Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Bericht über Lrauenbostrebungen der Gegenwart

Frauen vom Standpunkt der Produktivität als ungeeignet für alle körperlich sehr
schweren Verrichtungen, z. B. für Transportarbeiter,, ferner für schwere Arbeiten,
die bei sehr hohen Temperaturen ausgeführt werden müssen, auch zeigten sie einen
stärkeren, ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Widerwillen gegen unangenehme
Gerüche und unsaubere Tätigkeiten als die Männer, so das; ihre Verwendbarkeit
in gewissen Zweigen der chemischen Industrie nicht aussichtsreich erscheint. Aus
ähnlichen Gründen wird die Frauenarbeit in der Lederindustrie, wenigstens in
der Gerberei, wo körperlich schwere und schmutzige Verrichtungen erforderlich sind,
nicht sehr günstig beurteilt. Auch hat sich die Eignung der Frau für die Nahrungs¬
und Genutzmittelindustrie als verhältnismäßig gering erwiesen, selbst der weibliche
Bäcker hat sich nicht sehr bewährt. In der Textilindustrie wird die Frauenarbeit
aus demselben Grunde wieder in starkem Matze durch Männerarbeit ersetzt werden.
Dagegen werden in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, wo die fabrikmäßige
Herstellung die handwerksmäßige immer mehr zurückdrängt, die Leistungen der
Frau als durchaus befriedigend bezeichnet. In der Metall-, Maschinen- und
elektrischen Industrie hat sich die Frau überall dort vor den Männern hervor¬
getan, wo Handgeschicklichkeit und feine Tastempfindlichkeit der Finger in Betracht
kamen, in gröberen Arbeiten erwies sie sich als gleichwertig, doch gibt es auch
hier Verrichtungen, die als Männersache zu betrachten sind. Es steht zu erwarten,
daß die Frauen aus alle den erwähnten Industriezweigen, in die sie eindrangen,
nicht wieder völlig ausscheiden werden. Die Friedenswirtschaft sieht sich aber
einer neu gearteten weiblichen Arbeiterschaft gegenüber: über die niedrigste Stufe
der ungelernten Arbeiterin erhebt sich die geübte und über diese die unter dem
Zwange der Kriegszeit in gewissen Handgriffen und zusammengehörigen Teil¬
arbeiten angelernte Arbeiterin. Die letzteren beiden Gruppen treten in den
Vordergrund gegenüber der ungelernten und der handwerklich ausgebildeten
Arbeiterin -- eine Entwicklung, die im Hinblick auf den Rückgang der qualitativen
Höchstleistung der Frau nicht durchaus zu begrüßen ist. Wird einerseits die
Volkswirtschaft für den Wiederaufbau Qualitätsarbeiter bedürfen, so gilt anderer¬
seits zu bedenken, daß gerade eine gediegene sachliche Ausbildung das Mittel ist,
die Frau in ihrem Beruf heimisch werden zu lassen. Wenn die Interesselosigkeit,
Disziplinlosigkeit, Verflündnislosigkeit und mangelnde Ausdauer, über die vielfach
geklagt wird, Unzulänglichkeiten sind, die ihren tiefsten Grund Wohl in der Auf¬
fassung der meisten Frauen haben, daß ihre Berufstätigkeit doch nur ein vorübir-
gehendes Stadium ihres Lebens ist, das mit der Heirat seinen Abschluß finden
wird, so nutz unter Berücksichtigung der realen Verhältnisse, da die HeiratSaus-
sichten gesunken sind, für viele Frauen eine dauernde Berufstätigkeit ins Auge
gefaßt und mithin die Voraussetzung einer inneren Anteilnahme an der Arbeit
geschaffen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft liegt somit
zweifellos in der Beseitigung der Mängel, die der Frauenarbeit anhaften, um
das subjektive Wertgefühl zu erhöhen. Sie wird am besten dadurch gelöst, daß
die obligatorische Fortbildungsschulpflicht für gewerbliche Arbeiterinnen bis zum
achtzehnten Jahre allgemein eingeführt und die handwerksmäßige oder fachgewerb¬
liche Ausbildung gefördert wird. Dann aber ist der Arbeiterin der Weg zu ebnen:
durch Schaffung von Organisationen ist das Zusammengehörigkeitsgefühl zu beleben
und dem Grundsatz, daß für die der Männerarbeit gleichwertige Leistung gleicher
Lohn gezahlt wird, Geltung zu verschaffen, da nnr unter dieser Voraussetzung
die Eignung der Frau für bestimmte Tätigkeiten einwandfreie Berücksichtigung
finden kann; schließlich ist durch den Ausbau der Arbeitsvermittlung der Ausgleich
zwischen Angebot und Nachfrage anzustreben, so daß die vorgebildeten und be¬
währten Kräfte in erster Reihe Verwendung finden. Nur so ist die schlichte Frau
aus dem Volke einerseits zum eigenen Wohlbefinden zu erziehen, andererseits
zum Wohle der Gesamtheit zu nutzen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die
Frauenarbeit grundsätzlich nur dort zu dulden ist, wo sozialhygienisch und
bevölkerungspolitisch keine Bedenken gegen sie geltend gemacht werden können.
