Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Demokratischer Parlamentarismus und Rätesystem Frage nutz sein: welchen Einfluß ein Einbau der Räte in die Reichsverfassung Bildet schon die Verkoppelung des Rätegedankens mit dem Parlamentarismus Dazu tritt ein weiteres. Nicht nur das Mißtrauen, daß die lokalen Demokratischer Parlamentarismus und Rätesystem Frage nutz sein: welchen Einfluß ein Einbau der Räte in die Reichsverfassung Bildet schon die Verkoppelung des Rätegedankens mit dem Parlamentarismus Dazu tritt ein weiteres. Nicht nur das Mißtrauen, daß die lokalen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335526"/> <fw type="header" place="top"> Demokratischer Parlamentarismus und Rätesystem</fw><lb/> <p xml:id="ID_459" prev="#ID_458"> Frage nutz sein: welchen Einfluß ein Einbau der Räte in die Reichsverfassung<lb/> auf den Zusammenhalt des Reiches haben wird. Und in diesem Punkte bestehen<lb/> keine allzugroßen Bedenken. Denn die Anhänger des Rätegedankens in den Glied¬<lb/> staaten haben sich im allgemeinen als Verfechter der Neichseinheit erwiesen. Wo<lb/> Absonderungsbestrebungen zutage getreten sind, hatten sie ihren Grund in der<lb/> Unzufriedenheit mit der zu wenig radikalen Politik der Neichsregierung. Auch in<lb/> den Rheinlanden, in denen die Selbständigkeitsbestrebungen noch am ehestens<lb/> reaktionären Charakter tragen, wird ein Durchbruch des Nätegedankens im Reich<lb/> die reaktionären Tendenzen überwinden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_460"> Bildet schon die Verkoppelung des Rätegedankens mit dem Parlamentarismus<lb/> in der obersten Instanz so viel Reibungsstoff für die Staatsmaschine, daß diese zu<lb/> Bruch kommen muß, so gilt das in noch viel stärkerem Matze, wenn auch in den<lb/> unteren Zellen des staatlichen Organismus diese Koppelung eintreten soll. Auch<lb/> hier ist eine Trennung der wirtschaftlichen von den politischen Aufgaben ein<lb/> Unding. Städte, Kreise und Provinzen sind schon heute so stark durch ihnen<lb/> gesetzlich zugewiesene Aufgaben belastet, daß der Umfang der Verwirklichung von<lb/> Sonderplänen völlig von der Finanzlage abhängt. Das wird sich bei dem starken<lb/> Zug nach Ausbau der Selbstverwaltung in Zukunft noch steigern. Schon bislang<lb/> waren in den Städten, aber auch in Kreisen und Provinzen — man denke an<lb/> die llberlcmdzentralen — die eigenen Betriebe das Rückgrat der Finanzgebarung.<lb/> In Zukunft werden die Selbstverwaltungskörper noch viel mehr auf diese Geld-<lb/> quelle angewiesen sein, da einmal die staatliche Steuerschraube so stark angezogen<lb/> werden wird, daß Zuschlage zur staatlichen Einkommensteuer von 300 bis über<lb/> 400 Prozent, wie sie bisher vorgekommen sind, sich von selbst verbieten, anderer¬<lb/> seits gerade hier Sozialisierungen in größtem Umfang in sicherer Aussicht stehen.