Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Christentum und Sozialismus Es wird sich auch im Verhältnis der Völker zueinander wiederholen. Denn Aber der Sozialismus begünstigt neben dem ehrgeizigen auch den entgegen¬ Ist nun wohl der sozialistische Staat imstande, Gegengewichte zu schaffen, Christentum und Sozialismus Es wird sich auch im Verhältnis der Völker zueinander wiederholen. Denn Aber der Sozialismus begünstigt neben dem ehrgeizigen auch den entgegen¬ Ist nun wohl der sozialistische Staat imstande, Gegengewichte zu schaffen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335602"/> <fw type="header" place="top"> Christentum und Sozialismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_803"> Es wird sich auch im Verhältnis der Völker zueinander wiederholen. Denn<lb/> es gibt auch da die Gegensätze zwischen fleißigen und trägen, stärker sich ver¬<lb/> mehrenden und unfruchtbar werdenden, erfinderischen und träumerischen, zuver¬<lb/> lässigen und verlogenen Völkern. Der Völkerbund, selbst wenn er noch so muster¬<lb/> gültig festgesetzt wäre, kann diese Unterschiede nicht beseitigen. Der Kampf wird<lb/> fortdauern. Er wird nur andere — hinterlistigere — Formen annehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_804"> Aber der Sozialismus begünstigt neben dem ehrgeizigen auch den entgegen¬<lb/> gesetzten Trieb'. Die Vorwärtsdrängenden sind immer nur eine Minderheit, der<lb/> gegenüber die Masse unwillkürlich eine abwehrende Haltung einnimmt. Sie hat<lb/> nicht das Bedürfnis, sich durch die lebhaften Geister in ihrer Behaglichkeit stören<lb/> zu lassen, sondern umgekehrt, jene zu zwingen, sich ihrem trägen Schritt anzu¬<lb/> passen. Die Fahrt soll sich nach dem langsamsten Schiff richten. Und da Mit<lb/> dem allgemeinen Wahlrecht die Zahl den Ausschlag gibt, so ist diese Stimmung auch<lb/> in der Lage, sich durchzusetzen. Es handelt sich auch hier nicht nur um ausgedachte<lb/> Möglichkeiten. Ich erinnere an das englische L^'L^um^-System, jenen Druck, den<lb/> die Menge der Bequemen auf die Arbeitslustigen ausübt, an den Widerwillen<lb/> gegen die Akkordlöhne und an die Erfahrungen, die wir eben in diesen Monaten<lb/> machen: vom Achtstundentag sind wir im einzelnen Fall bereits zum Siebenstunden¬<lb/> tag gekommen; aber auch über den Sechs- und sogar über den Vierstundentag wird<lb/> bereits gesprochen.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> Ist nun wohl der sozialistische Staat imstande, Gegengewichte zu schaffen,<lb/> die diese üblen Folgen aufheben? Die Sozialdemokratie selbst ist dieser Über¬<lb/> zeugung. Sie steht, so weit sie auch über die Aufklärung hinausgeschritten zu sein<lb/> meint, immer noch auf deren Standpunkt, dasz man den Menschen nur in bessere<lb/> äußere Verhältnisse zu versetzen braucht, dann würden von selbst die guten Eigen¬<lb/> schaften hervortreten. So hat es Owen unermüdlich gepredigt und so verkündigt<lb/> es auch das Erfurter Programm: Die Verwandlung des kapitalistischen Privat¬<lb/> eigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum würde bewirken,<lb/> daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen<lb/> Arbeit zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger harmonischer Ver¬<lb/> vollkommnung werde. Im sozialistischen Staat würde, so hofft man, ein Gemein¬<lb/> gefühl entstehen, das den Eigennutz des einzelnen bändigte, und gleichzeitig eine<lb/> Arbeitsfreudigkeit, die alle Trägheit zur Schande stempelte. Es gehört ein starker<lb/> Glaube dazu, um dies wie etwas Selbstverständliches zu erwarten. Wenn die<lb/> Technik des Kapitalismus beibehalten werden soll — und sie muß wohl beibe¬<lb/> halten werden; wenn wir nicht in wirkliches Elend versinken sollen, — dann be¬<lb/> steht muh dasjenige fort, was man bisher den Tod aller Lebens- und Arbeits¬<lb/> freudigkeit genannt hat: die mit jener Technik notwendig verbundene, immer<lb/> weiter fortschreitende Arbeitsteilung. Der Arbeiter wird auch künftighin niemals<lb/> ein Ganzes, sondern nur ein Stück verfertigen dürfen, er wird auch dann noch<lb/> ewig denselben kleinen Handgriff verrichten müssen. Wieso soll er nun auf ein¬<lb/> mal dieses Werk mit Freuden tun, wenn es ihm vorher Überdruß einflößte?<lb/> Kann man dieses Gefühl etwa dadurch besiegen, daß man für die niedrigste und<lb/> ermüdendste Arbeit die höchsten Löhne bezahlt? Also einem Grubenarbeiter ein<lb/> Ministergehalt zuweist? Und wenn es als Grundsatz in der Technik gilt, mit<lb/> möglichst wenig Arbeit möglichst viel zu verdienen, wird das künftig anfeuernd<lb/> wirken und den einzelnen zur Selbstlosigkeit erziehen? Tagtäglich sehen wir in<lb/> Berlin neue Plakate angeschlagen, eins immer greller als daS andere, in denen<lb/> auf den Arbeiter eingeredet wird. Sie sind ein Beweis dafür, daß unsere<lb/> Regierung sich bewußt wird, wo der eigentliche Haken sitzt. Es handelt sich um<lb/> die Frage: wie bringt man den Arbeiter wieder an die Arbeit, wie gibt man ihm<lb/> Arbeitsfreudigkeit und wie erzeugt man bei ihm Gemeinsinn? Aber die eintönige<lb/> Wiederholung desselben Mittels beweist auch die Ratlosigkeit der Regierung und<lb/> die Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen. Aus sich selbst kaun der sozialistische Staat<lb/> die ihm erwünschten Antriebe nicht hervorbringen. Sie müssen aus tieferen<lb/> Quellen, sie können nur aus der Religion fließen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
Christentum und Sozialismus
Es wird sich auch im Verhältnis der Völker zueinander wiederholen. Denn
es gibt auch da die Gegensätze zwischen fleißigen und trägen, stärker sich ver¬
mehrenden und unfruchtbar werdenden, erfinderischen und träumerischen, zuver¬
lässigen und verlogenen Völkern. Der Völkerbund, selbst wenn er noch so muster¬
gültig festgesetzt wäre, kann diese Unterschiede nicht beseitigen. Der Kampf wird
fortdauern. Er wird nur andere — hinterlistigere — Formen annehmen.
