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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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stets in der Lage sind, einheitlich aufzutreten, und bei der in ihren Kreisen vor¬
handenen Solidarität Meinungsverschiedenheiten sich innerhalb des Vertreter-
kreiscs leichter werden ausgleichen lassen, laufen bei den Gruppen der Nicht-
arbeitervertrcter Interessen und Ansichten so mannigfaltig durcheinander, und
gehen mit den Interessen der Arbeitervertreter vielfach zusammen, daß wohl nur
in Ausnahmefällen diese Gruppen mit ähnlicher Stoßkraft wie die Gruppen der
Arbeitervertrcter auftreten werden.

Wie ist nun das gemeinsame Arbeiten der Kammer der Berufsräte mit
dem eigentlichen Parlament -- ich nenne im folgenden der Kürze halber die
Kammer der BerusSräte zweite Kammer und das auf Grund der allgemeinen
Wahl gebildete Parlament erste Kammer -- zu denken? Es scheint zwei Möglich¬
keiten zu geben. Entweder es wird, wie dies bei den bisherigen Zweikammer¬
systemen der Fall war, für das Zustandekommen eines jvden Gesetzes eine Überein¬
stimmung beider Kammern erfordert, oder aber es werden jeder Kammer getrennte Ar¬
beitsgebiete zugewiesen, bei denen der Mehrheitsbeschluß der betreffenden zuständigen
Kammer für das Zustandekommen eines Gesetzes ausreichend ist. Im ersten Falls
entsteht das Problem, wie bei einem Konflikt der beiden Kammern eine Entscheidung
herbeigeführt werden kann; denn es ist klar, daß nur in wenigen Fällen man sich
wird damit beruhigen können, daß bei Nichtzustandekommen einer Übereinstimmung
beider Kammern eine Gesetzgebung über den in Frage stehenden Punkt unter¬
bleibt. Man könnte ja vielleicht für die Etcitgesetzgebung die zweite Kammer
ausschalten oder ihr nur eine beratende Funktion geben. Aber in einer Zeit wie
der heutigen, wo die Probleme, die gelöst werden müssen, drängen, muß auch
für andere Gebiets der Gesetzgebung die Möglichkeit bestehen, Konflikte der beiden
.Kammern positiv zu lösen. Es ist der Vorschlag gemacht worden, in diesem Falle das
Referendum endgültig entscheiden zu lassen. Dieser Weg wäre gangbar, wenn die
politische Geistesverfassung des deutschen Volkes die nötige Majvritätsgläubigkeit
besäße. Tatsächlich ist dies aber nie der Fall gewesen und ist heute weniger der
Fall denn je. Bekanntlich stehen die Sozialdemokraten auf dem Standpunkt,
daß, solange die ökonomischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
bestehen, von einer wahren Demokratie keine Rede sein kann. Gerade dieser
Gedanke sührt ja auf sozialistischer Seite zu der Forderung besonderer Berufs-
kmnmern, da man der Ansicht ist, daß bei den Wahlen zum allgemeinen Parlament
eine Unmenge zwar überlebter und unberechtigter aber doch noch vorhandener
Ideologien politischer und kultureller Art das Zustandekommen eines unbestechlichen
Ergebnisses der wahren -- gemeint ist damit die nach Ansicht der betreffenden
Sozialdemokraten als richtig so sein sollenden -- Bolksmeinung verhindern könnte.
Man muß aus diesem Grunde mit der Möglichkeit, ja man darf sagen, mit der
Sicherheit rechnen, daß entweder Entscheidungen, die der Ansicht der zweiten
Kammer oder einer starken Gruppe in ihr zuwiderlaufen, auch wenn sie durch ein
Referendum getroffen sind, nicht anerkannt werden, oder daß das Referendum
gar nicht erst abgewartet, sondern sofort der Versuch gemacht wird, durch Aus¬
nützung der wirtschaftlichen Macht, die in der Bernfsvertretung der zweiten .Kammer
zu gewaltiger einheitlicher Stoßkraft zusammengefaßt ist, einen Druck auf Regie¬
rung und erste .Kammer zugunsten der Durchsetzung der eigenen Ziele auszuüben.

Diese Sachlage wird uoch dadurch verschürft, daß, wie wohl ernstlich heute
nur noch von wenigen Seiten bestritten wird, sich das auf Grund der allgemeinen
Wahl zustande gekommene Parlament eines äußerst geringen Grades von Vertrauen,
einer Miß- oder Nichtachtung erfreut, die den Beschlüssen dieser ersten Kammer
ein sehr schwaches Maß von Widerhall in breiteren Kreisen des Volkes verschafft.
Demgegenüber werden die Vertretungen der Berufe mit den durch sie vertretenen
Kreisen in fester, lebendiger Fühlung und Wechselwirkung stehen, so daß in der
zweiten Kammer ein äußerst handliches Instrument zur Beeinflussung und Lenkung
der Volksstimmung und von Volksbewegungen gegeben ist.

