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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Berlin nicht mehr nrbeilen würde. Und sie
wollen dein schniergepriislen deutschen Volke
nicht den letzten Hoffnungsschimmer rauben,
daß aus den Verhandlungen um den Frieden
doch noch ein einigermaßen lebensfähiger
Friedensengel geboren wird.

Die Worts VallenthinS müssen mit gol¬
denen Lettern in das Buch der deutschen, in
diesem Augenblick so überaus traurigen
Weltgeschichte geschrubeu werden. Die
deutsche Negierung betreibt eine ungeheure
Platatpropaganda. Auf taufenden Plataeer
verkündet sie "Soziolismns ist Arbeit".
Aber soviel Plnkaie, soviel Streiktage. Wäre
es nicht angebracht, die Worte des Telc-
graphenarbeiters mit riesigen Buchstaben
auf abcrhunderte von Plataeer zu schreiben?
Vielleicht helfen sie, vielleicht auch nicht.
Aber auf jeden Fall würden sie von Män¬
nern künden, die den Mut gefunden haben,
ihre eigenen Wünsche der Not des Bater¬
landes hintanzusetzen.


Auf dein Parteitag der U. S. P. D. sagte
^"use Dänmig: "Der Kapitalismus ist sehr
stark, das ist keine Frage, es kann nicht an¬
gezweifelt werden. Wir alle sind überrascht
gewesen von seiner Anpassungsfähigkeit
wahrend des Krieges. Kein Mensch hat
geglaubt, daß die kapitalistische Wirtschafts¬
form während so langer Erschütterungen
hätte aufrechterhalten werden können." Aber
Däumig, der so die Bedeutung des Kapita¬
lismus für die Fortführung der Wirtschaft
anerkennt, denkt gar nicht daran, einzu-
gesiohen, daß es auch in Zukunft ohne den
Kapitalismus nicht gehen wird. Er ist, wie
alle radikalen Führer der Arbeiter, der
Meinung, daß die sozialistische Wirtschaft
sehr wohl das Amt des Kapitalismus über¬
nehmen könne, ja, er vertritt sogar den Ge¬
danken, daß nur der Sozialismus zum
Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft
befähigt sei. So ist er Päpstlicher als der
Papst, d. h. er übertrumpft seinen Freund
Lenin, der schon längst erkannt hat, daß
gwße wwschaftliche Aufgaben ohne die
kapitalistische Führung -- wenn auch die
ausländische -- einfach nicht zu bewältigen
sind. Aber Dämnigs ungewollte Anerken¬

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nung des Kapitalismus beweist doch, daß
den Unentwegten, die dem Kapitalismus
den Garaus machen wollen, ein wenig die
Angst vor der eigenen Courage kommt.
Das "Zentralblatt der christlichen Gewerk¬
schaften Deutschlands" hat kürzlich in sehr
freimütiger Ausführungen sich mit dem
Kapitalismus beschäftigt und gesagt, daß
zwar dieser nicht selbst, aber dessen Aus¬
wüchse beseitigt werden müssen. ES hat
den Geist des Kapitalismus verurteilt, den
es als den Geist des Materialismus be¬
zeichnet, aber es hat doch im Interesse einer
Erfassung der Wirklichkeit vor allzu weit¬
gehenden Verallgemeinerungen gewarnt.
"Kriege hat eS zu allen Zeiten gegeben",
schrieb das Zentralblatt, "solange Menschen
auf der Erdoberfläche um bessere DaseinS-
möglichkeiten ringen, sie sind also kein Er¬
zeugnis des Kapitalismus." Eine solche
Gesinnung, die offen ausspricht, daß der
Kapitalismus Wohl Auswüchse besitzt, daß
aber sein Kern, nämlich seine wirtschaftliche
Bedeutung, gesund und unentbehrlich ist,
wirkt heute ebenfalls wie eine Stimme der
Vernunft. Auswüchse des Kapitalismus
wird es Wohl in der Zukunft der deutschen
Arbeit nicht mehr geben. Was das deutsche
Unternehmertum zuerst in dein Abkommen
vom Is. November 1918 und sodann in
der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ar¬
beiterschaft zugestanden hat, but unserer auf
dem Kapitalismus beruhenden Volkswirt¬
schaft eine ganz neue Grundlage gegeben.
Hier haben die Arbeiter weitgehende Siche¬
rungen dagegen erhalten, daß der Kapita¬
lismus jemals wieder sein Bestreben auf
eine Ausbeutung und Entrechtung des
Proletariats richten kann. Das Näieproblem
ist noch nicht gelöst, aber auch hier wird
eine Lösung gefunden werden müssen, die
dem Arbeiter die Mitverantwortung im
Wirtschaftsleben überträgt. Will man
das wahre Gesicht des Kapitalismus er¬
kennen, dann muß man die Tatsachen in
Betracht ziehen, daß die Mehrzahl der kapi¬
talistischen Betriebe heute das alleinige Be¬
streben hat, die Produktion trotz der hohen
Lohnforderungen, trotz der Aussichtslosigkeit
ans Gewinn aufrechtzuerhalten. Sollte den
Arbeitern dieses wahre Gesicht des Kapila-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Berlin nicht mehr nrbeilen würde. Und sie
wollen dein schniergepriislen deutschen Volke
nicht den letzten Hoffnungsschimmer rauben,
daß aus den Verhandlungen um den Frieden
doch noch ein einigermaßen lebensfähiger
Friedensengel geboren wird.