Im Bergbau, Hüttenwesen und Baugewerbe muß die schon vor dem Kriege


Gin Bericht über Lrauenbostrebungen der Gegenwart

Frauen vom Standpunkt der Produktivität als ungeeignet für alle körperlich sehr
schweren Verrichtungen, z. B. für Transportarbeiter,, ferner für schwere Arbeiten,
die bei sehr hohen Temperaturen ausgeführt werden müssen, auch zeigten sie einen
stärkeren, ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Widerwillen gegen unangenehme
Gerüche und unsaubere Tätigkeiten als die Männer, so das; ihre Verwendbarkeit
in gewissen Zweigen der chemischen Industrie nicht aussichtsreich erscheint. Aus
ähnlichen Gründen wird die Frauenarbeit in der Lederindustrie, wenigstens in
der Gerberei, wo körperlich schwere und schmutzige Verrichtungen erforderlich sind,
nicht sehr günstig beurteilt. Auch hat sich die Eignung der Frau für die Nahrungs¬
und Genutzmittelindustrie als verhältnismäßig gering erwiesen, selbst der weibliche
Bäcker hat sich nicht sehr bewährt. In der Textilindustrie wird die Frauenarbeit
aus demselben Grunde wieder in starkem Matze durch Männerarbeit ersetzt werden.
Dagegen werden in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, wo die fabrikmäßige
Herstellung die handwerksmäßige immer mehr zurückdrängt, die Leistungen der
Frau als durchaus befriedigend bezeichnet. In der Metall-, Maschinen- und
elektrischen Industrie hat sich die Frau überall dort vor den Männern hervor¬
getan, wo Handgeschicklichkeit und feine Tastempfindlichkeit der Finger in Betracht
kamen, in gröberen Arbeiten erwies sie sich als gleichwertig, doch gibt es auch
hier Verrichtungen, die als Männersache zu betrachten sind. Es steht zu erwarten,
daß die Frauen aus alle den erwähnten Industriezweigen, in die sie eindrangen,
nicht wieder völlig ausscheiden werden. Die Friedenswirtschaft sieht sich aber
einer neu gearteten weiblichen Arbeiterschaft gegenüber: über die niedrigste Stufe
der ungelernten Arbeiterin erhebt sich die geübte und über diese die unter dem
Zwange der Kriegszeit in gewissen Handgriffen und zusammengehörigen Teil¬
arbeiten angelernte Arbeiterin. Die letzteren beiden Gruppen treten in den
Vordergrund gegenüber der ungelernten und der handwerklich ausgebildeten
Arbeiterin — eine Entwicklung, die im Hinblick auf den Rückgang der qualitativen
Höchstleistung der Frau nicht durchaus zu begrüßen ist. Wird einerseits die
Volkswirtschaft für den Wiederaufbau Qualitätsarbeiter bedürfen, so gilt anderer¬
seits zu bedenken, daß gerade eine gediegene sachliche Ausbildung das Mittel ist,
die Frau in ihrem Beruf heimisch werden zu lassen. Wenn die Interesselosigkeit,
Disziplinlosigkeit, Verflündnislosigkeit und mangelnde Ausdauer, über die vielfach
geklagt wird, Unzulänglichkeiten sind, die ihren tiefsten Grund Wohl in der Auf¬
fassung der meisten Frauen haben, daß ihre Berufstätigkeit doch nur ein vorübir-
gehendes Stadium ihres Lebens ist, das mit der Heirat seinen Abschluß finden
wird, so nutz unter Berücksichtigung der realen Verhältnisse, da die HeiratSaus-
sichten gesunken sind, für viele Frauen eine dauernde Berufstätigkeit ins Auge
gefaßt und mithin die Voraussetzung einer inneren Anteilnahme an der Arbeit
geschaffen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft liegt somit
zweifellos in der Beseitigung der Mängel, die der Frauenarbeit anhaften, um
das subjektive Wertgefühl zu erhöhen. Sie wird am besten dadurch gelöst, daß
die obligatorische Fortbildungsschulpflicht für gewerbliche Arbeiterinnen bis zum
achtzehnten Jahre allgemein eingeführt und die handwerksmäßige oder fachgewerb¬