Der zweite Weg, die Kompetenzen zwischen den beiden Kammern scharf ab¬
zugrenzen, der ersten Kammer zugunsten der zweiten die rein wirtschaftlichen Auf-


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stets in der Lage sind, einheitlich aufzutreten, und bei der in ihren Kreisen vor¬
handenen Solidarität Meinungsverschiedenheiten sich innerhalb des Vertreter-
kreiscs leichter werden ausgleichen lassen, laufen bei den Gruppen der Nicht-
arbeitervertrcter Interessen und Ansichten so mannigfaltig durcheinander, und
gehen mit den Interessen der Arbeitervertreter vielfach zusammen, daß wohl nur
in Ausnahmefällen diese Gruppen mit ähnlicher Stoßkraft wie die Gruppen der
Arbeitervertrcter auftreten werden.

Wie ist nun das gemeinsame Arbeiten der Kammer der Berufsräte mit
dem eigentlichen Parlament — ich nenne im folgenden der Kürze halber die
Kammer der BerusSräte zweite Kammer und das auf Grund der allgemeinen
Wahl gebildete Parlament erste Kammer — zu denken? Es scheint zwei Möglich¬
keiten zu geben. Entweder es wird, wie dies bei den bisherigen Zweikammer¬
systemen der Fall war, für das Zustandekommen eines jvden Gesetzes eine Überein¬
stimmung beider Kammern erfordert, oder aber es werden jeder Kammer getrennte Ar¬
beitsgebiete zugewiesen, bei denen der Mehrheitsbeschluß der betreffenden zuständigen
Kammer für das Zustandekommen eines Gesetzes ausreichend ist. Im ersten Falls
entsteht das Problem, wie bei einem Konflikt der beiden Kammern eine Entscheidung
herbeigeführt werden kann; denn es ist klar, daß nur in wenigen Fällen man sich
wird damit beruhigen können, daß bei Nichtzustandekommen einer Übereinstimmung
beider Kammern eine Gesetzgebung über den in Frage stehenden Punkt unter¬
bleibt. Man könnte ja vielleicht für die Etcitgesetzgebung die zweite Kammer
ausschalten oder ihr nur eine beratende Funktion geben. Aber in einer Zeit wie
der heutigen, wo die Probleme, die gelöst werden müssen, drängen, muß auch
für andere Gebiets der Gesetzgebung die Möglichkeit bestehen, Konflikte der beiden
.Kammern positiv zu lösen. Es ist der Vorschlag gemacht worden, in diesem Falle das
Referendum endgültig entscheiden zu lassen. Dieser Weg wäre gangbar, wenn die
politische Geistesverfassung des deutschen Volkes die nötige Majvritätsgläubigkeit
besäße. Tatsächlich ist dies aber nie der Fall gewesen und ist heute weniger der
Fall denn je. Bekanntlich stehen die Sozialdemokraten auf dem Standpunkt,
daß, solange die ökonomischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
bestehen, von einer wahren Demokratie keine Rede sein kann. Gerade dieser
Gedanke sührt ja auf sozialistischer Seite zu der Forderung besonderer Berufs-
kmnmern, da man der Ansicht ist, daß bei den Wahlen zum allgemeinen Parlament
eine Unmenge zwar überlebter und unberechtigter aber doch noch vorhandener
Ideologien politischer und kultureller Art das Zustandekommen eines unbestechlichen
Ergebnisses der wahren — gemeint ist damit die nach Ansicht der betreffenden
Sozialdemokraten als richtig so sein sollenden — Bolksmeinung verhindern könnte.
Man muß aus diesem Grunde mit der Möglichkeit, ja man darf sagen, mit der
Sicherheit rechnen, daß entweder Entscheidungen, die der Ansicht der zweiten
Kammer oder einer starken Gruppe in ihr zuwiderlaufen, auch wenn sie durch ein
Referendum getroffen sind, nicht anerkannt werden, oder daß das Referendum
gar nicht erst abgewartet, sondern sofort der Versuch gemacht wird, durch Aus¬
nützung der wirtschaftlichen Macht, die in der Bernfsvertretung der zweiten .Kammer
zu gewaltiger einheitlicher Stoßkraft zusammengefaßt ist, einen Druck auf Regie¬
rung und erste .Kammer zugunsten der Durchsetzung der eigenen Ziele auszuüben.

Diese Sachlage wird uoch dadurch verschürft, daß, wie wohl ernstlich heute
nur noch von wenigen Seiten bestritten wird, sich das auf Grund der allgemeinen
Wahl zustande gekommene Parlament eines äußerst geringen Grades von Vertrauen,
einer Miß- oder Nichtachtung erfreut, die den Beschlüssen dieser ersten Kammer
ein sehr schwaches Maß von Widerhall in breiteren Kreisen des Volkes verschafft.
Demgegenüber werden die Vertretungen der Berufe mit den durch sie vertretenen
Kreisen in fester, lebendiger Fühlung und Wechselwirkung stehen, so daß in der
zweiten Kammer ein äußerst handliches Instrument zur Beeinflussung und Lenkung
der Volksstimmung und von Volksbewegungen gegeben ist.