Die Worts VallenthinS müssen mit gol¬
denen Lettern in das Buch der deutschen, in
diesem Augenblick so überaus traurigen
Weltgeschichte geschrubeu werden. Die
deutsche Negierung betreibt eine ungeheure
Platatpropaganda. Auf taufenden Plataeer
verkündet sie „Soziolismns ist Arbeit".
Aber soviel Plnkaie, soviel Streiktage. Wäre
es nicht angebracht, die Worte des Telc-
graphenarbeiters mit riesigen Buchstaben
auf abcrhunderte von Plataeer zu schreiben?
Vielleicht helfen sie, vielleicht auch nicht.
Aber auf jeden Fall würden sie von Män¬
nern künden, die den Mut gefunden haben,
ihre eigenen Wünsche der Not des Bater¬
landes hintanzusetzen.


Auf dein Parteitag der U. S. P. D. sagte
^»use Dänmig: „Der Kapitalismus ist sehr
stark, das ist keine Frage, es kann nicht an¬
gezweifelt werden. Wir alle sind überrascht
gewesen von seiner Anpassungsfähigkeit
wahrend des Krieges. Kein Mensch hat
geglaubt, daß die kapitalistische Wirtschafts¬
form während so langer Erschütterungen
hätte aufrechterhalten werden können." Aber
Däumig, der so die Bedeutung des Kapita¬
lismus für die Fortführung der Wirtschaft
anerkennt, denkt gar nicht daran, einzu-
gesiohen, daß es auch in Zukunft ohne den
Kapitalismus nicht gehen wird. Er ist, wie
alle radikalen Führer der Arbeiter, der
Meinung, daß die sozialistische Wirtschaft
sehr wohl das Amt des Kapitalismus über¬
nehmen könne, ja, er vertritt sogar den Ge¬
danken, daß nur der Sozialismus zum
Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft
befähigt sei. So ist er Päpstlicher als der
Papst, d. h. er übertrumpft seinen Freund
Lenin, der schon längst erkannt hat, daß
gwße wwschaftliche Aufgaben ohne die
kapitalistische Führung — wenn auch die
ausländische — einfach nicht zu bewältigen
sind. Aber Dämnigs ungewollte Anerken¬