liche Ausbildung gefördert wird. Dann aber ist der Arbeiterin der Weg zu ebnen:
durch Schaffung von Organisationen ist das Zusammengehörigkeitsgefühl zu beleben
und dem Grundsatz, daß für die der Männerarbeit gleichwertige Leistung gleicher
Lohn gezahlt wird, Geltung zu verschaffen, da nnr unter dieser Voraussetzung
die Eignung der Frau für bestimmte Tätigkeiten einwandfreie Berücksichtigung
finden kann; schließlich ist durch den Ausbau der Arbeitsvermittlung der Ausgleich
zwischen Angebot und Nachfrage anzustreben, so daß die vorgebildeten und be¬
währten Kräfte in erster Reihe Verwendung finden. Nur so ist die schlichte Frau
aus dem Volke einerseits zum eigenen Wohlbefinden zu erziehen, andererseits
zum Wohle der Gesamtheit zu nutzen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die
Frauenarbeit grundsätzlich nur dort zu dulden ist, wo sozialhygienisch und
bevölkerungspolitisch keine Bedenken gegen sie geltend gemacht werden können.
Im Bergbau, Hüttenwesen und Baugewerbe muß die schon vor dem Kriege


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335530"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin Bericht über Lrauenbostrebungen der Gegenwart</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_471" prev="#ID_470" next="#ID_472"> Frauen vom Standpunkt der Produktivität als ungeeignet für alle körperlich sehr<lb/>
schweren Verrichtungen, z. B. für Transportarbeiter,, ferner für schwere Arbeiten,<lb/>
die bei sehr hohen Temperaturen ausgeführt werden müssen, auch zeigten sie einen<lb/>
stärkeren, ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Widerwillen gegen unangenehme<lb/>
Gerüche und unsaubere Tätigkeiten als die Männer, so das; ihre Verwendbarkeit<lb/>
in gewissen Zweigen der chemischen Industrie nicht aussichtsreich erscheint. Aus<lb/>
ähnlichen Gründen wird die Frauenarbeit in der Lederindustrie, wenigstens in<lb/>
der Gerberei, wo körperlich schwere und schmutzige Verrichtungen erforderlich sind,<lb/>
nicht sehr günstig beurteilt. Auch hat sich die Eignung der Frau für die Nahrungs¬<lb/>
und Genutzmittelindustrie als verhältnismäßig gering erwiesen, selbst der weibliche<lb/>
Bäcker hat sich nicht sehr bewährt. In der Textilindustrie wird die Frauenarbeit<lb/>
aus demselben Grunde wieder in starkem Matze durch Männerarbeit ersetzt werden.<lb/>
Dagegen werden in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, wo die fabrikmäßige<lb/>
Herstellung die handwerksmäßige immer mehr zurückdrängt, die Leistungen der<lb/>
Frau als durchaus befriedigend bezeichnet. In der Metall-, Maschinen- und<lb/>
elektrischen Industrie hat sich die Frau überall dort vor den Männern hervor¬<lb/>
getan, wo Handgeschicklichkeit und feine Tastempfindlichkeit der Finger in Betracht<lb/>
kamen, in gröberen Arbeiten erwies sie sich als gleichwertig, doch gibt es auch<lb/>
hier Verrichtungen, die als Männersache zu betrachten sind. Es steht zu erwarten,<lb/>
daß die Frauen aus alle den erwähnten Industriezweigen, in die sie eindrangen,<lb/>
nicht wieder völlig ausscheiden werden. Die Friedenswirtschaft sieht sich aber<lb/>
einer neu gearteten weiblichen Arbeiterschaft gegenüber: über die niedrigste Stufe<lb/>
der ungelernten Arbeiterin erhebt sich die geübte und über diese die unter dem<lb/>
Zwange der Kriegszeit in gewissen Handgriffen und zusammengehörigen Teil¬<lb/>
arbeiten angelernte Arbeiterin. Die letzteren beiden Gruppen treten in den<lb/>
Vordergrund gegenüber der ungelernten und der handwerklich ausgebildeten<lb/>
Arbeiterin &#x2014; eine Entwicklung, die im Hinblick auf den Rückgang der qualitativen<lb/>