<lb/> Die größere Unmittelbarkeit des kommunalen Lebens wird aber hier den Wider¬<lb/> streit zwischen dem Wunsch der Gesamtheit, möglichst viel aus den Betrieben<lb/> herauszuwirtschaften, um die Mittel für kulturelle Pläne aller Art zu gewinnen<lb/> oder um die Bedürfnisse der Allgemeinheit billig zu befriedigen, und dem begreif¬<lb/> lichen Bestreben der zahlreichen Interessenten, ihren Anteil ein dem Unternehmen<lb/> zu vergrößern, noch viel lebhafter werden lassen, als dies in der Reichs- oder<lb/> Staatsinstanz der Fall ist, wo die Tragweite gefaßter Beschlüsse den unmittelbar<lb/> Betroffenen nicht sofort zum vollen Bewußtsein kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_461" next="#ID_462"> Dazu tritt ein weiteres. Nicht nur das Mißtrauen, daß die lokalen<lb/> Parlamente die „wahre" Stimme des Volkes nicht zum Ausdruck bringen, führt<lb/> zu dem Wunsch der Schaffung besonderer Räteorganisationen in den unteren<lb/> Instanzen, sondern viel mehr noch das Mißtrauen gegen den Geist der Beamten¬<lb/> schaft sowohl des Staats wie auch der Selbstverwnltungskörper. Man fürchtet,<lb/> daß auch die eigenen Berufsgenossen, wenn sie erst in den Parlamenten der<lb/> Selbstv-rwaltungskörper sitzen, die Interessen ihres Standes nicht hinreichend<lb/> vertreten. Es fehlen eben bei dem allgemeinen Wahlrecht die starken Verant¬<lb/> wortungsverhältnisse, wie sie bei einem berufsständischen Wahlrecht naturgemäß<lb/> auch nach der Wahl zwischen Wählern und Gewählten bestehen. Deshalb sollen<lb/> die eigenen Berufsvertreter in die Lage gesetzt werden, über die Behörden eine<lb/> Kontrolle auszuüben, wie sie nach der Revolution überall den lokalen Arbeiter¬<lb/> räten zugestanden werden mutzte und wie sie mehr oder weniger auch noch jetzt<lb/> ausgeübt wird. Das führt zu einer doppelten Schwierigkeit. Verantwortlich<lb/> können aus den oben für die Reichsinstanz und die Minister angeführten Gründen<lb/> die Beamten der Selbstverwaltung nur der ersten Kammer des Selbstverwaltungs¬<lb/> körpers sein. Es fehlen also dem Räteparlament die Mittel, die .Kontrolle zu<lb/> einem unmittelbaren Einfluß auf die Beamten auszuwerten. Denn das Wesent¬<lb/> liche ist ja nicht die formell gesetzmäßige Amtsführung, sondern der rechtlich nicht<lb/> faßbare Geist, in dem die Verwaltung geführt wird. Parlamentarische Unter-<lb/> suchungsausschüsse dienen zur Verstärkung rechtlich bereits bestehender Verant¬<lb/> wortlichkeiten, sie schaffen keine Neibungsmöglichkeiten, sondern sind geeignet,<lb/> reibungsloses Zusammenarbeiten zu fördern. Untersuchungsausschüsse der Berufsräte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Demokratischer Parlamentarismus und Rätesystem
Frage nutz sein: welchen Einfluß ein Einbau der Räte in die Reichsverfassung
auf den Zusammenhalt des Reiches haben wird. Und in diesem Punkte bestehen
keine allzugroßen Bedenken. Denn die Anhänger des Rätegedankens in den Glied¬
staaten haben sich im allgemeinen als Verfechter der Neichseinheit erwiesen. Wo
Absonderungsbestrebungen zutage getreten sind, hatten sie ihren Grund in der
Unzufriedenheit mit der zu wenig radikalen Politik der Neichsregierung. Auch in
den Rheinlanden, in denen die Selbständigkeitsbestrebungen noch am ehestens
reaktionären Charakter tragen, wird ein Durchbruch des Nätegedankens im Reich
die reaktionären Tendenzen überwinden können.