Aber der Sozialismus begünstigt neben dem ehrgeizigen auch den entgegen¬
gesetzten Trieb'. Die Vorwärtsdrängenden sind immer nur eine Minderheit, der
gegenüber die Masse unwillkürlich eine abwehrende Haltung einnimmt. Sie hat
nicht das Bedürfnis, sich durch die lebhaften Geister in ihrer Behaglichkeit stören
zu lassen, sondern umgekehrt, jene zu zwingen, sich ihrem trägen Schritt anzu¬
passen. Die Fahrt soll sich nach dem langsamsten Schiff richten. Und da Mit
dem allgemeinen Wahlrecht die Zahl den Ausschlag gibt, so ist diese Stimmung auch
in der Lage, sich durchzusetzen. Es handelt sich auch hier nicht nur um ausgedachte
Möglichkeiten. Ich erinnere an das englische L^'L^um^-System, jenen Druck, den
die Menge der Bequemen auf die Arbeitslustigen ausübt, an den Widerwillen
gegen die Akkordlöhne und an die Erfahrungen, die wir eben in diesen Monaten
machen: vom Achtstundentag sind wir im einzelnen Fall bereits zum Siebenstunden¬
tag gekommen; aber auch über den Sechs- und sogar über den Vierstundentag wird
bereits gesprochen.
Ist nun wohl der sozialistische Staat imstande, Gegengewichte zu schaffen,
die diese üblen Folgen aufheben? Die Sozialdemokratie selbst ist dieser Über¬
zeugung. Sie steht, so weit sie auch über die Aufklärung hinausgeschritten zu sein
meint, immer noch auf deren Standpunkt, dasz man den Menschen nur in bessere
äußere Verhältnisse zu versetzen braucht, dann würden von selbst die guten Eigen¬
schaften hervortreten. So hat es Owen unermüdlich gepredigt und so verkündigt
es auch das Erfurter Programm: Die Verwandlung des kapitalistischen Privat¬
eigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum würde bewirken,
daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen
Arbeit zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger harmonischer Ver¬
vollkommnung werde. Im sozialistischen Staat würde, so hofft man, ein Gemein¬
gefühl entstehen, das den Eigennutz des einzelnen bändigte, und gleichzeitig eine
Arbeitsfreudigkeit, die alle Trägheit zur Schande stempelte. Es gehört ein starker
Glaube dazu, um dies wie etwas Selbstverständliches zu erwarten. Wenn die
Technik des Kapitalismus beibehalten werden soll — und sie muß wohl beibe¬
halten werden; wenn wir nicht in wirkliches Elend versinken sollen, — dann be¬
steht muh dasjenige fort, was man bisher den Tod aller Lebens- und Arbeits¬
freudigkeit genannt hat: die mit jener Technik notwendig verbundene, immer
weiter fortschreitende Arbeitsteilung. Der Arbeiter wird auch künftighin niemals
ein Ganzes, sondern nur ein Stück verfertigen dürfen, er wird auch dann noch
ewig denselben kleinen Handgriff verrichten müssen. Wieso soll er nun auf ein¬
mal dieses Werk mit Freuden tun, wenn es ihm vorher Überdruß einflößte?
Kann man dieses Gefühl etwa dadurch besiegen, daß man für die niedrigste und
ermüdendste Arbeit die höchsten Löhne bezahlt? Also einem Grubenarbeiter ein
Ministergehalt zuweist? Und wenn es als Grundsatz in der Technik gilt, mit
möglichst wenig Arbeit möglichst viel zu verdienen, wird das künftig anfeuernd
wirken und den einzelnen zur Selbstlosigkeit erziehen? Tagtäglich sehen wir in
Berlin neue Plakate angeschlagen, eins immer greller als daS andere, in denen
auf den Arbeiter eingeredet wird. Sie sind ein Beweis dafür, daß unsere
Regierung sich bewußt wird, wo der eigentliche Haken sitzt. Es handelt sich um
die Frage: wie bringt man den Arbeiter wieder an die Arbeit, wie gibt man ihm
Arbeitsfreudigkeit und wie erzeugt man bei ihm Gemeinsinn? Aber die eintönige
Wiederholung desselben Mittels beweist auch die Ratlosigkeit der Regierung und
die Erfolglosigkeit dieser Maßnahmen. Aus sich selbst kaun der sozialistische Staat
die ihm erwünschten Antriebe nicht hervorbringen. Sie müssen aus tieferen
Quellen, sie können nur aus der Religion fließen.
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