Höchstleistung der Frau nicht durchaus zu begrüßen ist. Wird einerseits die<lb/>
Volkswirtschaft für den Wiederaufbau Qualitätsarbeiter bedürfen, so gilt anderer¬<lb/>
seits zu bedenken, daß gerade eine gediegene sachliche Ausbildung das Mittel ist,<lb/>
die Frau in ihrem Beruf heimisch werden zu lassen. Wenn die Interesselosigkeit,<lb/>
Disziplinlosigkeit, Verflündnislosigkeit und mangelnde Ausdauer, über die vielfach<lb/>
geklagt wird, Unzulänglichkeiten sind, die ihren tiefsten Grund Wohl in der Auf¬<lb/>
fassung der meisten Frauen haben, daß ihre Berufstätigkeit doch nur ein vorübir-<lb/>
gehendes Stadium ihres Lebens ist, das mit der Heirat seinen Abschluß finden<lb/>
wird, so nutz unter Berücksichtigung der realen Verhältnisse, da die HeiratSaus-<lb/>
sichten gesunken sind, für viele Frauen eine dauernde Berufstätigkeit ins Auge<lb/>
gefaßt und mithin die Voraussetzung einer inneren Anteilnahme an der Arbeit<lb/>
geschaffen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft liegt somit<lb/>
zweifellos in der Beseitigung der Mängel, die der Frauenarbeit anhaften, um<lb/>
das subjektive Wertgefühl zu erhöhen. Sie wird am besten dadurch gelöst, daß<lb/>
die obligatorische Fortbildungsschulpflicht für gewerbliche Arbeiterinnen bis zum<lb/>
achtzehnten Jahre allgemein eingeführt und die handwerksmäßige oder fachgewerb¬<lb/>
liche Ausbildung gefördert wird. Dann aber ist der Arbeiterin der Weg zu ebnen:<lb/>
durch Schaffung von Organisationen ist das Zusammengehörigkeitsgefühl zu beleben<lb/>
und dem Grundsatz, daß für die der Männerarbeit gleichwertige Leistung gleicher<lb/>
Lohn gezahlt wird, Geltung zu verschaffen, da nnr unter dieser Voraussetzung<lb/>
die Eignung der Frau für bestimmte Tätigkeiten einwandfreie Berücksichtigung<lb/>
finden kann; schließlich ist durch den Ausbau der Arbeitsvermittlung der Ausgleich<lb/>
zwischen Angebot und Nachfrage anzustreben, so daß die vorgebildeten und be¬<lb/>
währten Kräfte in erster Reihe Verwendung finden. Nur so ist die schlichte Frau<lb/>
aus dem Volke einerseits zum eigenen Wohlbefinden zu erziehen, andererseits<lb/>
zum Wohle der Gesamtheit zu nutzen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die<lb/>
Frauenarbeit grundsätzlich nur dort zu dulden ist, wo sozialhygienisch und<lb/>
bevölkerungspolitisch keine Bedenken gegen sie geltend gemacht werden können.<lb/>
Im Bergbau, Hüttenwesen und Baugewerbe muß die schon vor dem Kriege</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Gin Bericht über Lrauenbostrebungen der Gegenwart Frauen vom Standpunkt der Produktivität als ungeeignet für alle körperlich sehr schweren Verrichtungen, z. B. für Transportarbeiter,, ferner für schwere Arbeiten, die bei sehr hohen Temperaturen ausgeführt werden müssen, auch zeigten sie einen stärkeren, ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden Widerwillen gegen unangenehme Gerüche und unsaubere Tätigkeiten als die Männer, so das; ihre Verwendbarkeit in gewissen Zweigen der chemischen Industrie nicht aussichtsreich erscheint. Aus ähnlichen Gründen wird die Frauenarbeit in der Lederindustrie, wenigstens in der Gerberei, wo körperlich schwere und schmutzige Verrichtungen erforderlich sind, nicht sehr günstig beurteilt. Auch hat sich die Eignung der Frau für die Nahrungs¬ und Genutzmittelindustrie als verhältnismäßig gering erwiesen, selbst der weibliche Bäcker hat sich nicht sehr bewährt. In der Textilindustrie wird die Frauenarbeit aus demselben Grunde wieder in starkem Matze durch Männerarbeit ersetzt werden. Dagegen werden