arbeitergesetz,
gebung besitzt, nämlich Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter.
In Polen fehlt in dieser Beziehung alles. Selbst wenn diese Gesetzgebung für
die abgetrennten Teile der Ostmark aufrecht erhalten werden sollte, wird es sich
in der Praxis schwer durchführen lassen. Sie mit einem Schlage in Polen ein¬
zuführen, wird ebenso unmöglich sein, als sie in den ehemalig deutschen Gebieten
allein aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel mag dies erläutern: Zieht der deutsche
Arbeiter nach Warschau, so verliert er den Schutz der sozialen Versicherungsgesetze,
der Pole dagegen, der sich aus Warschau in die Ostmark begibt, erwirbt den
Anspruch darauf. Der deutsche Arbeiter kann sich also dadurch nur verschlechtern,
der Pole dagegen verbessern. Derartige Zustände wären überdies so kompliziert,
daß sie einfach nicht bestehen könnten. Die Ostmark wird dem in sozialer Hinsicht
ungünstiger flehenden Polen gleichgestellt werden müssen, und zwar um so mehr,
als bei Polen bekannterweise keine Neigung besteht, den ehemals deutschen Gebiets¬
teilen Ausnahmestellungen zuzubilligen. Es sind trübe Aussichten, die die Zukunft
des deutschen Arbeiters erwarten.

Aber nicht nur wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch wird sich der deutsche
Arbeiter schlechter stehen, sondern vor allem auch in politischer Hinsicht. Der
deutsche Arbeiter hat schon vor der Revolution in seiner starken sozialdemokratischen
Neichslagsfraltion eine hervorragende Interessenvertretung besessen, die von
Ausschlag auf die Gesetzgebung war. Nach dem Umsturz hat die Sozialdemokratie
die Zügel der Regierung ergriffen und die deutsche Arbeiterschaft ist im Besitze
des Mitbestimmungsrechts in allen Fragen der inneren und äußeren Politik. Und
wie steht es in Polen? Der polnische Landtag zählt bis jetzt unier 333 Abgeordneten
1» Arbeiter, die Regierung schwimmt munter im imperialistisch-kapitalistischen
Fahrwasser. Die Arbeiterrüte wären die ersten Einrichtungen, die die Polen zum
Teufel jagten. Der deutsche Arbeiter verliert im künftigen Polen nicht allein
alle diejenigen Rechie, auf die er als Errungenschaften der Revolution stolz ist,
sondern er büßt auch noch zum großen Teil das ein, was er in Deutschland schon
vor der Revolution besessen hat. Selbst wenn das allgemeine Wahlrecht zum
Polnischen Landtage so durchgeführt werden sollte, wie es in Deutschland vor
dem Umsturz der Fall war, wobei von Wahlkorruption, Bestechung, ungleicher
Einteilung dör Wahlkreise und tgi. mehr noch abgesehen wird, hat der deutsche
Arbeiter im polnischen Landtage auch nicht annähernd die Vertretung wie im
Reichstage des früheren Deutschland. Auch wenn man den unwahrscheinlichen
Fall annimmt, das die polnische Sozialdemokratie mit allen ihren verschiedenen


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[0281] Materialien zur ostdeutschen Frage steht. Das vermittelnde Band, das Gemeinschaftsgefühl zwischen den deutschen und den polnischen Arbeitern fehlt, denn der Bildungsunterschied ist zu kraß. Während der deutsche Arbeiter dank der Schule, dank seineu Gewerkschaften, wirtschaftspolitischen und parteipolitischer Organisationen ein hohes Verständnis für die Allgemeinfrag?» besitzt, fehlt dies gänzlich auf der anderen Seite. Ehe dieser Unterschied auch nur einigermaßen ausgeglichen ist, und dies ist nicht nur eine Frage der Zeit, wird ein wirkliches Zusammengehen in wirtschaftlichen und politischen Fragen aussichtslos erscheinen. Im Vergleich zu den deutscheu Arbeitern ist der Pole ein wirklicher Proletarier im wahrsten Sinne des Wortes. Er muß sich zunächst auf die Höhe des deutschen Arbeiters