Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Soll die Provinz Posen dein polnischen Staate einverleibt werden? polnischen Bevölkerung im Innern über eine derartige Entscheidung untröstlich sein. Ebensowenig liegt es im Interesse der Gläubiger Deutschlands, dieses durch GrenzSoten II 1919l-z
Soll die Provinz Posen dein polnischen Staate einverleibt werden? polnischen Bevölkerung im Innern über eine derartige Entscheidung untröstlich sein. Ebensowenig liegt es im Interesse der Gläubiger Deutschlands, dieses durch GrenzSoten II 1919l-z
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335559"/> <fw type="header" place="top"> Soll die Provinz Posen dein polnischen Staate einverleibt werden?</fw><lb/> <p xml:id="ID_596" prev="#ID_595"> polnischen Bevölkerung im Innern über eine derartige Entscheidung untröstlich sein.<lb/> Freilich, die radikalen Elemente verschließen die Augen vor den wirtschaftlichen<lb/> Nachteilen, aber auch bei diesen dürfte, wenn erst der Rausch vorüber ist, die<lb/> Katzenjammerstimmung nachkommen. Geben doch selbst diese, in bezug auf<lb/> Patriotismus fanatischen Polen zu, daß es „zunächst" für die Provinz Posen<lb/> einen wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet, wenn sie zu Polen kommen sollte. Sie<lb/> glauben aber, daß dieser Rückschritt in etwa zwanzig bis dreißig Jähret' eingeholt sein<lb/> dürfte. Wenn schon derartige Elemente, die doch nach dieser Richtung natur¬<lb/> gemäß Optimisten sind, diesen Zeitraum auf zwanzig bis dreißig Jahre bemessen,<lb/> so kann man ungefähr ahnen, wie lang er sich in Wirklichkeit stellen wird. Aber<lb/> Realpolitiker sind sich keineswegs im Zweifel darüber, daß die Provinz Posen<lb/> überhaupt nicht wieder auf den jetzigen hohen Standpunkt kommen wird. Ebenso<lb/> wie es für sie klar ist, daß der politische Staat kein Kulturstaat in westeuropäischem<lb/> Sinne werden wird. Mißwirtschaft, Nepotismus, Zank und Streit untereinander<lb/> und mit den nichtpolmschen Mitbürgern, sind schon jetzt an der Tagesordnung, und<lb/> der wirtschaftliche Fortschritt, der zu immer größerem Wohlstand einer Bevölkerung<lb/> führt, würde gehemmt werden. Liegt es aber heute im weltwirtschaftlichen<lb/> Interesse, einen mitten in Europa liegenden Bezirk von etwa 29 000 Quadrat-<lb/> kilometer mit etwa zwei Millionen Einwohnern in der Kultur um ein Jahrhundert<lb/> zurückzuwerfen? Ist es nicht vielmehr, nachdem sich ganz Europa, man könnte<lb/> sagen die ganze Welt, viereinhalb Jahre zerfleischt, nachdeut sie Millionen von<lb/> Menschen verloren und sich um Milliarden an Werten geschädigt hat. geboten,<lb/> den wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt in jeder Beziehung zu fördern, da¬<lb/> mit die Schäden des Krieges so schnell wie möglich wett gemacht werden können?</p><lb/> <p xml:id="ID_597"> Ebensowenig liegt es im Interesse der Gläubiger Deutschlands, dieses durch<lb/> Lvstremiung der Provinz Posen, nachdem es schon durch die Abtrennung Elsaß-<lb/> Lothringens eiire ungeheure Schwächung erfährt, noch weiter zu schwächen und<lb/> eventuell zahlungsunfähig zu machen. Die Provinz Posen ist ein für das über¬<lb/> völkerte deutsche Industrieland überaus wichtiger Faktor, denn sie produziert von<lb/> Roggen, Gerste und Kartoffeln js zirka 15 bis 16 Prozent der Gesamternte<lb/> Preußens, von der Weizenernte zirka 7 Prozent und von der Haferernte zirka<lb/> 6 Prozent. Die Provinz ist imstande, durch weitere Besiedelung noch eine an¬<lb/> sehnliche Anzahl von Bauern aufzunehmen. Durch Abtrennung der Provinz Posen<lb/> würde die polnische Grenze bis auf zirka 180 Kilometer an 'Berlin herangerückt<lb/> werden, womit allein schon ein Keim für zukünftige Reibereien geschaffen werden<lb/> würde. Die Deutschen haben, wie schon oben erwähnt, während 125 Jahren<lb/> durch intensive Arbeit, durch Fleiß und Tüchtigkeit, Posen, das seinerzeit von<lb/> Preußen in geradezu eibärmlichem Zustande übernommen wurde, zu einer der<lb/> blühendsten Provinzen gemacht. Die polnische Bevölkerung hat daraus ihren<lb/> vollen Nutzen gezogen. Die deutschen Landwirte sind ihr zu Lehrmeistern ge¬<lb/> worden, und die sogenannte „polnische Wirtschaft" hat fast vollständig aufgehört.<lb/> Gibt das nicht ein volles Recht auf den Besitz der Provinz, zumal eine Los¬<lb/> trennung derselben für alle Schichten der Bevölkerung — der deutschen sowohl<lb/> wie der polnischen — die oben gekennzeichneten wirtschaftlichen Nachteile und un¬<lb/> haltbare nationale Zustände zur Folge haben würde?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> GrenzSoten II 1919l-z</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Soll die Provinz Posen dein polnischen Staate einverleibt werden?