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nung des Kapitalismus beweist doch, daß
den Unentwegten, die dem Kapitalismus
den Garaus machen wollen, ein wenig die
Angst vor der eigenen Courage kommt.
Das „Zentralblatt der christlichen Gewerk¬
schaften Deutschlands" hat kürzlich in sehr
freimütiger Ausführungen sich mit dem
Kapitalismus beschäftigt und gesagt, daß
zwar dieser nicht selbst, aber dessen Aus¬
wüchse beseitigt werden müssen. ES hat
den Geist des Kapitalismus verurteilt, den
es als den Geist des Materialismus be¬
zeichnet, aber es hat doch im Interesse einer
Erfassung der Wirklichkeit vor allzu weit¬
gehenden Verallgemeinerungen gewarnt.
„Kriege hat eS zu allen Zeiten gegeben",
schrieb das Zentralblatt, „solange Menschen
auf der Erdoberfläche um bessere DaseinS-
möglichkeiten ringen, sie sind also kein Er¬
zeugnis des Kapitalismus." Eine solche
Gesinnung, die offen ausspricht, daß der
Kapitalismus Wohl Auswüchse besitzt, daß
aber sein Kern, nämlich seine wirtschaftliche
Bedeutung, gesund und unentbehrlich ist,
wirkt heute ebenfalls wie eine Stimme der
Vernunft. Auswüchse des Kapitalismus
wird es Wohl in der Zukunft der deutschen
Arbeit nicht mehr geben. Was das deutsche
Unternehmertum zuerst in dein Abkommen
vom Is. November 1918 und sodann in
der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ar¬
beiterschaft zugestanden hat, but unserer auf
dem Kapitalismus beruhenden Volkswirt¬
schaft eine ganz neue Grundlage gegeben.
Hier haben die Arbeiter weitgehende Siche¬
rungen dagegen erhalten, daß der Kapita¬
lismus jemals wieder sein Bestreben auf
eine Ausbeutung und Entrechtung des
Proletariats richten kann. Das Näieproblem
ist noch nicht gelöst, aber auch hier wird
eine Lösung gefunden werden müssen, die
dem Arbeiter die Mitverantwortung im
Wirtschaftsleben überträgt. Will man
das wahre Gesicht des Kapitalismus er¬
kennen, dann muß man die Tatsachen in
Betracht ziehen, daß die Mehrzahl der kapi¬
talistischen Betriebe heute das alleinige Be¬
streben hat, die Produktion trotz der hohen
Lohnforderungen, trotz der Aussichtslosigkeit
ans Gewinn aufrechtzuerhalten. Sollte den
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[0265] Maßgebliches und Unmaßgebliches Berlin nicht mehr nrbeilen würde. Und sie wollen dein schniergepriislen deutschen Volke nicht den letzten Hoffnungsschimmer rauben, daß aus den Verhandlungen um den Frieden doch noch ein einigermaßen lebensfähiger Friedensengel geboren wird. Die Worts VallenthinS müssen mit gol¬ denen Lettern in das Buch der deutschen, in diesem Augenblick so überaus traurigen Weltgeschichte geschrubeu werden. Die deutsche Negierung betreibt eine ungeheure Platatpropaganda. Auf taufenden Plataeer verkündet sie „Soziolismns ist Arbeit". Aber soviel Plnkaie, soviel Streiktage. Wäre es nicht angebracht, die Worte des Telc- graphenarbeiters mit riesigen Buchstaben auf abcrhunderte von Plataeer zu schreiben? Vielleicht helfen sie, vielleicht auch nicht. Aber auf jeden Fall würden sie von Män¬ nern künden, die den Mut gefunden haben, ihre eigenen Wünsche der Not des Bater¬ landes hintanzusetzen. Auf dein Parteitag der U. S. P. D. sagte ^»use Dänmig: „Der Kapitalismus ist sehr stark, das ist keine Frage, es kann nicht an¬ gezweifelt werden. Wir alle sind überrascht gewesen von seiner Anpassungsfähigkeit wahrend des Krieges. Kein Mensch hat geglaubt, daß die kapitalistische Wirtschafts¬ form während so langer Erschütterungen hätte aufrechterhalten werden können." Aber Däumig, der so die Bedeutung des Kapita¬ lismus für die Fortführung der Wirtschaft anerkennt, denkt gar nicht daran, einzu- gesiohen, daß es auch in Zukunft ohne den Kapitalismus nicht gehen wird. Er ist, wie alle radikalen Führer der Arbeiter, der Meinung, daß die sozialistische Wirtschaft sehr wohl das Amt des Kapitalismus über¬ nehmen könne, ja, er vertritt sogar den Ge¬ danken, daß nur der Sozialismus zum Wiederaufbau der deutschen Volkswirtschaft befähigt sei. So ist er Päpstlicher als der Papst, d. h. er übertrumpft seinen Freund Lenin, der schon längst erkannt hat, daß gwße wwschaftliche Aufgaben ohne die kapitalistische Führung — wenn auch die ausländische — einfach nicht zu bewältigen sind. Aber Dämnigs ungewollte Anerken¬ nung des Kapitalismus beweist doch, daß den Unentwegten, die dem Kapitalismus den Garaus machen wollen, ein wenig die Angst vor der eigenen Courage kommt. Das „Zentralblatt der christlichen Gewerk¬ schaften Deutschlands" hat kürzlich in sehr freimütiger Ausführungen sich mit dem Kapitalismus beschäftigt und gesagt, daß zwar dieser nicht selbst, aber dessen Aus¬ wüchse beseitigt werden müssen. ES hat den Geist des Kapitalismus verurteilt, den es als den Geist des Materialismus be¬ zeichnet, aber es hat doch im Interesse einer Erfassung der Wirklichkeit vor allzu weit¬ gehenden Verallgemeinerungen gewarnt. „Kriege hat eS zu allen Zeiten gegeben", schrieb das Zentralblatt, „solange Menschen auf der Erdoberfläche um bessere DaseinS- möglichkeiten ringen, sie sind also kein Er¬ zeugnis des Kapitalismus." Eine solche Gesinnung, die offen ausspricht, daß der Kapitalismus Wohl Auswüchse besitzt, daß aber sein Kern, nämlich seine wirtschaftliche Bedeutung, gesund und unentbehrlich ist, wirkt heute ebenfalls wie eine Stimme der Vernunft. Auswüchse des Kapitalismus wird es Wohl in der Zukunft der deutschen Arbeit nicht mehr geben. Was das deutsche Unternehmertum zuerst in dein Abkommen vom Is. November 1918 und sodann in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ar¬ beiterschaft zugestanden hat, but unserer auf dem Kapitalismus beruhenden Volkswirt¬ schaft eine ganz neue Grundlage gegeben. Hier haben die Arbeiter weitgehende Siche¬ rungen dagegen erhalten, daß der Kapita¬ lismus jemals wieder sein Bestreben auf eine Ausbeutung und Entrechtung des Proletariats richten kann. Das Näieproblem ist noch nicht gelöst, aber auch hier wird eine Lösung gefunden werden müssen, die dem Arbeiter die Mitverantwortung im Wirtschaftsleben überträgt. Will man das wahre Gesicht des Kapitalismus er¬ kennen, dann muß man die Tatsachen in Betracht ziehen, daß die Mehrzahl der kapi¬ talistischen Betriebe heute das alleinige Be¬ streben hat, die Produktion trotz der hohen Lohnforderungen, trotz der Aussichtslosigkeit ans Gewinn aufrechtzuerhalten. Sollte den Arbeitern dieses wahre Gesicht des Kapila-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/265>, abgerufen am 18.12.2024.