heraufarbeiten, und erst, wenn er so weit ist, kann der deutsche Arbeiter daran denken, seine eigene Lage zu verbessern. Bis dahin muß er warten. Rasten heißt rösten. Der deutsche Arbeiter wird zurücksinken, anstatt aufzusteigen. Der deutsche Arbeiter sieht sich einem bedürfnisloseren, daher billigeren Arbeitskollegen gegenüber, der für die Solidarität der deutsch.polnisch-jüdischen Arbeitsgemeinschaft kein Verständnis besitzt. Ein Vergleich mit der hiesigen polnischen Arbeiterschaft wäre dabei unmaßgeblich, denn diese ist durch die deutsche Schule gegangen und von deutschem Geist beeinflußt. Dies wären aber nur die allgemeinen Bedingungen, die die Lage der deutschen Arbeiterschaft im künftigen Polen verschlechtern müssen. Deutschland ist das einzige Land, das eine wirkliche soziale Arbeitergesetz, gebung besitzt, nämlich Invaliden-, Kranken- und Unfallversicherung für Arbeiter. In Polen fehlt in dieser Beziehung alles. Selbst wenn diese Gesetzgebung für die abgetrennten Teile der Ostmark aufrecht erhalten werden sollte, wird es sich in der Praxis schwer durchführen lassen. Sie mit einem Schlage in Polen ein¬ zuführen, wird ebenso unmöglich sein, als sie in den ehemalig deutschen Gebieten allein aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel mag dies erläutern: Zieht der deutsche Arbeiter nach Warschau, so verliert er den Schutz der sozialen Versicherungsgesetze, der Pole dagegen, der sich aus Warschau in die Ostmark begibt, erwirbt den Anspruch darauf. Der deutsche Arbeiter kann sich also dadurch nur verschlechtern, der Pole dagegen verbessern. Derartige Zustände wären überdies so kompliziert, daß sie einfach nicht bestehen könnten. Die Ostmark wird dem in sozialer Hinsicht ungünstiger flehenden Polen gleichgestellt werden müssen, und zwar um so mehr, als bei Polen bekannterweise keine Neigung besteht, den ehemals deutschen Gebiets¬ teilen Ausnahmestellungen zuzubilligen. Es sind trübe Aussichten, die die Zukunft des deutschen Arbeiters erwarten. Aber nicht nur wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch wird sich der deutsche Arbeiter schlechter stehen, sondern vor allem auch in politischer Hinsicht. Der deutsche Arbeiter hat schon vor der Revolution in seiner starken sozialdemokratischen Neichslagsfraltion eine hervorragende Interessenvertretung besessen, die von Ausschlag auf die Gesetzgebung war. Nach dem Umsturz hat die Sozialdemokratie die Zügel der Regierung ergriffen und die deutsche Arbeiterschaft ist im Besitze des Mitbestimmungsrechts in allen Fragen der inneren und äußeren Politik. Und wie steht es in Polen? Der polnische Landtag zählt bis jetzt unier 333 Abgeordneten 1» Arbeiter, die Regierung schwimmt munter im imperialistisch-kapitalistischen Fahrwasser. Die Arbeiterrüte wären die ersten Einrichtungen, die die Polen zum Teufel jagten. Der deutsche Arbeiter verliert im künftigen Polen nicht allein alle diejenigen Rechie, auf die er als Errungenschaften der Revolution stolz ist, sondern er büßt auch noch zum großen Teil das ein, was er in Deutschland schon vor der Revolution besessen hat. Selbst wenn das allgemeine Wahlrecht zum Polnischen Landtage so durchgeführt werden sollte, wie es in Deutschland vor dem Umsturz der Fall war, wobei von Wahlkorruption, Bestechung, ungleicher Einteilung dör Wahlkreise und tgi. mehr noch abgesehen wird, hat der deutsche Arbeiter im polnischen Landtage auch nicht annähernd die Vertretung wie im Reichstage des früheren Deutschland. Auch wenn man den unwahrscheinlichen Fall annimmt, das die polnische Sozialdemokratie mit allen ihren verschiedenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/281>, abgerufen am 01.09.2024.