Der zweite Weg, die Kompetenzen zwischen den beiden Kammern scharf ab¬
zugrenzen, der ersten Kammer zugunsten der zweiten die rein wirtschaftlichen Auf-


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[0114] Demokratischer Parlamentarismus und Rätesystcm stets in der Lage sind, einheitlich aufzutreten, und bei der in ihren Kreisen vor¬ handenen Solidarität Meinungsverschiedenheiten sich innerhalb des Vertreter- kreiscs leichter werden ausgleichen lassen, laufen bei den Gruppen der Nicht- arbeitervertrcter Interessen und Ansichten so mannigfaltig durcheinander, und gehen mit den Interessen der Arbeitervertreter vielfach zusammen, daß wohl nur in Ausnahmefällen diese Gruppen mit ähnlicher Stoßkraft wie die Gruppen der Arbeitervertrcter auftreten werden. Wie ist nun das gemeinsame Arbeiten der Kammer der Berufsräte mit dem eigentlichen Parlament — ich nenne im folgenden der Kürze halber die Kammer der BerusSräte zweite Kammer und das auf Grund der allgemeinen Wahl gebildete Parlament erste Kammer — zu denken? Es scheint zwei Möglich¬ keiten zu geben. Entweder es wird, wie dies bei den bisherigen Zweikammer¬ systemen der Fall war, für das Zustandekommen eines jvden Gesetzes eine Überein¬ stimmung beider Kammern erfordert, oder aber es werden jeder Kammer getrennte Ar¬ beitsgebiete zugewiesen, bei denen der Mehrheitsbeschluß der betreffenden zuständigen Kammer für das Zustandekommen eines Gesetzes ausreichend ist. Im ersten Falls entsteht das Problem, wie bei einem Konflikt der beiden Kammern eine Entscheidung herbeigeführt werden kann; denn es ist klar, daß nur in wenigen Fällen man sich wird damit beruhigen können, daß bei Nichtzustandekommen einer Übereinstimmung beider Kammern eine Gesetzgebung über den in Frage stehenden Punkt unter¬ bleibt. Man könnte ja vielleicht für die Etcitgesetzgebung die zweite Kammer ausschalten oder ihr nur eine beratende Funktion geben. Aber in einer Zeit wie der heutigen, wo die Probleme, die gelöst werden müssen, drängen, muß auch für andere Gebiets der Gesetzgebung die Möglichkeit bestehen, Konflikte der beiden .Kammern positiv zu lösen. Es ist der Vorschlag gemacht worden, in diesem Falle das Referendum endgültig entscheiden zu lassen. Dieser Weg wäre gangbar, wenn die politische Geistesverfassung des deutschen Volkes die nötige Majvritätsgläubigkeit besäße. Tatsächlich ist dies aber nie der Fall gewesen und ist heute weniger der Fall denn je. Bekanntlich stehen die Sozialdemokraten auf dem Standpunkt, daß, solange die ökonomischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung bestehen, von einer wahren Demokratie keine Rede sein kann. Gerade dieser Gedanke sührt ja auf sozialistischer Seite zu der Forderung besonderer Berufs- kmnmern, da man der Ansicht ist, daß bei den Wahlen zum allgemeinen Parlament eine Unmenge zwar überlebter und unberechtigter aber doch noch vorhandener Ideologien politischer und kultureller Art das Zustandekommen eines unbestechlichen Ergebnisses der wahren — gemeint ist damit die nach Ansicht der betreffenden Sozialdemokraten als richtig so sein sollenden — Bolksmeinung verhindern könnte. Man muß aus diesem Grunde mit der Möglichkeit, ja man darf sagen, mit der Sicherheit rechnen, daß entweder Entscheidungen, die der Ansicht der zweiten Kammer oder einer starken Gruppe in ihr zuwiderlaufen, auch wenn sie durch ein Referendum getroffen sind, nicht anerkannt werden, oder daß das Referendum gar nicht erst abgewartet, sondern sofort der Versuch gemacht wird, durch Aus¬ nützung der wirtschaftlichen Macht, die in der Bernfsvertretung der zweiten .Kammer zu gewaltiger einheitlicher Stoßkraft zusammengefaßt ist, einen Druck auf Regie¬ rung und erste .Kammer zugunsten der Durchsetzung der eigenen Ziele auszuüben. Diese Sachlage wird uoch dadurch verschürft, daß, wie wohl ernstlich heute nur noch von wenigen Seiten bestritten wird, sich das auf Grund der allgemeinen Wahl zustande gekommene Parlament eines äußerst geringen Grades von Vertrauen, einer Miß- oder Nichtachtung erfreut, die den Beschlüssen dieser ersten Kammer ein sehr schwaches Maß von Widerhall in breiteren Kreisen des Volkes verschafft. Demgegenüber werden die Vertretungen der Berufe mit den durch sie vertretenen Kreisen in fester, lebendiger Fühlung und Wechselwirkung stehen, so daß in der zweiten Kammer ein äußerst handliches Instrument zur Beeinflussung und Lenkung der Volksstimmung und von Volksbewegungen gegeben ist. Der zweite Weg, die Kompetenzen zwischen den beiden Kammern scharf ab¬ zugrenzen, der ersten Kammer zugunsten der zweiten die rein wirtschaftlichen Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/114>, abgerufen am 01.09.2024.