Bildet schon die Verkoppelung des Rätegedankens mit dem Parlamentarismus
in der obersten Instanz so viel Reibungsstoff für die Staatsmaschine, daß diese zu
Bruch kommen muß, so gilt das in noch viel stärkerem Matze, wenn auch in den
unteren Zellen des staatlichen Organismus diese Koppelung eintreten soll. Auch
hier ist eine Trennung der wirtschaftlichen von den politischen Aufgaben ein
Unding. Städte, Kreise und Provinzen sind schon heute so stark durch ihnen
gesetzlich zugewiesene Aufgaben belastet, daß der Umfang der Verwirklichung von
Sonderplänen völlig von der Finanzlage abhängt. Das wird sich bei dem starken
Zug nach Ausbau der Selbstverwaltung in Zukunft noch steigern. Schon bislang
waren in den Städten, aber auch in Kreisen und Provinzen — man denke an
die llberlcmdzentralen — die eigenen Betriebe das Rückgrat der Finanzgebarung.
In Zukunft werden die Selbstverwaltungskörper noch viel mehr auf diese Geld-
quelle angewiesen sein, da einmal die staatliche Steuerschraube so stark angezogen
werden wird, daß Zuschlage zur staatlichen Einkommensteuer von 300 bis über
400 Prozent, wie sie bisher vorgekommen sind, sich von selbst verbieten, anderer¬
seits gerade hier Sozialisierungen in größtem Umfang in sicherer Aussicht stehen.
Die größere Unmittelbarkeit des kommunalen Lebens wird aber hier den Wider¬
streit zwischen dem Wunsch der Gesamtheit, möglichst viel aus den Betrieben
herauszuwirtschaften, um die Mittel für kulturelle Pläne aller Art zu gewinnen
oder um die Bedürfnisse der Allgemeinheit billig zu befriedigen, und dem begreif¬
lichen Bestreben der zahlreichen Interessenten, ihren Anteil ein dem Unternehmen
zu vergrößern, noch viel lebhafter werden lassen, als dies in der Reichs- oder
Staatsinstanz der Fall ist, wo die Tragweite gefaßter Beschlüsse den unmittelbar
Betroffenen nicht sofort zum vollen Bewußtsein kommt.
Dazu tritt ein weiteres. Nicht nur das Mißtrauen, daß die lokalen
Parlamente die „wahre" Stimme des Volkes nicht zum Ausdruck bringen, führt
zu dem Wunsch der Schaffung besonderer Räteorganisationen in den unteren
Instanzen, sondern viel mehr noch das Mißtrauen gegen den Geist der Beamten¬
schaft sowohl des Staats wie auch der Selbstverwnltungskörper. Man fürchtet,
daß auch die eigenen Berufsgenossen, wenn sie erst in den Parlamenten der
Selbstv-rwaltungskörper sitzen, die Interessen ihres Standes nicht hinreichend
vertreten. Es fehlen eben bei dem allgemeinen Wahlrecht die starken Verant¬
wortungsverhältnisse, wie sie bei einem berufsständischen Wahlrecht naturgemäß
auch nach der Wahl zwischen Wählern und Gewählten bestehen. Deshalb sollen
die eigenen Berufsvertreter in die Lage gesetzt werden, über die Behörden eine
Kontrolle auszuüben, wie sie nach der Revolution überall den lokalen Arbeiter¬
räten zugestanden werden mutzte und wie sie mehr oder weniger auch noch jetzt
ausgeübt wird. Das führt zu einer doppelten Schwierigkeit. Verantwortlich
können aus den oben für die Reichsinstanz und die Minister angeführten Gründen
die Beamten der Selbstverwaltung nur der ersten Kammer des Selbstverwaltungs¬
körpers sein. Es fehlen also dem Räteparlament die Mittel, die .Kontrolle zu
einem unmittelbaren Einfluß auf die Beamten auszuwerten. Denn das Wesent¬
liche ist ja nicht die formell gesetzmäßige Amtsführung, sondern der rechtlich nicht
faßbare Geist, in dem die Verwaltung geführt wird. Parlamentarische Unter-
suchungsausschüsse dienen zur Verstärkung rechtlich bereits bestehender Verant¬
wortlichkeiten, sie schaffen keine Neibungsmöglichkeiten, sondern sind geeignet,
reibungsloses Zusammenarbeiten zu fördern. Untersuchungsausschüsse der Berufsräte
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