in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, wo die fabrikmäßige Herstellung die handwerksmäßige immer mehr zurückdrängt, die Leistungen der Frau als durchaus befriedigend bezeichnet. In der Metall-, Maschinen- und elektrischen Industrie hat sich die Frau überall dort vor den Männern hervor¬ getan, wo Handgeschicklichkeit und feine Tastempfindlichkeit der Finger in Betracht kamen, in gröberen Arbeiten erwies sie sich als gleichwertig, doch gibt es auch hier Verrichtungen, die als Männersache zu betrachten sind. Es steht zu erwarten, daß die Frauen aus alle den erwähnten Industriezweigen, in die sie eindrangen, nicht wieder völlig ausscheiden werden. Die Friedenswirtschaft sieht sich aber einer neu gearteten weiblichen Arbeiterschaft gegenüber: über die niedrigste Stufe der ungelernten Arbeiterin erhebt sich die geübte und über diese die unter dem Zwange der Kriegszeit in gewissen Handgriffen und zusammengehörigen Teil¬ arbeiten angelernte Arbeiterin. Die letzteren beiden Gruppen treten in den Vordergrund gegenüber der ungelernten und der handwerklich ausgebildeten Arbeiterin — eine Entwicklung, die im Hinblick auf den Rückgang der qualitativen Höchstleistung der Frau nicht durchaus zu begrüßen ist. Wird einerseits die Volkswirtschaft für den Wiederaufbau Qualitätsarbeiter bedürfen, so gilt anderer¬ seits zu bedenken, daß gerade eine gediegene sachliche Ausbildung das Mittel ist, die Frau in ihrem Beruf heimisch werden zu lassen. Wenn die Interesselosigkeit, Disziplinlosigkeit, Verflündnislosigkeit und mangelnde Ausdauer, über die vielfach geklagt wird, Unzulänglichkeiten sind, die ihren tiefsten Grund Wohl in der Auf¬ fassung der meisten Frauen haben, daß ihre Berufstätigkeit doch nur ein vorübir- gehendes Stadium ihres Lebens ist, das mit der Heirat seinen Abschluß finden wird, so nutz unter Berücksichtigung der realen Verhältnisse, da die HeiratSaus- sichten gesunken sind, für viele Frauen eine dauernde Berufstätigkeit ins Auge gefaßt und mithin die Voraussetzung einer inneren Anteilnahme an der Arbeit geschaffen werden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft liegt somit zweifellos in der Beseitigung der Mängel, die der Frauenarbeit anhaften, um das subjektive Wertgefühl zu erhöhen. Sie wird am besten dadurch gelöst, daß die obligatorische Fortbildungsschulpflicht für gewerbliche Arbeiterinnen bis zum achtzehnten Jahre allgemein eingeführt und die handwerksmäßige oder fachgewerb¬ liche Ausbildung gefördert wird. Dann aber ist der Arbeiterin der Weg zu ebnen: durch Schaffung von Organisationen ist das Zusammengehörigkeitsgefühl zu beleben und dem Grundsatz, daß für die der Männerarbeit gleichwertige Leistung gleicher Lohn gezahlt wird, Geltung zu verschaffen, da nnr unter dieser Voraussetzung die Eignung der Frau für bestimmte Tätigkeiten einwandfreie Berücksichtigung finden kann; schließlich ist durch den Ausbau der Arbeitsvermittlung der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage anzustreben, so daß die vorgebildeten und be¬ währten Kräfte in erster Reihe Verwendung finden. Nur so ist die schlichte Frau aus dem Volke einerseits zum eigenen Wohlbefinden zu erziehen, andererseits zum Wohle der Gesamtheit zu nutzen. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Frauenarbeit grundsätzlich nur dort zu dulden ist, wo sozialhygienisch und bevölkerungspolitisch keine Bedenken gegen sie geltend gemacht werden können. Im Bergbau, Hüttenwesen und Baugewerbe muß die schon vor dem Kriege

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/120>, abgerufen am 01.09.2024.