polnischen Bevölkerung im Innern über eine derartige Entscheidung untröstlich sein.
Freilich, die radikalen Elemente verschließen die Augen vor den wirtschaftlichen
Nachteilen, aber auch bei diesen dürfte, wenn erst der Rausch vorüber ist, die
Katzenjammerstimmung nachkommen. Geben doch selbst diese, in bezug auf
Patriotismus fanatischen Polen zu, daß es „zunächst" für die Provinz Posen
einen wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet, wenn sie zu Polen kommen sollte. Sie
glauben aber, daß dieser Rückschritt in etwa zwanzig bis dreißig Jähret' eingeholt sein
dürfte. Wenn schon derartige Elemente, die doch nach dieser Richtung natur¬
gemäß Optimisten sind, diesen Zeitraum auf zwanzig bis dreißig Jahre bemessen,
so kann man ungefähr ahnen, wie lang er sich in Wirklichkeit stellen wird. Aber
Realpolitiker sind sich keineswegs im Zweifel darüber, daß die Provinz Posen
überhaupt nicht wieder auf den jetzigen hohen Standpunkt kommen wird. Ebenso
wie es für sie klar ist, daß der politische Staat kein Kulturstaat in westeuropäischem
Sinne werden wird. Mißwirtschaft, Nepotismus, Zank und Streit untereinander
und mit den nichtpolmschen Mitbürgern, sind schon jetzt an der Tagesordnung, und
der wirtschaftliche Fortschritt, der zu immer größerem Wohlstand einer Bevölkerung
führt, würde gehemmt werden. Liegt es aber heute im weltwirtschaftlichen
Interesse, einen mitten in Europa liegenden Bezirk von etwa 29 000 Quadrat-
kilometer mit etwa zwei Millionen Einwohnern in der Kultur um ein Jahrhundert
zurückzuwerfen? Ist es nicht vielmehr, nachdem sich ganz Europa, man könnte
sagen die ganze Welt, viereinhalb Jahre zerfleischt, nachdeut sie Millionen von
Menschen verloren und sich um Milliarden an Werten geschädigt hat. geboten,
den wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt in jeder Beziehung zu fördern, da¬
mit die Schäden des Krieges so schnell wie möglich wett gemacht werden können?
Ebensowenig liegt es im Interesse der Gläubiger Deutschlands, dieses durch
Lvstremiung der Provinz Posen, nachdem es schon durch die Abtrennung Elsaß-
Lothringens eiire ungeheure Schwächung erfährt, noch weiter zu schwächen und
eventuell zahlungsunfähig zu machen. Die Provinz Posen ist ein für das über¬
völkerte deutsche Industrieland überaus wichtiger Faktor, denn sie produziert von
Roggen, Gerste und Kartoffeln js zirka 15 bis 16 Prozent der Gesamternte
Preußens, von der Weizenernte zirka 7 Prozent und von der Haferernte zirka
6 Prozent. Die Provinz ist imstande, durch weitere Besiedelung noch eine an¬
sehnliche Anzahl von Bauern aufzunehmen. Durch Abtrennung der Provinz Posen
würde die polnische Grenze bis auf zirka 180 Kilometer an 'Berlin herangerückt
werden, womit allein schon ein Keim für zukünftige Reibereien geschaffen werden
würde. Die Deutschen haben, wie schon oben erwähnt, während 125 Jahren
durch intensive Arbeit, durch Fleiß und Tüchtigkeit, Posen, das seinerzeit von
Preußen in geradezu eibärmlichem Zustande übernommen wurde, zu einer der
blühendsten Provinzen gemacht. Die polnische Bevölkerung hat daraus ihren
vollen Nutzen gezogen. Die deutschen Landwirte sind ihr zu Lehrmeistern ge¬
worden, und die sogenannte „polnische Wirtschaft" hat fast vollständig aufgehört.
Gibt das nicht ein volles Recht auf den Besitz der Provinz, zumal eine Los¬
trennung derselben für alle Schichten der Bevölkerung — der deutschen sowohl
wie der polnischen — die oben gekennzeichneten wirtschaftlichen Nachteile und un¬
haltbare nationale Zustände zur Folge haben würde?
GrenzSoten II 1919l-z
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |